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des Landes Oberösterreich
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VwSen-230761/2/Fra/Ka

Linz, 15.11.2000

VwSen-230761/2/Fra/Ka Linz, am 15. November 2000

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Fragner über die Berufung des Herrn T S, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 4.10.2000, AZ: S-21.113/00-2, mit dem der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen S, AZ: S-21.113/00-2, vom 24.7.2000, abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

Der Berufung wird hinsichtlich des Verfahrens nach Punkt 2) der Strafverfügung vom 16.6.2000, S-21.113/00-2 (Übertretung des § 82 Abs.1 SPG), stattgegeben. Der Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 4.10.2000, AZ: S-21.113/00-2, wird diesbezüglich behoben und dem Antrag auf Wiederaufnahme wird hinsichtlich dieses Verfahrens stattgegeben.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm § 24 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion Linz (BPD) hat mit Strafverfügung vom 16.6.2000, Zl. S-21.113/00-2, unter Punkt 2 über den Berufungswerber (Bw) wegen Übertretung des § 82 Abs.1 SPG eine Geldstrafe von 1.000 S (EFS 48 Stunden) verhängt, weil er sich am 10.6.2000 zwischen 23.36 Uhr und 23.41 Uhr in Linz, Obere Donaulände Nr.7 bis 9, Kreuzung mit Hofberg, trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während dieses ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnahm, aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung behindert hat, indem er lautstark schreiend mit den Fäusten wild gestikulierte und auf den linken hinteren Reifen des Funkwagens spuckte.

Mangels Erhebung eines Einspruches wurde diese Strafverfügung rechtskräftig.

2. Der Bw stellte durch seine ausgewiesenen Vertreter mit Eingabe vom 24.7.2000 an die BPD Linz einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit rechtskräftiger Strafverfügung vom 16.6.2000 beendeten Verfahrens zu S-21.113/00-2. Gleichzeitig wurde beantragt, diesen Bescheid ersatzlos zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 VStG einzustellen.

Zur Begründung wurde vorgebracht, dass der Bw mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Linz vom 14.7.2000 zu 24 EHv 76/00 wegen desselben Vorfalles vom 10.6.2000 zu einer dreimonatigen unbedingten Haftstrafe verurteilt und ihm weiters die bedingte Strafnachsicht zu 24 EHv 31/00 wiederrufen wurde. Es seien somit neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Parteien nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten (vgl. Art.4 des 7. ZP zur MRK-Verbot der Doppelbestrafung).

Zur Rechtzeitigkeit des Antrages wurde ausgeführt, dass den ausgewiesenen Vertretern die Strafverfügung erst am 12.7.2000 von der Bewährungshelferin des Bw zur Kenntnis gebracht wurde und die Hauptverhandlung erst am 14.7.2000 stattgefunden habe. Als Beweis wurden den ausgewiesenen Vertretern die via Fax übermittelte Strafverfügung, der Protokollsvermerk und die gekürzte Ausfertigung des oa Urteiles vorgelegt.

3. Die BPD wies mit Bescheid vom 4.10.2000, AZ: S-21.113/00-2, den unter Punkt 2 angeführten Wiederaufnahmeantrag ab. In der Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass ein Vergleich des Sachverhaltes des Urteiles des Landesgerichtes Linz mit dem Spruch der Strafverfügung der BPD Linz eindeutig ergebe, dass jenes Verhalten, das dem gerichtlichen Urteil zugrunde lag, nicht Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens war. Der Strafverfügung der BPD Linz vom 16.6.2000 sei nämlich jene Handlungen des Bw zugrunde gelegt, die er am 10.6.2000 in der Zeit von 23.35 Uhr bis 23.41 Uhr gesetzt habe, während vom Landesgericht Linz jene Handlungen zu einer Verurteilung geführt hätten, die er am 10.6.2000 in der Zeit von 23.41 Uhr bis 23.45 Uhr gesetzt habe. Eine verbotene Doppelbestrafung liege daher nicht vor. Der Umstand, dass zwei verschiedene, zeitlich abgrenzbare Handlungsabläufe vorlagen, sei bereits zum Zeitpunkt der Erlassung der Strafverfügung bekannt gewesen.

4. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung bringt der Bw unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, die Erstbehörde habe es unterlassen, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, da sie ansonsten zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Sie habe es außer Acht gelassen, dass er wegen ein und desselben Verhaltens am 10.6.2000 vom Landesgericht Linz zu 24 EHv 76/00 wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und fahrlässiger Körperverletzung bestraft worden ist. Dem Urteilsspruch sei zudem nicht zu entnehmen, dass die Tatzeit der beiden Delikte am 10.6.2000 von 23.41 Uhr bis 23.45 Uhr gedauert hat. Das Spucken auf die Windschutzscheibe und auf den Reifen des Streifenwagens sei schließlich der Anlass bzw auslösendes Moment für die beiden Straftaten, deretwegen er vom Landesgericht rechtskräftig bestraft worden ist, gewesen.

Es wäre daher eine andere Interpretation des Verbotes der Doppelbestrafung sinnwidrig, da ihr dann jeder Anwendungsbereich entzogen wäre, gehe doch beispielsweise auch der strafbaren Handlung wie etwa der fahrlässigen Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (Lenken eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand und daran anschließend Verursachen eines Verkehrsunfalles mit Personenschaden) ein Lenken in alkoholisiertem Zustand voraus, das nicht gerichtlich strafbar ist. Es müsste dann hier neben der gerichtlichen auch eine verwaltungsrechtliche Verurteilung erfolgen. Es treffe auch nicht zu, dass die Verwaltungsübertretungen nicht Gegenstand des strafgerichtlichen Verfahrens waren, sie seien Auslöser für die gerichtlich strafbaren Handlungen gewesen, welche Umstände im Strafverfahren gleichfalls erörtert worden sind.

Unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes verweist der Bw auf das oa Vorbringen. Tatsächlich sei sein Verhalten (Spucken) Anlass für die Beamten gewesen, einzuschreiten, was die gerichtliche Verurteilung nach sich gezogen habe. Auch sein aggressives Verhalten, das im Urteilsspruch noch detailliert umschrieben ist, sei Gegenstand des gerichtlichen Strafverfahrens gewesen. Die gegenteilige Rechtsansicht der Erstbehörde erweise sich daher als verfehlt, da eine derartige Betrachtungsweise der Anwendung des Doppelbestrafungsverbotes jeden Boden entzöge. Selbst wenn man von der erstinstanzlichen Feststellung ausginge, dass er zunächst die verwaltungsstrafrechtlichen Delikte in der Zeit von 23.35 Uhr bis 23.41 Uhr und von 23.41 Uhr bis 23.45 Uhr die gerichtlichen strafbaren Handlungen gesetzt hätte, was er keinesfalls zugestehe, wäre für die Erstinstanz nichts gewonnen, da im Wesentlichen gleiche Tatzeitpunkte vorlägen bzw diese ineinander übergingen, weshalb eine strikte Trennung dem Wesensgehalt des Doppelbestrafungsverbotes zuwiderliefe.

Der Bw stellt abschließend den Antrag, seiner Berufung Folge zu geben, dem Antrag auf Wiederaufnahme stattzugeben, die Strafverfügung vom 16.6.2000 aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

5. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

Der Bw hat seinen Antrag auf den Wiederaufnahmetatbestand nach § 69 Abs.1 Z2 AVG gestützt und ihn damit begründet, dass durch das oa Urteil neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen seien, die er im Verfahren ohne Verschulden nicht geltend machen konnte und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Dazu ist festzustellen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) die Entscheidung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde in einer bestimmten Rechtssache weder eine neue Tatsache noch ein (neu hervorgekommenes) Beweismittel darstellt, sondern selbst auf Beweismitteln basiert. Nach Auffassung des Oö. Verwaltungssenates hätte der Wiederaufnahmeantrag auf § 69 Abs.1 Z3 AVG gestützt werden müssen. Die belangte Behörde ist offenbar davon ausgegangen, dass kein gerichtlich strafbarer Tatbestand vorliegt, da sie ansonsten aufgrund der Subsidiaritätsbestimmung des § 85 SPG die oa Strafverfügung nicht erlassen hätte dürfen. Im Ergebnis kann jedoch die Berufung des Bw auf einen unrichtigen Wiederaufnahmetatbestand dahingestellt bleiben, zumal der Antrag von der belangten Behörde nicht zurückgewiesen, sondern sachlich behandelt wurde, und der Rechtsansicht des Bw, dass gegenständlich ein Fall der verbotenen Doppelbestrafung vorliegt, beizutreten ist.

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner ständigen Rechtsprechung die Ansicht, dass eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war. Dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus dem Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Deliktes in jeder Beziehung mitumfasst.

Die Unzulässigkeit der Doppelbestrafung kommt in jüngster Zeit durch das EGMR vom 23.10.1995, Zl.33/1994/480/562, zum Ausdruck, wonach der Grundsatz "ne bis in idem" immer dann Relevanz hat, wenn "das gleiche Verhalten" (based on the same conduct, vgl. VfGH vom 5.12.1996, G 86/96) Gegenstand einer zweiten Bestrafung (Verwaltungsstrafe) ist. An dieser "Einheitlichkeit" im Ablauf des Sachverhaltes (lautstarkes Schreien, wildes Gestikulieren mit den Fäusten und Spucken auf den linken hinteren Reifen des Funkwagens, welches schließlich zu einer versuchten Hinderung seiner Festnahme durch Bez.Insp. S insofern führte, als er diesen am rechten Oberarm packte, ihm mit den Fingernägeln mehrere Kratzwunden zufügte und solche Gegenwehr leistete, dass beide zu Boden stürzten) kann im gegenständlichen Fall kein Zweifel bestehen. Der wesentliche Gesichtspunkt ("aspect") des Straftatbestandes wird in so gelagerten Fällen (bereits) vom Gerichtsverfahren erfasst. Insofern ist der Argumentation des Bw - siehe oben - beizutreten. Es liegen hier hinsichtlich des in die Zuständigkeit des Gerichtes fallenden Tatbestandes des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und des Tatbestandes nach § 82 Abs.1 SPG weitgehend idente Sachverhalte zugrunde. Entgegen der Auffassung der Erstbehörde ist dem Gerichtsurteil auch nicht zu entnehmen, dass die Tatzeit des hier relevanten Gerichtstatbestandes (lediglich) von 23.41 Uhr bis 23.45 Uhr am 10.6.2000 gedauert hat. Aus den genannten Gründen war nicht weiter zu untersuchen, ob der Deliktstypus des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Deliktstypus des "aggressiven Verhaltens........" nach § 82 Abs.1 SPG vollständig erschöpft. Der Oö. Verwaltungssenat ist jedoch diesbezüglich der Auffassung, dass das im § 82 Abs.1 SPG verankerte Tatbild zahlreiche Verhaltensweisen verpönt, die nicht im Zusammenhang mit § 88 Abs.1 StGB stehen.

Mangels Zuständigkeit hat das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates die Frage, ob die Bestrafung wegen Übertretung des § 1 Abs.1 Oö. Polizeistrafgesetzes im Verhältnis zu den oa gerichtlichen Bestrafungen gegen den Grundsatz des Verbotes der Doppelbestrafung verstößt, nicht zu beurteilen, da hiefür nach der Geschäftsverteilung des Oö. Verwaltungssenates das Einzelmitglied Dr. K zuständig ist. Diesbezüglich ergeht von diesem Mitglied eine gesonderte Entscheidung.

Über den Antrag auf Einstellung des Verfahrens hat die BPD Linz zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500,00 Schilling (entspricht  181,68 Euro) zu entrichten.

Dr. F r a g n e r

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