Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-220668/23/Ga/Km

Linz, 21.11.1995

VwSen-220668/23/Ga/Km Linz, am 21. November 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Mag. Gallnbrunner über die Berufung des K. A., vertreten durch Rechtsanwalt Dr.

M.L., Rechtsanwalt in ............, .............., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft F. vom 26. Juli 1993, Zl. Ge96.., wegen Übertretung der Bauarbeitenschutzverordnung (BArbSchV), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 3. November 1995 durch öffentliche Verkündung am 21. November 1995 zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm § 24 VStG; § 9 Abs.4, § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1, § 51c, § 51d, § 51e Abs.1 und § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber angelastet, er sei schuldig, er habe "als gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich verantwortlicher Beauftragter der J. A. Ges.m.b.H. (Dachdecker und Spenglergewerbe im Standort, .............., ................) zu verantworten", daß, wie durch das zuständige Arbeitsinspektorat bei einer Überprüfung am 3.

Dezember 1992 der Baustelle "Feuerwehrzeughaus der Stadtgemeinde F." festgestellt worden sei, drei namentlich genannte Arbeitnehmer dort eine Dachrinnenmontage im Traufenbereich (Traufenhöhe ca. 6,90 m, Dachneigung ca. 30 o ) durchgeführt hätten, obwohl diese Arbeitnehmer "nicht sicher angeseilt" gewesen seien.

Dadurch habe er eine Verwaltungsübertretung nach § 45 Abs.4 BArbSchV iVm § 31 Abs.2 lit.p ANSchG begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von 9.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: 9 Tage) kostenpflichtig zu verhängen gewesen sei.

Begründend verweist die belangte Strafbehörde hinsichtlich der objektiven Tatseite auf die Ergebnisse des umfänglich geführten Ermittlungsverfahrens. Die Haftung des Berufungswerbers für das angelastete Delikt begründet die belangte Behörde mit dessen Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften; diese seine Verantwortlichkeit sei laut seinen eigenen Angaben auch bei der gegenständlichen Baustelle, als Baustellenleiter, aufrecht gewesen.

2. In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen, von der belangten Behörde zugleich mit dem Strafakt und ohne Gegenäußerung vorgelegten Berufung bestreitet der Beschwerdeführer wesentliche Sachverhaltselemente des Schuldspruchs, indem er - zusammengefaßt - vorbringt, daß er und seine drei Arbeitskollegen entgegen der Darstellung des Arbeitsinspek torates sehr wohl angeseilt gewesen seien. Der Arbeitsinspektor habe nämlich von seinem Standplatz aus nicht erkennen können, daß sie den Sicherheitsgürtel getragen hätten und mit dem (daran befestigten) Sicherheitsseil an der Dachlattung angeseilt gewesen seien. Um ihre Sicherung feststellen zu können, hätte der Arbeitsinspektor den Dachraum betreten müssen, was er jedoch unterlassen habe.

Der Berufungswerber beantragt Aufhebung und Verfahrenseinstellung.

Das zu dieser Berufung angehörte Arbeitsinspektorat hat auf seine im Verfahren vor der belangten Strafbehörde abgegebene Stellungnahme verwiesen.

3.1. Im Hinblick auf die dezidierte Bestreitung hat der unabhängige Verwaltungssenat eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Ladung der Verfahrensparteien und der Zeugen (ds die spruchgemäß involvierten Arbeitnehmer sowie die befaßt gewesenen Arbeitsinspektoren) am 3. November 1995 anberaumt und durchgeführt. Von den Parteien ist die belangte Behörde ferngeblieben, von den Zeugen ist Frau Dipl.Ing. M. entschuldigt, Herr M. B. unentschuldigt nicht erschienen.

3.2. Eingangs der Verhandlung wurden der bisherige Verfahrensgang und die Verhandlungsgrundlage anhand des zu Zl. Ge96.. vorgelegten Strafaktes (inkludierend die als Beweismittel aufgenommenen Tatort-Fotos) dargestellt.

Im Beweisverfahren wurde der Berufungswerber zunächst zu den Umständen seiner verwaltungsstrafrechtlichen Haftung vernommen. Nach Vorhalt einerseits des Umstandes, daß er selbst sich im Zuge der Vernehmung durch die Strafbehörde am 3. März 1993 als von seinem Arbeitgeber bestellter 'verant wortlicher Beauftragter' für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften bei den ihm jeweils zugewiesenen Baustellen bezeichnet hatte, und andererseits der im Strafakt einliegenden Bestellungsurkunde vom "März 1988" gab der Berufungswerber, zum Inhalt dieser Urkunde einläßlich befragt, an:

"Die darin zum Ausdruck gebrachte 'jeweils zugewiesene Arbeitsgruppe' meint, daß ich für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften auf jeder Baustelle verantwortlich war, an der ich eine Arbeitsgruppe zu führen hatte. Befragt zum Ausdruck 'Diesbezüglich haben Sie das volle Weisungsrecht' in der Bestellungsurkunde gebe ich an: Was damit genau gemeint ist, ist mir eigentlich zu keiner Zeit näher erklärt worden und habe ich auch nicht näher hinterfragt. In der Praxis konnte ich dann, wenn einer meiner Kollegen beispielsweise sich nicht anseilen hätte wollen, diesen von der Baustelle weisen und zurück in die Firma schicken; ich hätte mir einen solchen Vorfall auch notieren müssen und in der Firmenleitung bekanntgeben können. Mehr hätte ich aber nicht tun können, insbesondere hätte ich keine Möglichkeit gehabt, eine Kündigung auszusprechen oder eine andere dienstrechtliche oder disziplinäre Maßnahme zu setzen. Ich hätte ihm weder Zulagen streichen können oder herabsetzen können oder anordnen können, daß er für eine bestimmte Zeit mit ungeliebten Arbeiten betraut wird. Zusammengefaßt noch einmal: Ich hätte den Arbeiter wegschicken können und dem Geschäftsführer Meldung erstatten müssen. Ergänzend führe ich, befragt, aus: Als leitender Angestellter der Firma bezeichne ich mich nicht; ich bin Vorarbeiter. Am Tattag waren die drei im Schuldspruch angegebenen Arbeitnehmer A.

A., M. B., K. M., mir als solche Arbeitsgruppe zugewiesen.

Wenn ich mich zurückerinnere, hat es eigentlich seit meiner Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten im März 1988 nie einen Vorfall gegeben, bei dem ich gezwungen gewesen wäre, einen Arbeitnehmer von der Baustelle wegzuschicken. Aber es war schon der Fall, daß man den einen oder anderen erinnern mußte, sich anzuseilen oder zu sichern." Nach dem Eindruck des erkennenden Mitgliedes trug der Berufungswerber seine Interpretation der Bestellungsurkunde und die Schilderung seiner innerbetrieblichen Aufgaben sowie seiner Befugnisse als Vorarbeiter sicher, unbefangen und unbeeinflußt, somit insgesamt glaubwürdig vor. Der unabhängige Verwaltungssenat stellt den Inhalt dieser Aussage unter Hinweis auf § 51i VStG als maßgebenden Sachverhalt für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob dem Berufungswerber als verantwortlicher Beauftragter gemäß § 9 Abs.4 VStG auch die entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen gewesen ist, fest.

Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Gemäß § 9 Abs.2 zweiter Satz VStG können für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens (einer juristischen Person oder Personengemeinschaft ohne Rechtspersönlichkeit) auch andere (als die zur Vertretung nach außen Berufenen) Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.

Gemäß § 9 Abs.4 VStG kann verantwortlicher Beauftragter nur eine Person mit Wohnsitz im Inland sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist.

Diese Gesetzesstelle umschreibt die Voraussetzungen, die eine Person erfüllen muß, um als verantwortlicher Beauftragter bestellt werden zu können. Stellt sich nachträglich heraus, daß eine dieser Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Bestellung in Wahrheit nicht erfüllt gewesen ist, ist die Bestellung unwirksam und hat somit der Übergang der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von dem eigentlich haftbaren Arbeitgeber bzw. dessen Vertretungsorgan (§ 9 Abs.1 VStG) auf die bestellte Person nicht stattgefunden.

Zu den gesetzlichen Voraussetzungen zählt unter anderem die Einräumung einer entsprechenden ANORDNUNGSBEFUGNIS für den in die (alleinige) Verantwortung übertragenen, klar abzugrenzenden Bereich. Die einem verantwortlichen Beauftragten eingeräumte Anordnungsbefugnis ist nur dann entsprechend im Sinne des § 9 Abs.4 VStG, wenn sie ihm ermöglicht, die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften sicherzustellen. Die Anordnungsbefugnis muß dem Umfang der Verantwortlichkeit entsprechen, dh sie muß dem Beauftragten ermöglichen, das Verhalten der Mitarbeiter insoweit nachhaltig zu beeinflussen, als er es zu verantworten hat (vgl. hiezu die Erläuterungen zu der dem BG BGBl.Nr.

176/1983 zugrundeliegenden RV 161 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des NR XV. GP; auszugsweise wiedergegeben zB in RINGHOFER, Verwaltungsverfahrensgesetze II [1992], 124 FN 16 und 17).

Diese Nachhaltigkeit der Einflußnahme des verantwortlichen Beauftragten versteht der VwGH in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa Erk. 17.12.1992, 92/18/0393, mit Hinweis auf die Vorjudikatur Erk. 12.6.1992, 90/19/0464; ua) als Gestaltungsmöglichkeit, wodurch der Beauftragte in der Lage sein muß, die Verwaltungsvorschriften einzuhalten.

Danach stellt die bloße Möglichkeit, den Arbeitgeber bzw.

das zur Vertretung nach außen berufene Organ des Arbeitgebers von der drohenden oder unvermeidlichen Verletzung von Verwaltungsvorschriften zu informieren, keine Anordnungsbefugnis im beschriebenen Sinne dar.

Beispielsweise muß daher der verantwortliche Beauftragte, soll die ihm zugewiesene Anordnungsbefugnis ausreichend sein, auch die Befugnis oder das Recht haben, für die ordnungsgemäße Ausführung eines Auftrages, der mit den vorhandenen Mitarbeitern ohne Verletzung von Arbeit nehmerschutzvorschriften nicht durchgeführt werden könnte, kurzfristig weiteres (Aushilfs-)Personal aufzunehmen (Erk.

90/19/0464).

4.2. Wendet man diese Grundsätze auf den Berufungsfall an, so ist nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens der öffentlichen mündlichen Verhandlung festzustellen, daß dem Berufungswerber - entgegen dem aus der Bestellungsurkunde vom "März 1988" vermittelten Anschein - keine ausreichende Anordnungsbefugnis zugewiesen war. Der Berufungswerber konnte die ihm als Bauleiter einer Baustelle unterstehenden Mitarbeiter in Wahrheit an die Beachtung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nur erinnern und im Falle eines Zuwiderhandelns den Mitarbeiter nur in die Firma zurückschicken und den Arbeitgeber über den Vorfall informieren.

Darüber hinausgehende Eingriffsrechte oder nachhaltige Gestaltungsbefugnisse, die den vollen Übergang der strafrechtlichen Haftung vom hr. Geschäftsführer auf ihn hätten rechtfertigen können, waren dem Berufungswerber nicht eingeräumt. Seine Möglichkeiten waren keine anderen, als sie einem als Baustellenleiter eingesetzten Vorarbeiter branchenüblich in der Regel zur Verfügung stehen. Insbesondere ist auch nicht hervorgekommen, daß er aus eigenem die ihm vom Arbeitgeber "jeweils zugewiesene Arbeitsgruppe" oder einzelne Personen daraus selbständig hätte austauschen können. Auch eine sonstige disziplinäre oder dienstrechtliche Gestaltungsmacht oder selbständige Organisationskompetenz zur nachhaltigen Durchsetzung des Arbeitnehmerschutzes auf dieser oder einer anderen Baustelle hatte ihm der Arbeitgeber nicht zugewiesen, sondern in Wahrheit für sich behalten.

Aus allen diesen Gründen war die dem Berufungswerber eingeräumte Anordnungsbefugnis für seine Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten entgegen seiner eigenen, von ihm jedoch nicht weiter reflektierten Auffassung, aber auch entgegen der Auffassung der belangten Behörde, die insoweit auf den Anschein der Bestellungsurkunde "März 1988" vertraut und daher keine weiteren Ermittlungen zum wahren Gehalt der Anordungsbefugnis geführt hat, nicht ausreichend.

Somit hat sich die in die Bestellungsurkunde aufgenommene Wendung: "Diesbezüglich haben Sie das volle Weisungsrecht." als ein irreführender, weil der innerbetrieblichen Wirklichkeit nicht entsprechender Erklärungsinhalt dieser Privaturkunde erwiesen (vgl. hiezu:

Egon SCHNEIDER, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. [1994], Vahlen, München, Rz 1356 f). Im Hinblick darauf, daß es sich beim Berufungswerber um gerade keinen leitenden Angestellten gehandelt hat, wäre es vielmehr - zur Hintanhaltung einer Scheinbestellung - geboten gewesen, die Anordnungsbefugnis in diesem Fall konkret so zuzuweisen, daß ihr Umfang und ihre Reichweite nachvollziehbar und von vornherein unmißverständlich auch gegenüber dem bestellten Arbeitnehmer offenliegen.

4.3. Das Vorliegen der im § 9 Abs.4 VStG genannten Voraussetzungen ist eine dauernde Bedingung für die Rechtstellung als verantwortlicher Beauftragter; diese Voraussetzungen müssen daher schon im Bestellungszeitpunkt gegeben sein (vgl. VwGH 26.9.1994, 93/10/0064). Stellt sich nachträglich, wie hier, das Fehlen einer der gesetzlichen Voraussetzungen heraus, dann hat der Übergang der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Anfang an nicht stattgefunden.

Daher ist im Ergebnis der Berufungswerber zu Unrecht bestraft worden, weil er die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung mangels Verantwortlichkeit nicht begehen konnte.

Deshalb war das Straferkenntnis aufzuheben und die Einstellung des Verfahrens zu verfügen.

5. Mit diesem Verfahrensergebnis entfällt die Kostenpflicht des Berufungswerbers in dieser Sache gänzlich (die Aufhebung bewirkt zugleich auch den Wegfall des strafbehördlichen Kostenausspruchs).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Mag. Gallnbrunner

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