Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-300048/2/Weg/Ri

Linz, 08.03.1996

VwSen-300048/2/Weg/Ri Linz, am 8. März 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wegschaider über die Berufung des R A gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft ... vom 18. Dezember 1995, Pol..., wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Oö Polizeistrafgesetz zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.2 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft ... hat mit dem in der Präambel zitierten Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Verwaltungsübertretung nach § 3 Abs.1 Oö Polizeistrafgesetz eine Geldstrafe von 300 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Stunden verhängt, weil dieser am 26. Juli 1995 in der Zeit zwischen ca. 21.00 Uhr und 23.00 Uhr das Weizenfeld des ..., nächst dessen landwirtschaftlichem Anwesen in ..., ...straße, mit einer selbstfahrenden Arbeitsmaschine (Mähdrescher), Marke Claas 093.1, Kz. ..., abgeerntet und dadurch ungebührlicherweise störenden Lärm erregt habe.

Außerdem wurde ein Kostenbeitrag zum Strafverfahren in der Höhe von 30 S in Vorschreibung gebracht.

2. Diesem Straferkenntnis liegt eine Privatanzeige des ...

zugrunde, welcher dem Gendarmerieposten ...telefonisch mitteilte, daß er sich durch den Lärm eines am landwirtschaftlichen Anwesen des ... fahrenden Mähdreschers in seiner Nachtruhe gestört fühle. Diese telefonische Anzeige erstattete er auch im Namen seiner Gattin .... Eine zeugenschaftliche Vernehmung des anzeigenden ... bzw. eine Erhebung über die Entfernung der Tatörtlichkeit zum Wohnhaus des ... ist seitens der Erstbehörde nicht erfolgt. Es ist auch nicht ermittelt worden, ob die Witterungsverhältnisse vor bzw. nach dem Drusch die Arbeiten am Feld wirtschaftlich notwendig machten.

3. Der Berufungswerber bestreitet, daß die von ihm vorgenommenen Mähdrescharbeiten den Tatbestand des § 3 Abs.1 Oö Polizeistrafgesetz erfüllen und bringt vor, der Lohndrusch sei aus zwingenden betrieblichen Gründen erfolgt.

Die ihm vorgeworfene Tat sei angesichts der herrschenden Wetterlage unbedingt erforderlich gewesen. Die wenigen geeigneten Schönwettertage seien für die Ernte auszunützen.

Der Drusch könne je nach herrschender Feuchtigkeit erst nach 15 Uhr bis 18 Uhr begonnen werden und es sei daher allgemein üblich und notwendig auch nach 22 Uhr Druscharbeiten durchzuführen. Ein Zuwarten mit diesen Arbeiten hätte die Gefahr von Ernteausfällen wegen Änderung der Wetterlage dramatisch erhöht. Darüberhinaus wäre er gegen den Auftraggeber ... schadenersatzpflichtig geworden, hätte er seine vertraglichen Verpflichtungen (nämlich den Lohndrusch) nicht rechtzeitig erfüllt. Die Behörde hätte in ihrem Erkenntnis nicht festgestellt, in welcher Hinsicht der durch den Mähdrescher erregte Lärm störend im Sinne des Gesetzes gewesen sei. Die Behörde habe lediglich pauschal unterstellt, daß der Lärm geeignet gewesen sei, von einem normal empfindenden Menschen als subjektive Belästigung angesehen zu werden, wodurch das Ruhe- und Schlafbedürfnis der Nachbarn wesentlich gestört worden wäre. Erhebungen hinsichtlich lärmtechnischer Bedingungen, wie Lautstärke, Schallfrequenz, Abstände etc. seien von der Behörde nicht angestellt worden. Es mangle daher dem Erkenntnis hinsichtlich der Störungseignung des ihm vorgeworfenen Verhaltens an einer hinreichenden Konkretisierung. Nach der angeführten Gesetzesstelle sei ein störender Lärm dann als ungebührlicherweise erregt anzusehen, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärmes führt, gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muß und jene Rücksichtnahme vermissen läßt, die die Umwelt verlangen könne. Der Gesetzgeber sei mit dieser Formulierung nicht davon ausgegangen, daß jegliche störende Lärmerregung zu unterlassen sei, sondern nur jene, die die Umwelt unter Rücksichtnahme auf berechtigte Interessen verlangen könne.

Eine Interessensabwägung zwischen dem sich gestört fühlenden Nachbarn und der Notwendigkeit, den Weizendrusch durchzuführen, führe zweifelsohne dazu, daß dem raschen Abernten der Vorrang einzuräumen sei. Eine derartige Interessensabwägung, die die Erstbehörde nicht vorgenommen habe, sei auch aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten. Die Strafnorm des § 3 Oö Polizeistrafgesetz sei zwar nicht darauf gerichtet, die Freiheit der Erwerbstätigkeit gemäß Art. 6 Abs.1 Staatsgrundgesetz zu verhindern, jedoch könne ihre Anwendung zu Auswirkungen führen, die einer Behinderung der Erwerbstätigkeit gleichkomme. Da die Behörde die bei verfassungskonformer Gesetzesauslegung notwendige Abwägung überhaupt nicht vorgenommen habe, habe sie der angewendeten Rechtsvorschrift einen Inhalt unterstellt, der sie als verfassungswidrig erscheinen läßt. Auch die demonstrative Aufzählung jener Verhaltensweisen, die als störende Lärmerregung angesehen werden (§ 3 Abs.4 Oö Polizeistrafgesetz) weise zum Unterschied von der Vorgängerbestimmung des Artikel VIII EGVG darauf hin, daß Fälle von Lärmerregung durch Betriebsanlagen oder sonstige gewerbliche oder landwirtschaftliche Quellen davon nicht erfaßt scheinen.

Letztlich geht der Berufungswerber noch auf das nicht vorliegende Verschulden ein, weil jeder einsichtige und besonnene Landwirt an seiner Stelle genau gleich gehandelt hätte, da der drohende Schaden die Nachteile der Lärmerregung dramatisch überwiege und die Umwelt daher nicht verlangen könne, daß er die Ernte um 22 Uhr abbreche. Es sei außerdem noch nie zu Beschwerden gekommen, eine Anzeige gemäß § 3 Oö Polizeistrafgesetz sei auch nach Rückfrage bei seinen Standeskollegen niemandem bekannt. Er habe daher davon ausgehen können, daß der durch den Mähdrescher entwickelte Lärm von einem normal empfindenden Menschen nicht als störend im Sinne der angeführten Gesetzesstelle angesehen werde.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis aufgenommen durch Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt, durch eine Besichtigung der Tatörtlichkeit und Befragung des die Anzeige verfaßt habenden Gendarmeriebeamten.

Demnach steht fest, daß der Anzeigeleger in den vergangenen Jahren schon dutzende - wenn nicht hunderte - Anzeigen beim Gendarmerieposten ... erstattet hat, wobei es in erster Linie um das im Nahebereich liegende Quarzwerk ging. Die Anzeigen des ... füllen mehrere Ordner und es ist auf Grund dieser notorischen Anzeigeerstattungstätigkeit davon auszugehen, daß es sich bei ... um einen ungewöhnlich empfindsamen Menschen handelt. Das Haus des Anzeigeerstatters liegt von der Tatörtlichkeit (ein mehrere Hektar umfassendes, leicht ansteigendes Feld) zwischen 150 m und 300 m entfernt, wobei es zum Teil durch vorstehende Häuser verstellt ist. Das Haus liegt in der Mitte eines Hanges. In der ca. 25 m Luftlinie darunterliegenden Talsenke befindet sich ein ca. 10 m breiter und ca 10 m bis 15 m hoher Bestand an Bäumen, die zur Tatzeit belaubt gewesen sein müßten und möglicherweise zum Anwesen des ... eine gewisse Lärmschutzwand dargestellt haben.

Zum gegenständlichen Vorfall hat lediglich Prammer Anzeige erstattet und nicht einer der sonstigen Bewohner der übrigen Häuser, was als Indiz dafür zu werten ist, daß sich diese Personen von den Drescharbeiten nicht belästigt gefühlt haben.

Nach Auskunft der Gendarmeriebeamten handelte es sich beim verwendeten Mähdrescher um einen solchen neuerer Bauart, der hinsichtlich Lärmerregung noch nie aufgefallen ist. Es hat gegen den Berufungswerber auch sonst bisher keinerlei Anzeigen gegeben. Am Tattag war es wolkenlos und windstill.

Der Berufungswerber hat nach der Aktenlage die Erntearbeit zwischen 21.00 Uhr und 23.00 Uhr durchgeführt. Nach Beendigung dieser Arbeiten ist der Berufungswerber mit dem Mähdrescher nach Hause gefahren. Von den Gendarmeriebeamten konnte er um 23.15 Uhr nicht mehr angetroffen werden.

5. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

Gemäß § 3 Abs.1 Oö PolStG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt. Gemäß Abs.2 leg.cit sind unter störendem Lärm alle wegen ihrer Dauer, Lautstärke oder Schallfrequenz für das menschliche Empfinden unangenehm in Erscheinung tretende Geräusche zu verstehen. Gemäß Abs.3 leg.cit ist störender Lärm dann als ungebührlicherweise erregt anzusehen, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärms führt, gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muß und jene Rücksichtnahme vermissen läßt, die die Umwelt verlangen kann. Im Abs. 4 leg. cit. ist noch demonstrativ aufgezählt, was als Verwaltungsübertretung anzusehen ist. Es handelt sich hiebei um die Lärmerregung durch Kraftfahrzeuge sowie durch Rundfunk- und Fernsehgeräte.

Es ist zunächst die Frage zu prüfen, ob ein Mähdrescher neuerer Bauart Geräusche verursacht, die wegen ihrer Dauer, Lautstärke oder Schallfrequenz für das menschliche Empfinden unangenehm in Erscheinung treten. Gegebenenfalls würde störender Lärm vorliegen. Damit Lärm stören kann, muß sich begrifflich eine Person, die diese Geräusche aufnimmt, im Hörbereich befinden. Es könnte nur auf Grund eines Lokalaugenscheines bei annähernd identischen Bedingungen überprüft werden, ob im ca 300 m entfernten zum Teil verstellten Haus des Anzeigeerstatters Geräusche zu vernehmen waren, die als störender Lärm zu qualifizieren sind. Das Wort "störend" enthält eine subjektive Komponente.

Überempfindsame Menschen werden sich selbst durch leiseste Geräusche gestört fühlen, weniger empfindsame und tolerantere Personen dagegen nicht. Der Anzeigeerstatter dürfte zur ersteren Kategorie zählen und kann nicht als Maßstab hinsichtlich der Zumutbarkeit von Geräuschverursachungen angesehen werden. Für diese Überempfindsamkeit sprechen die eingangs angeführten, zahllosen und mehrere Ordner füllenden Anzeigen. Einen maßgerechten Menschen wird - selbst wenn der Schallpegel für diese Tageszeit nicht mehr angebracht wäre - die Tätigkeit eines die Ernte einfahrenden Bauern nicht stören, wenn einerseits abzusehen ist, daß die Tätigkeiten bald verrichtet sind und nicht die ganze Nacht hindurch andauern und andererseits bei dieser Arbeit ersehen werden kann, daß ein so hohes Gut wie Weizen eingebracht und in die Nahrungsmittelkette weitergeleitet wird. Einen einigermaßen toleranten Menschen erfüllt diese Tätigkeit mit Freude, welche geeignet ist, die Lärmerregung als leicht erduldbar in Kauf zu nehmen.

Es liegt also nach Ansicht der Berufungsbehörde bei Berücksichtigung aller geschilderten Umstände keine die ca.

300 m entfernte Nachbarschaft störende Lärmerregung vor, wenn ein Bauer mit einem neuen Mähdrescher einmal jährlich von 21h - 23h (Sommerzeit) die Ernte und seine Lebensgrundlage einbringt, bevor es die Witterung möglicherweise verhindert.

Es liegt aber im konkreten Fall auch das Tatbestandsmerkmal der Ungebührlichkeit nicht vor. Selbst wenn davon auszugehen wäre, daß der Lärm im Sinne des § 3 Abs.2 leg. cit. als störend zu qualifizieren wäre, so ist das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärmes führt, nicht gegen ein Verhalten verstoßend anzusehen, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muß und jene Rücksichtnahme vermissen läßt, die die Umwelt verlangen kann. Das Einbringen der Ernte bei sonst unter Umständen möglichem Ernteausfall kann und muß von anderen Menschen geduldet werden, insbesondere dann, wenn auf Grund des Fortschrittes der Arbeit ein baldiges Ende abzusehen ist. Die Bauernschaft hat ein Anrecht darauf, ihre Ernte einzubringen, selbst wenn dies an einem Samstag nachmittag, an einem Sonntag oder in den späteren Abendstunden erfolgt. Eine gegenteilige Ansicht würde diesen - ohnehin nicht verwöhnten - Berufsstand weiter in ihrer Lebensexistenz bedrohen.

Da sohin im gegenständlichen Fall nicht davon auszugehen ist, daß Drescharbeiten zwischen 21 Uhr und 23 Uhr (Sommerzeit) ein Verhalten darstellen, welches als ein ungebührlicherweise störenden Lärm verursachendes zu qualifizieren ist, wobei die allenfalls gestörten Nachbarn mehrere hundert Meter entfernt wohnen, erübrigt es sich auf die Schuldkomponente bzw auf einen die Strafbarkeit ausschließenden Notstand einzugehen. Es wird aber auch dazu angemerkt, daß das Einbringen der Ernte und die damit verbundene Lärmerregung nicht strafbar sein kann, wenn ansonsten (etwa auf Grund der Wetterlage) zu befürchten wäre, daß die Ernte als die entscheidende Lebensgrundlage des Bauern nicht mehr eingebracht werden kann (Notstand gemäß § 6 VStG).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Wegschaider

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