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des Landes Oberösterreich
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VwSen-220904/19/Ga/Km

Linz, 13.02.1996

VwSen-220904/19/Ga/Km Linz, am 13. Februar 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Mag. Gallnbrunner über die Berufung des Mag. H. B., vertreten durch Dr. G. H., Dr.

E. Z. und Dr. A. F., Rechtsanwälte in ....., ............., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 17. Februar 1994, Zl. Ge-2129/1993/Mag.Bra/En, wegen Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften (AAV und BArbSchV), zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

Rechtsgrundlage:

AVG: § 66 Abs.4.

VStG: § 24; § 31 Abs.2, § 44a Z1, § 45 Abs.1 Z3, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1; § 65 und § 66 Abs.1.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerber für schuldig befunden, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin "Fa. .............. & Co. Ges.m.b.H." der Kommanditgesellschaft "Fa. ...................... Ges.m.b.H.

& Co.KG." mit Sitz in .............. zu verantworten, daß am 13. Juli 1993 bei Arbeiten an der Dachkonstruktion des Hochregallagers in 4,8 m Höhe über dem Gelände auf einer örtlich umschriebenen Baustelle, I. sohin an einer absturzgefährlichen Stelle unter Außerachtlassung der Schutzmaßnahmen nach den §§ 18, 24 und 44 AAV drei dort beschäftigten, namentlich genannten Arbeitnehmern keine Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirre einschließlich der dazugehörigen Ausrüstungen, wie Sicherheitsseile, Karabinerhaken, Falldämpfer, Seilkürzer oder Höhensicherungsgeräte, zur Verfügung gestellt worden seien; II. die durch die in Punkt I. genannten Arbeitnehmer abzutragende Dachkonstruktion vor Beginn der Abbrucharbeiten hinsichtlich ihres Bauzustandes nicht von einer fachkundigen Person, die über hinreichende Kenntnisse auf dem Gebiet der Statik verfügt, untersucht worden sei, wodurch es infolge dieser Unterlassung während der Abbrucharbeiten zum Einsturz der Dachkonstruktion gekommen sei und dadurch ein Arbeitnehmer und zwei weitere namentlich angeführte Personen leichte Verletzungen am Körper erlitten hätten.

Der Berufungswerber habe dadurch Verwaltungsübertretungen, und zwar zu I. nach § 72 Abs.1 AAV iVm näher angeführten Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes (ANSchG) und zu II. nach § 65 Abs.1 BArbSchV iVm näher angegebenen Bestimmungen des ANSchG begangen. Über ihn wurden Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) kostenpflichtig verhängt, nämlich zu I. 4.000 S (ein Tag) und zu II.

10.000 S (drei Tage).

2. Dieses Straferkenntnis bekämpft der Berufungswerber mit näher begründeten, zu beiden Fakten in der Hauptsache auf Aufhebung, hilfsweise auf Verfahrensergänzung bzw.

Herabsetzung bzw. Strafnachlaß gerichteten Anträgen.

Nach Einsicht in den bezughabenden, zugleich mit dem Rechtsmittel vorgelegten Strafakt und nach Anhörung der Amtspartei zum Inhalt der Berufung hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Schon aus der Aktenlage ist ersichtlich, daß das angefochtene Straferkenntnis in beiden Spruchpunkten, gemäß § 51e Abs.1 VStG ohne öffentliche mündliche Verhandlung, aufzuheben ist.

3. Zu Spruchpunkt I.

3.1. Gemäß § 31 Abs.2 lit.p (des im Berufungsfall noch anzuwendenden) ANSchG ist ein Zuwiderhandeln von Arbeitgebern und deren Bevollmächtigten ua. gegen die Vorschriften der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) als Verwaltungsübertretung mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen.

Dem Schuldspruch ist als verletzte Gebotsnorm allein der § 72 Abs.1 AAV zugrundegelegt. Diese an den Arbeitgeber unmittelbar gerichtete Vorschrift ordnet - im hier maßgeblichen ersten Satz - an:

"Sofern bei Arbeiten an absturzgefährlichen Stellen durch Schutzmaßnahmen nach den §§ 18, 24 und 44 ein ausreichender Schutz nicht erreicht werden kann oder die Durchführung solcher Schutzmaßnahmen im Hinblick auf den Umfang der auszuführenden Arbeiten nicht gerechtfertigt ist, sind den Arbeitnehmern Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirre einschließlich der dazugehörigen Ausrüstungen, wie Sicherheitsseile (Fangseile), Karabinerhaken, Falldämpfer, Seilkürzer oder Höhensicherungsgeräte, zur Verfügung zu stellen." 3.2. Gemäß § 31 Abs.1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs.2) vorgenommen worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterbricht eine Verfolgungshandlung nur dann die Verjährung, wenn sie sich auf alle der Bestrafung zugrundeliegenden (und wesentlichen) Sachverhaltselemente bezogen hat (vgl. zB. Erk. 19.9.1984, Slg. N.F. Nr. 11.525/A).

Entgegen dieser Vorschrift wurde dem Berufungswerber im vorliegenden Fall innerhalb der Verjährungsfrist mit der allein als Verfolgungshandlung iSd § 32 Abs.2 VStG in Betracht kommenden 'Aufforderung zur Rechtfertigung' vom 8.

Oktober 1993 (abgesendet am 18. Oktober 1993) nur zur Last gelegt, "... verantwortlich zu sein, daß am 13. Juli 1993 um 11.45 Uhr auf der Dachkonstruktion des Hochregallagers in 4,8 m über dem Gebäude auf der Baustelle Bauhaus ......, ................., den dort beschäftigten Arbeitnehmern M., A. und D. keine Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirre einschließlich der dazugehörigen Ausrüstungen zur Verfügung gestellt" worden seien.

Damit aber wurde dem Berufungswerber schon die seine Pflicht, eine bestimmte Sicherheitsausrüstung zur Verfügung stellen zu müssen, überhaupt erst auslösende Erfüllung einer der beiden Voraussetzungen hiefür, nämlich daß durch anderweitig geregelte Schutzmaßnahmen an der konkreten Arbeitsstelle ein ausreichender Schutz der Arbeitnehmer nicht erreicht werden konnte oder aber die Durchführung solcher Schutzmaßnahmen im Verhältnis zu den konkreten Arbeiten einen ungerechtfertigten Aufwand bedeutet hätte, nicht angelastet.

Vor allem aber ist ihm das hier wesentliche Tatelement, wonach es sich um eine absturzgefährliche Stelle gehandelt hat und die Arbeitnehmer dort tatsächlich gearbeitet haben, nicht rechtzeitig vorgeworfen worden. Zum einen bringt in der Verfolgungshandlung die Wortfolge: "den dort beschäftigten Arbeitnehmern" weder für sich allein noch im Zusammenhang gelesen hinreichend klar zum Ausdruck, daß die Beschäftigung der genannten Arbeitnehmer auf eben dieser Dachkonstruktion (nach der Aktenlage ein Flachdach) - und nicht irgendwo sonst auf der Baustelle - gemeint ist. Zum anderen kann aus der Formulierung: "Dachkonstruktion des Hochregallagers in 4,8 m über dem Gebäude auf der Baustelle" nicht so ohne weiteres auf eine dort gegebene Absturzgefährlichkeit geschlossen werden.

Die rechtliche Wertung sohin, daß mit dem nicht erhobenen Vorwurf der Absturzgefährlichkeit die Anlastung eines wesentlichen Tatelementes unterblieben ist, wird dadurch unterstrichen, daß der Berufungswerber bereits im Ermittlungsverfahren vor der belangten Behörde gerade die Absturzgefährlichkeit wiederholt mit Sachvorbringen in Frage gestellt hat (so schon in seiner ersten Rechtfertigung ["Mitteilung"] vom 24. August 1993 [Punkt 4.], weiters in der Rechtfertigung vom 11. November 1993 [Seite 3 Mitte] und schließlich in der Stellungnahme vom 14. Februar 1994 [durch Verweisung in Punkt 1.]).

3.3. Daß aber aus dem Blickwinkel des § 72 Abs.1 erster Satz AAV das Nicht-zur-Verfügung-Stellen der Sicherheitsausrüstung allein die Beschäftigung von Arbeitnehmern auf einer Baustelle noch nicht strafbar macht, hat die belangte Behörde zwar immerhin erkannt, indem sie den Schuldspruch des angefochtenen Straferkenntnisses mit den in der Verfolgungshandlung noch nicht angelastet gewesenen, wesentlichen Tatelementen erweitert hat; das Straferkenntnis wurde jedoch bereits außerhalb der Verjährungsfrist erlassen und ist als Verfolgungshandlung nicht mehr anrechenbar.

Es ist somit innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs.2 VStG gegenüber dem Berufungswerber eine den Anforderungen des § 32 Abs.2 VStG entsprechende Verfolgungshandlung nicht ergangen, weshalb sich die Verfolgung des Berufungswerbers wegen der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung nach Spruchpunkt I. im Grunde des § 31 Abs.1 VStG als unzulässig erweist. Bei diesem Ergebnis war auch dem Einwand des Berufungswerbers, wonach die entsprechenden Schutzvorrichtungen sehr wohl zur Verfügung gestanden seien, ihre Verwendung jedoch unmöglich gewesen sei, nicht mehr nachzugehen.

Zusammenfassend war daher das Straferkenntnis im Spruchpunkt I. aufzuheben; gleichzeitig war diesbezüglich gemäß § 45 Abs.1 Z3 VStG die Einstellung des Verfahrens zu verfügen.

4. Zu Spruchpunkt II.

4.1. Verfolgungsverjährt ist aber auch die dem Berufungswerber im Schuldspruch des angefochtenen Straferkenntnisses unter II. vorgeworfene Übertretung des § 65 Abs.1 der Bauarbeitenschutzverordnung (BArbSchV).

Tatsächlich geht es um einen Verstoß gegen die Anordnung des ersten Satzes dieser Vorschrift. Danach dürfen Abbruchund Sicherungsarbeiten nur durchgeführt werden, nachdem der Bauzustand des Objektes von einer fachkundigen Person, die über hinreichende Kenntnisse auf dem Gebiete der Statik verfügt, eingehend untersucht worden ist.

4.2. Auch zu diesem Spruchpunkt ist im vorgelegten Strafakt als Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs.2 VStG nur die oben schon erwähnte 'Aufforderung zur Rechtfertigung' vom 8. Oktober 1993 auffindbar. Und auch zu II. hat sich diese Verfolgungshandlung nicht auf alle die Tat betreffenden bzw. der Bestrafung zugrundeliegenden, im Sinne der hiezu ständigen Judikatur des VwGH wesentlichen Sachverhaltselemente bezogen (vgl. zB VwGH 14.10.1994, 94/02/0287). Entgegen dem für die Verfolgungshandlung spezifisch geltenden Bestimmtheitsgebot wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, "nicht Sorge getragen zu haben, daß die abzutragende Dachkonstruktion vor Beginn der Abbrucharbeiten (nicht) hinsichtlich ihres Bauzustandes durch eine fachkundige Person untersucht worden ist und es infolge dieser Unterlassung, während der Abbrucharbeiten zum Zusammenbruch der Dachkonstruktion gekommen ist, welche zu einem schweren Arbeitsunfall geführt hat." Damit aber ist, weil es hinsichtlich der - jedenfalls durchzuführenden Untersuchung nicht auf irgendeine Fachkunde, sondern ausschließlich auf eine solche auf dem Gebiet der Statik ankommt, die Anlastung eines wesentlichen Tatumstandes unterblieben. Daß es vorliegend einer durch hinreichende Kenntnisse gerade auf dem Gebiet der Statik determinierten Fachkunde bedarf, wird zusätzlich aus dem zweiten Satz des § 65 Abs.1 BArbSchV deutlich. Danach ist nämlich bei den hier erfaßten Untersuchungen auch auf eine allfällige Änderung der statischen Verhältnisse benachbarter Objekte durch den Abbruch Bedacht zu nehmen.

Wiederum hat die belangte Behörde die ungenügende Tatanlastung zwar erkannt und in den Schuldspruch des bekämpften Straferkenntnisses unter II. das von der zit.

Verfolgungshandlung nicht angelastet gewesene wesentliche Tatelement der Fachkundigkeit auf dem Gebiete der Statik aufgenommen, doch erfolgte dies gleichfalls bereits außer halb der Verjährungsfrist.

4.3. Es ist somit auch zu diesem Spruchpunkt innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs.2 VStG gegenüber dem Berufungswerber eine den Anforderungen des § 32 Abs.2 VStG entsprechende Verfolgungshandlung nicht ergangen, weshalb sich die Verfolgung des Berufungswerbers auch diesbezüglich im Grunde des § 31 Abs.1 als unzulässig erweist (vgl. zB VwGH 22.11.1994, 94/04/0123).

Bei diesem Ergebnis kann auf sich beruhen, daß der Berufungswerber schon im strafbehördlichen Ermittlungsverfahren (insoweit konkret auf die Anlastung idF der Verfolgungshandlung eingehend) die vorherige Untersuchung der Dachkonstruktion durch eine sehr wohl fachkundige Person, nämlich den hauptberuflich mit der Errichtung und dem Abbruch von Dachkonstruktionen beschäftigten Vorarbeiter M. immerhin eingewendet hat, die belangte Behörde aber diesen Einwand dann in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses mit dem Hinweis auf fehlende Kenntnisse dieses Vorarbeiters gerade auf dem Gebiet der Statik (insoweit die zu diesem Zeitpunkt bereits unzulässig gewesene Erweiterung der Anlastung des Schuldspruchs vorwegnehmend) verworfen und dadurch jedoch Verteidigungsrechte des Beschuldigten in einem entscheidenden Punkt beschnitten hat.

Auch zu Faktum II. war daher das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben; gleichzeitig war die Einstellung des Strafverfahrens wegen Verfolgungsverjährung gemäß § 45 Abs.1 Z3 VStG zu verfügen.

5. Mit diesem Verfahrensergebnis entfällt die Kostenpflicht des Berufungswerbers (die Aufhebung bewirkt zugleich auch den Wegfall des strafbehördlichen Kostenausspruchs; Beiträge zu den Kosten des Berufungsverfahrens waren nicht aufzuerlegen).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. Gallnbrunner

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