Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-280919/2/Kl/Pe

Linz, 05.07.2006

 

 

 

VwSen-280919/2/Kl/Pe Linz, am 5. Juli 2006

DVR.0690392

 

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Klempt über die Berufung des A Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 8.5.2006, Ge96-2501-2005, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) zu Recht erkannt:

 

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II. Es entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 22, 45 Abs.1 Z1 und 51 VStG.

zu II.: § 66 VStG.

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 8.5.2006, Ge96-2501-2005, wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von 2.000 Euro, Ersatzfreiheitsstrafe von 100 Stunden, wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 130 Asbs.5 Z1 iVm § 118 Abs.3 ASchG und § 87 Abs.1 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) verhängt, weil er als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als das gemäß § 9 Abs.1 VStG nach außen zur Vertretung berufene strafrechtlich verantwortliche Organ der Z H GesmbH mit Sitz in, nicht dafür gesorgt hat, dass die Vorschriften des ASchG iVm der BauV eingehalten wurden.

Anlässlich einer am 19.7.2005 von einem Arbeitsinspektionsorgan durchgeführten Kontrolle auf der Baustelle, wurde festgestellt, dass der Lehrling C S, und der Arbeitnehmer S L, bei Dacharbeiten am teilweise errichteten Wirtschaftsgebäude der M H, Trapezblechplatten etwa vier Meter vom Dachsaum und etwa vier Meter von der Traufenkante entfernt montierten. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass die genannten Arbeitnehmer am etwa 25° steilen regennassen Satteldach am 19.7.2005 gegen 12.50 Uhr durch geeignete Schutzeinrichtungen, wie Dachschutzblenden und Dachfanggerüste gegen Absturz aus etwa acht Metern Höhe geschützt werden, obwohl bei Arbeiten auf Dächern bei einer Absturzhöhe von mehr als drei Meter Schutzeinrichtungen wie Dachschutzblenden oder Dachfanggerüste vorhanden sein müssen. Bei besonderen Gegebenheiten, wie auf glatter, nasser oder vereister Dachhaut, die ein Ausgleiten begünstigen, müssen diese Schutzeinrichtungen auch bei geringerer Neigung als 20° vorhanden sein. Da die zu deckende Dachfläche mehr als 300 betrug, handelte es sich um nicht geringfügige Arbeiten bzw. Arbeiten am Dachsaum oder im Giebelbereich, welche gemäß § 87 Abs.5 BauV ein bloßes Anseilen mittels Sicherheitsgeschirr erfordern.

 

2. Dagegen wurde fristgerecht Berufung eingebracht und die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens beantragt. Begründend wurde auf eine Bestrafung durch das Bezirksgericht Liezen hingewiesen und eine Ablichtung des Beschlusses des Bezirksgerichtes Liezen vom 12.4.2006, 6 U 138/05f, vorgelegt.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck als belangte Behörde hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

 

4. Weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass das mit Berufung angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist, entfällt eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 51e Abs.2 Z1 VStG.

 

Aufgrund des vom Berufungswerber vorgelegten Beschlusses des Bezirksgerichtes Liezen vom 12.4.2006, 6 U 138/05f, wurde dem Berufungswerber das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 und 4, erster Fall StGB vorgeworfen und nach dem Bestrafungsantrag vom 20.2.2006 durch die Staatsanwaltschaft Leoben zur Last gelegt, "dass er es am 19.7.2005 in Liezen als Verantwortlicher der Firma Zopf unterlassen habe, am etwa 25 Grad steilen regennassen Satteldach des teilweise fertig gestellten Wirtschaftsgebäudes der M H geeignete Schutzeinrichtungen, wie Dachschutzblenden und Dachfanggerüste anzubringen, wodurch es geschehen konnte, dass der am Dach arbeitende Lehrling C S etwa 8 m in die Tiefe stürzte und dabei schwere Verletzungen (Lendenwirbelfraktur) erlitt, fahrlässig den Genannten am Körper schwer verletzt habe." Der Berufungswerber gestand in der Hauptverhandlung am 12.4.2006 zu, dass er die im Bestrafungsantrag genannten Schutzeinrichtungen installieren hätte sollen. Weil die Voraussetzungen nach § 90a iVm § 90b StPO sowie die Voraussetzungen einer diversionellen Erledigung gemäß § 90c StPO vorgelegen waren, wurde mit dem angeführten Beschluss das Verfahren eingestellt und der Berufungswerber zu einer Geldbuße (von 1.500 Euro) zugunsten des Bundes binnen 14 Tagen verpflichtet.

 

5. Hierüber hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Gemäß § 130 Abs.5 Z1 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 Euro bis 7.260 Euro zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

 

Gemäß § 87 Abs.3 BauV, BGBl. Nr. 340/1994 idgF, müssen bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20° und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern. Geeignete Schutzeinrichtungen sind Dachschutzblenden und Dachfanggerüste (§ 88).

 

§ 22 VStG bestimmt, dass wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt, die Strafen nebeneinander zu verhängen sind. Das selbe gilt bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlungen.

 

Gemäß der Anordnung nach § 30 VStG sind strafbare Handlungen unabhängig von einander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und die selbe Tat begangen worden sind, wenn einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last liegen. Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

 

Dazu wird in Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren, Manz, 2. Auflage, S. 415ff, unter Hinweis auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 14696/1996) ausgeführt, dass die Vorschriften des § 22 und § 30 VStG deswegen dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art.4 Abs.1 7. ZPMRK nicht widerspricht, weil § 22 VStG lediglich die Strafbemessung im Sinn des Kumulationsprinzips regelt, wenn jemand mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat, und weil § 30 Abs.1 VStG für diesen Fall die verwaltungsstrafverfahrensrechtliche Regel aufstellt, dass die strafbaren Handlungen unabhängig von einander zu verfolgen sind. Ob bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer Delikte diese insgesamt zu verfolgen sind, oder die Bestrafung nach einem Straftatbestand bei Bestrafung nach einem anderen ausschließt, ist den gesetzlichen Regelungen der materiellen Strafbestimmungen zu entnehmen, nicht jedoch § 22 und § 30 Abs.1 VStG. Diese setzen vielmehr die gesetzliche Anordnung miteinander konkurrierender und daher nebeneinander zu ahndender Strafbestände schon voraus und ordnen als Konsequenz die kumulative Verfolgung sowie die kumulative Bestrafung der mehreren Straftaten an. "Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art.4 Abs.1 7. ZPMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann nur darin liegen, dass eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Deliktes in jeder Beziehung mitumfasst. Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein - und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird."

"In Fällen, in denen wie hier eine Handlung gesetzt wird, die sowohl unter die Strafdrohung des § 130 Abs.5 Z1 bzw. Abs.1 Z15 oder Z16 ASchG als auch unter die des § 80 bzw. § 88 StGB fällt, wird zwar in der Regel davon auszugehen sein, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung bzw. Tötung gemäß § 80 bzw. § 88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des § 130 Abs.5 Z1 bzw. Abs.1 Z15 oder Z16 ASchG vollständig erschöpft. Weder aus dem Wortlaut des § 130 ASchG noch aus dem Wortlaut der übrigen Bestimmungen des ASchG ergibt sich aber, dass bei der Ahndung der Delikte gemäß § 130 ASchG die Annahme einer Scheinkonkurrenz vom Gesetzgeber ausgeschlossen wäre; diese ist vielmehr gegebenenfalls aus dem Erfordernis, eine Gesetzesbestimmung einer - soweit möglich - verfassungskonformen Auslegung zuzuführen, geboten. Weder der bloße Wegfall der Subsidiaritätsklausel noch die von den UVS ins Treffen geführte offenbar bewusste Bedachtnahme auf mit der Verwaltungsübertretung zugleich auftretende Arbeitsunfälle oder Gesundheitsschäden in den Materialien zum ASchG lassen eindeutig darauf schließen, dass der Gesetzgeber eine Doppelbestrafung normieren wollte (VfGH 7.10.1998, G51/97. G26/98)."

 

5.2. Im Grunde des vorgelegten Beschlusses des Bezirksgerichtes Liezen wurde dem Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 und 4 StGB genau jenes Tatverhalten zugrunde gelegt, welches auch dem Tatvorwurf des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens zugrunde liegt. Sowohl das gerichtliche Strafverfahren als auch das Verwaltungsstrafverfahren stellen auf die mit dem Arbeitsunfall in direktem Zusammenhang stehende Verletzung der §§ 87 und 88 BauV ab. Es ist daher nach der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes davon auszugehen, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung den Unrechts- und Schuldgehalt des Deliktes des § 130 Abs.5 Z1 ASchG vollständig erschöpft. Es darf daher wegen der gegenständlich vorgeworfenen strafbaren Handlungen, die bereits Gegenstand eines gerichtlichen Strafverfahrens waren, gemäß Art.4 Abs.1 des ZPMRK keine weitere Strafverfolgung mehr erfolgen.

 

Weil das dem Berufungswerber vorgeworfene Verhalten den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt und vom Gericht verfolgt wurde, war von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen, das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen.

 

6. Weil die Berufung Erfolg hatte und das Strafverfahren eingestellt wurde, entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge gemäß § 66 Abs.1 VStG.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs-gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. Klempt

 

 

Beschlagwortung:

Doppelbestrafung, Diversion

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