Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-240479/2/WEI/An

Linz, 03.03.2005

 

 

 VwSen-240479/2/WEI/An Linz, am 3. März 2005

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung der A C S, K, B, vertreten durch Mag. T L, Rechtsanwalt in B, K, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 3. Dezember 2003, Zl. SanRB 96-058-2003, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 74 Abs 1 Z 1 iVm § 7 Abs 1 lit b) Lebensmittelgesetz 1975 - LMG 1975 (BGBl Nr. 86/1975, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 69/2003) zu Recht erkannt:

 

 

I. Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG eingestellt.
 
II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.
 
Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991; § 66 Abs 1 VStG 1991.
 
 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde die Berufungswerberin (Bwin) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

 

"Sie haben am 26.6.2003 um 11.27 Uhr in B, W, als handelsrechtliche Geschäftsführerin der C und somit Verantwortliche im Sinne des § 9 VStG, in einer Vitrine des Imbissbetriebes ein Stück "Putenschinken" gelagert, zum baldigen Verkauf bereitgehalten und somit in Verkehr gebracht, obwohl dieses Lebensmittel, wie bei einer Untersuchung der gezogenen Probe durch die Österr. Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit in Linz festgestellt wurde, eine erhebliche Minderung der spezifischen wertbestimmenden Eigenschaften aufwies und somit als wertgemindert zu beurteilen war.

Die Probe wies einen Geruchs- und Geschmackfehler, sowie stellenweise eine mit grauem Belag bedeckte, abgetrocknete Oberfläche auf, wodurch die wertbestimmenden Eigenschaften erheblich vermindert waren."

 

Dadurch erachtete die belangte Behörde § 8 lit g) iVm § 9 Abs 1 LMG 1975 als verletzte Rechtsvorschriften und verhängte wegen dieser Verwaltungsübertretung gemäß "§ 74 LMG 1975" eine Geldstrafe von 100 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Stunden. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden 10 Euro und als "Ersatz der Barauslagen für Lebensmitteluntersuchungskosten" 81,12 Euro vorgeschrieben.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das der Bwin am 12. Dezember 2003 zu Händen ihres Rechtsvertreters zugestellt wurde, richtet sich die am 29. Dezember 2003 noch rechtzeitig zur Post gegebene Berufung vom 29. Dezember 2003, die am 30. Dezember 2003 bei der belangten Behörde einlangte. Die Berufung strebt die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens, in eventu eine bloße Ermahnung oder die Herabsetzung der Strafe auf 50 Euro an.

 

2. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende S a c h v e r h a l t:

 

2.1. Am 26. Juni 2003 um 11.27 Uhr führte ein Lebensmittelaufsichtsorgan für den Bezirk Gmunden bei der Firma C, W, B, eine Kontrolle durch. Dabei wurde laut Probenbegleitschreiben eine "Verdachtsprobe" der gekühlt bei 3° C in einer Vitrine offen aufbewahrten Ware "Putenschinken" in der noch vorhandenen Menge von 0,750 kg (am 7.06.2003 bezogene Menge ca. 1 kg) genommen und in einen Kunststoffsack gegeben. Eine Gegenprobe wurde dabei nicht ausgefolgt. Begründend vermerkte das Aufsichtsorgan im Probenbegleitschreiben "Gegenprobe: nicht ausgefolgt, da zu geringe Menge". Eine weitere Bemerkung des Aufsichtorgans lautet: "teilw. stark verfärbt u. abgetrocknet".

 

Nach dem Untersuchungszeugnis der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH, Lebensmitteluntersuchung Linz, vom 4. Juli 2003, UZ: 003300/2003, langte der offene Putenschinken in einer Menge von 757 g dort am 26. Juni 2003 mit einer Eingangstemperatur von 4,0° C ein.

 

Zur Beschaffenheit des 15 cm langen und schnittfesten Schinkens im Durchmesser von 7,5 cm wird im Untersuchungszeugnis unter "Sensorische Untersuchung" weiter ausgeführt:

 

"1 Stück Putenschinken, Oberfläche stellenweise stark abgetrocknet, teilweise weißgrauer Belag feststellbar (siehe beiliegendes Foto)". Geruch und Geschmack werden als "ganz leicht unrein, alt" beschrieben.

 

Unter "Mikroskopischer Befund des Belages" wird "Kokken nachweisbar" und unter "Chemische Untersuchung" wird ein pH-Wert (elektrometrisch) von 5,9 angegeben.

 

Im Gutachtensteil wird ausgeführt:

 

"Die vorliegende Probe weist, wie aus oben stehendem Befund hervorgeht, ganz leichte Geruchs- und Geschmacksfehler sowie stellenweise eine mit weißgrauem Belag bedeckte, abgetrocknete Oberfläche auf, wodurch eine erhebliche Minderung der spezifischen wertbestimmenden Eigenschaften bewirkt wird.

 

Die Probe ist daher gemäß § 8 lit. g Lebensmittelgesetz 1975 als wertgemindert zu beurteilen.

 

Der warenkundige und fachlich geschulte Händler hätte im Hinblick auf die abgetrocknete, stellenweise mit einem weißgrauen Belag bedeckte Oberfläche Verdacht schöpfen und die Ware einer eingehenden Überprüfung unterziehen müssen."

 

2.2. Gegen die Strafverfügung der belangten Behörde vom 27. August 2003 brachte die Bwin durch ihren Rechtsvertreter den nicht näher begründeten Einspruch vom 11. September 2003 ein. Nach Übermittlung des Akteninhalts wurde die rechtsfreundlich vertretene Äußerung vom 30. September 2003 erstattet. In dieser wird zunächst vorgebracht, dass die Bwin als persönliche haftende Gesellschafterin der C. zusammen mit ihrer Schwester am gegenständlichen Standort das Handels- und Handelsagentengewerbe ausübten. Das Verkaufsgeschäft wäre per 31. Juli 2003 geschlossen und dies ist der Gewerbebehörde durch Zurücklegung der Gewerbeberechtigung angezeigt worden. Nunmehr wäre sie als Zimmermädchen im Hotel S in S beschäftigt und beziehe ein Nettoeinkommen von nur 800 Euro.

 

Zur Kontrolle durch das Lebensmittelaufsichtsorgan am 26. Juni 2003 kritisierte die Bwin, dass ihr zwar eine Empfangsbescheinigung mit Probenbegleitschreiben ausgehändigt, eine Gegenprobe aber nicht zurückgelassen wurde, obwohl dies nach der Menge sehr wohl möglich gewesen wäre, ohne dass das Untersuchungsergebnis in Frage gestellt worden wäre. Die Probenentnahme des angeblich wertgeminderten Putenschinkens wäre entgegen § 39 LMG 1975 erfolgt.

 

Die Bwin bestritt daher, dass sich das Untersuchungszeugnis der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit GmbH auf die in ihrem Geschäft entnommene Probe bezieht. Weiter wird die Richtigkeit dieses Untersuchungszeugnisses bestritten. Durch den Umstand, dass die Bwin mangels Ausfolgung einer Gegenprobe nicht in der Lage sei, das unrichtige Gutachten zu überprüfen, liege ein Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz vor. Durch diese Probeentnahme befände sie sich in einem behördlich verursachten Beweisnotstand, der sohin zu ihren Gunsten auszulegen sei (Hinweis auf OGH v 08.10.1984, 1 Ob 22/84).

 

Bei einer Gesamtschau lägen selbst für den Fall des Vorliegens der angelasteten Übertretung die Voraussetzungen des § 21 VStG vor. Vor Weitergabe an einen Kunden hätte die Bwin den Putenschinken aufzuschneiden gehabt, wobei der angebliche Mangel jedenfalls aufgefallen wäre. Der Schinken habe sich in einer für den Kunden nicht zugänglichen Kühlvitrine befunden. Der Kunde hätte keinen direkten Zugriff gehabt. All dies rechtfertige die Anwendung des § 21 VStG.

 

2.3. Die belangte Behörde übermittelte den Akt dem Sanitätsdienst-Lebensmittelaufsicht für den Bezirk Gmunden zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2003, Zl. SanLA-SanLA0703/0154-2003-Th, erklärte das Aufsichtsorgan, dass die Probenziehung sehr wohl dem LMG entsprochen hätte. Nunmehr wird berichtet, dass eine Gegenprobe deswegen nicht ausgefolgt hätte werden können, weil die Ware stellenweise stark abgetrocknet war bzw. teilweise einen weißgrauen Belag aufweise, sodass durch Teilung eine einwandfreie Beurteilung vereitelt worden wäre. Dadurch wäre es möglich gewesen, dass ein Probenteil zu beanstanden gewesen wäre und der andere nicht.

 

Zum Einwand der Unrichtigkeit des Gutachtens holte die belangte Behörde eine ergänzende Stellungnahme der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH ein. In der Stellungnahme vom 5. November 2003 wird der Untersuchungsbeginn im EDV unterstützten Probenbegleitsystem mit 13.30 Uhr angegeben. Um 14.40 Uhr sei das Foto der Probe angefertigt worden, welches dem Befund beiliegt. Nach den Mengenangaben und der sensorischen Untersuchung im Befund sowie den Bemerkungen des Amtsorgans handle es sich zweifelsfrei um die am 26. Juni 2003 bei der C gezogenen Probe. Im fraglichen Zeitraum sei keine weitere Probe mit den genannten Eigenschaften am Institut für Lebensmitteluntersuchung eingegangen, weshalb eine Probenverwechslung auszuschließen sei.

 

Die Angaben des Amtsorgans am Probenbegleitschreiben "teilw. stark verfärbt und abgetrocknet" hätten bestätigt werden können (Hinweis auf Foto). Vom grauweißen Belag fertigte man ein mikroskopisches Präparat an und hätte Kokken nachweisen können. Geruch und Geschmack der Probe wären leicht unrein und alt gewesen. Die Probe habe infolge der zitierten Eigenschaften nicht mehr die vom Konsumenten für eine derartige Ware erwartete Frische und Haltbarkeit aufgewiesen, wodurch eine erhebliche Minderung der spezifischen wertbestimmenden Eigenschaften bewirkt werde. Die Beurteilung der Probe sei daher zutreffend. Ein sachlicher Einwand gegen die Richtigkeit sei nicht vorgebracht worden.

 

2.4. Zu diesem Beweisergebnis erstattete die Bwin durch ihren Rechtsvertreter die Stellungnahme vom 19. November 2003, in der sie im Wesentlichen ihren bisherigen Standpunkt beibehielt. Das Aufsichtsorgan hätte erstmals in der Stellungnahme vom 15. Oktober 2003 behauptet, dass ein Fall des § 39 Abs 3 LMG vorgelegen wäre, was selbst durch die Ausführungen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit nicht bestätigt werde. Unstrittig sei die Probenziehung im Geschäft der Bwin. Es sei aber nicht nachweisbar, ob die Probe nun tatsächlich jene ist, die im Geschäft gezogen wurde. Die Grenzen der Ermächtigungsnormen des Lebensmittelgesetzes dienten auch dem Schutz dessen, der Lebensmittel in Verkehr bringt. Der Betroffene sei auch insoweit zu schützen, dass er ihm unrichtig scheinende Gutachten der Untersuchungsanstalten ohne Beweisnotstand überprüfen kann. Der Bwin müsse es grundsätzlich möglich gemacht werden, Untersuchungsergebnisse von bei ihr gezogenen Proben auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Dies sei aber nur möglich, wenn die Probenziehung gesetzmäßig erfolge und nur aus den gesetzlich geregelten Gründen eine Gegenprobe nicht ausgefolgt und die Bwin darüber aufgeklärt werde.

 

Zur Stellungnahme des Aufsichtsorgans wird gerügt, dass die Bwin auf die Gründe, wieso eine Gegenprobe nicht ausgefolgt wurde, nicht aufmerksam gemacht worden wäre. Eine Berufung auf § 39 Abs 3 LMG 1975 wäre erst in der Stellungnahme vom 15. Oktober 2003 erfolgt. Bezeichnend sei auch, dass das Aufsichtsorgan bei den weiteren am 26. Juni 2003 Proben (Knacker und Mayonnaise) die Nichtsausfolgung einer Gegenprobe mit dem Vermerk "da zu geringe Menge" begründet habe, obwohl eine Probe von 10 Stück Knacker gezogen worden wäre.

 

Zum Beweis legte die Bwin zwei (gleiche) Kopien des Probenbegleitschreibens vom 26. Juni 2003 betreffend den gegenständlichen "Putenschinken" und eine Kopie eines Probenbegleitschreibens vom 26. Juni 2003 betreffend eine Probemenge von 4 Stück "Knacker" vor, die als offene Ware aus einer am 16. Juni 2003 bezogenen Menge von 10 Stück entnommen wurden. Im letztgenannten Probenbegleitschreiben vermerkte das Aufsichtsorgan "Gegenprobe: nicht ausgefolgt, da zu geringe Menge".

 

Zur Stellungnahme der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (A) wendet die Bwin ein, dass sie einen sachlichen Einwand gegen das Untersuchungszeugnis deswegen nicht vorbringen könne, da keine Gegenprobe bei ihr zurückgelassen wurde. Somit habe sie keine Untersuchung zur Überprüfung des Ergebnisses der A in Auftrag geben können. Allein der Vermerk im Probenbegleitschreiben "teilweise verfärbt und abgetrocknet" bedinge noch nicht, dass die Ware tatsächlich als wertgemindert zu beurteilen war. Aus diesen Gründen sei die Bwin durch das Vorgehen des Aufsichtsorgans in Beweisnotstand versetzt worden.

 

2.5. Die belangte Behörde hat in weiterer Folge das angefochtene Straferkenntnis erlassen. Nach Darstellung des Aktenvorgangs führt sie in der Sache aus, die Bwin hätte die Ziehung der Probe "Putenschinken" in ihrem Geschäft am 26. Juni 2003 nicht bestritten. Im Hinblick auf die bloß stellenweise starke Abtrocknung und einen teilweise weißgrauen Belag hätte die Ware nicht so geteilt werden können, dass Probe und Gegenprobe bei einer Untersuchung das gleiche Resultat erbringen hätten können. Deswegen wäre die Probenziehung unter Bedachtnahme auf § 39 Abs 3 LMG 1975 vorzunehmen gewesen.

 

Zur Frage, ob die von der A untersuchte Warenprobe tatsächlich die im Geschäft gezogene war, verweist die belangte Behörde auf die Stellungnahme der A, wonach eine Probenverwechslung auszuschließen sei. Befremdend sei die wiederkehrende Behauptung der Bwin, durch das Vorgehen des Lebensmittelaufsichtsorgans in einen Beweisnotstand geraten zu sein, andererseits aber keine Beweise zu ihrer Entlastung vom Tatvorwurf vorzulegen. Für die belangte Behörde sei - wie auch durch die Wahrnehmung des Lebensmittelaufsichtsorgans belegt - erwiesen, dass die Bwin einen wertgeminderten Schinken in Verkehr gebracht habe.

 

2.6. Die Berufung bestreitet ausdrücklich die Feststellung der belangten Behörde, dass die Ziehung der erwähnten Probe "Putenschinken" am 26. Juni 2003 im Geschäft von der Bwin nicht bestritten worden sei. In den bisherigen Eingaben sei lediglich nicht bestritten worden, dass am 26. Juni 2003 eine Kontrolle durchgeführt und dabei Proben, u.a. auch eine Probe eines Putenschinkens, gezogen wurden. Ausdrücklich bestritten wäre geworden, dass es sich bei der von der A untersuchten Probe um jene im Geschäft gezogene handelte und dass die gezogene Probe wertgemindert war.

 

Mit den weiteren Ausführungen wird im Wesentlichen der bereits in der Stellungnahme vom 19. November 2003 eingenommene Standpunkt der Bwin bekräftigt. Die Bwin bestreitet ausdrücklich, dass sich das Untersuchungszeugnis der A vom 4. Juli 2003, UZ: 003300/2003, auf die in ihrem Geschäft entnommene Probe bezieht. Auch die Richtigkeit des Untersuchungszeugnisses werde ausdrücklich bestritten. Der von der Behörde verursachte Beweisnotstand sei zu Gunsten der Bwin auszulegen. Es sei für die Bwin nicht nachvollziehbar und verifizierbar, ob es sich bei der untersuchten Probe tatsächlich um jene handelt, die in ihrem Geschäft gezogen wurde. Der fehlende sachliche Einwand gegen das Untersuchungszeugnis sei die Konsequenz der nicht zurückgelassenen Gegenprobe.

 

Zusammenfassend vertritt die Berufung den Standpunkt, dass sämtliche bestehenden Zweifel nach dem jedem Strafverfahren immanenten Grundsatz zu Gunsten der Bwin auszulegen seien. Die belangte Behörde habe dies verkannt und den von ihr selbst verursachten Beweisnotstand zu Lasten der Bwin ausgelegt. Eventualliter wendet sich die Berufung auch gegen die Strafbemessung und fordert die Anwendung des § 21 VStG.

 

2.7. Die belangte Behörde hat ihren Verwaltungsstrafakt am 8. Jänner 2004 zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakten. Danach war bereits auf Grund der Aktenlage erkennbar, dass das angefochtene Straferkenntnis aus rechtlichen Überlegungen aufzuheben ist.

 

 

4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

4.1. Gemäß § 74 Abs 2 Z 1 LMG 1975 macht sich, sofern die Tat nicht nach den §§ 56 bis 64 LMG 1975 oder nach anderen Bestimmungen einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist nach dem letzten Halbsatz mit Geldstrafe bis zu 7.300 Euro zu bestrafen,

 

wer Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Zusatzstoffe, die unreif oder wertgemindert sind, wenn dieser Umstand nicht deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist oder wenn sie auch mit einer solchen Kenntlichmachung nicht in Verkehr gebracht werden dürfen (§ 7 Abs 2), in Verkehr bringt.

 

Nach § 7 Abs 1 LMG 1975 ist es verboten, Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Zusatzstoffe in Verkehr zu bringen, die

  1. gesundheitsschädlich;
  2. verdorben, unreif, nachgemacht, verfälscht oder wertgemindert sind, ohne dass dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist;
  3. falsch bezeichnet sind oder
  4. den nach § 10 erlassenen Verordnungen nicht entsprechen.

 

Nach der Begriffsbestimmung des § 8 lit g) LMG 1975 sind Lebensmittel wertgemindert, wenn sie nach der Herstellung, ohne dass eine weitere Behandlung erfolgt ist, eine erhebliche Minderung an wertbestimmenden Bestandteilen oder ihrer spezifischen, wertbestimmenden Wirkung oder Eigenschaft erfahren haben, soweit nicht Verdorbenheit vorliegt.

 

4.2. Nach § 39 Abs 1 LMG 1975 sind die Aufsichtsorgane befugt, Proben von Waren, die diesem Bundesgesetz unterliegen, zu entnehmen. Die im § 38 genannten Personen (Geschäfts- oder Betriebsinhaber sowie ihre Stellvertreter und Beauftragten) haben die Entnahme von Proben zu dulden.

Gemäß § 39 Abs 2 LMG 1975 ist die entnommene Probe, soweit dies ihrer Natur nach möglich ist und hiedurch nicht ihre einwandfreie Beurteilung bei der Untersuchung vereitelt wird, in zwei gleiche Teile zu teilen, hernach ist jeder Teil der Probe zweckentsprechend zu verpacken und amtlich zu verschließen. Der eine Teil ist der amtlichen Untersuchung zuzuführen, der andere der Partei zu Beweiszwecken zurückzulassen. Die Partei ist berechtigt, im Beisein des Aufsichtsorgans auf jeder Verpackung der beiden Teile Angaben über die Unternehmung (Firmenstempel u. dgl.) anzubringen.

 

§ 39 Abs 3 leg.cit. lautet:

 

Ist eine Teilung der entnommenen Probe ihrer Natur nach nicht möglich oder deshalb nicht durchführbar, weil durch die Teilung ihre einwandfreie Beurteilung bei der Untersuchung vereitelt würde, hat das Aufsichtsorgan die Probe ohne vorherige Teilung der amtlichen Untersuchung zuzuführen. Sind noch augenscheinlich gleiche Wareneinheiten vorhanden, hat das Aufsichtsorgan hievon eine Wareneinheit zu entnehmen und der Partei zurückzulassen. Im Übrigen gilt der Abs 2 sinngemäß.

 

4.3. Die vom Gesetz im § 39 Abs 2 LMG 1975 grundsätzlich vorgeschriebene Probenteilung dient einer objektiven Meinungsbildung im lebensmittelrechtlichen Strafverfahren und unterstreicht auch die Bedeutung der Gegenprobe als Beweismittel. Das Gesetz enthält keine Aussage über die zulässige Probemenge einer Ware. Deshalb darf nur das für die Untersuchung Notwendige genommen werden. Nähere Ausführungen dazu finden sich auch im Österreichischen Lebensmittelbuch - ÖLMB3 (vgl näher zum Ganzen Barfuß/Smolka/Onder, Lebensmittelrecht2 IA, Komm zu § 39, Seiten 3 ff ).

 

Im ÖMLB3 Kap B 14 "Fleisch und Fleischwaren" kann man auf Seiten 101 ff unter der Hauptüberschrift "E. Untersuchung" nähere Bestimmungen über die Untersuchung von Fleisch und Fleischwaren nachlesen. Aus dem Unterpunkt "E.7 Probenmengen" ergibt sich, dass zur Durchführung der unter E. aufgezählten Untersuchungen bestimmte Probemengen erforderlich sind. Danach ist etwa für die Kategorie "Fleisch" eine Probemenge von 300 g und für "Fleischwaren" grundsätzlich eine Probemenge von 500 g erforderlich.

 

Nach der Definition im Punkt B.1 (ÖLMB3 Kap B 14, Seite 41) sind Fleischwaren Produkte, die unter Verwendung von Fleisch hergestellt und einer über die Behandlung von frischem Fleisch hinausgehenden Be- oder Verarbeitung unterzogen worden sind. Zu den Fleischwaren zählen sowohl Produkte, die fast zur Gänze aus Fleisch bestehen, wie beispielsweise Pökelwaren, Würste und Nur-Fleisch-Konserven, wie auch solche, die einen wesentlichen Fleischanteil besitzen, wie Fleischgerichte und Gerichte mit Fleisch.

 

Beim "Putenschinken" handelt es sich um Würste aus Geflügelfleisch (vgl Probenbegleitschreiben) und damit um Fleischwaren, bei denen nach der Darstellung im ÖLMB grundsätzlich eine Menge von 500 g für eine umfassende Untersuchung (vgl dazu Punkte E.1 bis E.5 im Kap B 14) erforderlich ist. Das ÖLMB hat die Bedeutung eines kodifizierten Sachverständigengutachtens, das hinsichtlich seiner fachlichen Aussagen daher für den Oö. Verwaltungssenat beachtlich ist.

 

Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Vorbringen der Bwin zur angeblich möglichen Probenteilung nach § 39 Abs 2 LMG 1975 und zur mangelnden Ausfolgung einer Gegenprobe unberechtigt ist. Da bei Fleischwaren eine Probe von 500 g für eine zuverlässige Beurteilung erforderlich ist, hätte der "Putenschinken" in der Menge von 757 g nicht geteilt werden dürfen. Die Angabe im bezughabenden Probenbegleitschreiben "Gegenprobe: nicht ausgefolgt, da zu geringe Menge" ist insofern daher zutreffend und die Kritik der Bwin geht ins Leere.

 

Der erkennende Verwaltungssenat vermag auch nach den aktenkundigen Umständen keinen vernünftigen Anhaltspunkt zu erkennen, um ernsthaft daran zu zweifeln, dass die laut Probenbegleitschreiben vom Lebensmittelaufsichtsorgan am 26. Juni 2003 um 11.27 Uhr gezogene Probe "Putenschinken" in der Menge von 0,750 kg mit der bereits um 13.30 Uhr im EDV-Probenbegleitsystem bei der A dokumentierten Probe "Putenschinken" in der Menge von 757 g identisch war. Die Probe ist laut Untersuchungszeugnis der A mit einer Eingangstemperatur von 4,0° C bei der Lebensmitteluntersuchung Linz eingelangt. Eine Probenverwechslung schloss die A im Schreiben vom 5. November 2003 aus, da keine weitere Probe mit den genannten Eigenschaften eingegangen war. Demnach ist es entgegen der Berufung durchaus nachvollziehbar, dass es sich bei der von der A untersuchten Probe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um jene handelt, die im Geschäft der Bwin gezogen worden ist.

 

4.4. Dennoch war - wie im Folgenden noch näher dazulegen ist - aus Anlass der Berufung von Amts wegen wahrzunehmen, dass der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses unter einem wesentlichen Konkretisierungsmangel iSd § 44a Z 1 VStG leidet und auch keine taugliche Verfolgungshandlung dem vorgelegten Verwaltungsstrafakt zu entnehmen ist.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Sprucherfordernissen nach § 44a Z 1 VStG ist die Tat so weit zu konkretisieren, dass eine eindeutige Zuordnung zu den Tatbestandsmerkmalen ermöglicht wird und die Identität der Tat unverwechselbar feststeht (stRsp seit verst Senaten VwSlg 11.466 A/1984 und VwSlg 11.894 A/1985). Im Spruch sind alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale anzuführen, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens notwendig sind. Eine Umschreibung bloß in der Begründung reicht im Verwaltungsstrafrecht nicht aus (vgl mwN Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2003], 1522, Anm 2 zu § 44a VStG).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat die Rechtsmittelbehörde nach § 66 Abs 4 AVG (iVm § 24 VStG) nicht die Befugnis, dem Beschuldigten eine andere Tat als die Erstbehörde anzulasten und damit die Tat auszuwechseln (vgl allgemein VwGH 19.5.1993, Zl. 92/09/0360; VwGH 25.3.1994, Zl. 93/02/0228; VwGH 28.2.1997, 95/02/0601). Die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde ist durch den Abspruchsgegenstand des angefochtenen Bescheids beschränkt. Eine Abänderungsermächtigung besteht nur im Rahmen der Sache iSd § 66 Abs 4 AVG (vgl etwa VwGH 25.9.1992, Zl. 92/09/0178; VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0169; VwGH 8.2.1995, Zl. 94/03/0072; VwGH 3.9.1996, Zl. 96/04/0080). Dabei ist Sache des Berufungsverfahrens die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs im Bescheid der Unterbehörde bildet (vgl u.A. VwGH 24.3.1994, Zl. 92/18/0356; VwGH 23.10.1995, Zl. 94/04/0080; VwGH 29.10.1996, Zl. 96/07/0103; VwGH 19.3.1997, Zl. 93/11/0107). Ein Austausch wesentlicher Tatbestandsmerkmale führt zur Anlastung einer anderen Tat und ist daher unzulässig (vgl VwGH 20.11.1997, Zl. 97/06/0170).

 

4.5. Bei dem der gegenständlichen Verwaltungsübertretung zugrundeliegenden Verbot des Inverkehrbringens von wertgeminderten Lebensmitteln nach § 74 Abs 2 Z 1 Fall 1 iVm § 7 Abs 1 lit b) LMG 1975 handelt es sich nicht um ein absolutes Verbot, welches ein solches Verhalten schlechthin verbietet. Tatbestandsmäßig ist das Inverkehrbringen wertgeminderter Lebensmittel nur dann, wenn die Wertminderung nicht deutlich und allgemein kenntlich gemacht ist. Zweck dieser Regelung ist die Information des Konsumenten über eine allfällige Wertminderung von Lebensmitteln (vgl VwGH 3.8.1995, Zl. 94/10/0026; VwGH 26.5.1997, Zl. 93/10/0214).

 

Das für das Tatbild des 1. Falles von § 74 Abs 2 Z 1 LMG 1975 essentielle Tatbestandsmerkmal "wenn dieser Umstand nicht allgemein verständlich kenntlich gemacht ist" wurde von der belangten Strafbehörde weder im Spruch noch in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses erwähnt. Ebenso wenig findet sich ein Hinweis darauf in der Strafverfügung oder der Anzeige des Sanitätsdienstes - Lebensmittelaufsicht für Gmunden vom 26. August 2003. Irgendwelche Feststellungen zu diesem Thema sind dem gesamten Akteninhalt nicht zu entnehmen.

 

Damit fehlt es im gegebenen Fall an der gesetzmäßigen Anlastung eines wesentlichen Tatbestandsmerkmals des § 74 Abs 2 Z 1 LMG 1975 innerhalb der einjährigen Verfolgungsverjährungsfrist des § 74 Abs 7 leg.cit., welcher Mangel nachträglich im Berufungsverfahren nicht mehr saniert werden kann. Es war daher das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren mangels einer (zutreffend angelasteten) Verwaltungsübertretung gemäß dem § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG einzustellen.

 

5. Bei diesem Ergebnis entfällt auch gemäß § 66 Abs 1 VStG die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens. Ebenso wenig konnte die Bwin zum Ersatz der Untersuchungskosten gemäß § 45 Abs 2 LMG 1975 verpflichtet werden.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
 
 

Dr. W e i ß
 
 

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