Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-400758/4/WEI/An

Linz, 10.01.2006

 

 

 

VwSen-400758/4/WEI/An Linz, am 10. Jänner 2006

DVR.0690392

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über den Antrag des A B, Staatsangehöriger des K M, vertreten durch Mag. Dr. W F, Mag. Dr. B G, Mag. U N-K, Rechtsanwälte in L, G, vom 28. Dezember 2005 auf Wiederaufnahme des mit h. Erkenntnis vom 6. Oktober 2005, Zl. VwSen-400730/7/WEI/An, entschiedenen Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheids (Spruchpunkt II) vom 8. August 2005, Zl. Sich40-8031, und Anhaltung in Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft Schärding zu Recht erkannt:

 

 

Der Wiederaufnahmeantrag wird als unbegründet abgewiesen.

 

Rechtsgrundlage:

§§ 69, 70 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG 1991.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Erkenntnis vom 6. Oktober 2005, Zl. VwSen-400730/7/WEI/An, hatte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich die am 25. August 2005 eingebrachte Beschwerde des Wiederaufnahmewerbers (im Folgenden kurz WAw) wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheids vom 8. August 2005 (Spruchpunkt II) und der Anhaltung in Schubhaft in der Zeit vom 12. bis 23. August 2005 als unbegründet abgewiesen. Der unabhängige Verwaltungssenat ging dabei auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde vom nachstehenden S a c h v e r h a l t aus:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (Bf), ein Staatsangehöriger des K M, hat laut Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung seit 1993 in Österreich gelebt und war immer wieder als Arbeiter bei verschiedenen Arbeitgebern gemeldet. Vor seiner Verhaftung am 3. Mai 2003 war er ohne Beschäftigung und bezog eine Sozialhilfe von 18 Euro täglich (vgl Urteil des LGfStr Wien vom 23.9.2003; Zl. 31 E Hv 128/03y). Seine Ehefrau und ein Kind, für die er sorgepflichtig ist, leben in M. Er hatte vom Magistrat Wien eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck mit Gültigkeit bis 30. Jänner 2003 erhalten und brachte zuletzt unter Vorlage seines Reisepasses einen Verlängerungsantrag am 3. Jänner 2003 ein, über den fremdenbehördlich offenbar nicht entschieden wurde. Seinen Hauptwohnsitz hatte er seit 30. Jänner 2003 vorübergehend nach M, P S in den Zuständigkeitsbereich der Bezirkshauptmannschaft S-U verlegt. Nach Mitteilung und Aktenübersendung der Bundespolizeidirektion Wien vom 25. Juli 2003, Zl. III-1083289/FrB/03, befand sich der Bf dann seit 4. Mai 2003 in der Justizanstalt Wien-Josefstadt in Untersuchungshaft. Nach Überstellung aus der Justizanstalt Wien/Josefstadt war der Bf seit 7. Oktober 2003 in der Justizanstalt Suben zwecks Verbüßung von Freiheitsstrafen auf Grund dreier Verurteilungen gemeldet. Das errechnete Strafhaftende wäre der 3. Februar 2006 gewesen. Für 12. August 2005 war eine bedingte Entlassung aus der Strafhaft vorgesehen.

 

Mit Spruchpunkt II des Bescheids der belangten Behörde vom 8. August 2005 wurde gegen den Bf die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung ab Beendigung der gerichtlichen Haft angeordnet. Die Polizeiinspektion Suben überstellte daraufhin den Bf im Auftrag der belangten Behörde nach Entlassung aus der Strafhaft am 12. August 2005 von der Justizanstalt Suben in das Polizeianhaltezentrum Wels zum Vollzug der Schubhaft. Mit dem per Telefax übermittelten Schreiben der belangten Behörde vom 23. August 2005 an das Polizeianhaltezentrum Wels wurde die Schubhaft aufgehoben und angeordnet, dass der Bf auf freien Fuß zu setzen ist.

 

1.2. Aus der Aktenlage sind folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen des Bf ersichtlich:

 

  1. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Oktober 2002, Zl. 34 Hv 101/02y-49, wurde der Bf wegen der Vergehen des teils vollendeten, teils versuchten schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 15 StGB, der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 StGB, der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs 1 StGB und des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs 3 StGB der Vollzug eines Teils der Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die Vorhaft (Untersuchungshaft) vom 16. Juni 2002 bis 8. Oktober 2002 wurde auf die Freiheitsstrafe angerechnet.

     

  2. Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 13. Dezember 2002, Zl. 38 Hv 1002/01i, wurde der Bf wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 1 und 15 Abs 1 StGB, und der Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 StGB, der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB, des Betrugs nach § 146 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Oktober 2002 zu einer auf drei Jahre bedingten Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von weiteren 9 Monaten verurteilt.

     

  3. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23. September 2003, Zl. 31 EHv 128/03y, wurde der Bf wegen der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des schweren Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs 1 Z 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt. Gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO wurden die (teil)bedingten Strafnachsichten der vorangegangenen Strafurteile im Ausmaß von 6 Monaten und 9 Monaten widerrufen.

 

Im Rahmen der Strafbemessung wird im oben zitierten 3. Urteil ausgeführt:

 

"Da die beiden Vorverurteilungen, welche im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB stehen und welchen ebenfalls erhebliche Gewalt- und Vermögensdelikte zugrunde lagen und auch die erlittene Haft auf den Beschuldigten keinerlei Eindruck gemacht hatten und er neuerlich in einer rücksichtslosen Art und Weise einschlägig rückfällig wurde, war die verhängte Freiheitsstrafe sowohl tat- als auch schuldangemessen sowie dem Unrechtsgehalt der Tat entsprechend.

Da der Beschuldigte, wie bereits ausgeführt, die ihm gebotene Resozialisierungschance völlig ungenützt gelassen hat und nach knapp mehr als einem halben Jahr neuerlich einschlägig rückfällig wurde, war der Widerruf der beiden bedingten Urteile zusätzlich zur neuerlichen Verurteilung in jedem Fall geboten, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten."

 

1.3. Mit Spruchpunkt I des Bescheids vom 8. August 2005, Zl. Sich 40-8031, hat die belangte Behörde gegen den Bf ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Gebiet der Republik Österreich erlassen und gleichzeitig die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen. Mit Spruchpunkt II wurde die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Diesen Bescheid übernahm der Bf am 9. August 2005 in der Justizanstalt Suben persönlich und bestätigte den Empfang mit seiner Unterschrift.

 

Begründend führt die belangte Behörde zutreffend aus, dass die unbedingten Freiheitsstrafen auf dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23. September 2003 beruhen. Weiters schildert sie den dieser Verurteilung zugrundeliegenden Vorfall näher, bei dem der alkoholisierte Bf in die Wohnung einer alten Frau einstieg, ihr gewaltsam den Mund zuhielt bis sie bewusstlos war, um sie am Schreien zu hindern, und danach aus einer Geldbörse 40 Euro Bargeld stahl.

 

Unter Hinweis auf § 36 Abs 1 und 2 Z 1 FrG 1997 ging die Fremdenbehörde davon aus, dass die Verurteilungen des Bf als bestimmte Tatsachen zu werten sind, die die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Bf im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Der vom Bf sinngemäß eingewandten Aufenthaltsverfestigung hielt die Fremdenbehörde den Tatbestand des § 35 Abs 3 Z 2 FrG 1997 entgegen, der auch eine Ausweisung erlauben würde, weil der Bf wegen einer im Verhältnis zu seinen Vorverurteilungen einschlägigen Vorsatztat zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist. Gründe für die Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach dem § 38 FrG 1997 wurden nicht festgestellt.

 

Zur Interessenabwägung nach § 37 Abs 2 FrG 1997 vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots schwerer wiegen als die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Bf und seiner Familie, zumal sich seine Gattin und sein Kind in M befinden und seine in Österreich lebenden Geschwister ihm schon früher aus dem "Strudel" hätten helfen können. Eine Ermessensentscheidung zugunsten des Bf habe die belangte Behörde nicht treffen können. Es läge die Vermutung nahe, dass der Bf auch in Zukunft strafgerichtliche Tatbestände in Form von Vermögensdelikten begehen werde, um so seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

 

Das Aufenthaltsverbot wäre auf unbestimmte Zeit auszusprechen gewesen, da der Bf massiv gegen die österreichische Rechtsordnung verstieß und nicht vorhergesehen werden könnte, wann der Grund der Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit wegfalle. Die sofortige Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme läge im Interesse der öffentlichen Ordnung und diene der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens. Der weitere Verbleib des Bf würde nach Ansicht der belangten Behörde in hohem Maße eine Störung der öffentlichen Ordnung und nationalen Sicherheit bedeuten.

 

Gegen das Aufenthaltsverbot haben die Rechtsvertreter des Bf rechtzeitig die Berufung vom 22. August 2005 an die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich eingebracht, über die noch nicht entschieden wurde.

 

1.4. Mit Schreiben vom 9. August 2005 an die Botschaft von M in Wien hat die belangte Behörde der Konsularabteilung den abgelaufenen Reisepass des Bf, 2 Farbfotos und ein Fingerabdruckblatt zur Kenntnis gebracht und gleichzeitig um Verlängerung der Gültigkeitsdauer oder um Ausstellung eines Heimreisezertifikates zwecks Abschiebung ersucht. Bereits am 11. August 2005 langte ein dreißig Tage lang gültiges Heimreisezertifikat der Botschaft des K M bei der belangten Behörde ein.

 

Mit Telefaxeingabe an das B, E-W, T, S. G, vom 19. August brachte der Bf durch seine Rechtsvertreter einen Asylantrag ohne weitere Begründung ein. Am 23. August 2005 fand die asylrechtliche Einvernahme vor dem B bei der Erstaufnahmestelle-West in S. G statt. Mit Schreiben vom 23. August 2005, Zl. 05 12.820-EAST West, erteilte das B der belangten Behörde die Information gemäß § 22 AsylG, wonach dem Bf eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 36b AsylG ausgestellt worden sei. Daraufhin wurde die Schubhaft aufgehoben.

 

2.1. Mit dem rechtsfreundlich eingebrachten Wiederaufnahmeantrag vom 28. Dezember 2005, eingelangt am 2. Jänner 2006, legt der WAw nunmehr die Berufungsentscheidung der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vom 21. Oktober 2005, Zl. St - 249/05, vor, mit der das Aufenthaltsverbot der Bezirkshauptmannschaft Schärding (Spruchteil I des Bescheids vom 8. August 2005, Zl. Sich 40-8031) aufgehoben worden ist. Diese Berufungsentscheidung wurde dem WAw zu Händen seiner Rechtsvertreter am 21. Dezember 2005 (Eingangsstempel) zugestellt, weshalb die Frist des § 69 Abs 2 AVG gewahrt zu sein scheint.

 

Aus dem in Kopie angeschlossenen Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion ergibt sich, dass der WAw vorgebracht hatte, dass sein Wohnsitz trotz abweichender amtlicher Meldung (§ 16 Abs 3 Meldegesetz) im zentralen Melderegister an der früheren Adresse in W, W, aufrecht wäre. Da der WAw vor seiner Strafhaft in Suben bei einer W Firma beschäftigt war, folgte die Sicherheitsdirektion diesem Vorbringen und ging von einem Wohnsitz in W aus. Daraus folgte, dass die Bezirkshauptmannschaft Schärding gemäß § 91 Abs 1 FrG 1997 als örtlich unzuständige Behörde das Aufenthaltsverbot erlassen hatte.

 

2.2. Begründend wird im Wiederaufnahmeantrag ausgeführt, dass durch diese Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nunmehr die Voraussetzungen des § 69 Abs 1 Z 2 oder 3 AVG erfüllt seien. Es wären neue Tatsachen hervorgekommen, nämlich die Rechtswidrigkeit des Aufenthaltsverbotes bzw sei eine Vorfrage von der Sicherheitsdirektion anders entschieden worden. Durch das Wegfallen des Aufenthaltsverbotes erweise sich nunmehr die Schubhaft insofern als rechtswidrig, als der Titel für die Abschiebung, die gesichert werden sollte, weggefallen sei. Auch sei die Schubhaft deshalb rechtswidrig, weil von einer Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes zum Zeitpunkt der Enthaftung aus der Strafhaft ausgegangen werden müsse.

 

Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schubhaft komme es nur auf objektive Kriterien an, nicht aber darauf, ob zum Zeitpunkt der Haftverhängung das Nichterkennen der Unrechtmäßigkeit dem die Schubhaft anordnenden Organwalter vorwerfbar gewesen ist. Es komme daher nicht darauf an, ob die rechtswidrige Verhängung der Schubhaft schuldhaft gewesen sei.

 

Durch den Wegfall des Aufenthaltsverbots erweise sich die Schubhaft als rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 69 Abs 1 AVG seien gegeben.

 

3.1. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag folgt der Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache (vgl VwGH 3.09.2003, Zl. 2000/03/0369; VwGH 25.06.2002, Zl. 2002/03/0025). Deshalb ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren gemäß § 69 Abs 4 AVG iVm § 73 Abs 2 FrG 1997 das Einzelmitglied des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich zuständig.

 

3.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsicht in die Verwaltungsakten festgestellt, dass der gegenständliche Wiederaufnahmeantrag aus rechtlichen Erwägungen bereits nach der Aktenlage unbegründet ist.

 

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 69 Abs 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

 

  1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

  2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

  3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.

 

4.2. Bei den neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel iSd § 69 Abs 1 Z 2 AVG (sog. nova reperta) muss es sich um solche handeln, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden haben und erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens bekannt wurden (vgl näher Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2003] Anm 7 und E 19 ff zu § 69 AVG).

 

Eine später ergehende gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Entscheidung stellt weder eine neu hervorgekommene Tatsache noch ein solches Beweismittel dar (vgl VwGH 17.12.1999, Zl. 99/02/0270; weiter die Nachw bei Hauer/Leukauf, Handbuch, 1046, E 32a, 32b u 32c). Auch eine neue rechtliche Ansicht oder Beurteilung in anderen Verfahren kann keinen Wiederaufnahmegrund iSd § 69 Abs 1 Z 2 AVG bilden, weil damit keine Tatsachen angesprochen sind (vgl die Judikatur bei Hauer/Leukauf, Handbuch6, 1045, E 30).

 

Die nachträglich ergangene Berufungsentscheidung der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich, mit der das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot im Grund örtlicher Unzuständigkeit aufgehoben worden ist, kann demnach keine neue hervorgekommene Tatsache oder ein solches Beweismittel iSd § 69 Abs 1 Z 2 AVG darstellen.

 

4.3. Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs 1 Z 3 AVG setzt einen "Vorfragenfall" iSd § 38 AVG voraus. Unter einer Vorfrage ist eine für die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von einer anderen Verwaltungsbehörde oder von einem Gericht oder von derselben Behörde in einem anderen Verfahren zu entscheiden ist (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch6, E 2b zu § 38 AVG und E 44a zu § 69 AVG). Die Entscheidung dieser präjudiziellen Rechtsfrage muss für die Entscheidung der Hauptfrage unabdingbar (notwendige Grundlage) und bindend sein (vgl abermals Hauer/Leukauf, Handbuch6, E 3 zu § 38 AVG).

 

Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer Vorfrage iSd § 38 AVG, weil der Oö. Verwaltungssenat selbst gar keine inhaltliche Prüfung des Aufenthaltsverbots vornehmen durfte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der unabhängige Verwaltungssenat im Rahmen einer Schubhaftbeschwerde nämlich nur gehalten zu prüfen, ob das für die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung eine (mittelbare) Tatbestandswirkung erzeugende Aufenthaltsverbot nach wie vor aufrecht ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 08.09.1995, Zl. 95/02/0220). Trifft dies zu, ist der unabhängige Verwaltungssenat an das Bestehen gebunden und hatte auch davon auszugehen (VwGH vom 26.01.1999, Zl. 96/02/0548). Dies gilt in gleicher Weise auch für das Bestehen einer mittelbaren Tatbestandswirkung erzeugenden Ausweisung, für deren Erlassung ein eigenständiges fremdenrechtliches Administrativverfahren vorgesehen ist. Der unabhängige Verwaltungssenat hat die Rechtmäßigkeit jenes vollstreckbaren Bescheides, mit dem ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung verfügt wurde, nicht zu prüfen (vgl VwGH vom 23.3.1995, Zl. 92/18/0423).

 

Es liegt daher kein Vorfragenfall iSd § 38 AVG, sondern ein davon streng zu unterscheidender Anwendungsfall der Tatbestandswirkung eines Bescheids vor (vgl etwa VwGH 4.10.1996, Zl. 96/02/0434; näher zur Tatbestandswirkung Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 474 f). Der unabhängige Verwaltungssenat hatte die Frage des Bestehens eines Aufenthaltsverbots überhaupt nicht zu prüfen und war an das im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch aufrechte und sofort durchsetzbare Aufenthaltsverbot gebunden. Dessen nachträgliche Aufhebung wegen örtlicher Unzuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Schärding wirkt nicht ex tunc. Sie vermag nichts daran zu ändern, dass sich der WAw im Zeitpunkt der Schubhaftentscheidung entgegen dem durchsetzbaren Aufenthaltsverbot unrechtmäßig in Österreich aufhielt und seine Anhaltung in Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung notwendig erschien.

 

5. Die dargelegten Rechtsfragen werden im gegenständlichen Wiederaufnahmeantrag verkannt. Da entgegen der Ansicht des WAw weder der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs 1 Z 2 AVG, noch jener nach § 69 Abs 1 Z 3 AVG in Betracht kommt, war der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des h. Schubhaftbeschwerdeverfahrens zu VwSen-400730-2005 als unbegründet abzuweisen.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Bundesstempelgebühren von 13 Euro für den Wiederaufnahmeantrag angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Dr. W e i ß

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde als gegenstandlos erklärt und das Verfahren eingestellt.

VwGH vom 30.08.2007, Zl.: 2006/21/0032-5

 

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