Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-280021/5/Le/La

Linz, 07.03.1996

VwSen-280021/5/Le/La Linz, am 7. März 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Leitgeb über die Berufung des Ing. H K, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. W und Mag. M R, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 9.1.1995, Ge96-147-1994-Pa-Gra, wegen Übertretung des Arbeitszeitgesetzes zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

Es entfällt ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 AVG, BGBl.Nr.51/1991 idgF iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z2, 51 Abs.1, 51c, 51e Abs.1, 65 und 66 Verwaltungsstrafgesetz 1991 VStG, BGBl.Nr.52/1991 idgF.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde über den Berufungswerber (im folgenden kurz: Bw) eine Geldstrafe in Höhe von 2 x 3.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe von 2 x zwei Tagen) verhängt, weil er gegen § 28 Abs.1b Z2 Arbeitszeitgesetz iVm Art.13 und Art.15 Abs.3 bzw. Art.15 Abs.7 der Verordnung (EWG) Nr.3821/85 des Rates verstoßen hätte.

Im einzelnen wurde ihm vorgeworfen, es als gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich verantwortlicher handelsrechtlicher Geschäftsführer der "B Ges.m.b.H." vertreten zu haben, daß vom LKW-Lenker J G (LKW mit dem Kennzeichen O) am 18.10.1994 a) beim Kontrollgerät (Fahrtschreiber) dieses LKW der Zeitgruppenschalter nicht betätigt wurde und b) das Schaublatt für die laufende Woche sowie das Schaublatt für den letzten Tag der vorangegangenen Woche, an dem er gefahren ist, nicht vorgelegt werden konnte.

Diese Übertretung sei anläßlich einer Verkehrskontrolle durch die Bundespolizeidirektion Linz am 18.10.1994 um 10.30 Uhr in Linz, Bereich Schumann Straße Nr. 61, festgestellt worden.

In der Begründung wurde nach einer Wiedergabe der Rechtslage das Rechtfertigungsvorbringen des Bw wiedergegeben. Dieser hatte darauf hingewiesen, daß ihn keinesfalls ein Verschulden treffe, da sein Arbeiter J G, wie alle seine Arbeitnehmer, den ausdrücklichen Auftrag gehabt hätten, bei jeder Fahrt ordnungsgemäß den Fahrtenschreiber zu betätigen, die Schaublätter ordnungsgemäß auszufüllen, sowie die Schaublätter für die laufende Woche und für den letzten Tag der vorangegangenen Woche, an dem gefahren wurde, mitzuführen. Er habe keinerlei Anlaß gehabt, an der ordnungsgemäßen Einhaltung seiner Anordnungen durch seine Mitarbeiter zu zweifeln. Es sei ihm keinesfalls möglich und zuzumuten, in jedem LKW persönlich mitzufahren und persönlich die Betätigung des Fahrtenschreibers vorzunehmen.

Dagegen hielt die Behörde fest, daß grundsätzlich den Arbeitgeber die Verpflichtung treffe, für die Einhaltung der arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen Sorge zu tragen und auf seine Arbeitnehmer einzuwirken, daß diese bei Ausübung ihrer Tätigkeit in zuverlässiger Weise den vom Gesetzgeber auferlegten Verpflichtungen nachkommen.

Die Erstbehörde nahm daher eine rechtswidrige und schuldhafte Begehung der angelasteten Verwaltungsübertretungen an.

Abschließend wurden die Gründe der Strafbemessung dargelegt.

2. In der dagegen erhobenen und rechtzeitig eingebrachten Berufung vom 19.1.1995 beantragte der Bw, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben und das Strafverfahren einzustellen.

In der Begründung führte der Bw aus, daß dem erstbehördlichen Verfahren ein erheblicher Verfahrensmangel anlaste, da der gestellte Beweisantrag auf Einvernahme des Zeugen J G von der Erstbehörde nicht durchgeführt worden sei. Daraus wäre hervorgegangen, daß jeder Mitarbeiter angehalten sei, die arbeitszeitrechtlichen Vorschriften einzuhalten, insbesondere auch den Fahrtschreiber ordnungsgemäß bei jeder Fahrt zu betätigen, die Schaublätter auszufüllen und auch die Schaublätter für die laufende Woche sowie den letzten Tag der vorangegangenen Woche mitzuführen.

Bislang hätte es keinerlei Beanstandungen gegeben, weshalb er keinerlei Grund hatte, an der Einhaltung seiner Anordnungen durch seine Mitarbeiter zu zweifeln, zumal diese auch ständig von ihm überprüft würden.

Dem bekämpften Erkenntnis hafte ein wesentlicher Begründungsmangel an, weil es die belangte Behörde unterlassen hätte zu begründen, inwiefern er es offensichtlich unterlassen hätte, den Arbeitnehmer rechtzeitig und im erforderlichen Ausmaß anzuweisen.

Der Bw vertritt weiters die Ansicht, daß die Verordnung des Rates (EWG) vom 20.12.1985, 83/21/85, keinesfalls gültiger Bestand der österreichischen Rechtsordnung sei, da diese Verordnung in Österreich nicht gesetzmäßig und ausreichend kundgemacht worden sei.

Selbst wenn man aber davon ausgehen sollte, daß diese Verordnung dem Bestand der österreichischen Rechtsordnung angehören sollte, sei seine Bestrafung nach diesen Gesetzesstellen jedenfalls zu unrecht erfolgt, weil sich Art.15 der genannten Verordnung ausdrücklich nur an die Fahrer, nicht jedoch an die Unternehmer richte.

3. Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, insbesonders der Anzeige des Arbeitsinspektorates für den 9. Aufsichtsbezirk vom 10.11.1994, dem von der Bezirkshauptmannschaft Freistadt durchgeführten Ermittlungsverfahren, dem angefochtenen Straferkenntnis sowie der vorliegenden Berufung hat der O.ö.

Verwaltungssenat einen ausreichend ermittelten Sachverhalt vorgefunden.

Dem Arbeitsinspektorat wurde die Berufung des Herrn Ing. K zur Kenntnis gebracht, worauf dieses mit Schriftsatz vom 5.2.1996 dazu Stellung bezogen hat.

Da bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 51e Abs.1 VStG entfallen.

4. Der O.ö. Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Dem Beschuldigten steht das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat (§ 51 Abs.1 VStG).

Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des O.ö.

Verwaltungssenates.

4.2. Die im vorliegenden Fall zur Anwendung gebrachte Strafnorm des § 28 Abs.1b Z2 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl.

461/1969 idgF bestimmt, daß Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die 2. die Pflichten betreffend das Kontrollgerät und das Schaublatt gemäß Art.3 Abs.1, Art.13, Art.14, Art.15 Abs.1 bis 3, 5 oder 7 oder Art.16 der Verordnung (EWG) Nr.3821/85 verletzen, ... zu bestrafen sind.

4.3. Von der belangten Behörde wurden die Art.13 und 15 Abs.3 bzw. 15 Abs.7 der Verordnung (EWG) Nr.3821/85 des Rates vom 20.12.1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr als übertretene Normen herangezogen.

Diese haben folgenden Wortlaut:

Art.13:

"Der Unternehmer und die Fahrer sorgen für das ordnungsgemäße Funktionieren und die richtige Verwendung des Gerätes." Art.15:

"(3) Die Fahrer - achten darauf, daß die Zeitmarkierung auf dem Schaublatt mit der gesetzlichen Zeit des Landes übereinstimmt, in dem das Fahrzeug zugelassen ist; - betätigen die Schaltvorrichtung des Kontrollgerätes so, daß folgende Zeiten getrennt und unterscheidbar aufgezeichnet werden:

a) unter dem Zeichen ...: die Lenkzeiten; b) unter dem Zeichen ...: alle sonstigen Arbeitszeiten; c) unter dem Zeichen ...: die Bereitschaftszeit ..." Art.15:

"(7) Der Fahrer muß dem zuständigen Kontrollbeamten auf Verlangen jederzeit das Schaublatt für die laufende Woche sowie in jedem Fall das Schaublatt für den letzten Tag der vorangegangenen Woche, an dem er gefahren ist, vorlegen können." Daraus ist erkennbar, daß die eigentlich übertretene Norm laut Tatvorwurf des angefochtenen Straferkenntnisses hinsichtlich des Tatvorwurfes a) lediglich Art.15 Abs.3 leg.cit. und hinsichtlich des Tatvorwurfes b) Art.15 Abs.7 leg.cit. ist.

4.4. Grundsätzliches zur Rechtsnatur und zur Anwendbarkeit von EU-Verordnungen (siehe hiezu etwa auch Erkenntnis des O.ö. Verwaltungssenates vom 24.3.1995, VwSen-510014/3/Fra/Ka):

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (früher EWG-V, nunmehr EGV) enthält im Titel IV.

Vorschriften über den Verkehr. Gemäß Art.74 EGV verfolgen die Mitgliedsstaaten auf dem in diesem Titel geregelten Sachgebiet die Ziele des Vertrages im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik. Art.75 Abs.1 EGV hat dem Rat die Kompetenz übertragen, zur Durchführung der gemeinsamen Verkehrspolitik Beschlüsse (Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen) zu fassen.

In Art.75 Abs.1 lit.a bis lit.d sind die sehr weit gehenden Bereiche aufgezählt, in denen der Rat Vorschriften erlassen kann (a: für den internationalen Verkehr; b: für die Zulassung von Verkehrsunternehmen; c: Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit; d: alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften).

Unter lit.d - sonstige zweckdienliche Vorschriften - fallen die nach EG-Terminologie so genannten "Straßenverkehrssozialvorschriften". Sie sollen ua. der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen dienen. Die wichtigsten hier in Betracht kommenden Straßenverkehrssozialvorschriften sind die einheitlichen Regelungen für die Lenk- und Ruhezeiten des Fahrpersonals; in diesem Zusammenhang wurde die Verordnung Nr.3820/85 des Rates vom 20.12.1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, ABl.1985, Nr.L370, S.1 ff, erlassen.

Um die Einhaltung der dort niedergelegten Vorschriften wirksam zu überwachen, wurde am 20.12.1985 vom Rat die Verordnung (EWG) Nr.8321/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr (mit Anhang I. und II.) erlassen.

Gemäß Art.189 Abs.3 EGV haben Verordnungen allgemeine Geltung; sie sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. Im Gegensatz zu Richtlinien, die nur hinsichtlich ihrer Ziele verbindlich sind, sind Verordnungen in allen ihren Teilen verbindlich; das heißt, ihr bloßer Normtext ist verbindlich. Daß Verordnungen unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat gelten bedeutet, daß sie ohne Mitwirkung nationaler Rechtsetzungsorgane innerstaatlich unmittelbar gelten (Durchgriffswirkung!).

Mit dem BVG BGBl.Nr. 744/1994, wurden die bundesverfassungsgesetzlich zuständigen Organe mit Zustimmung des Bundesvolkes dazu ermächtigt, den Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur europäischen Union abzuschließen. In der Folge wurde mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union der "EU-Beitrittsvertrag" abgeschlossen und vom Nationalrat genehmigt (BGBl.Nr. 45/1995).

Dieser EU-BV und die durch ihn transformierten Vorschriften völkerrechtlichen Ursprungs, insbesonders der EGV selbst sowie auch die gegenständliche Verordnung, stehen daher auf verfassungsrechtlicher Stufe und gehen im Kollisionsfall innerstaatlichem Recht vor (siehe hiezu etwa OGH vom 4.10.1994, 4 Ob 88/94).

Als Schlußfolgerung kann daraus für den vorliegenden Fall gewonnen werden, daß die Verordnung (EWG) Nr.3821/85 des Rates vom 20.12.1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr seit Inkrafttreten des EU-Beitrittsvertrages unmittelbar anwendbares Recht geworden ist. Die Verletzung dieser EU-Verordnung ist durch § 28 Abs.1b Z2 des Arbeitszeitgesetzes unter Strafe gestellt.

4.5. Im vorliegenden Fall ist daher zur Beantwortung der Frage, ob der Bw als Arbeitgeber für die vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen, daß der Zeitgruppenschalter des Kontrollgerätes nicht betätigt wurde sowie die erforderlichen Schaublätter nicht vorgelegt werden konnten, ausschließlich der Wortlaut der zitierten EU-Verordnung heranzuziehen (weil diese - wie oben dargelegt - selbst dem Arbeitszeitgesetz vorgeht!).

Während die Benutzungsvorschrift des Art.13 dieser Verordnung den Unternehmer und die Fahrer verpflichtet, für das ordnungsgemäße Funktionieren und die richtige Verwendung des Gerätes zu sorgen, richten sich die Verpflichtungen des Art.15 Abs.3 und Abs.5 leg.cit. dagegen ausschließlich an den Fahrer. Diese Bestimmungen verpflichten den Fahrer, zu bestimmten Zeitpunkten den Zeitgruppenschalter des Kontrollgerätes (Fahrtenschreiber) zu betätigen sowie jederzeit die erforderlichen Schaublätter vorzulegen. Ein diesbezügliches Unterlassen des Fahrers kann daher nicht dem Unternehmer (= Arbeitgeber) zum Vorwurf gemacht werden! Dafür spricht insbesonders auch die strenge Aufgabenverteilung in den Art.14 bis 16 der genannten Verordnung.

4.5. Auch § 102 des Kraftfahrgesetzes legt die Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers umfassend fest, wobei in Abs.1 leg.cit.

unter anderem angeordnet ist, daß der Lenker von Lastkraftwagen ... dafür zu sorgen hat, daß der Wegstreckenmesser und der Fahrtschreiber ... in Betrieb sind.

Diese Verpflichtungen, die sich für den Fahrer sowohl aus den genannten EU-Vorschriften als auch aus dem Kraftfahrgesetz ergeben, können nicht als Verpflichtung des Arbeitgebers angesehen werden. Damit aber wurde der Bw zu Unrecht bestraft, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

5. Die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens bewirkt auf der Verfahrenskostenseite, daß die Kosten des Verfahrens von der Behörde zu tragen sind und dem Bw auch die Kosten des Berufungsverfahrens nicht aufzuerlegen sind.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. L e i t g e b

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