Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-280076/18/Schi/Km

Linz, 04.11.1996

VwSen-280076/18/Schi/Km Linz, am 4. November 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Schieferer über die Berufung des P S vertreten durch Rechtsanwalt Dr. W M gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 7.3.1995, Ge96-76-1-1994, wegen einer Verwaltungsübertretung nach der Bauarbeitenschutzverordnung (BAV) bzw. dem Arbeitnehmerschutzgesetz nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 15.10.1996, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

II. Der Berufungswerber hat weder zum Strafverfahren vor der belangten Behörde noch zum Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat Verfahrenskostenbeiträge zu leisten.

Rechtsgrundlage:

Zu I: § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl.Nr. 471/1995, iVm §§ 24, 44a Z.1, 45 Abs.1 Z.3, 51 Abs.1, 51c, 51d und 51e Abs.2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl.Nr.52/1991 idF BGBl.Nr.620/1995; zu II: § 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis vom 7.3.1995, wurde der Berufungswerber (Bw) schuldig erkannt, er habe als verantwortlich Beauftragter gemäß § 9 Abs.2 VStG der E mit dem Sitz in L, am 30.5.1994 auf der Baustelle K zwei Arbeitnehmer mit der Herstellung der Dachsaumverblechung beschäftigt, ohne daß die Arbeitnehmer durch Anseilen gegen Absturz gesichert gewesen wären. Ein sicherer Standplatz im Dachbodenraum sei nicht vorhanden gewesen. Er habe dadurch § 45 Abs.4 Bauarbeitenschutzverordnung verletzt, weshalb über ihn gemäß § 31 Abs.2 lit.p Arbeitnehmerschutzgesetz eine Geldstrafe von 5.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage) verhängt wurde; weiters wurde er gemäß § 64 VStG verpflichtet, einen Verfahrenskostenbeitrag in der Höhe von 500 S zu bezahlen.

1.2. Dagegen hat der Bw mit Schriftsatz vom 16.3.1995 rechtzeitig Berufung erhoben und beantragt, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen, der Berufung Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben, in eventu eine Ermahnung auszusprechen.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, daß schon der Aufforderung zur Rechtfertigung zu entnehmen sei, daß zwei Arbeitnehmer mit der Herstellung der Dachsaumverblechung beschäftigt gewesen wären, ohne daß diese angeseilt gewesen seien. Daß sich die Arbeitnehmer auf dem Dach, konkret im Bereich des Dachsaumes oder an den Hängerinnen befanden, gehe nicht einmal aus der Aufforderung zur Rechtfertigung hervor. § 45 Abs.4 BAV sei nur dann anwendbar, wenn der Arbeitsbereich nicht durch Gerüste abgesichert wäre. Auch dieses wesentliche Tatbestandsmerkmal sei in der Verfolgungshandlung und im Straferkenntnis übergangen worden. In diesen Punkten sei das angefochtene Straferkenntnis deshalb im Sinne des § 44a VStG mangelhaft, da nach dieser Bestimmung sämtliche Tatbestandsmerkmale ausreichend bezeichnet sein müßten.

Gemäß § 31 Abs.1 VStG sei eine Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist keine Verfolgungshandlung im Sinn des § 32 Abs.2 VStG vorgenommen worden sei. Die Verfolgungshandlung habe einen bestimmten Sachverhalt zu enthalten. Dies erfordere, daß sie sich auf alle die Tat betreffenden Sachverhaltselemente zu beziehen habe (Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Seite 881). Da weder das Straferkenntnis noch die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 2.9.1994 feststelle, daß die Spenglerarbeiten am Dachsaum oder an den Hängerinnen durchgeführt worden seien, noch festgestellt werde, daß keine Gerüste vorhanden seien, sei innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist keine taugliche Verfolgungshandlung gesetzt worden.

2. Die Strafbehörde hat keine Berufungsvorentscheidung erlassen, sondern - als nunmehr belangte Behörde - die Berufung samt Strafakt vorgelegt. Von einer Gegenäußerung zum Berufungsvorbringen hat die belangte Behörde abgesehen.

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist in diesem Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 51 Abs.1 VStG als Berufungsbehörde zuständig und entscheidet gemäß § 51c durch (nur) eines seiner Mitglieder, weil keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 15. Oktober 1996 eine öffentliche mündliche Verhandlung anberaumt und durchgeführt.

An dieser Verhandlung nahmen neben dem Vertreter des Bw (letzterer ist nicht erschienen) ein Vertreter des Arbeitsinspektorates teil; die Arbeitnehmer des Bw O O und A W sowie der anzeigende Arbeitsinspektor Dipl.-Ing. H T wurden als Zeugen gehört. Auch in der öffentlichen mündlichen Verhandlung hat der Bw unter anderem auf die oben unter Punkt 1.2.

geschilderten Umstände hingewiesen; damit aber war der Bw im Ergebnis im Recht.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

4.1. Gemäß § 45 Abs.1 BAV sind Schutzmaßnahmen nach den Bestimmungen der folgenden Absätze zu treffen, wenn bei Spenglerarbeiten keine Gerüste verwendet werden.

Zufolge § 45 Abs.2 BAV sind die Arbeiten soweit als möglich von einem sicheren Standplatz im Dachbodenraum auszuführen.

Bei Spenglerarbeiten, die nicht in der Nähe des Dachsaumes ausgeführt werden, muß bei einer Dachneigung von mehr als 20 Grad und einer Traufenhöhe von mehr als 5 m über dem Gelände eine Schutzblende vorhanden sein, die geeignet ist, den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise hintanzuhalten. Diese Blenden können auch an sicher befestigten und ausreichend dimensionierten Schneerechen angebracht werden (§ 45 Abs.3 BAV).

Gemäß § 45 Abs.4 BAV haben sich bei Spenglerarbeiten am Dachsaum oder an Hängerinnen die damit Beschäftigten, sofern die Arbeiten nicht von einem sicheren Standplatz im Dachbodenraum ausgeführt werden, sicher anzuseilen. Solche Arbeiten müssen von mindestens zwei verläßlichen Personen ausgeführt werden, die die notwendigen Fachkenntnisse für die ihnen übertragenen Arbeiten besitzen.

4.2. Gemäß § 44a Z1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Danach ist es rechtlich geboten, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, daß a) die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird, und b) die Identität der Tat (insbes. nach Ort und Zeit) unverwechselbar feststeht.

Im Sinne der Anforderung nach lit.a sind entsprechende, dh.

in Beziehung zum vorgeworfenen Straftatbestand stehende, wörtliche Anführungen erforderlich, die nicht etwa durch bloße paragraphenmäßige Zitierung von Gebots- oder Verbotsnormen ersetzt werden können.

Hingegen verlangt die Anforderung nach lit.b (unverwechselbares Festhalten der Identität der Tat), daß im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat insoweit in konkretisierter Umschreibung zum Vorwurf gemacht werden muß, als er in die Lage versetzt wird, im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren (und gegebenenfalls im außerordentlichen Verfahren) auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und es muß weiters der Spruch geeignet sein, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.

4.3. Gemäß § 31 Abs.1 und 2 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von sechs Monaten von der Behörde keine Verfolgungshandlung vorgenommen worden ist. ISd § 32 Abs.2 VStG ist Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte (physische) Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung. Eine solche Verfolgungshandlung muß sich ferner auf eine bestimmte Tatzeit, einen bestimmten Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift iSd § 44a Z2 VStG beziehen (vgl. Ringhofer, Verwaltungsverfahren II., zu § 32 E5 sowie E30 ff).

Gemäß § 45 Abs.1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn 1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet; 2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen; 3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen.

4.4. Diese Ausführungen bedeuten, daß die Tat unter Anführung aller wesentlicher Tatbestandsmerkmale dem Beschuldigten innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist von 6 Monaten vorgeworfen werden müssen. Diesen Anforderungen haben im gegenständlichen Fall weder der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses noch die im Akt ersichtliche erste Verfolgungshandlung (Aufforderung zur Rechtfertigung vom 2. September 1994) entsprochen.

Dies aus folgenden Gründen:

In ähnlichen vergleichbaren Fällen (vgl. zB. Erk. vom 24.11.1992, Zl. 88/08/0221) hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß die unvollständige Wiedergabe des dem Bw zur Last gelegten Verhaltens den Spruch des angefochtenen Bescheides mit Rechtswidrigkeit belastet und daher nicht dem Konkretisierungsgebot des § 44a Z1 VStG entspricht. Im Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0239, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß nach der ständigen Rechtsprechung ein Hinweis auf das Fehlen der Voraussetzung der Anwendung einer im Gesetz vorgesehenen, ein Verbot einschränkenden Ausnahmeregelung nur dann im § 44a Z1 VStG betreffenden Teil des Spruches erforderlich ist, wenn sich ein Beschuldigter durch ein entsprechendes konkretes Sachverhaltsvorbringen mit der für ihn geltenden Ausnahmeregelung verantwortet hat oder dies nach der Aktenlage offenkundig ist.

Im vorliegenden Fall ist dies zweifellos geschehen, da der Bw bereits in seiner ersten Stellungnahme vom 31.1.1995 zur Aufforderung zur Rechtfertigung unter Punkt 1. darauf hingewiesen hat, daß die Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 45 Abs.4 BAV, nämlich daß der Arbeitsbereich nicht durch Gerüste abgesichert ist, der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 2.9.1994 in keiner Weise zu entnehmen sei. In diesem Zusammenhang wird bemerkt, daß bereits in der dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren zugrundeliegenden Anzeige des Arbeitsinspektorates vom 6.9.1994 ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daß Fassadengerüste nicht vorhanden waren. Die belangte Behörde wäre deshalb gehalten gewesen, diesen Hinweis in die Aufforderung zur Rechtfertigung und sodann in den Spruch des Straferkenntnisses aufzunehmen.

4.5. Aufgrund der mittlerweile - wie oben unter 4.3.

ausgeführt - eingetretenen Verfolgungsverjährung war es auch dem unabhängigen Verwaltungssenat nicht möglich, eine entsprechende Ergänzung des Spruches durchzuführen. Dies hatte zur Folge, daß das gegenständliche Straferkenntnis aufzuheben und das diesbezügliche Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war.

4.6. Im Hinblick auf die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens war auf die in der mündlichen Verhandlung vom Bw gestellten weiteren Beweisanträge sowie deren Abweisung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr (näher) einzugehen.

5. Die Aufhebung und Einstellung bewirkte auf der Kostenseite, daß der Bw keinerlei Verfahrenskostenbeiträge zu leisten hat.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Dr. Schieferer

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