Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-220959/7/Schi/Ka

Linz, 29.08.1994

VwSen-220959/7/Schi/Ka Linz, am 29. August 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Schieferer über die Berufung des F R. R , W , F straße , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. K R , W , K Platz , gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt W (Magistrat W ) vom 28.4.1994, GZ.MA2-Ge-4062-1993 ep, wegen einer Übertretung nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das Straferkenntnis aufgehoben und die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

II. Der Berufungswerber hat keine Beiträge zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl.Nr.51/1991, iVm § 24, § 19, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51c und § 51e Abs.2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl.Nr.52/1991; § 33 Abs.7 iVm § 31 Abs.2 lit.p Arbeitnehmerschutzgesetz (ANSchG), BGBl.Nr.234/1972 idF BGBl.Nr.650/1989; §§ 72 Abs.1 und 100 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV), BGBl.Nr.218/1983.

zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters (Magistrates) der Stadt Wels vom 28.4.1994, MA2-Ge-4062-1993 ep, wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von 5.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe von 3 Tagen) gemäß § 31 Abs.2 lit.p Arbeitnehmerschutzgesetz iVm § 72 Abs.1 und § 100 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung verhängt, weil er es als Inhaber der Firma C , W , F straße , zu verantworten hat, daß - wie aus der Strafanzeige des Arbeitsinspektorates Wels vom 31.3.1993, Zl.1050/14-19/93, hervorgeht - dem Arbeitnehmer S W am 24.2.1993 für die von ihm im Auftrag der Firma C Anstalt in W , S platz bis , durchzuführenden Fensterreinigungsarbeiten keine entsprechende Schutzausrüstung zur Sicherung gegen Absturz im Sinne des § 72 Abs.1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung an der Arbeitsstelle zur Verfügung gestellt worden ist. Der Berufungswerber hat dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 72 Abs.1 iVm § 100 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl.Nr.218/1983 iVm § 31 Abs.2 lit.p Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl.Nr.234/1972, begangen.

Gleichzeitig wurde ein Verfahrenskostenbeitrag von 500 S festgelegt.

1.2. Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, daß aufgrund des Ergebnisses der durchgeführten Ermittlungen, insbesondere der Rechtfertigung des Beschuldigten in der Strafverhandlung und der Zeugenaussage des Arbeitnehmers S W feststehe, daß die erforderlich gewesene Schutzausrüstung an der absturzgefährlichen Arbeitsstelle den Arbeitnehmern nicht zur Verfügung gestanden ist; es seien zwar im Firmenbetriebsgebäude Sicherheitsgurte vorhanden gewesen, doch seien diese zur absturzgefährlichen Arbeitsstelle nicht mitgenommen worden. Der Arbeitnehmer S W , der im zweiten Stock auf der gegenständlichen Arbeitsstelle Fensterreinigungsarbeiten durchführte, kam dabei aus einer Höhe von 6 m zum Absturz und wurde schwer verletzt.

2. Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Berufung, in der hauptsächlich die Schuld an der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung bestritten wurde und nach einer eingehenden Begründung die Behebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens bzw in eventu die Umwandlung der Strafe in eine mildere bzw in eine Strafnachsicht beantragt wurde.

3.1. Der Magistrat der Stadt Wels als belangte Behörde hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt und keine Äußerung abgegeben.

3.2. Die Berufung wurde in Wahrung des Parteiengehörs dem Arbeitsinspektorat für den 19. Aufsichtsbezirk in W zur Kenntnis gebracht. Dieses wies im Schreiben vom 9.8.1994 daraufhin, daß entsprechend einem Erkenntnis des VwGH (24.11.1992, 88/08/0221) den Arbeitnehmern Sicherheitsgurte und Sicherheitsgeschirre sowie die dazugehörige Ausrüstung an der absturzgefährlichen Arbeitsstelle zur Verfügung zu stellen ist. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, weshalb es zu dem gegenständlichen Arbeitsunfall gekommen sei. Der Beschuldigte konnte weder während der Durchführung des Ermittlungsverfahrens noch in seiner Berufung glaubhaft machen, daß er die Arbeitnehmer über die Gefahren und die Verwendung der Schutzausrüstung mündlich oder schriftlich in Kenntnis gesetzt hat. Er hat auch keinerlei Aufzeichnungen über die Durchführung der Unterweisung geführt und vorgelegt. Somit sei das Verschulden eindeutig gegeben und es möge daher das angefochtene Straferkenntnis bestätigt werden.

4.1. Die Strafbehörde hat keine Berufungsvorentscheidung erlassen, sondern - als nunmehr belangte Behörde - die Berufung samt Strafakt vorgelegt. Von einer Gegenäußerung zum Berufungsvorbringen hat die belangte Behörde abgesehen.

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist in diesem Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 51 Abs.1 VStG als Berufungsbehörde zuständig und entscheidet gemäß § 51c durch (nur) eines seiner Mitglieder, weil keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde. Der O.ö.

Verwaltungssenat hat über die - zulässige - Berufung, nach Beweisaufnahme durch Einsicht in den Strafakt der belangten Behörde erwogen.

4.2. Aus der Akteneinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat einen genügend geklärten Sachverhalt vorgefunden. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sind in der Begründung des Straferkenntnisses vollständig und mit dem Akteninhalt übereinstimmend so dargestellt, daß sich der unabhängige Verwaltungssenat ein klares und abschließendes Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen kann.

Weitere Beweise sind nicht mehr aufzunehmen.

Diesen Sachverhalt, der im übrigen vom Berufungswerber gar nicht bestritten wird, legt der unabhängige Verwaltungssenat auch seiner Entscheidung zugrunde.

4.3. Da sich schon aus der Aktenlage ergab, daß das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war, war eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 51e Abs.1 VStG nicht anzuberaumen.

5. Der O.ö. Verwaltungssenat hat erwogen:

5.1. Gemäß § 31 Abs.2 lit.p Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl.Nr. 234/1972 idgF (kurz: ANSchG), begehen Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die den Vorschriften der aufgrund des § 24 dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder den aufgrund des § 27 dieses Bundesgesetzes vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen oder den erteilten Aufträgen zuwiderhandeln, eine Verwaltungsübertretung und sind, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen.

Gemäß § 33 Abs.1 Z12 ANSchG bleibt die Verordnung vom 10.11.1954, BGBl.Nr.267, über Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern bei Ausführung von Bauarbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten, (bis zu einer Neuregelung des betreffenden Gebietes durch eine aufgrund von Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnung im bisherigen Umfang) als Bundesgesetz in Geltung (im folgenden kurz: Bauarbeitenschutzverordnung - BAV).

Gemäß § 33 Abs.7 ANSchG gelten bei Zuwiderhandlung gegen die im Abs.1 genannten Rechtsvorschriften die Bestimmungen des § 31 sinngemäß. Dies gilt auch hinsichtlich der im Abs.2 genannten Rechtsvorschriften, soweit es sich um Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes handelt. Soweit es sich nicht um Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes handelt, gelten Zuwiderhandlungen gegen die im Abs.2 genannten Rechtsvorschriften als Verwaltungsübertretungen nach der Gewerbeordnung.

5.2. Im gegenständlichen Fall ist durch das Nichtanlegen der Sicherheitsausrüstung der schwere Arbeitsunfall entstanden, da der Arbeitnehmer Stefan Weisser aus dem zweiten Stock bei Fensterreinigungsarbeiten abgestürzt ist und schwer verletzt wurde. Aus diesem Grund wurde der Berufungswerber wegen Vergehen nach § 88 Abs.1 und 4, erster Fall StGB beim Bezirksgericht Wels angezeigt; am 6.9.1993 wurde gemäß § 227 Abs.1 StPO der Strafantrag gegen den Berufungswerber zurückgezogen.

5.3. Die belangte Behörde vertritt (ebenso wie das Arbeitsinspektorat) die Auffassung, daß in verwaltungsstrafrechtlicher Hinsicht bereits die Nicht-zur-Verfügungstellung von Schutzeinrichtungen an der absturzgefährlichen Arbeitsstelle einen Verstoß nach § 72 Abs.1 AAV darstellt, unabhängig davon, ob der Beschuldigte durch sein Unterlassen in der gleichen Angelegenheit das Vergehen nach § 88 Abs.1 und 4 erster Fall StGB (fahrlässige Körperverletzung) verwirklicht hat; insbesondere aber deshalb, weil auch der diesbezüglich eingebrachte Strafantrag gemäß § 227 Abs.1 StPO zurückgezogen wurde.

5.4. Diese Ansicht widerspricht jedoch einem jüngst bekannt gewordenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.5.1994. Diesem lag ein vollkommen gleichgelagerter Fall der beim O.ö. Verwaltungssenat anhängig war (protokolliert zu VwSen-220270/13/Kon/Rd) und betraf ebenfalls einen Arbeitnehmer, der ungesichert beschäftigt war und in der Folge einen tödlichen Arbeitsunfall durch den Absturz erlitt. Da der O.ö. Verwaltungssenat in diesem Fall der Berufung Folge gab, wurde das h. Erkenntnis vom 19.3.1993 vom Bundesminister für Arbeit und Soziales beim Verwaltungsgerichtshof angefochten. Der Verwaltungsgerichtshof hat sodann die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales mit Erkenntnis vom 20.5.1994, GZ.93/02/0110, als unbegründet abgewiesen. Zunächst hat der Verwaltungsgerichtshof auf seine Vorjudikatur (Erkenntnis vom 8.10.1990, Zl.90/19/0036) verwiesen, in dem schon die Rechtsansicht vertreten wurde, aus den §§ 22 und 30 VStG ergäbe sich, daß eine von einer Verwaltungsbehörde zu ahndende strafbare Handlung auch dann von dieser Behörde zu verfolgen sei, wenn die Tat gleichzeitig unter einen gerichtlich strafbaren Tatbestand falle, es sei denn, das Gesetz normiere ausdrücklich eine Ausnahme von diesem Grundsatz; eine solche Ausnahme sei in § 31 Abs.2 lit.p ANSchG enthalten, in der es heiße, die dortgenannten Verwaltungsübertretungen seien, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen sei, mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in dem erwähnten Erkenntnis vom 8.10.1990 unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung dargelegt, daß nur im Falle einer verurteilenden Entscheidung durch das Strafgericht eine Bindung der Verwaltungsstrafbehörde in der Frage bestehe, ob ein gerichtlich zu ahndender Tatbestand vorliege, der die Ahndung als Verwaltungsübertretung ausschließe; bei Freispruch und Einstellung des Verfahrens habe eine selbständige Prüfung durch die Verwaltungsstrafbehörde zu erfolgen, ob sie zur Ahndung zuständig sei.

5.5. Da im gegenständlichen Fall der eingebrachte Strafantrag wegen Vergehens nach § 88 Abs.1 und 4 erster Fall StGB gemäß § 227 Abs.1 StPO zurückgezogen wurde, hätte die belangte Behörde selbständig prüfen müssen, ob sie zur Ahndung der vorliegenden Verwaltungsübertretung überhaupt zuständig sei.

5.6. Entgegen der belangten Behörde vertritt der O.ö.

Verwaltungssenat die Ansicht, daß gerade wegen des Zusammenhanges zwischen der Verwaltungsübertretung und dem schweren Arbeitsunfall des S W das Tatbild des § 88 Abs.1 und 4, erster Fall StGB (fahrlässige Körperverletzung) vorgelegen ist und sohin die Zuständigkeit des Gerichts zur Tatahndung gegeben ist. Dies deshalb, weil die Verletzung der Bestimmungen der §§ 72 und 100 AAV iVm § 31 Abs.1 lit.p ANSchG durch Fehlenlassen von jeglichen Kontrollen ohne Installierung einer Rückkoppelungspflicht bei besonders gefährlichen Arbeiten, wie im vorliegenden Fall, die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintrittes (schwere Verletzung) gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten erhöht hat (Erläuterung II. zu § 80 StGB, Foregger-Serine, StGB, 4. Auflage, Manz-Verlag Wien, Seite 212).

6. Aus den dargelegten Gründen war daher das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen, weil die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat infolge der zitierten Subsidiaritätsklausel des § 31 Abs.2 lit.p ANSchG keine Verwaltungsübertretung bildet.

II. Der Ausspruch über den Entfall von Kostenbeiträgen zum Strafverfahren ist auf die angegebene Gesetzesbestimmung gegründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Schieferer

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