Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-230778/2/Br/Bk

Linz, 19.04.2001

VwSen-230778/2/Br/Bk Linz, am 19. April 2001
DVR.0690392
 
 

E R K E N N T N I S

 
 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn E, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land, vom 26. März 2001, Zl. Sich96-62-2001/WIM, zu Recht:
 

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
 
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 26/2000 - AVG, iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.2 Z1, § 51i Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, idF BGBl. Nr. 134/2000 - VStG.
 
II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskosten.
 
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs.1 VStG.
 
 
Entscheidungsgründe:
 
1. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat mit dem o.a. Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 81 Abs.1 Sicherheitspolizeigesetz eine Geldstrafe von 3.000 S und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 168 Stunden verhängt und ihm in der Substanz zur Last gelegt, er habe am 4.11.2000 gegen 01.50 Uhr in einem Gasthaus in E, durch besonders rücksichtsloses Verhalten (Raufhandel) die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört.
 
 
1.1. Die Behörde erster Instanz stützte ihre Entscheidung auf den Inhalt der Anzeige des GP Lambach vom 6.2.2001, GZP-1115/00. Das Verfahren wurde ohne Anhörung des Berufungswerbers durchgeführt, nachdem er dem Termin am 23. März 2001 nicht Folge geleistet hätte.
 
2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung vom 3.4.2001, die in Verbindung mit der schriftlichen Rechtfertigung vom 29. März 2001 zu setzen ist, bestreitet der Berufungswerber das ihm zur Last gelegte Tatverhalten und bringt diesbezüglich inhaltlich detailliert vor.
 
3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Entscheidung vorgelegt. Somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung konnte mit Blick auf § 51e Abs.2 Z1 VStG unterbleiben.
 
4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis geführt durch die Einsichtnahme in den erstbehördlichen Verwaltungsakt, woraus sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt in schlüssiger Weise ergibt.
 
5. Gegen den Berufungswerber und andere Personen wurde die o.a. Anzeige wegen Verdacht der Beteiligung an einem Raufhandel iSd § 91 StGB, anlässlich welchem mehrere Personen - darunter offenbar auch der Berufungswerber - verletzt wurden, an den Bezirksanwalt beim Bezirksgericht L erstattet.
Diese Anzeige wurde laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft Wels vom 7. März 2001 an die Behörde erster Instanz gemäß § 90 Abs.1 StPO zurückgelegt (AS 17). Im Anschluss an diese Mitteilung wurde der Berufungswerber für den 23. März 2001 zur Behörde erster Instanz geladen bzw. zur Rechtfertigung aufgefordert.
Mit seinem Schreiben vom 29. März 2001 verweist der Berufungswerber u.a. auf ein Telefonat mit einem Vertreter der Behörde erster Instanz, wonach über sein fernmündliches Ersuchen der Termin auf den Vormittag des 30. März 2001 vorschoben worden sei. Offenbar erging dieses Schreiben bereits als Reaktion auf das schon am 29. März 2001 durch Hinterlegung zugestellte Straferkenntnis. Darin wurde von der Behörde erster Instanz u.a. die Auffassung vertreten, dass der Berufungswerber unentschuldigt den Termin am 23. März 2001 nicht wahrgenommen hätte.
 
5.1. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft, dass dem Berufungswerber auch im Verwaltungsstrafverfahren in der Substanz jenes Verhalten zur Last gelegt wurde, dessen wesentliche Sachverhaltselemente auch den Gegenstand der gerichtlichen Anzeige bildeten bzw. von diesem bereits weitgehend erfasst waren. Diesbezüglich ergaben sich offenkundig gegen den Berufungswerber keine ausreichenden Verdachtsmomente für die Täterschaft, sodass die Staatsanwaltschaft keinen Grund zur weiteren Verfolgung gefunden haben dürfte.
6. Rechtlich hat der Oö Verwaltungssenat Folgendes erwogen:
 
6.1. Gemäß § 81 Abs. 1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung, "Wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört; er ist mit einer Geldstrafe bis zu 3.000 S zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden."
 
6.1.1. Nach § 85 SPG liegt jedoch eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn eine Tat nach den §§ 81 bis 84 (auch) den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
Der § 85 SPG schränkt somit die Reichweite der Tatbestände der § 81 bis 84 SPG - in Abkehrung von der früheren Gesetzeslage (vgl. etwa VfSlg. 3597/1959) - ein. Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet; die Tatbestandsumschreibungen der § 81ff SPG sind also um das Tatbestandsmerkmal: "soweit die Tat nicht gerichtlich strafbar ist" erweitert zu lesen.
 
So ist nunmehr ein Täter, der an einem öffentlichen Ort einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt hat bzw. hier an einem Raufhandel beteiligt gewesen sein soll, nur vom Gericht (Körperverletzung; § 83 ff StGB bzw. hier wegen Raufhandels § 91 StGB) und nicht auch noch von einer Verwaltungsbehörde (Ordnungsstörung; § 81 SPG) zu bestrafen. Im Falle einer gerichtlichen Einstellung ist, im Gegensatz zur früheren rechtlichen Praxis, der Sachverhalt nicht nochmals gesondert von der Verwaltungsbehörde selbstständig zu beurteilen, vielmehr folgt nach dem Grundsatz "ne bis in idem", dass eine abermalige Verfolgung in gleicher Sache unzulässig ist (vgl. VwSlg. 2079A/1951 und 3640A/1955).
Auch im Falle des Unterbleibens einer gerichtlichen Bestrafung mangels Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz, Fahrlässigkeit oder etwa auch nur wegen Arbeitsüberlastung der Gerichte liegt gleichwohl keine Verwaltungsübertretung vor.
Ein Vorgehen der Anklagebehörde nach § 91 Abs.1 StGB lässt jedenfalls den so beurteilten Tatbestand als einen in die Zuständigkeit der Gerichte fallend qualifizierbar erachten.
Dies hat der Oö. Verwaltungssenat bereits anlässlich eines ähnlich gelagerten Falles gegenüber der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land zum Ausdruck gebracht (h. Erk. v. 29. Dezember 1997, VwSen-230635). Es ist nicht nachvollziehbar, dass diese Rechtsauffassung, basierend auf die gesicherte Rechtsprechung der Straßburger Instanzen, vereinzelt noch immer nicht umgesetzt zu werden scheint.
Die Verwaltungsbehörden haben wohl die Frage, ob eine Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt, im Grundsatz eigenständig als Vorfrage im Sinne von § 38 AVG zu beurteilen; dabei sind die besonderen Regelungen des § 30 Abs. 2 und 3 VStG zu beachten.
Es ist daher eine Tat von der Verwaltungsstrafbehörde nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlungen bildet. Da hier von der Gendarmerie im Wege der Behörde erster Instanz die Anzeige an die gerichtliche Strafverfolgungsbehörde erstattet wurde und darüber hinaus auch noch über ihr eigenes Ersuchen der Sachausgang im Sinne des § 90 Abs.1 StPO bekannt wurde, konnte hier die Erstbehörde keinen Zweifel haben, dass der idente Tatbestand nicht bereits strafrechtlich beurteilt worden wäre. Daher durfte dieser Sachverhalt nicht gleichsam nochmals zum Gegenstand eines (verwaltungs-) strafrechtlich relevanten Verfahrens (Ordnungsstörung iSd SPG) gemacht werden.
 
Bei dieser Fallgestaltung ist demnach das Vorliegen eines Verwaltungsstraftatbestandes zu verneinen, weil im Lichte des Gradinger-Urteiles folgt, dass "eine Tat" (die Tat) iSd Subsidiaritätsvorschrift mit "dem gesamten Verhaltensumfeld" ([dem die Tat bildenden Verhalten], EGMR 23.10.1995, 33/1994/480/562) gleichzusetzen oder als einheitlicher Vorgang zu sehen ist.
Anschaulich verdeutlicht wird diese Problematik in der Entscheidung der europäischen Kommission für Menschenrechte vom 9. April 1997, 22541/93, Marte/Achberger/Österreich und vom 30. Juli 1998, 84/1997/868/1080, Olivera/Schweiz u.a.). Im erstzitierten Fall wurde nach einem ordnungsstörenden und anstandsverletzenden Verhalten der Beschwerdeführer die Gendarmerie gerufen. Im Verlaufe des Einschreitens dieser Organe, naturgemäß zeitlich wohl um Etliches später gelegen, kam es zusätzlich zu einer Körperverletzung an einem Gendarmeriebeamten und zu einem Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wegen Letzterem erfolgte schließlich eine gerichtliche Verurteilung. Obwohl das ordnungsstörende Verhalten bereits vor jenem des zur gerichtlichen Verurteilung führenden lag, qualifizierte die EKMR unter Hinweis auf das sog. Gradingerurteil als ein "tateinheitliches [überlappendes]" Geschehen [based on the same conduct] und qualifizierte eine Bestrafung auch wegen der Verwaltungsdelikte als Verstoß gegen Art.6 Abs.1 MRK und als Verletzung des Art 4 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK durch Österreich. Durch das gerichtliche Verfahren sei - so damals die Kommission - auch bereits das vorherige Verhalten, welches gleichsam als Teil des nachfolgenden und somit bereits zu einer gerichtlichen Beurteilung führenden Verhaltens zu sehen, mitumfasst gewesen und daher nicht neuerlich zum Gegenstand einer "Anklage" (Strafverfahrens) gemacht werden durfte. In diesem Sinn ist ein bestimmtes Verhalten als ganzheitlich zu sehen, auch wenn es in seiner zeitlichen Abfolge mehrere Tatbestandselemente verwirklicht, welche verschiedene Rechtsgutbeeinträchtigungen vorzubeugen suchen. Eine abermalige in Form eines Verwaltungsstrafverfahrens erfolgende Ahndung des Faktums Raufhandel, dessen Tatverlauf in der Natur der Sache liegend nach außen gleichzeitig auch als ordnungsstörendes Phänomen in Erscheinung tritt, ist aus dieser Sicht gemäß dem Grundsatz des Verbotes einer Doppelverwertung nicht zulässig.
Der Berufung kommt bereits unter diesen Überlegungen Berechtigung zu, sodass inhaltlich nicht mehr näher auf das bestreitende Vorbringen an sich einzugehen ist.
Bemerkt sei, dass offenbar auch vom Gericht ein Tatbeweis der Beteiligung am Raufhandel nicht erblickt wurde, ansonsten das Verfahren wohl nicht zurückgelegt worden wäre.
Daher war hier ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung mit einer Verfahrenseinstellung vorzugehen.
 
 
Rechtsmittelbelehrung:
 
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 
H i n w e i s:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.
 
 
Dr. B l e i e r
 

Beschlagwortung:
ne bis in idem, Doppelbestrafung bzw Verfolgung

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum