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VwSen-300362/2/Kei/La

Linz, 29.03.2001

VwSen-300362/2/Kei/La Linz, am 29. März 2001

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Keinberger über die Berufung des T F S, vertreten durch die Rechtsanwälte und Verteidiger in Strafsachen Dr. H B und Dr. J B, A 15, L, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 4. Oktober 2000, Zl. S-21.113/00-2, mit dem der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen T F S, Zl. S-21.113/00-2, vom 24. Juli 2000, abgewiesen wurde, zu Recht:

Der Berufung wird hinsichtlich des Verfahrens nach Punkt 1) der Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Linz vom 16. Juni 2000, Zl. S-21.113/00-2 (Übertretung des § 1 Abs.1 Oö. Polizeistrafgesetz), stattgegeben. Der Bescheid der Bundespolizei-direktion Linz vom 4. Oktober 2000, Zl. S-21.113/00-2, wird diesbezüglich behoben und dem Antrag auf Wiederaufnahme wird hinsichtlich dieses Verfahrens stattgegeben.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm § 24 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion Linz (BPD) hat mit Strafverfügung vom 16. Juni 2000, Zl. S-21.113/00-2, unter Punkt 1) über den Berufungswerber (Bw) wegen einer Übertretung des § 1 Abs.1 Oö. Polizeistrafgesetz eine Geldstrafe von 1.000 S (EFS 48 Stunden) verhängt, weil er am 10. Juni 2000 um 23.35 Uhr in L, O D Nr. 7-9, Kreuzung mit H, durch Spucken auf das linke Seitenfenster eines Funkwagens den öffentlichen Anstand verletzt habe.

Mangels Erhebung eines Einspruches wurde diese Strafverfügung rechtskräftig.

2. Der Bw stellte durch seine ausgewiesenen Vertreter mit Eingabe vom 24.Juli 2000 an die BPD einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit rechtskräftiger Strafverfügung vom 16. Juni 2000 beendeten Verfahrens zu Zl. S-21.113/00-2. Gleichzeitig wurde beantragt, diesen Bescheid ersatzlos zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 VStG einzustellen.

Zur Begründung wurde vorgebracht, dass der Bw mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. Juli 2000 zu Zl. 24 EHv 76/00 wegen desselben Vorfalles vom 10. Juni 2000 zu einer dreimonatigen unbedingten Haftstrafe verurteilt und ihm weiters die bedingte Strafnachsicht zu Zl. 24 EHv 31/00 widerrufen wurde. Es seien somit neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten (vgl. Art.4 des 7. ZP zur MRK-Verbot der Doppelbestrafung).

Zur Rechtzeitigkeit des Antrages wurde ausgeführt, dass den ausgewiesenen Vertretern die Strafverfügung erst am 12. Juli 2000 von der Bewährungshelferin des Bw zur Kenntnis gebracht wurde und die Hauptverhandlung erst am 14. Juli 2000 stattgefunden habe. Als Beweis wurden den ausgewiesenen Vertretern die via Fax übermittelte Strafverfügung, der Protokollsvermerk und die gekürzte Ausfertigung des oa Urteiles vorgelegt.

3. Die BPD wies mit Bescheid vom 4. Oktober 2000, Zl. S-21.113/00-2, den unter Punkt 2 angeführten Wiederaufnahmeantrag ab. In der Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass ein Vergleich des Sachverhaltes des Urteiles des Landesgerichtes Linz mit dem Spruch der Strafverfügung der BPD eindeutig ergebe, dass jenes Verhalten, das dem gerichtlichen Urteil zugrunde lag, nicht Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens war. Der Strafverfügung der BPD vom 16. Juni 2000 sei nämlich jene Handlungen des Bw zugrunde gelegt, die er am 10. Juni 2000 in der Zeit von 23.35 Uhr bis 23.41 Uhr gesetzt habe, während vom Landesgericht Linz jene Handlungen zu einer Verurteilung geführt hätten, die er am 10. Juni 2000 in der Zeit von 23.41 Uhr bis 23.45 Uhr gesetzt habe. Eine verbotene Doppelbestrafung liege daher nicht vor. Der Umstand, dass zwei verschiedene, zeitlich abgrenzbare Handlungsabläufe vorlagen, sei bereits zum Zeitpunkt der Erlassung der Strafverfügung bekannt gewesen.

4. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung bringt der Bw unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, die Erstbehörde habe es unterlassen, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, da sie ansonsten zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Sie habe es außer Acht gelassen, dass er wegen ein und desselben Verhaltens am 10. Juni 2000 vom Landesgericht Linz zu Zl. 24 EHv 76/00 wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und fahrlässiger Körperverletzung bestraft worden ist. Dem Urteilsspruch sei zudem nicht zu entnehmen, dass die Tatzeit der beiden Delikte am 10. Juni 2000 von 23.41 Uhr bis 23.45 Uhr gedauert hat. Das Spucken auf die Windschutzscheibe und auf den Reifen des Streifenwagens sei schließlich der Anlass bzw auslösendes Moment für die beiden Straftaten, deretwegen er vom Landesgericht Linz rechtskräftig bestraft worden ist, gewesen.

Es wäre daher eine andere Interpretation des Verbotes der Doppelbestrafung sinnwidrig, da ihr dann jeder Anwendungsbereich entzogen wäre, gehe doch beispielsweise auch der strafbaren Handlung wie etwa der fahrlässigen Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (Lenken eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand und daran anschließend Verursachen eines Verkehrsunfalls mit Personenschaden) ein Lenken in alkoholisiertem Zustand voraus, das nicht gerichtlich strafbar ist. Es müsste dann hier neben der gerichtlichen auch eine verwaltungsrechtliche Verurteilung erfolgen. Es treffe auch nicht zu, dass die Verwaltungsübertretungen nicht Gegenstand des strafgerichtlichen Verfahrens waren, sie seien Auslöser für die gerichtlich strafbaren Handlungen gewesen, welche Umstände im Strafverfahren gleichfalls erörtert worden sind.

Unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes verweist der Bw auf das oa Vorbringen. Tatsächlich sei sein Verhalten (Spucken) Anlass für die Beamten gewesen, einzuschreiten, was die gerichtliche Verurteilung nach sich gezogen habe. Die gegenteilige Rechtsansicht der Erstbehörde erweise sich daher als verfehlt, da eine derartige Betrachtungsweise der Anwendung des Doppelbestrafungsverbotes jeden Boden entzöge. Selbst wenn man von den erstbehördlichen Feststellungen ausginge, dass er zunächst die verwaltungsstrafrechtlichen Delikte in der Zeit von 23.35 Uhr bis 23.41 Uhr und von 23.41 Uhr bis 23.45 Uhr die gerichtlich strafbaren Handlungen gesetzt hätte, was er keinesfalls zugestehe, wäre für die Erstbehörde nichts gewonnen, da im Wesentlichen gleiche Tatzeitpunkte vorlägen bzw diese ineinander übergingen, weshalb eine strikte Trennung dem Wesensgehalt des Doppelbestrafungsverbotes zuwiderliefe.

Der Bw stellt den Antrag, seiner Berufung Folge zu geben, dem Antrag auf Wiederaufnahme stattzugeben, die Strafverfügung vom 16. Juni 2000 aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

5. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

Der Bw hat seinen Antrag auf den Wiederaufnahmetatbestand nach § 69 Abs.1 Z2 AVG gestützt und ihn damit begründet, dass durch das oa Urteil neue Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen seien, die er im Verfahren ohne Verschulden nicht geltend machen konnte und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Dazu ist festzustellen, dass nach der Judikatur des VwGH die Entscheidung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde in einer bestimmten Rechtssache weder eine neue Tatsache noch ein (neu hervorgekommenes) Beweismittel darstellt, sondern selbst auf Beweismitteln basiert. Nach Auffassung des Oö. Verwaltungssenates hätte der Wiederaufnahmeantrag auf § 69 Abs.1 Z3 AVG gestützt werden müssen. Die belangte Behörde ist offenbar davon ausgegangen, dass kein gerichtlich strafbarer Tatbestand vorliegt, da sie ansonsten aufgrund der Subsidiaritätsbestimmung des § 1 Abs.1 Oö. Polizeistrafgesetz die oa Strafverfügung nicht erlassen hätte dürfen. Im Ergebnis kann jedoch die Berufung des Bw auf einen unrichtigen Wiederaufnahmetatbestand dahingestellt bleiben, zumal der Antrag von der belangten Behörde nicht zurückgewiesen, sondern sachlich behandelt wurde, und der Rechtsansicht des Bw, dass gegenständlich ein Fall der verbotenen Doppelbestrafung vorliegt, beizutreten ist.

Der VfGH vertritt in seiner ständigen Rechtsprechung die Ansicht, dass eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war. Dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Deliktes in jeder Beziehung mitumfasst.

Die Unzulässigkeit der Doppelbestrafung kommt in jüngster Zeit durch die Entscheidung des EGMR vom 23. Oktober 1995, Zl.33/1994/480/562, zum Ausdruck, wonach der Grundsatz "ne bis in idem" immer dann Relevanz hat, wenn "das gleiche Verhalten" (based on the same conduct, vgl. VfGH vom 5. Dezember 1996, Zl. G 86/96) Gegenstand einer zweiten Bestrafung (Verwaltungsstrafe) ist. An dieser "Einheitlichkeit" im Ablauf des Sachverhaltes (Spucken auf das linke Seitenfenster eines Funkwagens) kann im gegenständlichen Fall kein Zweifel bestehen. Der wesentliche Gesichtspunkt ("aspect") des Straftatbestandes wird in so gelagerten Fällen (bereits) vom Gerichtsverfahren erfasst. Insofern ist der Argumentation des Bw - siehe oben - beizutreten. Es liegen hier hinsichtlich des in die Zuständigkeit des Gerichtes fallenden Tatbestandes des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und des Tatbestandes nach § 1 Abs.1 Oö. Polizeistrafgesetz weitgehend idente Sachverhalte zugrunde. Entgegen der Auffassung der Erstbehörde ist dem Gerichtsurteil auch nicht zu entnehmen, dass die Tatzeit des hier relevanten Gerichtstatbestandes (lediglich) von 23.41 Uhr bis 23.45 Uhr am 10. Juni 2000 gedauert hat. Aus den genannten Gründen war nicht weiter zu untersuchen, ob der Deliktstypus des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Deliktstypus der "Verletzung des öffentlichen Anstandes" nach § 1 Abs.1 Oö. Polizeistrafgesetz vollständig erschöpft. Der Oö. Verwaltungssenat ist jedoch diesbezüglich der Auffassung, dass das im § 1 Abs.1 Oö. Polizeistrafgesetz verankerte Tatbild zahlreiche Verhaltensweisen verpönt, die nicht im Zusammenhang mit § 88 Abs.1 StGB stehen.

Über den Antrag auf Einstellung des Verfahrens hat die BPD zu entscheiden.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Dr. Keinberger

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