Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-400705/4/Gf/Pe

Linz, 18.11.2004

VwSen-400705/4/Gf/Pe Linz, am 18. November 2004

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Beschwerde des N I, vertreten durch RA Dr. W, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck, zu Recht erkannt:

  1. Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft nicht mehr vorliegen.
  2. Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) hat dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von insgesamt 673,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage:

Art. 5 Abs. 1 und 4 EMRK i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG und § 73 Abs. 4 FrG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 11. November 2004, Zl. Sich40-2691-2004, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen mazedonischen Staatsangehörigen, zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum Linz sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass er bereits im Jahr 2000 in der BRD und später im Jahr 2004 in Belgien einen Asylantrag gestellt habe, der jedoch jeweils abgewiesen worden sei. Darauf hin sei er in seine Heimat zurückgekehrt, von dort aus über Kroatien am 1. Oktober 2004 illegal ins Bundesgebiet eingereist und schließlich zur Erstaufnahmestelle St. Georgen i.A. gelangt. Noch am selben Tag habe er einen Asylantrag gestellt. Dieser sei mit dem dem Beschwerdeführer am 11. November 2004 zugestellten, sofort vollstreckbaren Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. November 2004, Zl. 0420110, mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen worden, dass zu dessen Prüfung nach EU-rechtlichen Vorschriften der Staat Belgien zuständig sei; da die belgischen Behörden dem Ersuchen um Wiederaufnahme bereits zugestimmt hätten, sei er unter einem bescheidmäßig ausgewiesen worden.

Da er völlig mittellos und auf Grund seines bisherigen Verhaltens zu befürchten gewesen sei, dass er sich dem weiteren Zugriff der Behörde zu entziehen versuchen werde, sei sohin zur Sicherung der Ausweisung im Wege der Abschiebung die Schubhaft zu verhängen gewesen.

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am 11. November 2004 per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingelangte Beschwerde.

Darin bringt der Rechtsmittelwerber im Wesentlichen vor, dass er keineswegs völlig mittellos sei, sondern ihm eine Unterkunft in der Bundesbetreuungsstelle Thalham zugewiesen und diese von ihm bis zu seiner Festnahme auch tatsächlich in Anspruch genommen worden sei. Außerdem habe sich ein Landsmann angeboten, ihn finanziell zu unterstützen und auch eine dementsprechende Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen. Da es zudem keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass sich der Beschwerdeführer der zwangsweisen Abschiebung widersetzen werde - schließlich sei er sowohl aus der BRD als auch aus Belgien nach dem negativen Abschluss seiner Asylverfahren jeweils freiwillig wieder in seinen Heimatstaat zurückgekehrt -, hätte die belangte Behörde anstelle der Inschubhaftnahme gelindere Mittel anzuwenden gehabt.

Aus allen diesen Gründen wird die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung beantragt.

1.3. Die belangte Behörde hat den Bezug habenden Akt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Zudem wurde darauf hingewiesen, dass einerseits weder eine Verpflichtungserklärung eines Landsmannes des Rechtsmittelwerbers vorliege und andererseits dessen Überstellung nach Belgien für den 22. November 2004 auf dem Luftweg vorgesehen sei.

2. Über die vorliegende Beschwerde hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

2.1. Nach § 72 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl.Nr. I 75/1997, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 126/2002 (im Folgenden: FrG), hat u.a. derjenige, der unter Berufung auf das FrG angehalten wird, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit dieser Anhaltung anzurufen.

Gemäß § 61 Abs. 1 FrG können Fremde u.a. dann in Schubhaft angehalten werden, sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bzw. die Abschiebung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf eine Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie sich diesem Verfahren entziehen werden.

Daraus folgt umgekehrt, dass ein Fremder, der sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhält, auch dann in Schubhaft genommen werden kann, wenn es für die Behörde als plausibel erscheint, dass dieser - im nunmehrigen Wissen um die zu erwartenden fremdenpolizeilichen Zwangsmaßnahmen - versuchen könnte, sich dem weiteren Verfahren zu entziehen oder dieses zumindest zu erschweren, und darüber hinaus die Voraussetzungen des § 66 FrG (gelindere Mittel) nicht vorliegen.

2.2. Nach § 34b Abs. 2 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 76/1997, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG), ist das FrG auch auf Asylwerber, über die eine Schubhaft verhängt worden ist, anzuwenden.

Gemäß § 34b Abs. 1 Z. 2 AsylG kann die Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber die Schubhaft u.a. dann verhängen, wenn gegen diesen eine - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung nach § 5a Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 AsylG erlassen wurde. Dies deshalb, weil in diesem Zusammenhang § 5a Abs. 1 zweiter Satz AsylG den Grundsatz festlegt(e), dass eine derartige Ausweisung unmittelbar mit ihrer Erlassung durchsetzbar ist (war).

Die Zulässigkeit der Schubhaftverhängung gegen einen Asylwerber ist (war) demnach bloß an die formale Voraussetzung geknüpft, dass gegen diesen zuvor ein - mangels aufschiebender Wirkung einer allfälligen Berufung sofort vollstreckbarer - Ausweisungsbescheid erlassen worden ist (war).

2.3. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2004, G 237/03 u.a., wurde unter anderem der zweite Satz des § 5a Abs. 1 AsylG aufgehoben; in dieser Entscheidung sprach der VfGH u.a. weiters aus, dass § 5a Abs. 1 zweiter Satz AsylG nicht mehr anzuwenden ist (vgl Spruchpunkt II.2.). Daraus und im Zusammenhang mit Art. 140 Abs. 5 dritter Satz B-VG sowie mit Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG folgt insgesamt, dass die Aufhebung am Tag ihrer Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft tritt und somit (erst) von diesem Zeitpunkt an § 5a Abs. 1 zweiter Satz AsylG auch für alle vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist.

Da trotz der verfassungsmäßigen Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt (vgl. Art. 140 Abs. 5 erster Satz B-VG) eine solche bis dato noch nicht erfolgt ist, ergibt sich daraus für den vorliegenden Fall, dass § 5a Abs. 1 zweiter Satz AsylG noch anzuwenden wäre.

2.4 Aus Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz lit. f EMRK folgt, dass die Freiheit einem Menschen u.a. nur dann - und mit Blick auf § 5a Abs. 1 zweiter Satz AsylG: auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise - entzogen werden darf, wenn er in Haft gehalten wird, weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungsverfahren betroffen ist. Dem entsprechend hat nach Art. 5 Abs. 4 EMRK jedermann, dem seine Freiheit durch Haft entzogen wird, das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht ehetunlich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird.

Dieser primär im angelsächsischen Rechtskreis - nämlich auf dem "habeas-corpus"-Gedanken (vgl. z.B. Stanley de Smith - Rodney Brazier, Constitutional and Administrative Law, 6th ed., London 1989, 471 ff) - fußenden Konventionsbestimmung, die in Österreich ebenfalls im Verfassungsrang steht, liegt erkennbar ein prinzipieller Vorrang der materiellen vor einer formalistischen Betrachtungsweise zu Grunde, und zwar so, dass das Gericht die Freiheitsbeeinträchtigung jedenfalls dann zu beenden hat, wenn diese nach richterlichem Ermessen (im Sinne von René Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, Wien 1957, 274 ff) nicht (mehr länger) zu rechtfertigen ist.

In diesem Sinne und insoweit derogiert daher Art. 5 Abs. 1 und 4 EMRK der Anordnung des Art. 140 Abs. 5 und 7 B-VG.

2.5. Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass der Beschwerdeführer ausschließlich auf Grund einer Bestimmung angehalten wird - nämlich letztlich des § 5a Abs. 1 zweiter Satz AsylG -, hinsichtlich der zum h. Entscheidungszeitpunkt bereits klar ist, dass sie inhaltlich verfassungswidrig ist; lediglich die formelle (technisch-organisatorische) Umsetzung dieser Verfassungswidrigkeit, sprich: deren Kundmachung, steht derzeit noch aus, ist aber gleichsam täglich zu erwarten - und zwar mit der Wirkung, dass diese Bestimmung dann auch auf die vor (der Kundmachung) ihrer Aufhebung verwirklichten Sachverhalte nicht mehr anzuwenden ist.

Unabhängig davon, auf welche Weise dem für die Entscheidung nach Art. 5 Abs. 4 EMRK zuständigen Tribunal die Umstände der Aufhebung der die Schubhaft tragenden Rechtsgrundlage bekannt geworden sind - hier: durch entsprechende Zeitungsmeldungen und schließlich durch Verlautbarung der Entscheidung auf der Homepage des Verfassungsgerichtshofes, nachdem das Erkenntnis bereits am 15. Oktober 2004 öffentlich verkündet worden war (vgl. S. 4 d. Erk., wobei in diesem Zusammenhang auch unerheblich ist, dass dessen schriftliche Ausfertigung und Zustellung wegen seines außergewöhnlichen Umfanges [236 Seiten] naturgemäß eine gewisse Zeitdauer in Anspruch nimmt, und schließlich auch die Frage, ob eine entsprechende Kundmachung im Bundesgesetzblatt schon auf Grund der Verkündung hätte erfolgen können [müssen], auf sich beruhen kann) -, ist bei einer materiellen Betrachtungsweise im zuvor dargestellten Sinn eine Prolongation des Freiheitseingriffes jedenfalls nicht mehr zu rechtfertigen.

2.6. Allenfalls ist noch nachvollziehbar, dass die belangte Behörde, der keine Tribunalqualität i.S.d. Art. 5 Abs. 4 EMRK zukommt, in Unkenntnis der Aufhebung des § 5a Abs. 1 zweiter Satz AsylG im Zuge der Schubhaftverhängung berechtigterweise davon ausgehen konnte, dass der Rechtsmittelwerber versuchen wird, im nunmehrigen Wissen um die zu erwartenden Zwangsmaßnahmen sich diesen zu entziehen oder diese zumindest zu erschweren; von daher besehen war ihre Prognose zumindest nicht unvertretbar, weil keineswegs eine Gewähr dafür bestand, dass er auch in dem Fall, dass er in einen Staat abgeschoben werden wird, in dem sein Asylantrag schon zuvor bereits negativ entschieden wurde (Belgien), freiwillig in seinen Heimatstaat zurückkehrt.

2.7. All dies berücksichtigend war daher der gegenständlichen Beschwerde gemäß Art. 5 Abs. 1 und 4 EMRK i.V.m. § 67c Abs. 3 AVG insoweit stattzugeben, als nach § 73 Abs. 4 FrG festzustellen war, dass jedenfalls die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.

3. Bei diesem Verfahrensergebnis waren dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-AufwandsersatzV, BGBl. Nr. II 334/2003, Kosten in Höhe von insgesamt 673,80 Euro (Stempelgebühren: 13,00 Euro; Schriftsatzaufwand: 660,80 Euro) zuzusprechen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

  1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
  2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 13 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

Dr. G r o f

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