Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-102734/5/Br

Linz, 11.05.1995

VwSen-102734/5/Br Linz, am 11. Mai 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Frau M P, B vertreten durch Dr. P W und Dr. P H, Rechtsanwälte, H, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 9. März 1995, Zl.:

VU/P/5488/93, nach der am 11. Mai 1995 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und Verkündung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 866/1992 - AVG, iVm. § 19, § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 666/1993 - VStG.

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis vom 9. März 1995, Zl.:

VU/P/5488/93, wider die Berufungswerberin je zwei Geldstrafen von 500 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit je 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil sie am 10. November 1993 um 18.30 Uhr in L, auf der H, von der Bkommend, Krzg. mit der P, diese in Rtg.

Wr. Str. überquerend es als Lenkerin des Fahrrades (Torino-rot) nach einem Verkehrsunfall mit dem ihr Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, unterlassen habe 1.) an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken, indem sie, obwohl es sich um einen Unfall mit Personenschaden handelte, bei dem es zu einer amtlichen Aufnahme des Sachverhaltes durch Organe d. öffentlichen Aufsicht zu kommen gehabt hätte, die Unfallsstelle vor der amtlichen Aufnahme mit ihrem Fahrrad verlassen gehabt habe und es 2.) unterlassen habe diesen Verkehrsunfall mit Personenschaden sofort der nächsten Sicherheitsdienststelle zu melden.

1.1. Begründend führt die Erstbehörde aus wie folgt:

" Begründung zu VU/P/5488/93:

Die Tatbestände der der Beschuldigten zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen sind durch die Verkehrsunfallsanzeige vom 15.11.1993, sowie durch das behördlich durchgeführte Ermittlungsverfahren einwandfrei erwiesen.

Demnach steht fest, daß die Beschuldigte am 10.11.1993 als Lenkerin ihres Fahrrades, die im umseitigen Spruch detailliert angeführten Verwaltungsübertretungen begangen hat.

Wegen dieser Übertretungen wurde die Beschuldigte mit Strafverfügung vom 3.3.1994 mit einer Geldstrafe in der Gesamthöhe von S 1.000,-- bestraft, wogegen sie innerhalb offener Frist Einspruch einbrachte.

Im weiteren Verfahren gab die Beschuldigte an, sofort nach dem Unfall, am 10.11.1993 das Wachzimmer B kontaktiert und dort den Vorfall gemeldet zu haben. Die Meldung des Unfalles sei spätestens eine halbe Stunde nach dem Vorfall erfolgt.

Noch am selben Abend sei sie von einem Polizeibeamten des Wachzimmers B zurückgerufen worden, ebenso hätte sie derselbe Beamte am nächsten Tag noch einmal angerufen und hätte sie angewiesen, diesen Vorfall beim Unfallkommando zu melden. Nach Vorhalt der Zeugenaussagen, der im gegenständlichen Zeitraum diensthabenden SWB des Wachzimmers B gab die Beschuldigte an, daß sie bei ihren Angaben bleiben würde und führte noch aus, daß der Zeuge Insp. P ausgesagt hätte, daß er erstmals mit ihr im Mai oder Juni 1994 telefonischen Kontakt gehabt hätte. Die Beschuldigte schloß nun daraus, daß sie ja keinen Grund gehabt hätte, sich nochmals nach jenem Beamten zu erkundigen, mit dem sie kurz nach dem Unfall telefoniert hätte, wenn sie nicht schon kurz nach dem Unfallszeitpunkt angerufen hätte.

Dem gegenüber steht das Erhebungsergebnis der Behörde und es wird dazu festgestellt:

Unbestritten bleibt, daß die Beschuldigte als Lenkerin ihres Fahrrades am 10.11.1993, 18.30 Uhr zu Sturz gekommen sei, wobei ihr Sohn P Robert, welcher am Kindersitz mitfuhr, verletzt wurde. Laut Verkehrsunfallanzeige des VUK der BPD LINZ vom 15.11.1993 sei die Beschuldigte am 12.11.1993 um 15.0,5 Uhr zum VUK gekommen und hätte den Unfall angezeigt.

Zur Begründung ihrer verspäteten Meldung, hätte sie angegeben, daß sie den Unfall erst am 12.11.1993 melden hätte können, weil ihre Kinder erkrankt gewesen seien und sie keine Möglichkeit gehabt hätte, früher zum VUK zu kommen. Hier scheint nichts darüber auf, daß die Beschuldigte den Unfall bereits am Wachzimmer B gemeldet hätte. In der Ersteinvernahme vor dem VUK der BPD LINZ am 12.11.1993 gab die Beschuldigte ebenfalls nichts darüber an, daß sie den Unfall kurze Zeit später am Wachzimmer B gemeldet hätte.

Erst im weiteren Verfahren, zwischenzeitig rechtsfreundlich vertreten, taucht nun erstmals die Behauptung auf, den Unfall sofort am 10.11.1993 im Wachzimmer B gemeldet zu haben.

Aufgrund des Vorbringens der Beschuldigten wurden nun die Polizeibeamten der Dienstgruppe Al des Wachzimmers B niederschriftlich als Zeugen im Verwaltungsstrafverfahren einvernommen. Diese, Insp. W, Insp. E, GI L, Insp. P gaben nun klar, im wesentlichen übereinstimmend und widerspruchsfrei an, daß sie im verfahrensgegenständlichen Zeitraum mit Sicherheit mit einer Frau P wegen des gegenständlichen Unfalles keinerlei telefonischen Kontakt gehabt hätten. Ebensowenig hätten sie eine Frau P während ihres Dienstes zurückgerufen. Ebensowenig hätten sie eine Frau P am nächsten Tag zurückgerufen, da sie sich an diesem nächsten Tag bereits in ihrer Freizeit befunden hätten.

Insp. P führte noch aus, daß er das erste Mal mit einer Frau P, im Mai oder Juni 1994 telefonisch Kontakt gehabt hätte, da diese ihn während seines Nachtdienstes angerufen hätte und von ihm den Namen jenes Beamten wissen hätte wollen, der mit ihr nach dem Unfall im November gesprochen hätte. Dies sei vom VUK von ihr so verlangt worden. Bei diesem Gespräch hätte sie ihm auch erzählt, daß sie beschuldigt sein würde, einen Unfall mit Personenschaden nicht sofort gemeldet zu haben.

Die Behörde konnte nun keine Veranlassung sehen, die klaren, übereinstimmenden und in sich widerspruchsfreien Angaben der Zeugen in Zweifel zu ziehen, zumal die Behauptung, den Unfall sofort gemeldet zu haben, erst sehr spät im Verfahren aufgestellt wurde - womit die Behörde die Angaben der Beschuldigten nur als Schutzbehauptung werten konnte. Was nun die Angaben in der Stellungnahme der Beschuldigten vom 21.10.1994 betrifft, so kann sich die Behörde schon einen Grund vorstellen, warum die Beschuldigte im Mai oder Juni 1994 sich nach einem Beamten erkundigt hätte, mit dem sie nach dem Unfall gesprochen hätte zu diesem Zeitpunkt wußte die Beschuldigte ja bereits von den ihr vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen, wobei sie nun versuchte offensichtlich eine Handlung zu setzen, welche ihre Glaubwürdigkeit steigern sollte.

Gemäß § 4/lc StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH besteht die Verpflichtung nach § 4/lc StVO nur dann, wenn unter anderem eine Verständigungspflicht nach § 4 Abs. 2 StVO besteht.

Gemäß § 4 Abs. 2 StVO haben die im § 4 Abs. 1 StVO genannten Personen, wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt wurden, sofort die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen.

Daß die Beschuldigte diesen ihr durch die StVO auferlegten Pflichten nicht nachkam, läßt sich daraus ersehen, daß für die Behörde erwiesen ist, daß die Beschuldigte diesen Unfall mit Personenschaden erst nach einem Zeitraum von über 40 Stunden der Polizei meldete.

Aufgrund Vorgesagtem sind die Angaben der Beschuldigten somit nicht geeignet, das Vorliegen der Tatbestände in Zweifel zu ziehen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Straferschwerend war nichts zu werten, der Strafmilderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit konnte der Beschuldigten zugute kommen.

Die verhängten Geldstrafen sind somit durchaus schuldangemessen, dem Unrechtsgehalt der Taten angepaßt und scheinen der Behörde geeignet, die Beschuldigte in Hinkunft von der Begehung gleicher oder ähnlicher Übertretungen abzuhalten - hierzu wird bemerkt, daß diese auch durchaus milde bemessen sind, da die Behörde in beiden Fällen die gesetzlich vorgesehene Mindeststrafe in der Höhe von S 500,-- verhängte (§ 99/2a StVO sieht eine Mindeststrafe von S 500,--- und eine Höchststrafe von S 30.000,-- vor).

Die persönlichen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse konnten bei der Strafbemessung nur insoweit Berücksichtigung finden, als die Behörde annehmen mußte, daß die Beschuldigte als Hausfrau über kein eigenes Einkommen verfügt, ohne nennenswertes Vermögen ist und sie zumindest für ihren Sohn P Robert als ledige Mutter die Sorgepflicht trifft. Angaben darüber wurden von ihr trotz mehrmaliger Aufforderung dazu, nicht gemacht.

2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung führt die Berufungswerberin durch ihre ausgewiesenen Rechtsvertreter folgendes aus:

"In umseits näher bezeichneter Rechtssache erstattet Frau Michaela P durch ihren ausgewiesenen Vertreter gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 9.3.1995, in der Kanzlei zugestellt am 17.3.1995, binnen offener Frist nachfolgende B E R U F U N G Mit dem angefochtenen Straferkenntnis vom 9.3.1995 wurde Frau P für schuldig erkannt, sie habe am 10.11.1993 um ca.

18,30 Uhr in L auf der H von der B kommend als Lenkerin eines Fahrrades nach einem Verkehrsunfall mit dem ihr Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang stand, unterlassen, 1.) an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken, indem sie, obwohl es sich um einen Verkehrsunfall mit Personenschaden gehandelt habe, bei dem es zu einer amtlichen Aufnahme des Tatbestandes durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu kommen habe, die Verkehrsunfallstelle vor der amtlichen Aufnahme mit ihrem Fahrrad verlassen habe und habe sie es 2.) unterlassen diesen Verkehrsunfall mit Personenschaden sofort der nächsten Sicherheitsdienststelle zu melden.

Sie habe dadurch gegen S 4/1 lit.c StVO und S 4/2 StVO verstoßen. Über sie wurde eine Geldstrafe von insgesamt S 1.000,-- und im Falle der Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe von 48 Stunden gemäß S 99/2 lit.a StVO verhängt. Ferner habe sie gemäß S 64 VStG iVm. S 5/9 StVO S 100,- als Beitrag des Strafverfahrens zu bezahlen, weshalb der zu zahlende Gesamtbetrag daher S 1.100,-- betrage.

In der Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, daß die der Beschuldigten zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen durch das behördlich durchgeführte Ermittlungsverfahren einwandfrei erwiesen wären. Die Beschuldigte sei am 12.11.1993 um 15,05 Uhr zum VUK gekommen und hätte den Unfall angezeigt. Zur Begründung ihrer verspäteten Meldung hätte sie angegeben, daß sie den Unfall erst am 12.11.1993 melden hätte können, weil ihre Kinder krank gewesen seien.

In der Ersteinvernahme vor dem VUK habe die Beschuldigte nichts darüber angegeben, daß sie den Unfall kurze Zeit später bereits am Wachzimmer B gemeldet hätte. Die diensthabenden Inspektoren im Wachzimmer Bulgariplatz, Insp.

W, Insp. E, Gruppeninspektor L, Insp.P hätten klar und im wesentlichen übereinstimmend und widerspruchsfrei angegeben, daß sie im verfahrensgegenständlichen Zeitraum mit Sicherheit mit Frau P wegen des gegenständlichen Unfalles keinerlei telefonischen Kontakt gehabt hätten. Die Behörde hätte daher keinen Grund gehabt an den widerspruchsfreien Angaben der Zeugen zu zweifeln, zumal die Behauptung, daß Frau P den Unfall sofort gemeldet hätte, erst sehr spät im Verfahren aufgestellt worden wäre, weshalb die Behörde diese Angaben von Frau P nur als Schutzbehauptung werten hätte können. Die Beschuldigte sei daher ihren Pflichten nach § 4 StVO nicht nachgekommen, da für die Behörde erwiesen sei, daß die Beschuldigte diesen Unfall mit Personenschaden erst nach einem Zeitraum von 40 Stunden der Polizei gemeldet hätte.

Das Straferkenntnis ist unrichtig. Das Verfahren erster Instanz leidet unter Mangelhaftigkeit und unter unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Die Erstbehörde hat sich mit dem Sachverhalt nicht ausreichend auseinandergesetzt. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird im wesentlichen auf das bisher Vorgebrachte in den Stellungnahmen, insbesondere in den Stellungnahmen vom 20.6.1994 und 21.10.1994 verwiesen.

Es steht außer Zweifel, daß Frau P sofort nach dem Unfall das Wachzimmer B kontaktiert hat und dort den Vorfall gemeldet hat. Sie ist zuerst mit ihrem Kind nach Hause gefahren und hat erst zu Hause gemerkt, daß ihr Kind verletzt ist. Die Meldung des Verkehrsunfalles mit Personenschaden erfolgte daher spätestens eine halbe Stunde nach dem Vorfall, jedenfalls unverzüglich nach Kenntnisnahme des Personenschadens. Noch am selben Abend wurde Frau P von Polizeibeamten des Wachzimmers B telefonisch wegen der Unfallstelle befragt. Am nächsten Tag, dem 11.11.1993, hat dann der selbe Polizeibeamte noch einmal angerufen und ihr erklärt, daß der Vorfall beim VUK zu melden wäre. Daraufhin ist Frau P am nächsten Tag um ca. 15,00 Uhr zum VUK gefahren und hat dort den Unfall angezeigt. Frau P hat zum damaligen Zeitpunkt keinen Grund gehabt, daß sie vom VUK protokollieren hätte müssen, daß sie den Unfall schon längst dem Wachzimmer B gemeldet hat. Sie ist ja aufgrund der Empfehlung des Wachzimmers Bulgariplatz zum VUK gegangen und hat sie deshalb annehmen müssen, daß diese Tatsache dem VUK ohnehin bekannt sei. Der Vorwurf, Frau P würde sich mit Schutzbehauptungen rechtfertigen, ist daher verfehlt. Die Behauptung von Frau P, daß der Unfall sofort gemeldet worden wäre, ist daher nicht erst spät im Verfahren erfolgt, diese Behauptung ist dann erfolgt, als Frau P genötigt war diese Aussage zu treffen, nämlich nach der Strafverfügung. Vorher durfte sie mit gutem Glauben annehmen, daß diese Tatsache dem VUK bekannt war. Wenn Frau P nicht schon zum Unfallzeitpunkt angerufen hätte, hätte sie ja keinen Grund gehabt sich nochmals im Mai 1994 nach Herrn Insp. P zu erkundigen, mit dem sie ja kurz nach dem Unfall telefoniert hatte. Darin ist ein Begründungsmangel der Behörde zu sehen.

Die Angaben des Insp. P sind auch Beweis dafür, daß das Wachzimmer B offensichtlich keine Aufzeichnungen über Telefonate führt, da er angegeben hat, daß er im Mai oder Juni 1994 mit Frau P telefoniert habe. Er kann den Zeitraum also nur auf zwei Monate einschränken und kann kein bestimmtes Datum nennen. Wie soll dann ein Polizeibeamter des Wachzimmers B sich an ein Telefonat am 10.11.1993 erinnern, wenn keine Telefonaufzeichnungen geführt werden.

Da die Behörde dem nicht nachgegangen ist, liegt sowohl ein Begründungs-, als auch ein Verfahrensmangel vor.

Zusammenfassend ist jedoch diesbezüglich festzuhalten, daß im Wachzimmer B eine gewisse Hektik im Betrieb vorhanden ist und es der Dienstbetrieb offensichtlich nicht zuläßt, die einzelnen geführten Telefonate schriftlich aufzuzeichnen.

Diese oben genannten Fakten sind jedoch Beweis dafür, daß die Version von Frau P stimmt und ist jedenfalls im Zweifel für die Beschuldigte zu entscheiden.

Es wird daher gestellt der A N T R A G Auf Einstellung des Verwaltungsstrafverfahren.

L, 1995-03-21 Michaela P" 3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Da jeweils keine 10.000 S übersteigenden Strafen verhängt worden sind, ist der Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Mitglied zur Entscheidung berufen. Weil die Berufungswerberin die Übertretungen dem Grunde nach bestreitet, war eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen (§ 51e Abs.1 VStG).

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Linz, Zl:

VU/P/5488/93/G, die Vernehmung der Berufungswerberin als Beschuldigte im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung und der Einsichtnahme in die von der Berufungswerberin vorgelegte Bestätigung ihres Hausarztes (Beil.\1).

4. Nachfolgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt steht fest:

4.1. Die Berufungswerberin war am 10. November 1993 um 18.30 Uhr mit ihrem Fahrrad, auf welchem sie ihren damals zweijährigen Sohn mitführte, im Bereich der Kreuzung H P unterwegs. Aufgrund einer mangelhaften Beschaffenheit der Fahrbahn kam sie zu Sturz. Vorerst bemerkte sie die geringfügige Verletzung ihres Kindes nicht und begab sich mit dem Kind nach Hause. Dort stellte sie eine leichte Abschürfung am Gesicht ihres Kindes fest. Unmittelbar danach verständigte sie fernmündlich einen Beamten des Wachzimmers B von diesem Vorfall. Von diesem wurde der Berufungswerberin mitgeteilt, daß man sich die Unfallstelle ansehen würde.

Nach etwa einer dreiviertel Stunde wurde sie von diesem Beamten zurückgerufen und ihr mitgeteilt, daß die Sturzursache in diesem Straßenbereich nicht gefunden werden habe können. Am nächsten Tag begab sich die Berufungswerberin mit ihrem Kind zum Arzt, wobei ihr dieser mitteilte, daß er diesen Vorfall anzeigen müsse. Sie erklärte dem Arzt gegenüber die Polizei hiervon verständigt zu haben.

Dieses Beweisergebnis stützt sich auf die glaubwürdigen und den Denkgesetzen entsprechenden Angaben der Berufungswerberin. Aus der nunmehr eingeholten ärztlichen Bestätigung ergibt sich, daß sie dem Arzt erzählt gehabt habe, daß sie am Unfallstag die Polizei von diesem Vorfall verständigte. Dies hätte sie wohl dem Arzt nicht erzählt, wäre es nicht tatsächlich so gewesen. An der Richtigkeit der ärztlichen Angabe ist in diesem Zusammenhang wohl nicht zu zweifeln. Wenn sich ein Sicherheitswachebeamter anläßlich seiner viel späteren Befragung durch die Erstbehörde an diesen Anruf nicht mehr zu erinnern vermochte, ist dies weiter nicht verwunderlich, zumal auf einem Wachzimmer unzählige Anrufe entgegengenommen werden. Ein derartiger Vorfall bzw. Anruf ist im Bereich der Polizei wohl wirklich nur ein "unbedeutender Fall", welcher sicher schnell in Vergessenheit gerät.

5. Rechtlich hat der O.ö. Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Zutreffend führt die Erstbehörde rechtlich aus, daß bei einem Verkehrsunfall anläßlich welchen Personen verletzt wurden, die im § 4 Abs.1 StVO 1960 (alle Personen deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht) genannten Personen u.a.

auch die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen haben....

5.2. Zutreffend ist auch, daß nach Abs.1 lit.c und Abs.2 leg. cit. an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken ist und wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden sind, die im Abs. 1 genannten Personen Hilfe zu leisten haben; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen. Ferner haben sie die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen......

5.2.1. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geht zutreffend auch dahin, daß ein nicht offenbar unbegründeter Verdacht, daß eine andere Person verletzt worden sein könnte, genügt, um die Meldepflicht auszulösen (vgl. u.a.

VwGH vom 22.3.1991, 90/18/0266). Es kommt auch nicht auf den Grad der Verletzung an, auch nicht nennenswerte Verletzungen lösen die Verständigungspflicht nach § 4 Abs.2 aus (VwGH 27.4.1984, 83/02/0392 = ZfVB 1984/6/3415; 20.4.1988, 87/02/0118 = ZfVB 1989/1/152). Kommt bei einem Verkehrsunfall ein Radfahrer zu Sturz, muß mit Verletzungen gerechnet werden, auch wenn solche nicht äußerlich erkennbar sind (VwGH 25.11.1985, 85/02/0208 = ZfVB 1986/3/1349).

5.2.2. Dies besagt jedoch nicht, daß eine Verletzung einer Person (mit Ausnahme seiner selbst) als solche unter allen Umständen erkannt werden müßte. Hier war dies möglicherweise auch wegen des "erschütterten Zustandes" nach einen derartigen Sturz - nicht der Fall. Es könnte demnach bei dieser Fallkonstellation ohnehin dahingestellt bleiben, ob es (auch) als Verschulden zu werten ist oder ob die Mitnahme des (wie sich zu Hause herausstellte) leicht verletzten Kleinkindes nach Hause der Hilfeleistungsverpflichtung nicht näher kommt, als mit dem Kleinkind auf der Unfallstelle zuzuwarten. Nachdem diese Verletzung nicht sogleich erkannt wurde, war mit der fernmündlichen Verständigung der Polizeidienststelle in dieser Situation der gesetzlichen Verpflichtung genüge getan worden.

5.2.3. Auch im Verwaltungsstrafrecht ist nur ein schuldhaftes Verhalten strafbar (VwGH 13.5.1987, 85/18/0067). Würde davon ausgegangen, daß die Berufungswerberin sich objektiv nicht im Sinne der hier sehr stringenten Bestimmung der StVO verhalten hätte, so wäre im Rahmen der Verschuldensprüfung die Frage der Zumutbarkeit oder der Voraussetzungen nach § 6 VStG einer Klärung zuzuführen.

5.2.4. Eine Tat ist nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbesand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

5.3. Betreffend des Ausmaßes der objektiven Sorgfaltspflicht ist es gesicherte Rechtsansicht (s E Slg. 9710 A und 28.10.1980, 2244/80), daß der hiefür geltende Maßstab ein objektiv-normativer ist. Maßfigur ist der einsichtige und besonnene Mensch, den man sich in die Lage des Täters versetzt zu denken hat. Objektiv sorgfaltswidrig hat der Täter folglich nur dann gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch des Verkehrskreises, dem der Handelnde angehört, an seiner Stelle sich anders verhalten hätte (VwGH 12.6.1989, 88/10/0169). Die Maßfigur muß angesichts dieser rechtsdogmatischen Prinzipien jede andere Mutter in die Lage der Berufungswerberin gedacht werden. Jedes andere Verhalten, als eines welches aus ihrer Sicht eine maximale Versorgung ihres zweijährigen Kindes erwarten läßt, ist daher nicht zu erwarten. Man würde daher jedes Ausmaß an die objektive Sorgfaltspflicht überspannen, würde man der Berufungswerberin zumuten wollen, daß sie nach dem Sturz mit ihrem Fahrrad an welchem außer ihr und ihrem Kind niemand beteiligt war, an der Unfallstelle zu verbleiben und das Eintreffen der Polizei - welche wohl nur von Dritten verständigt werden hätte können - vor Ort abzuwarten. Eine Entfernung von der Unfallstelle würde im Sinne des § 6 VStG in dieser Situation wohl auch gerechtfertigt erachtet werden können. Nur ein solches Verhalten, welches die Rechtsordnung nach den gesamten Umständen des Falles vernünftigerweise auferlegen darf, machen das Wesen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit aus (vgl. abermals VwGH 12.6.1989, 88/10/0169). Das Verlassen der Unfallstelle wäre wohl daher selbst bei Erkennen der Verletzung ihres Kindes ihr nicht als "Schuld" vorzuwerfen gewesen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum