Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-280054/2/Schi/Ka

Linz, 01.09.1995

VwSen-280054/2/Schi/Ka Linz, am 1. September 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Schieferer über die Berufung des A in L, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 15.2.1995, Ge96-143-1992-Fr/Gut, zu Recht erkannt:

Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid vom 15.2.1995, Ge96-143-1992-Fr/Gut, mit der Feststellung behoben wird, daß die belangte Behörde das eingeleitet gewesene Strafverfahren fortzuführen haben wird.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 4 AVG iVm Art. 6 Abs.1 MRK sowie §§ 51, 51c und 51e Abs. 2 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 15.2.1995 wurde das aufgrund einer Anzeige des Arbeitsinspektorates für den 9. Aufsichtsbezirk in Linz gegen die Beschuldigte eingeleitete Strafverfahren wegen einer Übertretung der Bauarbeitenschutzverordnung gemäß § 45 Abs.1 Z2 2. Fall VStG 1991 eingestellt.

1.2. Dagegen erhob das Arbeitsinspektorat für den 9.

Aufsichtsbezirk in Linz mit Schreiben vom 6.3.1995 rechtzeitig Berufung und stellte den Antrag, den betreffenden Bescheid aufzuheben und die Beschuldigte wegen Übertretung des § 19 BauVO mit 20.000 S zu bestrafen.

2.1. Die Strafbehörde hat keine Berufungsvorentscheidung erlassen, sondern - als nunmehr belangte Behörde - die Berufung samt Strafakt vorgelegt. Von einer Gegenäußerung zum Berufungsvorbringen hat die belangte Behörde abgesehen.

2.2. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist in diesem Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 51 Abs.1 VStG als Berufungsbehörde zuständig und entscheidet gemäß § 51c durch eines seiner Mitglieder, weil keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe bzw überhaupt keine Geldstrafe verhängt wurde (VwGH vom 9.6.1995, Zl.95/02/0081).

2.3. Aus der Akteneinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat einen genügend geklärten Sachverhalt vorgefunden. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sind in der Begründung des angefochtenen Bescheides vollständig und mit dem Akteninhalt übereinstimmend so dargestellt, daß sich der unabhängige Verwaltungssenat ein klares und abschließendes Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen kann. Weitere Beweise sind nicht mehr aufzunehmen. Da im übrigen mit der vorliegenden Berufung lediglich eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde geltend gemacht wird, konnte darüber hinaus gemäß § 51e Abs.2 VStG von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

3. In der Sache selbst hat der O.ö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. In ähnlich gelagerten Fällen hat der O.ö.

Verwaltungssenat in ständiger Rechtsprechung gemäß § 66 Abs.4 AVG iVm Art.6 Abs.1 MRK die Berufung des AI mit der Feststellung zurückgewiesen, daß der unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über einen derartigen Berufungsantrag nicht zuständig ist. Begründend wurde im wesentlichen folgendes ausgeführt:

3.1.1. Mit diesem Berufungsantrag übersieht das Arbeitsinspektorat, daß vorliegend ein rein verfahrensrechtlicher Spruchinhalt zugrundeliegt, nämlich die Verfügung, das iSd § 32 Abs.1 VStG eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren nicht materiell durch Schuldspruch, sondern formell durch Einstellung zu beenden.

Darin allein kommt der Bescheidwille (vgl. WALTER/MAYER, Verwaltungsverfahrensrecht 5. A [1991], Rz 384) der Strafbehörde zum Ausdruck. Nur dieser Spruchinhalt als Sache iSd § 66 Abs.4 AVG (§ 24 VStG) hätte Ziel (Objekt) darauf gerichteter Berufungsanträge sein und auf die Ebene der Berufungsbehörde gehoben werden können.

Lehre und Judikatur haben zum Begriff der 'Sache' des § 66 Abs.4 AVG entwickelt, daß die Berufungsbehörde nur über die Angelegenheit zu entscheiden befugt ist, die den Gegenstand des Abspruchs der Unterinstanz bildet; unzulässig wären etwa zusätzliche Aufträge durch die Berufungsbehörde. Eine weitere Schranke der Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde liegt darin, daß sie nicht jenen Rahmen überschreiten darf, der durch die Berufung selbst bzw. die Anträge des Berufungswerbers (= Anfechtungserklärung) gesetzt wurde (HAUER/LEUKAUF, Handbuch 4. A [1990], Seite 514).

3.1.2. Mit dem oben wiedergegebenen, ausschließlich auf eine materielle Entscheidung durch Schuldspruch abzielenden Antrag (an dessen Vorgaben der unabhängige Verwaltungssenat gebunden ist; idS Rudolf THIENEL, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 2. A [1992], 343) übergeht das Arbeitsinspektorat jedoch nicht nur den rein verfahrensrechtlichen Kern der Sache des bekämpften Bescheides, sondern sinnt in Wahrheit dem unabhängigen Verwaltungssenat Aufgaben und Stellung einer erstinstanzlichen Strafverfolgungsbehörde zu.

Einen SCHULDSPRUCH jedoch, den, wie beantragt, der unabhängige Verwaltungssenat wie eine Strafverfolgungsbehörde nach dem Inquisitionsprinzip erstmalig auszusprechen hätte, ist dem unabhängigen Verwaltungssenat nach seiner ständigen Rechtsprechung (hier einschlägig:

VwSen-221006/5/Ga v. 27.7.1994; VwSen-221024/2/Le v.

29.12.1994) aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt.

Was nämlich schon diese Ebene anbelangt, ist auf Art. 6 Abs.1 MRK hinzuweisen, wonach der unabhängige Verwaltungssenat eingerichtet ist, um über die Stichhaltigkeit der gegen einen Beschuldigten erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden. Denn Art. 6 Abs.1 MRK garantiert bei strafrechtlichen Anklagen ein "faires Verfahren", das den Anklageprozeß (vgl Art. 90 Abs.2 B-VG) und damit eine strikte Trennung der richterlichen von der anklagenden Funktion voraussetzt. Eine strafrechtliche Anklage im Sinn dieser Verfassungsvorschrift liegt jedoch im Berufungsfall gerade nicht vor, weil die belangte Behörde keinen Schuldspruch gefällt hat.

Es hat aber auch der Verfassungsgerichtshof in den Entscheidungsgründen zu seinem Erkenntnis vom 1. Oktober 1991, B 976/90-12, im Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ausgeführt (Seite 14): "Das genannte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht wird nämlich auch dann verletzt, wenn die Berufungsbehörde in einer Angelegenheit entscheidet, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Unterinstanz war (vgl.

VfSlg. 5592/1967, 5822/1968, 6548/1971, 7641/1975, 8176/1977) bzw. wenn durch die Übergehung der zuständigen Behörde erster Instanz der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug unvollständig geblieben ist und durch eine solche unzulässige Verkürzung des Instanzenzuges die Rechtsverfolgungsmöglichkeit behindert wird (VfSlg.

7508/1975, 8188/1977)." 4. Im Erkenntnis vom 9.6.1995, Zl.95/02/0081, dem ein ähnlich gelagerter Sachverhalt zugrundelag, hat der VwGH diese Rechtsansicht nicht geteilt und ausgesprochen, daß "Sache" des gegenständlichen Berufungsverfahrens im Sinne des § 66 Abs.4 AVG nicht ausschließlich war, ob die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens zu Recht erfolgte oder nicht; vielmehr war Sache im Sinne des § 66 Abs.4 AVG, ob die Mitbeteiligte wegen der ihr angelasteten Verwaltungsübertretungen zu bestrafen war oder nicht, was im ersteren Fall zum Recht und zur Pflicht der Berufungsbehörde führen mußte, die Mitbeteiligte wegen der erwähnten Verwaltungsübertretungen für schuldig zu befinden und zu bestrafen.

5. Diese Aussagen kommen aber im gegenständlichen Fall aus folgenden Gründen nicht voll zum Tragen:

5.1. Ein bloß einfachgesetzlich (aus dem "Wesen" des § 66 Abs.4 AVG iVm § 24 VStG) begründetes Ergebnis, das ohne weiteres für zulässig erklärt, daß der unter bestimmten Verfassungskautelen als Tribunal eingerichtete unabhängige Verwaltungssenat (UVS) in einem mangels Verdachtserhärtung bescheidförmig eingestellten Strafverfahren infolge eines vom Arbeitsinspektorat mittels Berufung direkt an ihn (und daher nicht mehr an die im § 9 Abs.2 bis 4 ArbIG bestimmte Behörde) gerichteten Strafantrages wie eine Strafverfolgungsbehörde einen Schuldspruch originär zu fällen hat, scheint dem O.ö. Verwaltungssenat weiterhin bedenklich.

5.2. Wenn allgemein anerkannt ist (zB Kurt Ringhofer, Verwaltungsverfahren II, 440 FN 2, mit Zitat aus den Gesetzesmaterialien zur RV des BG BGBl. 1990/358), daß die Einfügung der UVSe mit ihrer gerichtsähnlichen Stellung in das Rechtsschutzgefüge die Konvergenz des österr.

Verwaltungsstrafverfahrens mit den Anforderungen des Art.6 MRK sicherstellen soll, dann hielt der O.ö.

Verwaltungssenat, bisher jedenfalls, eine grundsätzliche Bedachtnahme (auch) auf die Judikatur der Straßburger Instanzen nicht nur für geboten, sondern auch für die Fortentwicklung des Rechtsschutzes in den von Verwaltungsbehörden geführten Strafverfahren insgesamt förderlich. Dieser Blick auf die Rechtsprechung zur MRK läßt aber für das herkömmliche Verständnis des Rechtsschutzes, wie er bis 1991 ohne Behelligung der Behördenhierarchie durch tribunale Organe gepflogen wurde, doch deutliche Signale erkennen, die auch in der Literatur Niederschlag gefunden haben. So zB spricht Rudolf Thienel, Anklageprinzip und Verwertung erzwungener selbstbelastender Aussagen im Strafprozeß, JBl. 1992, 484 ff, mit Hinweis auf Beispiele aus der Judikatur des EGMR, von dem in Art.6 MRK normierten prinzipiellen Vorrang der Verteidigungsrechte vor den Interessen an der Strafverfolgung als Abwägungsmaßstab.

Nicht von ungefähr meint daher der O.ö. Verwaltungssenat, daß sich eine konventionskonforme Handhabung des Rechtsschutzsystems im Verwaltungsstrafverfahren auch dieser Schlußfolgerung aus Art.6 MRK nicht entziehen sollte.

5.3. Weiters sieht der O.ö. Verwaltungssenat die Gefahr, daß aus einer so formulierten Berufung der Amtspartei, wie vorliegend, zu einer konventionswidrigen und auch sachlich nicht gerechtfertigten Privilegierung des objektiven Rechtsschutzes auf Kosten der Beschuldigtenpartei führt.

Dies aus folgenden Gründen:

a) Die Berufung des Arbeitsinspektorats scheint insgesamt in der Bestrafung den Hauptzweck eines Verwaltungsstrafverfahrens zu sehen. Aus der Unschuldsvermutung (Art.6 Abs.2 MRK) ist jedoch abzuleiten, daß im Brennpunkt der strafbehördlichen Bemühungen die Schuld eines Verdächtigen zu stehen hat; die Strafe ist (in der Regel; § 21 VStG) nur Rechtsfolge der Schuld und daher zweitrangig. Gerade über die Schuld war noch nicht abgesprochen.

In dem beim VfGH zu Zl. G 156-185/93-8 protokollierten Verfahren hat der O.ö. Verwaltungssenat im Prüfungsantrag (zu § 28a AuslBG) die Auffassung vertreten, daß die als Strafbehörde eingeschrittene Bezirksverwaltungsbehörde im Berufungsverfahren vor dem UVS mit dem von ihr gefällten Schuldspruch die "Anklage" iSd Art.6 Abs.1 MRK vertrete, weil ihr die ausdrückliche Parteieigenschaft die Prozeßteilnahme zwecks Verteidigung des staatl. Strafanspruchs und damit ihres Straferkenntnisses garantiere. Der VfGH hat diese Auslegung in seinem Erkenntnis vom 4. März 1994, Zl. w.o., nicht verworfen. Der O.ö. Verwaltungssenat weist darauf hin, daß "Anklage" iSd Art.6 MRK nicht formell, sondern materiell zu verstehen ist (vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar [1985], 121 Rz 29 zu Art.6; demnach gilt auch bei 'Ordnungswidrigkeiten' Art.6, und nicht bloß im gerichtlichen Strafverfahren). Die materielle Bedeutung des Anklageprinzips für das Verwaltungsstrafverfahren vertritt auch der VfGH (vgl. Mayer, B-VG [1994], Anm III zu Art.90 B-VG).

Daß im übrigen das Anklageprinzip (auch in der Ausprägung:

Teilung in ein anklagendes und richtendes bzw. urteilendes Organ) im Verwaltungsstrafverfahren schlechthin nicht, auch nicht in Facetten, vorgesehen sei, wird in dieser Strenge, abgesehen schon vom Privatankläger gemäß § 56 VStG, der durchaus auch als (bloß) anklagendes Organ verstanden werden kann, zumindest in der Lehre nicht einheitlich vertreten. So könnte auf Ringhofer II, 241 FN 5, verwiesen werden, der im Zusammenhang mit dem Inquisitionsprinzip ausdrücklich das Verwaltungsstrafverfahren erster Instanz herausstellt - und damit offenbar das UVS-Verfahren von diesem Prinzip nicht mehr erfaßt sieht. Auch aus Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate 2.A, 319 f, scheint ableitbar, daß das Offizialprinzip (§ 25 VStG) voll nur für die erste Instanz gilt, nicht hingegen in dieser Ausprägung - wegen bestimmter Beweisbeschränkungen (Verlesung von Protokollen) - für den UVS. Noch viel eindeutiger reklamiert Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre (1986), 284 f, den Anklageprozeß uneingeschränkt auch für das Verwaltungsstrafverfahren (er begründet dies schon damals [!] unter ausdrücklicher Einbeziehung auch des in Richtung eines 'fair trial' wirkenden Prinzips der 'Waffengleichheit' mit dem Hinweis auf Art. 6 MRK).

b) Ist davon auszugehen, daß eine Berufungsvorentscheidung nur nach gefälltem Straferkenntnis möglich ist (vgl.

Walter-Mayer, Grundriß 5.A, Rz 932/7), dann wäre hier dem Beschuldigten, wenn der Argumentation der Beschwerde gefolgt würde, zu seinem Nachteil eine Rechtsschutzmöglichkeit, die er sonst hätte und die ihm für das Verwaltungsstrafverfahren gänzlich neu erst mit der Novelle BGBl. Nr.

358/1990 zur Verfügung gestellt worden ist, ersatzlos wieder weggenommen.

c) In einem Fall wie diesen hat, weil nicht nur kein Schuldspruch gefällt, sondern deshalb auch überhaupt keine Strafe verhängt wurde, gemäß § 51c VStG über die Berufung jedenfalls das Einzelmitglied zu entscheiden; dazu kommt aber insbesondere, daß im vorliegenden Fall ein Strafantrag auf Verhängung einer Geldstrafe von 20.000 S vorliegt, sodaß - wie die nachstehenden Erwägungen zeigen, die Berufungsentscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates jedenfalls rechtswidrig sein würde, weil eine solche Vorgangsweise, wie vom AI in seiner Berufung gefordert, für Konstellationen wie vorliegend das gehäufte Unterlaufen der Zuständigkeitsregelung des § 51c VStG bewirken würde: Weil nämlich der ursprüngliche (und in der Berufung gegen die Einstellung aufrechterhaltene) Strafantrag des Arbeitsinspektorates auf 20.000 S lautet, wäre vom UVS nach durchgeführtem Verfahren ein Schuldspruch auszusprechen und gleichzeitig die Strafe in der beantragten (oder in einer zwar geminderten, jedoch über 10.000 S liegenden) Höhe zu verhängen, so hätte diese Entscheidung das Einzelmitglied zu treffen gehabt.

Dieses Ergebnis aber konterkariert die Zuständigkeitsnorm des § 51c VStG zum Nachteil der Beschuldigten, weil ihr unter solchen, ersichtlich von Zufälligkeiten abhängigen Voraussetzungen das vom Verfahrensgesetzgeber im Grunde des Art. 6 Abs.1 MRK ("auf Gesetz beruhenden Gericht") für einen Abspruch über Schuld und hohe Strafe eigentlich zugedachte Kollegialorgan vorenthalten wird.

Der O.ö. Verwaltungssenat sieht keine sachliche Rechtfertigung für ein Ergebnis, das - mit demselben Strafantrag als Ausgangspunkt - den Beschuldigten in dem einen Fall (Bestrafung nach Schuldspruch durch die Strafbehörde) dem UVS-Kollegialorgan zuführt, in dem anderen Fall (Berufung der Amtspartei nach Einstellung durch die Strafbehörde) hingegen dem UVS-Einzelorgan.

Im zweiten Fall, das ist die vorliegende Konstellation, scheint die Beschuldigte offensichtlich benachteiligt.

Darin könnte auch eine aus dem Blickwinkel der Beschuldigtenpartei grundrechtswidrige Verweigerung des gesetzlichen Richters gem. Art. 83 Abs.2 B-VG gesehen werden. Nichts nämlich deutet darauf hin, daß dieses Ergebnis vom Gesetzgeber des § 51c VStG mitbedacht und sachlich gerechtfertigt - in Kauf genommen worden wäre.

Der Ausgangspunkt dieser bedenklichen Folge liegt offenkundig in der Wertung des Einstellungsbescheides als materiellen Abspruch über den Tatverdacht (obwohl ein Freispruch vom Vorwurf einer konkretisierten Übertretung im VStG gar nicht vorgesehen ist!). Würde sich nun aber der O.ö. Verwaltungssenat in eine Sachentscheidung einlassen, dann wäre aber sein verurteilendes Erkenntnis wegen Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter von der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof bedroht (entweder läge die Verfassungswidrigkeit schon im § 51c VStG verborgen, weil, wie zu schließen wäre, diese Norm die Behördenzuständigkeit nicht exakt genug festlegt, oder im Erkenntnis des Einzelmitglieds, weil es verfassungswidrigerweise eine Zuständigkeit beansprucht hat, die in Wahrheit doch beim Kollegialorgan gelegen wäre).

Um dieses bedenkliche Ergebnis zu vermeiden, durfte der auf § 45 Abs.1 Z2 zweiter Fall VStG gestützte Einstellungsbescheid unter solchen Umständen eben nicht wie ein freisprechendes Urteil im gerichtlichen Strafprozeß (das die angeklagte Tat, von der freigesprochen wird, allerdings spruchmäßig genau beschreibt!) materiell gewertet werden. Vielmehr ist es gerechtfertigt, mit Hilfe der Konformitätsregel die Lösung in einem rein formellen (verfahrensrechtlichen) Verständnis des Einstellungsbescheides zu suchen und zu finden.

6. Insoweit aber das einfachgesetzliche Verfahrensrecht den auf Art.6 MRK gestützten Anforderungen noch nicht ausdrücklich entspricht, scheint die verfassungskonforme Auslegung nicht nur zulässig, sondern geboten (hiezu: Alfred Grof, Der O.ö. Verwaltungssenat als MRK-konforme Rechtsschutzinstitution?, ÖJZ 1995, 281, insbesondere 290 f).

So gesehen steht daher auch der Gebrauch des Berufungsrechtes zur Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit unter der Konformitätsregel. Auf den vorliegenden Fall angewendet folgt daraus, daß als Sache des Einstellungsbescheides daher nicht der Freispruch von einem bestimmten Tatverdacht, sondern in enger Auslegung nur die Verfahrensbeendigung als solche vorliegt. Konkret darauf abgestellt hätte die Amtspartei den Berufungsantrag formulieren und ausdrücklich nur die Aufhebung der Einstellung (nicht jedoch: die Bestrafung der Beschuldigten) begehren müssen.

7. Die belangte Behörde hat das gegenständliche Strafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 2. Fall VStG eingestellt, weil nach ihrer Ansicht Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen. Dabei hat sich die belangte Behörde aber bei Beurteilung dieser Umstände hauptsächlich auf das aus dem gegenständlichen Arbeitsunfall resultierende Gerichtsverfahren bezogen. Hingegen wurde im gesamten Verwaltungsstrafverfahren nicht geprüft, ob im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB.

VwGH 30.6.1994, Zl.94/09/0049) ein wirksames Kontrollsystem von der Beschuldigten eingerichtet wurde. Denn nach dem zitierten Erkenntnis reicht die bloße Erteilung von Weisungen und die Wahrnehmung einer Oberaufsicht nicht aus; entscheidend ist, ob auch eine wirksame Kontrolle über die Einhaltung der vom Verantwortlichen erteilten Weisung erfolgt.

8. Aus allen diesen Gründen war der gegenständliche Spruch über die Einstellung aufzuheben und die Feststellung zu treffen, daß die Strafbehörde das eingeleitet gewesene Strafverfahren im Hinblick auf die zitierte Judikatur des VwGH entsprechend fortzuführen haben wird.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Schieferer

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum