Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230886/2/SR/Jo

Linz, 29.06.2004

 

 

 VwSen-230886/2/SR/Jo Linz, am 29. Juni 2004

DVR.0690392
 

 

E R K E N N T N I S
 
 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Berufung des Dipl. Ing. H S, vertreten durch die RAe Dr. J U und Mag. R B, B, W, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz vom 22. April 2004, Zl. III/S-36.364/03-2, wegen Übertretung des Versammlungsgesetzes 1953, zu Recht erkannt:

 

I. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

II. Der Berufungswerber hat keinen Kostenbeitrag zu leisten.

 

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 45 Abs.1 Z. 2 und § 66 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit oben bezeichnetem Straferkenntnis des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz wurde der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Wie durch Beamte der BPD Linz festgestellt wurde, haben Sie am 15.10.2003 von ca. 10.00 - 11.37 Uhr in Linz, Landstraße 109 vor dem Geschäft der Fa. BIPA und Landstraße 84, als Verantwortlicher der Organisation "G" eine allgemein zugängliche Versammlung veranstaltet, indem auf dem Gehsteig vor dem Geschäft der Fa. BIPA, Landstraße 109 zwei Transparente gehalten und Flugblätter an Passanten verteilt wurden, sowie auf dem Gehsteig Landstraße 84 Flugblätter verteilt wurden und es unterlassen, diese Versammlung wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der Behörde schriftlich anzuzeigen.

Übertretene Rechtsvorschrift: § 2 Abs. 1 VersammlungsG

Strafnorm: § 19 VersammlungsG

Verhängte Geldstrafe: € 110,--

Ersatzfreiheitsstrafe: 72 Stunden

Verfahrenskosten: € 11,--

Gesamtbetrag: € 121,--."

2. Gegen dieses dem Rechtsvertreter des Bw am 6. Mai 2004 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende bei der Behörde erster Instanz rechtzeitig eingebrachte Berufung.

2.1. Die Behörde erster Instanz führte im Wesentlichen begründend aus, dass die dem Bw zur Last gelegte Verwaltungsübertretung durch eigene dienstliche Wahrnehmung der einschreitenden Beamten, sowie des vorgelegten Berichtes vom 15. Oktober 2003, der Anzeige vom 18. Oktober 2003 und des behördlich durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei erwiesen sei. Die an "der gegenständlichen Veranstaltung teilnehmenden Aktivisten" seien eindeutig in der Absicht zusammen gekommen, um zu einem gemeinsamen Wirken zu gelangen. Dies sei dem Anzeigesachverhalt und den beigelegten Fotos zu entnehmen. Die Veranstaltungsteilnehmer hätten gemeinsam zwei Transparente gehalten und Flugblätter an Passanten verteilt. Es habe sich daher bei der Veranstaltung um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gehandelt. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei der Bw als Veranstalter anzusehen, da dieser die Versammlung erkennbar geleitet und organisiert habe.

2.2. Dagegen hat der Rechtsvertreter des Bw u.a. ausgeführt, dass eine anzeigepflichtige Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes nicht vorgelegen sei. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei die bloße Information über Anliegen nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu qualifizieren.

Sollte die Behörde dennoch zur Erkenntnis gelangen, dass eine Versammlung vorgelegen ist, so habe es sich dabei um eine "Spontan-/Eilversammlung" gehandelt, die nicht anzeigepflichtig sei. Aus dem Behördenakt ergibt sich, dass es sich ursprünglich um eine Aktion in der BIPA-Filiale gehandelt habe. Diese durfte im Geschäft nicht fortgesetzt werden und musste daher nach draußen verlegt werden. Da dies ursprünglich nicht vorgesehen war, habe die Versammlung nicht rechtzeitig angezeigt werden können.

Darüber hinaus habe es sich beim Bw nicht um den Veranstalter gehandelt. Es sei unrichtig, dass der Bw die Veranstaltung "erkennbar geleitet und organisiert habe". Beim Bw habe es sich ausschließlich um den Pressesprecher gehandelt. Er hatte somit nur eine untergeordnete und nicht leitende Funktion. Die Behörde erster Instanz sei davon ausgegangen, dass es sich um eine Aktion der Organisation G gehandelt habe. Für die laufenden Geschäfte des Vereins sei der Geschäftsführer und nicht der Bw zuständig.

 

3.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bundespolizeidirektion Linz, AZ. S-36.364/03-2, und nach Einsicht in die vorgelegten Verwaltungsakten festgestellt, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Berufungsvorbringen hinreichend geklärt erscheint.

 

3.2. Auf Grund der Aktenlage steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

 

Am 10. Oktober 2003, ab ca. 10.00 Uhr, haben der Bw und weitere Aktivisten der Umweltorganisation G Kunden der Firma BIPA in deren Geschäftslokal in Linz, Landstraße 109 über "Risiko Chemie" informiert. Im Geschäftslokal wurde der Bw von einem Kamerateam des ORF interviewt. G nahmen Artikel aus den Regalen, legten sie in Einkaufswagen und kennzeichneten diese mit Zetteln mit der Aufschrift "Achtung/Risiko-Chemie".

Über Aufforderung der Geschäftsführerin verließen der Bw und die Aktivisten samt Kameraleute und Pressevertreter das Geschäftslokal, um einer Klage wegen Besitz- und Geschäftsstörung zu entgehen. Eine Aktion vor dem Geschäft war nicht geplant.

 

Vor der BIPA-Filiale in Linz, Landstraße 109 wurden in der Folge Flugblätter an Passanten verteilt und zwei Transparente unmittelbar vor der Hausmauer aufgestellt.

Eine Behinderung des Fußgängerverkehr fand nicht statt. Aus der Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass Debatten oder Diskussionen zwischen den Anwesenden stattgefunden haben. Laut Aktenlage hat sich das Verhalten der G darauf beschränkt, dass diese zwei Transparente aufgestellt, Flugblätter vor dem Geschäftslokal verteilt haben und der Berufungswerber im Geschäftslokal dem ORF-Kamerateam ein Interview gegeben hat.

 

3.3. Der geschilderte Sachverhalt ist unstrittig.

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 1 Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98/1973 (WV), zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 127/2002, sind Versammlungen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes gestattet.

 

4.2. Das Versammlungsgesetz 1953 (im Folgenden: VersG) definiert den Begriff "Versammlung" nicht.

 

In ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof die Zusammenkunft mehrerer Menschen nur dann als Versammlung iSd VersG gewertet, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, so dass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Eine Versammlung ist - maW ausgedrückt - das Zusammenkommen von Menschen zum gemeinsamen Zweck der Erörterung von Meinungen oder der Kundgabe von Meinungen an andere (siehe Fessler - Keller - Scherhak, Das österreichische Versammlungs- und Demonstrationsrecht, 3. Auflage, Seite 21f; Keplinger, Versammlungsrecht - Kurzkommentar zum Versammlungsrecht und Judikatur, Seite 75f).

 

Die Beurteilung, ob eine Zusammenkunft eine Versammlung ist, hat sich am Zweck und an den Elementen der äußeren Erscheinungsform (wozu die näheren Modalitäten, die Dauer und die Zahl der Teilnehmer der Veranstaltung gehören) zu orientieren. Bei der Klärung dieser Frage kommt es auf das erkennbar geplante Geschehen an und nicht etwa darauf, ob die beabsichtigte Zusammenkunft vom Veranstalter bei der Behörde formal als Veranstaltung angezeigt wurde (siehe Fessler - Keller - Scherhak, Das österreichische Versammlungs- und Demonstrationsrecht, 3. Auflage, Seite 22).

 

Der VfGH hat in einem ähnlich gelagerten Sachverhalt (siehe VfSlg. 11 651/88) zur Aufstellung von Spruchtafeln und der Verteilung von Flugzetteln ausgeführt, dass das Aufstellen und die Benützung eines Informationsstandes für sich allein noch nicht die Voraussetzungen für eine Versammlung im engeren Sinn erfüllen. So ist eine derartige Veranstaltung keine Versammlung im Sinne des VersG, wenn die zufällig vorbeikommenden Passanten etwa durch Verteilen von Flugzetteln und Aufstellen von Spruchtafeln über ein bestimmtes Anliegen informiert werden; dies auch dann nicht, wenn die Passanten kurzfristig stehenbleiben und mit den Veranstaltern diskutieren.

 

Geht es den Veranstaltern nur darum, über ihr Anliegen zu informieren, nicht aber diese Meinung mit anderen Personen zu erörtern und sie zu einer gemeinsamen Aktion zu veranlassen, so ist diese Aktion nicht als Versammlung zu qualifizieren (VfSlg. 12 161/89, siehe auch Fessler - Keller - Scherhak, Das österreichische Versammlungs- und Demonstrationsrecht, 3. Auflage, Seite 23; Keplinger, Versammlungsrecht - Kurzkommentar zum Versammlungsrecht und Judikatur, Seite 81).

 

4.3. Unabhängig davon, ob der Bw als Veranstalter im Sinne des VersG zu betrachten ist, kann im gegenständlichen Fall nicht von einer Versammlung im Sinne des VersG ausgegangen werden.

 

Nach dem entscheidungsrelevanten und unstrittigen Sachverhalt ist es den "Veranstaltern" ursprünglich nur darum gegangen, die Kunden der gegenständlichen BIPA-Filiale im Geschäft über "Risiko - Chemie" zu informieren und dazu wurde auch ein Fernsehteam des ORF eingeladen. Eine Erörterung ihrer Meinung mit anderen Personen und die Veranlassung dieser zu einer gemeinsamen Aktion war nicht geplant bzw. ist eine Planung nicht erkennbar und kam auch nach der Aktenlage nicht zustande. Auf Grund der Reaktion der Geschäftsleitung wurde die Informationsveranstaltung vor das Geschäftslokal verlegt. Die der Anzeige beigelegten Fotos weisen eindeutig auf eine Informationsveranstaltung hin.

 

Das Foto im Akt (Seite 4) zeigt Personen in G-Jacken, die am Gehsteigrand entlang der Hausmauer der BIPA-Filiale stehen, zwei Transparente halten und Flugblätter in Händen haben. Fußgänger sind auf diesem Foto nicht zu sehen.

Das Foto (Seite 5 des Vorlageaktes) zeigt ein ähnliches Bild, jedoch sieht man vier Passanten, denen Flugblätter ausgefolgt werden.

Das Foto (Seite 6 des Vorlageaktes) zeigt überhaupt nur zwei Passanten in Vorbeibewegung.

 

Im Bericht der Bundespolizeidirektion Linz, Abteilung IV, vom 15. Oktober 2003 wird einleitend von einer "bereits überwachten Veranstaltung" gesprochen. Weiters wird "die Aktion als sehr friedlich" und der Fußgängerverkehr auf dem Gehsteig "als kaum behindert" bezeichnet.

 

Die Gesamtbetrachtung der äußeren Erscheinungsform - wie sie sich in der Aktenlage darstellt - zeigt hier kein erkennbar geplantes Geschehen, dass auf eine Zusammenkunft zum Zwecke der Abhaltung einer Versammlung hinweist. Der eigentliche Zweck der "Veranstaltung vor der BIPA-Filiale" war die Information über ein bestimmtes Anliegen und die Verteilung entsprechender Druckwerke. Diese Absicht wurde in der Folge auch verwirklicht. Es kann somit nicht erkannt werden, dass der eigentliche Zweck gewesen wäre, Passanten zu einem gemeinsamen Wirken zu bewegen.

 

Die Veranstaltung entsprach sohin nicht den für eine Versammlung im engeren Sinn typischen Merkmalen.

 

4.4. Da somit von einer Versammlung im Sinne des VersG nicht ausgegangen werden kann, war das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Bw gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG einzustellen.

 

5. Gemäß § 66 Abs.1 VStG entfällt damit auch die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

Mag. Stierschneider