Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230390/2/Wei/Bk

Linz, 28.12.1995

VwSen-230390/2/Wei/Bk Linz, am 28. Dezember 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des R H, geb. 1967, G, vertreten durch RA Dr. Franz H, F, vom 23. Dezember 1994 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 22. November 1994, Zl. Sich 96/1343/1992+1/Ti, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 3 Abs 1 O.ö.

Polizeistrafgesetz - O.ö. PolStG (LGBl Nr. 36/1979 idF LGBl Nr. 94/1985) zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991, § 66 Abs 1 VStG 1991.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis vom 22. November 1994 hat die belangte Behörde den Berufungswerber (Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Sie sind am Sonntag den 2.8.1992 in der Ortschaft R Gemeinde O von ca 14.05 bis 14.30 Uhr mit ihrem Modellflieger auf dem nichtgenehmigten Modellflugplatz geflogen und haben dadurch in ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt." Durch die so umschriebene Tatanlastung erachtete die belangte Strafbehörde den § 3 Abs 1 O.ö. PolStG als verletzte Rechtsvorschrift und verhängte gemäß § 10 Abs 1 lit a) O.ö. PolStG eine Geldstrafe von S 500,-(Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden).

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das dem Bw zu Handen seines Rechtsvertreters am 13. Dezember 1994 zugestellt wurde, richtet sich die vorliegende Berufung, die am 27. Dezember 1994 - und damit rechtzeitig - bei der belangten Behörde einlangte.

2.1. Im angefochtenen Straferkenntnis führt die belangte Behörde im wesentlichen begründend aus, daß es aufgrund der durchgeführten Ermittlungsverfahren und der Zeugenaussagen von betroffenen Anrainern als erwiesen anzusehen sei, daß der Bw in den ihm zur Last gelegten Fällen ungebührlicherweise störenden Lärm verursacht und dies auch zu verantworten habe.

2.2. Dagegen bringt der Bw u.a. vor, daß er und auch die anderen Mitglieder seines Modellfliegerclubs nur schallgedämpfte Flugzeuge verwenden würden, die keinesfalls einen störenden Lärm verursachen könnten. Außerdem befinde sich in unmittelbarer Nähe der anzeigeerstattenden Anrainer nicht nur eine Eisenbahnlinie, deren vorbeifahrende Züge ohrenbetäubenden Lärm verursachen würden, sondern würden diese Liegenschaften auch landwirtschaftlich sowie für Jagdzwecke genutzt, was ebenfalls eine nicht unbeträchtliche Lärmerregung hervorrufe. Um zu beurteilen, ob der von den Modellflugzeugen verursachte Lärm tatsächlich als störend zu qualifizieren war, hätte die belangte Behörde vielmehr ein schalltechnisches Gutachten erstellen lassen müssen, weil es insoweit nicht allein auf Zeugenaussagen von Betroffenen ankommen könne.

Aus allen diesen sowie weiteren formalrechtlichen Gründen wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Strafverfahrens beantragt.

2.3. Die belangte Strafbehörde hat ihren Verwaltungsstrafakt zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

3. Der erkennende Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck festgestellt, daß das angefochtene Straferkenntnis bereits aufgrund der Aktenlage aufzuheben ist.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Gemäß § 3 Abs 1 O.ö. PolStG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist nach § 10 Abs 1 lit a) O.ö.

PolStG mit Geldstrafe bis zu S 5.000,-- zu bestrafen, wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt.

Unter "störendem Lärm" sind gemäß § 3 Abs 2 O.ö. PolStG alle wegen ihrer Dauer, Lautstärke oder Schallfrequenz für das menschliche Empfinden unangenehm in Erscheinung tretende Geräusche zu verstehen. Nach § 3 Abs 3 O.ö. PolStG ist er dann als "ungebührlicherweise erregt" anzusehen, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärmes führt, gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muß und jene Rücksichtnahme vermissen läßt, die die Umwelt verlangen kann.

Zur strafbehördlichen Spruchfassung ist zunächst zu bemängeln, daß die Konkretisierung iSd § 44a Z 1 VStG zu wünschen übrig läßt. Der Hinweis auf einen nichtgenehmigten Modellflugplatz ist mangels erkennbarer Bewilligungspflicht verfehlt und irreführend. Er beantwortet auch nicht die entscheidungswesentliche Tatfrage der Dauer und Intensität des verursachten Lärmes. Die Anlastung des Modellfliegens auf dem Modellflugplatz in der Zeit von 14.05 bis 14.30 Uhr am Sonntag, dem 8. August 1992, ist zwar hinreichend individualisiert, aber nicht ausreichend konkretisiert. Sie ist nämlich für sich allein nicht aussagekräftig, weil schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung damit nicht dargetan wird, daß mit einem solchen Verhalten eine unzumutbare Lärmbelästigung verbunden ist. Die für den Tatvorwurf des ungebührlicherweise störenden Lärms wesentlichen Sachfragen werden überhaupt nicht angesprochen.

Die Tatortbezeichnung ist entgegen der Berufung genau genug, weil es in der Ortschaft R, Gemeinde O, keinen zweiten Modellflugplatz gibt.

4.2. Sowohl nach dem Grundsatz der materiellen Wahrheitserforschung (vgl § 25 Abs 2 VStG) als auch im Hinblick auf das Gebot eines fairen Verfahrens nach Art 6 EMRK ist der Bw mit seinem sinngemäßen Vorbringen im Recht, daß der Schuldbeweis nicht allein durch Zeugenaussagen betroffener Anrainer, die sich durch den Flugbetrieb mit Modellflugzeugen gestört fühlen, geführt werden kann. Ob der Lärm als "störend" und überdies, "ungebührlicherweise erregt" anzusehen ist, hängt vom Empfinden eines mit der Sachlage vertrauten objektiven Beobachters ab. Es wäre daher zunächst angebracht gewesen, nicht nur den anzeigenden Anrainer und seine Gattin zu vernehmen, sondern auch andere unbefangene Personen, die über eigene Wahrnehmungen mit dem Modellflugbetrieb berichten können, auszuforschen und zu vernehmen. Dies gilt umso mehr, wenn in einem strafbehördlichen Parallelverfahren (vgl Sich 96/1359/1992), das einen gleichgelagerten Vorfall vom 18. August 1992 betraf, in der Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos O zur Zahl P-742/92-la davon gesprochen wird, daß der einschreitende Gendarmeriebeamte am 18. August 1992 um 17.32 Uhr - und damit kurz nach der Anzeigeerstattung - ein Motorengeräusch von einem Modellflieger nur leicht wahrnehmen habe können und daß in einer Entfernung von etwa 200 m östlich des Hauses R in O (= Haus des Anzeigers) ein leises, hochtouriges Motorensummen zu vernehmen gewesen sei.

Mit den Einwänden des Bw, daß nur schallgedämpfte Flugzeuge verwendet und daß die Beschränkungen der Flugordnung des Clubs (vgl die aktenkundige Modellflugplatzordnung des Modellflugclubs ASKÖ H) eingehalten werden würden, hat sich die Strafbehörde völlig unzureichend auseinandergesetzt, indem sie einfach auf die Aussagen der befangenen Anrainer verwies.

4.3. Für die Frage, ob ein Lärm als "störend" und "ungebührlicherweise erregt" zu qualifizieren ist, kommt es stets auf die besonderen Umstände des Einzelfalles an. Kommt ein beträchtlicher ortsüblicher Lärmpegel in Betracht, weil - wie verfahrensgegenständlich nach den unwiderlegten Behauptungen des Bw - eine Region durch Eisenbahn- und Straßenverkehr, durch landwirtschaftliche Nutzung und durch Jagdausübung vorbelastet ist, bedarf es der Einholung eines lärmtechnischen und gegebenenfalls auch ärztlichen Sachverständigengutachtens darüber, ob und inwiefern der durch Modellflugzeuge hinzutretende Lärm als wesentlich und möglicherweise gesundheitsbeeinträchtigend zu qualifizieren ist (vgl dazu bereits das h. Erk VwSen-230392 u.a. vom 3.5.1995). Derartige aussagekräftige Beweiserhebungen hat die belangte Behörde zur Gänze unterlassen und sich mit der einseitigen Darstellung betroffener Anrainer begnügt. Es liegen daher so beträchtliche Aufklärungsmängel vor, daß die Beweiswürdigung der Strafbehörde unvertretbar erscheint.

Damit kann aber auch von einem Schuldbeweis keine Rede sein.

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat mehrfach ausgesprochen, daß es mit seiner verfassungsmäßigen Funktion als Organ der Rechtskontrolle neben dem Verwaltungsgerichtshof (vgl dazu Art 129 B-VG!) grundsätzlich nicht vereinbar ist, substantielle Versäumnisse der Strafbehörde auszugleichen und an ihrer Stelle den subsumtionsrelevanten Sachverhalt erstmals zu ermitteln und damit die durch Art 6 Abs 1 EMRK garantierte Position des unabhängigen und unparteilichen Richters zu verlassen und in jene des Anklägers zu schlüpfen (vgl etwa die h. Erkenntnisse VwSen-200151 vom 10.6.1994, VwSen-220794 vom 16.12.1994, VwSen-220859 vom 10.2.1995, VwSen-102629 vom 10.3.1995, VwSen-230392 u.a. vom 3.5.1995, VwSen-260169 vom 18.7.1995).

Abgesehen davon, daß im gegebenen Fall seit der Tatbegehung bereits mehr als 3 Jahre verstrichen sind und deshalb mittlerweile absolute Verjährung gemäß § 31 Abs 3 Satz 1 VStG eingetreten wäre, mangelt es gegenständlich bereits an einem hinlänglich konkretisierten schlüssigen Schuldvorwurf ebenso wie an vollständigen und unbedenklichen Sachverhaltsannahmen aufgrund eines ausreichenden Beweisverfahrens. Die erstmalige nachträgliche Aufklärung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts nach jahrelangen strafbehördlichen Versäumnissen ist einerseits bei verfassungskonformer Interpretation des § 66 Abs 4 AVG nicht Aufgabe des unabhängigen Verwaltungssenates und andererseits auch bei realistischer Betrachtung wegen wesentlicher Verschlechterung der Beweislage nicht zu erwarten.

4.4. Da nach der Aktenlage weder eine ausreichende rechtzeitige Verfolgungshandlung feststellbar ist noch geeignete Beweise für die dem Bw formell vorgeworfene Verwaltungsübertretung ersichtlich sind, war der vorliegenden Berufung gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs 4 AVG Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren schon gemäß dem § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.

5. Bei diesem Verfahrensergebnis hatte der Bw gemäß § 66 Abs 1 VStG weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. W e i ß

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