Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-280152/6/Le/La

Linz, 29.01.1996

VwSen-280152/6/Le/La Linz, am 29. Jänner 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Leitgeb über die Berufung des Ing. R, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 11.10.1995, Ge96-94-7-1995, wegen Übertretung des Arbeitszeitgesetzes zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

Es entfällt ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 AVG, BGBl.Nr.51/1991 idgF iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z2, 51 Abs.1, 51c, 51e Abs.1, 65 und 66 Verwaltungsstrafgesetz 1991 VStG, BGBl.Nr.52/1991 idgF.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde über den Berufungswerber (im folgenden kurz: Bw) eine Geldstrafe in Höhe von 5.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen) verhängt, weil er gegen § 28 Abs.1b Z2 Arbeitszeitgesetz iVm Art.13 und Art.15 Abs.5 der Verordnung (EWG) Nr.3821/85 des Rates verstoßen hätte.

Im einzelnen wurde ihm vorgeworfen, als handelsrechtlicher Geschäftsführer der "H Ges.m.b.H." und somit als das gemäß § 9 Abs.1 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ am 13.6.1995 den im Betrieb beschäftigten Lenker L E eingesetzt zu haben, wobei auf der Tagesdiagrammscheibe vom 13.6.1995 der Vorname, der Zielort, die Kennzeichennummer des Fahrzeuges und der Stand des Kilometerzählers (End-Km-Stand) fehlten.

In der Begründung wurde dargelegt, daß aufgrund einer Anzeige des Arbeitsinspektorates für den 9. Aufsichtsbezirk ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet worden sei. Der Beschuldigte hätte sich dahin gerechtfertigt, daß das Ausfüllen der Tagesdiagrammscheibe eine Angelegenheit des Lenkers sei.

Dessen ungeachtet hätte das Arbeitsinspektorat den Strafantrag aufrechterhalten.

Die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach als belangte Behörde ging davon aus, daß im gegenständlichen Fall aufgrund der Anzeige des Arbeitsinspektorates feststehe, daß die Vorschriften des Art.13 iVm Art.15 Abs.5 der Verordnung (EWG) Nr.3821/85 des Rates nicht eingehalten worden seien.

Sie legte weiters die Gründe für die Strafbemessung dar.

2. In der dagegen (und gegen sieben weitere Straferkenntnisse) gemeinsam und rechtzeitig eingebrachten Berufung beantragte der Bw, die unbegründeten Anzeigen des Arbeitsinspektorates abzuweisen; weiters äußerte er, daß die verhängten Strafen wegen der Geringfügigkeit der Übertretungen wesentlich überhöht wären.

Im einzelnen führte der Bw (soweit es für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren relevant ist) aus, daß der Lenker L E, der bei ihm beschäftigter Arbeitnehmer sei, keine Arbeitszeitübertretungen begangen habe. Dies sei vom Arbeitsinspektorat eine mutwillige und nicht beweisbare Bahauptung.

3. Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, insbesonders der Anzeige des Arbeitsinspektorates für den 9. Aufsichtsbezirk vom 21.7.1995, dem von der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach durchgeführten Ermittlungsverfahren, dem angefochtenen Straferkenntnis sowie der vorliegenden Berufung hat der O.ö.

Verwaltungssenat einen ausreichend ermittelten Sachverhalt vorgefunden. Da bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 51e Abs.1 VStG entfallen.

Das Arbeitsinspektorat hat mit Schriftsatz vom 23.1.1996 zur Berufung Stellung genommen.

4. Der O.ö. Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Dem Beschuldigten steht das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat (§ 51 Abs.1 VStG).

Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des O.ö.

Verwaltungssenates.

4.2. Die im vorliegenden Fall zur Anwendung gebrachte Strafnorm des § 28 Abs.1b Z2 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl.

461/1969 idgF bestimmt, daß Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die 2. die Pflichten betreffend das Kontrollgerät und das Schaublatt gemäß Art.3 Abs.1, Art.13, Art.14, Art.15 Abs.1 bis 3, 5 oder 7 oder Art.16 der Verordnung (EWG) Nr.3821/85 verletzen, ... zu bestrafen sind.

4.3. Von der belangten Behörde wurden die Art.13 und 15 Abs.5 der Verordnung (EWG) Nr.3821/85 des Rates vom 20.12.1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr als übertretene Normen herangezogen. Diese haben folgenden Wortlaut:

Art.13:

"Der Unternehmer und die Fahrer sorgen für das ordnungsgemäße Funktionieren und die richtige Verwendung des Gerätes." Art.15:

"(5) Der Fahrer hat auf dem Schaublatt folgende Angaben einzutragen:

a) Bei Beginn der Benutzung des Blattes: seinen Namen und Vornamen; b) bei Beginn und am Ende der Benutzung des Blattes: den Zeitpunkt und den Ort; c) die Kennzeichennummer des Fahrzeuges, das ihm zugewiesen ist, und zwar vor der ersten auf dem Blatt verzeichneten Fahrt und in der Folge im Falle des Fahrzeugwechsels während der Benützung des Schaublattes; d) den Stand des Kilometerzählers:

- vor der ersten auf dem Blatt verzeichneten Fahrt, - am Ende der letzten auf dem Blatt verzeichneten Fahrt, - im Falle des Fahrzeugwechsels während des Arbeitstags (Zähler des vorherigen Fahrzeugs und Zähler des neuen Fahrzeugs); e) gegebenenfalls die Uhrzeit des Fahrzeugwechsels." Daraus ist erkennbar, daß die eigentlich übertretene Norm laut Tatvorwurf des angefochtenen Straferkenntnisses (nur) der Art.15 Abs.5 leg.cit. ist.

4.4. Grundsätzliches zur Rechtsnatur und zur Anwendbarkeit von EU-Verordnungen (siehe hiezu etwa auch Erkenntnis des O.ö. Verwaltungssenates vom 24.3.1995, VwSen-510014/3/Fra/Ka):

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (früher EWG-V, nunmehr EGV) enthält im Titel IV.

Vorschriften über den Verkehr. Gemäß Art.74 EGV verfolgen die Mitgliedsstaaten auf dem in diesem Titel geregelten Sachgebiet die Ziele des Vertrages im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik. Art.75 Abs.1 EGV hat dem Rat die Kompetenz übertragen, zur Durchführung der gemeinsamen Verkehrspolitik Beschlüsse (Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen) zu fassen.

In Art.75 Abs.1 lit.a bis lit.d sind die sehr weit gehenden Bereiche aufgezählt, in denen der Rat Vorschriften erlassen kann (a: für den internationalen Verkehr; b: für die Zulassung von Verkehrsunternehmen; c: Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit; d: alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften).

Unter lit.d - sonstige zweckdienliche Vorschriften - fallen die nach EG-Terminologie so genannten "Straßenverkehrssozialvorschriften". Sie sollen ua. der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen dienen. Die wichtigsten hier in Betracht kommenden Straßenverkehrssozialvorschriften sind die einheitlichen Regelungen für die Lenk- und Ruhezeiten des Fahrpersonals; in diesem Zusammenhang wurde die Verordnung Nr.3820/85 des Rates vom 20.12.1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, ABl.1985, Nr.L370, S.1 ff, erlassen.

Um die Einhaltung der dort niedergelegten Vorschriften wirksam zu überwachen, wurde am 20.12.1985 vom Rat die Verordnung (EWG) Nr.8321/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr (mit Anhang I. und II.) erlassen.

Gemäß Art.189 Abs.3 EGV haben Verordnungen allgemeine Geltung; sie sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. Im Gegensatz zu Richtlinien, die nur hinsichtlich ihrer Ziele verbindlich sind, sind Verordnungen in allen ihren Teilen verbindlich; das heißt, ihr bloßer Normtext ist verbindlich. Daß Verordnungen unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat gelten bedeutet, daß sie ohne Mitwirkung nationaler Rechtsetzungsorgane innerstaatlich unmittelbar gelten (Durchgriffswirkung!).

Mit dem BVG BGBl.Nr. 744/1994, wurden die bundesverfassungsgesetzlich zuständigen Organe mit Zustimmung des Bundesvolkes dazu ermächtigt, den Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur europäischen Union abzuschließen. In der Folge wurde mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union der "EU-Beitrittsvertrag" abgeschlossen und vom Nationalrat genehmigt (BGBl.Nr. 45/1995).

Dieser EU-BV und die durch ihn transformierten Vorschriften völkerrechtlichen Ursprungs, insbesonders der EGV selbst sowie auch die gegenständliche Verordnung, stehen daher auf verfassungsrechtlicher Stufe und gehen im Kollisionsfall innerstaatlichem Recht vor (siehe hiezu etwa OGH vom 4.10.1994, 4 Ob 88/94).

Als Schlußfolgerung kann daraus für den vorliegenden Fall gewonnen werden, daß die Verordnung (EWG) Nr.3821/85 des Rates vom 20.12.1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr seit Inkrafttreten des EU-Beitrittsvertrages unmittelbar anwendbares Recht geworden ist. Die Verletzung dieser EU-Verordnung ist durch § 28 Abs.1b Z2 des Arbeitszeitgesetzes unter Strafe gestellt.

4.5. Im vorliegenden Fall ist daher zur Beantwortung der Frage, ob der Bw als Arbeitgeber für die vorgeworfene Verwaltungsübertretung, daß verschiedene erforderliche Eintragungen auf dem Schaublatt des Kontrollgerätes fehlten, ausschließlich der Wortlaut der zitierten EU-Verordnung heranzuziehen (weil diese - wie oben dargelegt - selbst dem Arbeitszeitgesetz vorgeht!).

Während die Benutzungsvorschrift des Art.13 dieser Verordnung den Unternehmer und die Fahrer verpflichtet, für das ordnungsgemäße Funktionieren und die richtige Verwendung des Gerätes zu sorgen, richtet sich die Verpflichtung des Art.15 Abs.5 leg.cit. dagegen ausschließlich an den Fahrer.

Diese Bestimmung verpflichtet den Fahrer, zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte Angaben in das Schaublatt (des Kontrollgerätes) einzutragen. Ein diesbezügliches Unterlassen des Fahrers, alle erforderlichen Angaben im Schaublatt einzutragen, kann daher nicht dem Unternehmer (= Arbeitgeber) zum Vorwurf gemacht werden! Dafür spricht insbesonders auch die strenge Aufgabenverteilung in den Art.14 bis 16 der genannten Verordnung.

Damit aber wurde der Bw zu Unrecht bestraft, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

5. Die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens bewirkt auf der Verfahrenskostenseite, daß die Kosten des Verfahrens von der Behörde zu tragen sind und dem Bw auch die Kosten des Berufungsverfahrens nicht aufzuerlegen sind.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. L e i t g e b

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