Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-300517/2/WEI/Eg/An

Linz, 28.06.2004

 

 

 VwSen-300517/2/WEI/Eg/An Linz, am 28. Juni 2004

DVR.0690392
 

 
 
 

E R K E N N T N I S
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung der H K, P, S, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters von Steyr vom 29. April 2004, Zl. Pol-239/02, wegen Übertretung des Oö. Polizeistrafgesetzes - Oö. PolStG (LGBl.Nr. 36/1979 idF LGBl.Nr. 90/2001 [Oö. Euro-Einführungsgesetz]) zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG eingestellt.
 

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

 


Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991, § 66 Abs 1 VStG 1991.
 
 
 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Steyr wurde die Berufungswerberin (Bwin) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

 

"Sie haben es als Hundehalterin zu vertreten, dass Sie der Aufsichtspflicht über den in Ihrer Obhut befindlichen Hund (Golden Retriver) am 8.8.2002 gegen 16.00 Uhr in 4400 Steyr, am Gehsteig vor dem Hause Pyrachstraße 37, nicht nachgekommen sind, sodass dieser Hund den Hund von Fr. G W (Lhasa Apso) attackierte und Fr. G W anstieß. Es wurde dadurch Fr. G W belästigt und gefährdet.

Sie haben es somit unterlassen, diesen Hund (Golden Retriver) so zu verwahren, dass gewährleistet ist, dass andere Personen weder belästigt noch gefährdet werden.

Dies stellt eine Übertretung der Bestimmungen des oö. Polizeistrafgesetzes dar.

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 5 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 2 lit. b) oö. Polizeistrafgesetz i.d.g.F.

 

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

 

Geldstrafe von EURO falls diese uneinbringlich ist, Freiheitsstrafe von gemäß

Ersatzfreiheitsstrafe voon

EUR 40,-- 12 Stunden --- 10 (2) lit.b) leg.cit.

Weitere Verfügungen (z.B. Anrechnung von Vorhaft, Verfallsausspruch):

---

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

EUR 4,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe.

---,-- als Ersatz der Barauslagen für ---

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

EUR 44,-- Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54 d VStG)."

 

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das der Bwin am 12. Mai 2003 zugestellt wurde, richtet sich die vorliegende am 26. Mai 2003 - und somit rechtzeitig - mittels e-mail bei der belangten Behörde eingelangte Berufung, mit der sinngemäß die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens angestrebt wird.

 

1.3. In ihrer Berufung führt die Bwin aus, dass sie an dem genannten Vorfall vom 8. August 2002 unschuldig sei. Dieser Zwischenfall sei eine Folgewirkung auf einen Zwischenfall vom 26. Juli 2002, bei welchem der Hund von Frau W den Golden Retriever des Herrn M ohne Grund angefallen und diesen in den Hals gebissen habe. Wäre der Hund von Frau W im Juli 2002 nicht über den genannten Golden Retriever hergefallen, sei es "garantiert nicht zu diesem Zwischenfall am 8. August gekommen". Dieser Golden Retriever sei ein gutmütiger und sehr gut erzogener Hund, mit welchem die Bwin vor diesem Vorfall ohne Leine "bei Fuß" am Hund der Frau W vorbeigehen habe können und er nicht von ihrer Seite gewichen sei, obwohl sich der Hund von Frau W fürchterlich durch Bellen und Drohhaltungen gebärdet habe. Die Bwin beantragt eine Gegenüberstellung der beiden Hunde sowie einen Wesenstest. Betreffend die Aussage von Frau W, sie sei vom Golden Retriever angestoßen worden, gibt die Bwin an, dass dies nicht stimmen könne, da sie am Ort des Geschehens gewesen sei und mit eigenen Augen gesehen habe, dass Frau W weder angestoßen noch zu Sturz gekommen sei noch irgendwie verletzt worden sei.

2.1. Die belangte Behörde erhielt von dem im Spruch dargestellten Sachverhalt auf Grund der Anzeige der Bundespolizeidirektion Steyr, Wachzimmer Stadtplatz, vom 26. August 2002, Kenntnis. Im Ermittlungsverfahren vernahm die belangte Behörde die Zeuginnen G W und H W zum gegenständlichen Vorfall vom 8. August 2002 (vgl die Niederschriften vom 18. und 19. September 2002).

Die Zeugin G W gab an, dass sie am Gehsteig vor ihrem Haus Pyrachstraße 37 mit ihrem Hund, welcher angeleint war, spazieren ging. Der Golden Retriever des M ging mit Frau K (Lebensgefährtin des M) spazieren. Er wäre nicht angeleint gewesen und sofort auf ihren Hund zugelaufen. Der Golden Retriever hätte sie angestoßen. Er wäre ihr direkt von hinten in die Kniekehlen gelaufen, weshalb sie nach vorne knickte. Dann wäre er auf ihren Hund losgegangen. Sie hätte versucht, ihren Hund an der Leine von dem Golden Retriever wegzuziehen. Ihr Hund wäre glücklicherweise nicht verletzt worden, da ihn der Golden Retriever nicht erwischte. Sie hätte jedoch durch das Anstoßen des Golden Retriever an ihren Kniekehlen am linken Knie (dort habe sie ein Knieimplantat) längere Zeit Schmerzen gehabt.

Die Zeugin H W gab zu diesem Vorfall an, sie wäre am besagten Tag in ihrer Küche gewesen und hätte plötzlich Lärm von Hunden gehört. Sie lief aus dem Haus und sah wie der Golden Retriever, welcher nicht angeleint war, auf den angeleinten Hund der Frau W losging. Der Hund von Frau W wäre immer um sie herumgelaufen. Der Golden Retriever hätte den kleinen Hund verfolgt, so dass die beiden Hunde um Frau W herumliefen. Der Golden Retriever hätte nicht auf die Zurufe von einer der beiden weiter anwesenden Frauen reagiert. Diese Frau hätte dann nach einiger Zeit den Golden Retriever am Halsband gepackt und wortlos entfernt. Frau W wäre mit ihrem kleinen Hund ganz geschockt zurückgeblieben. Der Hund von Frau W hätte am ganzen Körper gezittert. Die Zeugin hätte dann ca. 20 Minuten mit Frau W gesprochen. Während dieser Zeit hätte es niemand der Mühe wert gefunden vorbeizukommen und sich nach dem Befinden von Frau W zu erkundigen. In weiterer Folge wäre sie dann mit Frau W und dem kleinen Hund zum Tierarzt gefahren.

 

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt zur Zahl Pol-239/02 des Magistrats Steyr festgestellt, dass das angefochtene Straferkenntnis schon nach der Aktenlage aufzuheben ist.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 5 Abs 1 Oö. PolStG idF LGBl Nr. 94/1985 begeht u.a. eine Verwaltungsübertretung, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet,

 

wer als Halter eines Tieres dieses in einer Weise beaufsichtigt oder verwahrt, dass durch das Tier dritte Personen gefährdet oder über das zumutbare Maß hinaus belästigt werden.

 

Den Materialien (vgl AB Blg 448/1985 zum kurzschriftlichen Bericht Oö. LT, 22. GP, 3) ist zu entnehmen, dass sich eine landesgesetzliche Regelung betreffend das Halten von Tieren nicht mehr nur auf gefährliche Tiere beschränken sollte und Missstände nicht mehr ortspolizeilichen Regelungen der Gemeinden überlassen bleiben sollten. Vielmehr sprach sich der Ausschuss für allgemeine innere Angelegenheiten des Oö. Landtages dafür aus, eine Beaufsichtigung oder Verwahrung von Tieren, die so mangelhaft erfolgt, dass sie Gefährdungen oder Belästigungen dritter Personen zur Folge hat, in Zukunft für strafbar zu erklären. Dritte Personen seien dabei alle, die nicht unmittelbar dem Haushalt des Tierhalters angehören.

Nach hM ist Tierhalter, wer die tatsächliche Herrschaft über das Verhalten des Tieres ausübt und über Verwahrung und Beaufsichtigung entscheidet (vgl näher mwN Dittrich/Tades, MGA ABGB33, E 18 ff zu § 1320; Reischauer in Rummel2, Rz 7 f zu § 1320 ABGB). Auf eine bestimmte rechtliche Beziehung zum Tier (etwa das Eigentumsrecht) kommt es dabei nicht an. Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, sind die faktischen Verhältnisse der Herrschaft über das Tier (Aufzucht, Ernährung, Unterbringung, Pflege und gesundheitliche Betreuung) für den Begriff des Haltens entscheidend (vgl VwGH 30.7.1992, 88/17/0149).
In der zivilrechtlichen Literatur sind Ehegatten unabhängig von den Eigentumsverhältnissen als Mithalter angesehen worden, wenn sie im gemeinsamen ehelichen Haushalt oder in der Landwirtschaft ein Haustier, das eine bestimmte Funktion (zB Bewachung, Spielgefährte, Nutztier) erfüllen soll einverständlich halten (vgl Dittrich/Tades, MGA ABGB33, E 22 bis E 25 zu § 1320). Diese Mithaltereigenschaft folgt aus der gleichen Interessenslage und dem gemeinschaftlichen Herrschaftsverhältnis zum Tier. Die gleichen Grundsätze müssen analog dazu auch für Lebensgefährten gelten, die gemeinsam für ein Tier sorgen.

4.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Sprucherfordernissen nach § 44a Z 1 VStG ist die Tat so weit zu konkretisieren, dass eine eindeutige Zuordnung zu den Tatbestandsmerkmalen ermöglicht wird und die Identität der Tat unverwechselbar feststeht (stRsp seit den verst. Senaten VwSlg 11.466 A/1984 und VwSlg 11.894 A/1985). Im Spruch sind alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale anzuführen, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens notwendig sind. Eine Umschreibung bloß in der Begründung reicht im Verwaltungsstrafrecht nicht aus (vgl mwN Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 1996, 971).

 

Der Vorschrift des § 44 a Z 1 VStG ist dann entsprochen, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat so in konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Rechtsmittelbehörde nach § 66 Abs 4 AVG (iVm § 24 VStG) nicht die Befugnis, dem Beschuldigten eine andere Tat als die Erstbehörde anzulasten und damit die Tat auszuwechseln (vgl allgemein VwGH 25.3.1994, 93/02/0228; VwGH 19.5.1993, 92/09/0360; VwGH 28.2.1997, 95/02/0601). Die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde ist durch den Abspruchsgegenstand des angefochtenen Bescheides beschränkt (vgl VwGH 23.11.1993, 93/04/0169). Eine Abänderungsermächtigung besteht nur im Rahmen der Sache iSd § 66 Abs 4 AVG (vgl etwa VwGH 25.9.1992, 92/09/0178; VwGH 8.2.1995, 94/03/0072; VwGH 3.9.1996, 96/04/0080). Dabei ist Sache des Berufungsverfahrens die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs im Bescheid der Unterbehörde bildet (vgl u.a. VwGH 24.3.1994, 92/18/0356; VwGH 23.10.1995, 94/04/0080; VwGH 29.10.1996, 96/07/0103; VwGH 19.3.1997, 93/11/0107). Ein Austausch wesentlicher Tatbestandsmerkmale führt zur Anlastung einer anderen Tat und ist daher unzulässig (vgl VwGH 20.11.1997, 97/06/0170).

 

4.3. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der Vorfall vom 26. Juli 2002 nicht Gegenstand dieses Verfahrens und somit auch nicht mehr zu beurteilen ist. Im Übrigen ist festzustellen, dass dem angefochtenen Straferkenntnis kein hinreichend konkretisierter Tatvorwurf entnommen werden kann.

 

Schon der Spruch im angefochtenen Straferkenntnis ist derart mangelhaft, dass er einer zulässigen Korrektur durch den Unabhängigen Verwaltungssenat nicht zugänglich ist. Dieser ist nämlich nach § 66 Abs 4 AVG nicht befugt, den Tatvorwurf auszutauschen. Darüber hinaus ist auch bereits Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs 2 VStG eingetreten. Der Tatvorwurf der belangten Behörde orientiert sich nicht am Wortlaut des herangezogenen Straftatbestands nach § 5 Abs 1 (iVm § 10 Abs 2 lit. b) PolStG und ist deshalb aus rechtlicher Sicht unschlüssig. Die belangte Behörde hat nicht angelastet, mit welcher konkreten Handlung oder Unterlassung die Bwin eine Sorgfaltswidrigkeit begangen haben soll. Mit der Umschreibung, die Bwin habe es als Hundehalterin zu vertreten, dass sie der Aufsichtspflicht über den in ihrer Obhut befindlichen Hund nicht nachgekommen ist, sodass dieser den Hund von Frau W attackierte und Frau W anstieß, hat die belangte Behörde keine Aussage darüber getroffen, wodurch die Bwin der Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sei und somit gegen § 5 Abs 1 Oö. PolStG verstoßen haben soll. Der unzureichend konkretisierte Tatvorwurf der belangten Behörde geht daher gemessen am gesetzlichen Wortlaut ins Leere.

 

4.4. Aber auch wenn man von den Spruchmängeln absieht, erachtet es der Oö. Verwaltungssenat bei den im vorliegenden Fall objektivierbaren Sachverhaltsmerkmalen im Zweifel für nicht erwiesen, dass von einer Gefährdung der Frau W ausgegangen werden konnte.

 

Nach der Aktenlage ist davon auszugehen, dass der Golden Retriever der Bwin, welche Rasse eher als gutmütig bekannt ist, den kleinen Hund von Frau W verfolgte, so dass die beiden Hunde um Frau W herumliefen. Dabei handelt es sich noch nicht um eine für Hundehalter ungewöhnliche Situation. Der Hund von Frau W wurde tatsächlich auch nicht verletzt. Frau W selbst behauptete zwar Schmerzen im linken Knie durch Anstoßen des Retrievers, begab sich aber nicht einmal in ärztliche Behandlung. Da keinerlei Verletzungen oder sonstige Schäden objektivierbar sind, erscheint es dem erkennenden Verwaltungssenat sehr fraglich, ob das Nachlaufen des Golden Retrievers - auch wenn er dabei Frau W angestoßen haben mag - über das Maß der Unzumutbarkeit hinausgegangen ist. Von erfahrenen Hundehaltern wird man eher annehmen müssen, dass sie solche harmlosen Situationen beherrschen können.

 

5. Im Ergebnis war aus all diesen Gründen das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und 3 VStG einzustellen. Bei diesem Ergebnis entfällt gemäß § 66 Abs 1 VStG die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
 
 

Dr. W e i ß