Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230226/2/Wei/Bk

Linz, 23.06.1994

VwSen-230226/2/Wei/Bk Linz, am 23. Juni 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung der M K, geb. , P gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 16. April 1993, Zl. Pol-II-21/1993/Ro/Hu, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem O.ö. Tierschutzgesetz (LGBl Nr. 27/1953) zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG 1991 eingestellt.

II. Die Berufungswerberin hat keine Beiträge zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991; § 66 Abs 1 VStG 1991.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis vom 16. April 1993 hat die belangte Behörde die Berufungswerberin (Bwin) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Sie haben am 28.01.1993 um 06.45 Uhr, den sechsjährigen Mischlingshofhundrüden Rufname 'R' der Familie H, vor der Haustüre des Hauses P, durch Schläge mit einer Schneeschaufel mißhandelt und dem Tier dadurch erhebliche Schmerzen zugefügt." Die Bwin habe dadurch die Rechtsvorschrift des § 1 Abs 1 und 2 lit d) O.ö. Tierschutzgesetz verletzt. Gemäß § 4 Abs 1 O.ö. Tierschutzgesetz verhängte die belangte Behörde eine Geldstrafe von S 500,-- und 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe. Der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens wurde mit S 50,-- bestimmt.

1.2. Das Straferkenntnis hat die Bwin am 28. April 1993 eigenhändig übernommen. Am 10. Mai 1993 erhob sie rechtzeitig Berufung, die von der belangten Behörde niederschriftlich aufgenommen wurde.

2.1. Die belangte Strafbehörde ging davon aus, daß die Bwin den Hund ihres Nachbarn am 28. Jänner 1993 um ca 06.45 Uhr zumindest einigemale mit der Schneeschaufel geschlagen hat, was sie im wesentlichen auch in ihrer Rechtfertigung nicht bestritten habe.

Die Bwin bestritt, daß sie auf den Hund 25 bis 30 mal eingeschlagen hätte, wie dies der Nachbar H behauptet hatte. Sie verwies auf ihre Aussage vor der Gendarmerie vom 1. Februar 1993. Danach schaufelte sie mit einer Schneeschaufel den Weg frei, damit ihre Mutter später mit dem Milchwagerl hätte fahren können. Auf Höhe der Haustür der Familie H kam es zum Streit zwischen den Nachbarn. Die Mutter der Bwin kam mit deren Hund und der Mischlingshund "R" des H lief ebenfalls aus dem Haus ins Freie. Nach der Darstellung der Bwin begannen die Hunde zu raufen und sie wollte sie trennen. Sie hätte mit der linken Hand nach dem eigenen Hund gegriffen und schlug mit der rechten Hand die Schneeschaufel haltend einige Male auf beide Hunde ein bis sie sich trennten. Den Streit hätte sie nicht begonnen. Weder sie noch ihre Mutter hätten Verletzungen an den Hunden festgestellt.

H behauptete vor der Gendarmerie, daß die Bwin 25 bis 30 mal auf seinen Hund eingeschlagen hätte bis dieser bewußtlos gewesen wäre. Auf seine Zurufe hätte der Hund nicht reagiert. Er sei dann zurück ins Vorhaus, wohin ihm auch der Hund folgte. Dabei hätte er nicht darauf geachtet, ob der Hund hinkt oder nicht, weil er nach Linz fahren mußte. Als er gegen 11.00 Uhr nach Hause kam, hätte sich der Hund anders verhalten als sonst und den Kopf hängen lassen.

Mit seiner Gattin brachte er den Hund zum Tierarzt, der festgestellt hätte, daß der Hund vermutlich eine Gehirnerschütterung und eine Verletzung am Vorderlauf erlitt.

Nach den Erhebungen der Gendarmerie ist objektiviert, daß der Tierarzt Dr. D gegen 11.00 Uhr des 28. Jänner 1993 einen kastaniengroßen Bluterguß am Vorderlauf festgestellt hat. Weitere Verletzungen stellte er nicht fest. Der Tierarzt gab an, daß es sich um keine schwere Verletzung handelte.

2.2. In rechtlicher Hinsicht meinte die belangte Behörde, daß sich die Aussagen im entscheidungswesentlichen Punkt, nämlich dem Einschlagen auf den Hund "R" mit einer Schneeschaufel, decken. Ob die Bwin einige Male oder 25 bis 30 mal auf den Hund eingeschlagen hat, sei für die Erfüllung des Tatbestandes der Tierquälerei nicht entscheidend. Auch durch einen einzigen Schlag könnten einem Tier erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt werden. Der Eintritt einer Verletzung sei dabei nicht Tatbestandsmerkmal.

2.3. In ihrer niederschriftlichen Berufung bringt die Bwin keine wesentlichen Neuerungen vor. Sie bekräftigte, daß sie die raufenden Hunde trennen wollte, wobei sie mit der Schneeschaufel vorging. Eine Verletzung hätte sie dem Hund des H nicht zufügen können, weil sie die Schaufel nur mit einer Hand führte und den eigenen Hund mit der anderen festhielt. H sei nicht um 11.00 Uhr sondern erst um ca. 13.00 Uhr zum Tierarzt gefahren. Am 29. Jänner 1993 hätte die Bwin den Nachbarhund um ca. 08.45 Uhr gesehen und keine Verletzung feststellen können. Sie fühle sich daher keiner Verwaltungsübertretung schuldig.

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat nach Einsicht in die vorgelegten Verwaltungsakten festgestellt, daß das Straferkenntnis schon nach der Aktenlage aufzuheben ist, weshalb gemäß § 51e Abs 1 VStG keine öffentliche mündliche Verhandlung erforderlich war.

3.2. Der erkennende Verwaltungssenat legt seiner Entscheidung die von der belangten Behörde festgestellten und von der Bwin auch nicht bestrittenen Tatsachen zugrunde.

Eine Verletzung des Hundes "R" hat die belangte Behörde nicht festgestellt und nach ihrer Rechtsansicht auch nicht für erforderlich gehalten. Aufgrund der wenig glaubhaften weil kraß übertriebenen - Schilderung des Kontrahenten Herndler und der erst einige Stunden später erfolgten Untersuchung des Hundes durch den Tierarzt, die überdies nur einen kastaniengroßen Bluterguß am Vorderlauf ergab, bleiben zumindest Zweifel an der Herbeiführung der Verletzung durch die Bwin, die sich im Strafverfahren zu ihren Gunsten auswirken müssen. Deshalb hat die belangte Strafbehörde im Ergebnis zu Recht keine Verletzung des Hundes durch die Bwin festgestellt.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Gemäß § 1 Abs 1 O.ö. Tierschutzgesetz begeht eine Tierquälerei, wer - ohne daß eine Ausnahme nach § 2 vorliegt und ohne daß Gründe vorliegen, die die öffentlichen Interessen am Tierschutz überwiegen - einem Tier erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.

§ 1 Abs 2 O.ö. Tierschutzgesetz bestimmt nach Art einer demonstrativen Interpretationsanweisung, daß eine Tierquälerei unter den Voraussetzungen des Abs 1 insbesondere begangen wird:

a) durch Eingriffe am Körper des Tieres - auch Schlachtung und Tötung - ohne Betäubung; b) durch Mißhandlung, gleichgültig ob sie dem Tier unmittelbar oder als zwangsläufige Folge anderer Handlungen zugefügt wird; c) durch Verwendung zu Verrichtungen, die die Kräfte des Tieres im allgemeinen oder unter den gegebenen besonderen Umständen offensichtlich übersteigen; d) durch Vernachlässigung hinsichtlich Unterbringung, Fütterung, Tränkung, Schutz und Pflege bei Haltung, Beförderung und Viehtrieb; e) durch mißbräuchliche Verwendung eines Tieres zu Abrichtungen, Filmaufnahmen und Schaustellungen; f) durch Abrichtung und Prüfung von Hunden auf Schärfe an lebenden Tieren.

§ 2 O.ö. Tierschutzgesetz erklärt, daß bestimmte - hier nicht interessierende - Fälle nicht als Tierquälerei im Sinne des § 1 anzusehen sind.

Gemäß § 4 Abs 1 O.ö. Tierschutzgesetz begeht eine Verwaltungsübertretung und wird mit einer Geldstrafe bis S 3.000,-- oder mit Arrest bis zu 6 Wochen bestraft, wobei in schweren Fällen diese Strafen auch nebeneinander verhängt werden können, wer sich der Tierquälerei schuldig macht oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung oder einem auf Grund des § 5 erlassenen Bescheid zuwiderhandelt.

4.2. Die belangte Strafbehörde erachtet bereits das bloße Versetzen von Schlägen mit einer Schneeschaufel, ohne daß eine erhebliche Verletzung des Tieres oder eine qualifizierte Art und Weise der Begehung feststünde, als Tierquälerei. Es ist zwar richtig, daß der Eintritt einer Verletzung nicht notwendiges Tatbestandsmerkmal ist. Dennoch sind Art und Ausmaß von Verletzungen als Folge der Tierquälerei ein wichtiger Indikator für die Intensität der zugefügten Schmerzen oder Leiden. Ebensowenig kann sich der erkennende Verwaltungssenat der strafbehördlichen Rechtsansicht anschließen, daß es nicht entscheidend sei, wie oft auf den Hund eingeschlagen worden ist.

Die begriffliche Gegenüberstellung von den erheblichen Schmerzen als Alternative zu den Leiden, die wieder als Synonym für Qualen eine gewisse Dauer der Schmerzen voraussetzen, ebenso wie die Beifügung "erheblich" läßt erkennen, daß nur die Mißhandlung eines Tieres von einiger Intensität die tatbestandliche Mindestschwelle der Tierquälerei erfüllt. Das Ausmaß der Schläge beurteilt nach Anzahl, Stärkegrad und Gefährlichkeit spielt durchaus eine wesentliche Rolle für die Bewertung der Tathandlung. Es ist zwar abstrakt gesehen zutreffend, daß einem Tier auch durch einen einzigen Schlag erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt werden können. Konkret müßte es sich dabei aber um einen durch besondere Gewalt und/oder Gefährlichkeit qualifizierten Angriff auf die körperliche Integrität eines Tieres handeln, damit von der Zufügung erheblicher Schmerzen die Rede sein kann. Eine solche Situation kann gegenständlich nicht angenommen werden, weshalb sich die rechtliche Begründung der Strafbehörde auch als unschlüssig erweist.

4.3. Aus § 1 Abs 1 (arg. "...ohne daß Gründe vorliegen, die...") und § 5 Abs 2 O.ö. Tierschutzgesetz, der auf die Tierquälerei nach § 1 Abs 1 Bezug nimmt und dabei ausdrücklich von "....unnötig erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt..." spricht, ist abzuleiten, daß das O.ö.

Tierschutzgesetz ähnlich wie der gerichtliche Straftatbestand der Tierquälerei nach § 222 StGB auf die unnötige ( iSv unbegründete) Zufügung von erheblichen Schmerzen oder Leiden (= Qualen) abstellt. Daraus folgt, daß selbst die Zufügung von erheblichen Schmerzen oder Leiden nicht unbedingt strafbar sein muß, sofern man noch von einem sozialadäquaten Verhalten sprechen kann (vgl dazu auch Pallin, Wiener Kommentar zum StGB, § 222 Rz 14). Werden gewisse Grenzen, die je nach Lage des Falles zu beurteilen sind, nicht überschritten und dient der Einsatz von Gewalt gegen das Tier einem vernünftigen und berechtigten Zweck, so kann von der Zufügung unnötiger Schmerzen oder Leiden nicht die Rede sein. Dies gilt etwa, wenn das Tier durch maßvolle Verwendung einer Peitsche oder eines Stockes zu einer zumutbaren Arbeitsleistung oder zum Gehorsam angehalten werden muß oder wenn erzieherische Zwangsmaßnahmen erforderlich sind (vgl Leukauf/Steininger, Kommentar zum StGB, 3. A [1992], § 222 Rz 4).

Die in § 1 Abs 2 O.ö. Tierschutzgesetz demonstrativ angeführten Beispiele für Tierquälereien gelten nur unter den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs 1 O.ö.

Tierschutzgesetz und können schon deshalb nichts an der vorgetragenen Auslegung ändern. Im übrigen ist auch diesen Beispielen ebenso wie den vom Landesgesetzgeber etwas mißverständlich als Ausnahmen bezeichneten Fällen des § 2 O.ö. Tierschutzgesetz, die in Wahrheit nur gesetzliche Richtlinien für die Auslegung der Frage der Zufügung von erheblichen Schmerzen oder Leiden sind, der Grundgedanke zu entnehmen, daß nur unnötige und nach der Verkehrsauffassung sachlich nicht vertretbare Maßnahmen bzw Eingriffe in die körperliche Integrität von Tieren den Tatbestand der Tierquälerei erfüllen sollen.

4.4. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Strafbehörde nicht einmal eine Verletzung des Tieres als Folge der Schläge mit der Schneeschaufel festgestellt. Aber selbst wenn man den vom Tierarzt einige Stunden nach dem Vorfall festgestellten, kastaniengroßen Bluterguß am linken Vorderlauf berücksichtigt, bleibt durchaus zweifelhaft, ob damit dem Tier erhebliche Schmerzen zugefügt wurden. Auch die von der Erstbehörde angenommene Begehungsweise ändert an diesem Befund nichts, zumal sie den Angaben der Bwin gefolgt ist. Diese führte nach ihren Angaben die Schneeschaufel nur mit einer Hand und schlug einige Male auf beide raufenden Hunde bis sie sich trennten. Daraus ist weder eine übermäßige noch eine grausame Gewaltanwendung durch die Bwin erkennbar. Im Gegenteil verfolgte sie nur den Zweck auf die Hunde erzieherisch einzuwirken. Daß dabei der Einsatz von maßvoller Gewalt erforderlich war, wird auch durch die Aussage des Zeugen Herndler bestätigt, wonach sein Hund "Rio" auf seine Rückrufe nicht reagiert hatte. Dazu kommt noch, daß H offenbar sonst nichts unternahm, um seinen Hund am Raufen zu hindern. Bedenkt man, daß die Bwin in der gegebenen Situation verständlicherweise verhindern wollte, daß sich ihr Hund beim Raufen verletzt und daß auch für sie selbst körperliche Gefahren beim Trennen der Hunde bestanden, kann ihre Vorgangsweise nach Ansicht des erkennenden Verwaltungssenates in keiner Weise beanstandet werden. Ihr Verhalten, das intentional auf einen berechtigten Zweck ausgerichtet und keineswegs übertrieben war, muß als sachlich berechtigt und damit sozialadäquat angesehen werden. Selbst wenn man von der an sich schon zweifelhaften Zufügung erheblicher Schmerzen ausginge, könnte nicht behauptet werden, daß diese unbegründet bzw unnötig im Sinne des § 1 Abs 1 O.ö. Tierschutzgesetz erfolgte. Es war daher das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren mangels Vorliegens einer Verwaltungsübertretung gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.

5. Bei diesem Ergebnis entfällt gemäß § 66 Abs 1 VStG die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. W e i ß

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