Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-240009/2/Gf/Rt

Linz, 20.02.1992

VwSen - 240009/2/Gf/Rt Linz, am 20. Februar 1992 DVR.0690392 - &

B e s c h e i d

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Alfred Grof aus Anlaß der Berufung des M, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 26. August 1991, Zl. MBA10-13/003/1/Str, beschlossen:

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist zur Entscheidung über diese Berufung gemäß § 51 Abs.1 i.V.m. § 6 Abs.1 erster Halbsatz AVG nicht zuständig.

B e g r ü n d u n g :

1. Der vorliegenden Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 26. August 1991, Zl. MBA10-13/003/1/Str, wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von 1.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: 1 Tag) verhängt, weil dieser es als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer GmbH zu verantworten hätte, daß ein falsch bezeichnetes kosmetisches Mittel durch Lieferung an eine andere GmbH mit Sitz in 4050 Traun () in Verkehr gesetzt wurde.

1.2. Dagegen hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 8. Oktober 1991 Berufung erhoben und diese bei der Erstbehörde eingebracht.

1.3. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 1991, Zl. MBA10-13/003/1, hat der Magistrat der Stadt Wien diese Berufung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Wien zur Entscheidung vorgelegt.

1.4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Wien hat diese Berufung mit Schreiben vom 31. Oktober 1991, Zl. UVS-04/22/247/91, gemäß § 6 AVG unter Benachrichtigung des Berufungswerbers und der belangten Behörde zuständigkeitshalber an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich weitergeleitet.

2. Die Weiterleitung gemäß § 6 AVG wird vom unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Wien mit dessen örtlicher Unzuständigkeit begründet. Nach § 51 Abs. VStG stehe nämlich dem Beschuldigten das Recht der Berufung an jenen unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde. Da § 1 Abs. 2 des Lebensmittelgesetzes wohl den Begriff des "Inverkehrbringens", nicht aber den der "Lieferung" definiere, bedürfe es der Auslegung des Ausspruches der Behörde erster Instanz, um den Tatort iSd § 51 Abs. 1 VStG und damit den zur Berufungsentscheidung örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat zu ermitteln. Da nun eine "Lieferung" bzw. eine "sonstige Überlassung" iSd § 1 Abs. 2 des Lebensmittelgesetzes jedenfalls erst dann vorliege, wenn die Ware beim Besteller eingetroffen ist und als Besteller die im Spruch zitierte GmbH in Traun () fungiert habe, sei sohin die örtliche Zuständigkeit des oberösterreichischen Verwaltungssenates zur Berufungsentscheidung gegeben, weshalb die Berufung an diesen gemäß § 6 AVG weiterzuleiten war.

3. Der oö. Verwaltungssenat vermag sich dieser Rechtsmeinung nicht anzuschließen.

3.1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß dem Magistrat Wien das Strafverfahren gemäß § 29a VStG von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land abgetreten wurde; die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, die die als falsch kategorisierten Proben des Kosmetikums in Traun entnommen hat, erachtete sich demnach ursprünglich als an sich zur Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens örtlich zuständig, hat aber in der Folge von der Ermächtigung des § 29a VStG Gebrauch gemacht. Aus der Sicht des Magistrates der Stadt Wien betrachtet bedeutet dies, daß er sich zunächst vornehmlich aus dem Grund für örtlich zuständig erachtete, das in Rede stehende Strafverfahren durchzuführen, weil ihm diese Zuständigkeit von der ursprünglich zuständigen Behörde deshalb übertragen wurde, da der Beschuldigte seinen Wohnsitz in Wien hat. Daraus folgt, daß hinsichtlich der interpretativen Ermittlung des Tatortes im Straferkenntnis des Magistrates Wien nicht von vornherein damit argumentiert werden kann, daß es bei dem vom Magistrat Wien gebrauchten Begriff "Lieferung" schon deshalb (nur) auf die Absendung (und nicht auch auf die tatsächliche Übergabe/Übernahme) ankommen müsse, weil der Magistrat Wien sonst selbst als örtlich unzuständige Behörde entschieden hätte, wäre er nicht der Auffassung, daß der Tatort in Wien (nämlich durch Absendung der Ware) gelegen war.

3.2. Dennoch kommt der oö. Verwaltungssenat insgesamt zu dem Ergebnis, daß der Magistrat der Stadt Wien wenngleich ohne Not - davon ausgegangen ist, daß der Tatort in Wien gelegen ist.

3.2.1. Mit dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Wien ist zunächst davon auszugehen, daß der Begriff "Lieferung" in § 1 Abs. 2 LMG zwar nicht definiert, aber von dieser Bestimmung umfaßt ist (siehe dazu näher unten, 3.2.6.); es geht sohin darum, die Bedeutung dieses von der belangten Behörde verwendeten Begriffes - und zwar in dem Sinne, wie ihn diese verstanden hat, unabhängig davon, ob dies rechtlich zutreffend war oder nicht, weil die Frage der Rechtmäßigkeit ja erst im Rechtsmittelverfahren zu klären ist - im Wege der Interpretation zu ermitteln.

3.2.2. Weder im Spruch noch in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses findet sich ein weiterer Hinweis darauf, was der Magistrat Wien mit dem Begriff "Lieferung" gemeint haben könnte. Wenngleich damit eine grammatische Interpretation zu keinem unmittelbaren Ergebnis führt, so läßt sich daraus doch immerhin ableiten, daß dieser Terminus gerade wegen des Fehlens näherer Erläuterungen als im üblichen Sprachgebrauch verwendet wissen werden wollte.

3.2.3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Wien meint nun, daß danach eine Lieferung erst dann vorliege, wenn der Liefervorgang abgeschlossen und die vom Lieferanten übersendete Ware beim Besteller eingetroffen ist; es komme sohin auf die tatsächliche Übernahme durch den Besteller an.

3.2.4. Dieser das Faktum der Absendung zugunsten jenes der Übernahme im Ergebnis als unmaßgeblich qualifizierenden Auslegung widersprechen allerdings jene gesetzlichen Regelungen, die den Begriff der Lieferung - wenngleich mit einer jeweils spezifischen Zielsetzung - explizit definieren. So legt zB § 3 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes fest, daß unter "Lieferung" eine Leistung zu verstehen ist, durch die ein Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen; und § 3 Abs. 1 Satz 2 stellt klar, daß dem Abnehmer diese Verfügungsmacht über die Sache auch vom Unternehmer selbst oder in dessen Auftrag durch einen Dritten verschafft werden kann. Schließlich legt § 3 Abs.8 UStG explizit fest, daß im Falle des Versendungskaufes der Ort der Absendung als jener der Lieferung zu gelten hat. Eine umsatzsteuerbare Lieferung liegt daher insbesondere auch bereits dann vor, wenn der Unternehmer den Gegenstand selbst befördert oder zur Versendung einem Dritten (zB Spediteur, Frachtführer oder bloß einem Verfrachter) übergibt, also mit dem Beginn der Beförderung oder der Übergabe zur Versendung, ohne daß es auf die tatsächliche Übernahme durch den Abnehmer ankäme (vgl. statt vieler A. Kranich - H. Siegl - J. Waba, Kommentar zur Mehrwertsteuer, Wien, Loseblattausgabe seit 1974, RN 194 ff zu § 3, insbes. RN 201 und 202; W. Doralt - H.G. Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts, 2. Auflage, Wien 1982, 257 f.). Gleiches gilt für den Versendungskauf des Zivil- und Handelsrechts, wo die Gefahr in der Regel bereits mit der Absendung auf den Käufer übergeht und damit der Begriff der Lieferung sowohl aus sachen- als auch aus schuldrechtlicher Sicht bereits mit der Übergabe an den Transporteur erfüllt ist (vgl. § 429 ABGB iVm Art. 8 Nr. 20 EVHGB und dazu zB K. Spielbüchler in P. Rummel, ABGB-Kommentar, Bd. I, Wien 1983, RN 2 ff zu § 429).

Vor diesem Hintergrund besehen müßte daher dem § 1 Abs. 2 LMG erkennbar eine mit den Zielsetzungen des Umsatzsteuerrechts und des Handelsrechts unvereinbare oder gar zuwiderlaufende Intention zugrundeliegen, um die Annahme zu rechtfertigen, daß danach der Begriff der "Lieferung" in einem anderen als in den beiden genannten, jeweils zentrale Bereiche der österreichischen Rechtsordnung abdeckenden Materien zum Ausdruck kommenden Sinn verstanden werden müßte.

3.2.5. Gerade das Gegenteil ist aber nach Auffassung des oö. Verwaltungssenates der Fall. Zum einen ist davon auszugehen, daß dem gegenständlichen Straferkenntnis eben ein nach § 3 UStG und § 429 ABGB iVm Art. 8 Nr. 20 EVHGB zu beurteilender Versendungskauf zugrundeliegt, was allein schon die Annahme nahelegt, daß die belangte Behörde den Begriff der "Lieferung" in jener ihm nach dieser Gesetzesstelle zukommenden allgemeinen Bedeutung verstanden, ihn dem § 1 Abs. 2 LMG zugeordnet und so ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat.

3.2.6. Auf der anderen Seite ergibt sich nicht nur aus der Formulierung des § 1 Abs. 2 LMG selbst, sondern darüber hinaus auch aus den Gesetzesmaterialien (vgl. die EB, 4 BlgStenProtNR, 13. GP, 23, und den AB, 1433 BlgStenProtNR, 13. GP, 3), daß auch diejenigen Phasen des Inverkehrbringens, die vor der Sicherstellung selbst, daß die Ware in ihrer dem Gesetz nicht entsprechenden Beschaffenheit nicht zum Verbraucher gelangt, liegen, als Inverkehrbringen anzusehen sind. Der Begriff des Inverkehrbringens ist demnach weit auszulegen: Schon aus der demonstrativen Aufzählung des § 1 Abs. 2 LMG wird deutlich, daß darunter jede Handlung zu verstehen ist, die die Möglichkeit eröffnet, daß ein anderer (und nicht etwa nur der Besteller oder der Konsument) die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Ware erlangt (vgl. auch OGH, SSt 50/19). Insbesondere ist zu berücksichtigen, daß eine Ware auf dem Weg vom Hersteller zum Letztverbraucher mehrmals in den Verkehr gebracht werden kann und daß hiezu jede Verursachung eines Wechsels der Verfügungsgewalt über die Ware genügt, durch den diese dem Verbraucher nähergebracht wird (vgl. E. Feil, Das österreichische Lebensmittelrecht, Eisenstadt, Loseblattausgabe seit 1984, Bd. I, 92). Ist damit aber nach dem Willen des Gesetzgebers gemäß § 1 Abs. 2 LMG schon eine extensive Auslegung des Begriffes "Inverkehrsetzen" geboten, so ist auch nicht ersichtlich, warum vor diesem Hintergrund - wenn es der erklärte gesetzgeberische Wille ist, möglichst viele Fallgruppen vom Anwendungsbereich seines Gesetzes zu erfassen - der Begriff der "Lieferung" entgegen dieser Intention und seiner Bedeutung in anderen maßgeblichen Gesetzen mit vergleichbarer Zielsetzung als nicht auch und sogar vornehmlich die Absendung erfassend, sondern als bloß auf die tatsächliche Übernahme durch den Besteller eingeschränkt verstanden werden müßte. Vielmehr liegt nach all dem offenkundig eben die Annahme wesentlich näher, daß der Magistrat Wien den Begriff "Lieferung" seiner allgemeinrechtlichen Bedeutung entsprechend dahin verstanden und verwendet hat, daß demnach der strafbare Tatbestand bereits mit der Absendung der Kosmetika von Wien nach Traun als erfüllt anzusehen war (und somit seine Zuständigkeit im Ergebnis nicht nach § 29a VStG, sondern nach § 27 VStG in Anspruch genommen hat).

5. Im Ergebnis ist somit als Tatort nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Stadt Wien anzusehen; zur Entscheidung über die Berufung gegen das vorliegende Straferkenntnis ist somit der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Wien zuständig. Aus diesem Grunde hatte daher der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich seine Unzuständigkeit festzustellen.

6. Die Zulässigkeit zur bescheidmäßigen Absprache über die Zuständigkeit des O.ö. Verwaltungssenates ergibt sich daraus, daß dieser gemäß § 24 VStG i.V.m. § 6 Abs.1 erster Halbsatz AVG seine Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen hat. Eine Weiterleitung an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Wien gemäß § 6 Abs. 1 zweiter Halbsatz kam deshalb nicht in Betracht, weil diese Möglichkeit auf der einen Seite bereits der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Wien seinerseits in Anspruch genommen hat und auf der anderen Seite diese nur in Fällen einer mehr oder minder offenkundigen Unzuständigkeit in Betracht kommt (vgl. VwGH vom 9.3.1970, Zl. 526/89, 7, abgedruckt in: E. Mannlicher - H. Quell, Das Verwaltungsverfahren, 8. Auflage, Bd. I, Wien 1975, 645); da dieser Fall aber hier offensichtlich nicht vorlag und auch eine andere Art der Erledigung nicht in Betracht kam, war mit der Regelform der bescheidmäßigen Absprache (vgl. R. Walter - H. Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Wien 1987, RN 373 und 376; W.Hauer - O. Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Wien 1990, 381, FN 2) vorzugehen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s :

Gegen diesen Bescheid kann von den Parteien des Verfahrens (§ 67b AVG) innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Linz, am 14. November 1991 Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. G r o f 6

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