Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-103037/12/Br

Linz, 21.08.1995

VwSen-103037/12/Br Linz, am 21. August 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn M R, P, vertreten durch RA Dr. E B, W, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 20. Juni 1995, Zl. VerkR96-6546-1994/Bi/Hu, wegen Übertretung der StVO 1960 nach der am 21. August 1995 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und Verkündung, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird keine F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird vollinhaltlich bestätigt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr. 51, idF BGBl. Nr. 471/1995 - AVG iVm. § 19 § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 und § 51i Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, idF BGBl.Nr. 666/1993 - VStG; II. Als Kosten für das Berufungsverfahren werden dem Berufungswerber zuzüglich zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten 300 S (20% der verhängten Strafe) auferlegt.

Rechtsgrundlage:

64 Abs.1 u. 2 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems hat mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 99 Abs.3 lit. a iVm § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.500 S und für den Nichteinbringungsfall 36 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er am 08.09.1994 gegen 09.30 Uhr das Motorrad, Kennz. auf der P vor der Fleischhauerei M im Ortsgebiet von W in Richtung S gelenkt, wobei er einen Kleinlastwagen überholt habe, wodurch andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden hätten können, zumal für diesen Überholvorgang die erforderliche Überholsichtweite nicht gegeben gewesen sei.

2. Begründend führte die Erstbehörde aus:

"Im gegenständlichen Verfahren rechtfertigten Sie sich im wesentlichen dahingehend, daß die von den einvernommenen Zeugen angegebenen Positionen bezüglich des Überholbeginnes nicht derart eindeutig und bestimmt seien, daß daraus unbedingt der Schluß gezogen werden könne, daß Sie tatsächlich an der angegebenen Position zu Überholen begonnen hätten. Im Gutachten des Ing. A vom 28.03.1995 sei ausgeführt, daß günstigstenfalls die zur Verfügung stehende Sichtweite auf einen eventuellen Gegenverkehr unter Berücksichtigung der Sitzhöhe auf einem Motorrad 125 m betragen hätte. Die erforderliche Überholsichtweite betrage zumindest 121 m.

Selbst wenn man davon ausgehen würde, daß die Überholsichtweite gerade nicht ausgereicht hätte, könne Ihnen dies nicht als Verschulden angelastet werden, da eine Abschätzung einer Überholsichtweite auf einige Meter unmöglich und für einen Fahrzeuglenker nicht erkennbar sei.

Letztlich wäre zum Zeitpunkt des Überholens auch keinerlei Gegenverkehr konkret vorhanden gewesen, sodaß keinerlei Gefährdung anderer Straßenbenützer gegeben gewesen wäre.

Sollte die Behörde zum Ergebnis gelangen, daß die Überholsichtweite gerade nicht ausgereicht hätte, wäre Ihr Verschulden derart geringfügig, daß auf Grund der Bestimmungen des 21 VStG. 1991 von einer Bestrafung abgesehen werden könnte.

Hierüber hat die Behörde nachstehendes erwogen:

Gemäß 16 Abs.1 lit.a StVO. 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht Überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist.

Gemäß 99 Abs.3 lit.a StVO. 1960 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu S 10.000,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1,2,2a,2b oder 4 zu bestrafen ist.

Der nach 99 Abs.3 lit.a StVO. 1960 strafbare Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach 16 Abs.1 lit.a StVO. 1960 besteht darin, daß der Lenker eines Fahrzeuges einen Überholvorgang ungeachtet dessen, daß andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten, durchführt, das heißt, mit dem Überholen beginnt oder dieses nicht abbricht, solange dies noch möglich ist.

Im Übrigen ist zur Erfüllung des Tatbestandes eine konkrete Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer nicht erforderlich, sondern es ist wesentlich, daß ein Überholvorgang begonnen wird, obwohl der Lenker des überholenden Fahrzeuges die Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer am Beginn des Überholvorganges erkennen konnte.

Bei der am 02.05.1995 von der hs. Behörde durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde Herr Anton T an Ort und Stelle zeugenschaftlich einvernommen.

In diesen Aussagen kommt klar zum Ausdruck, daß Sie den Überholvorgang auf Höhe der südlichen Zu- und Ausfahrt zum Billa-Markt begonnen haben.

Die Behörde sieht keinerlei Veranlassung den diesbezüglichen Aussagen des Zeugen keinen Glauben zu schenken. Der Zeuge unterliegt auf Grund seiner verfahrensrechtlichen Stellung der Wahrheitspflicht und muß bei deren Verletzung mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen. Hingegen treffen Sie in Ihrer Eigenschaft als Beschuldigten keine derartigen Sanktionen. Es ist daher auch als unbedenklich anzusehen, wenn sich der Amtssachverständige Ing. M. A in seinem Gutachten vom 02.05.1995 auch auf die Aussagen des angeführten Zeugen gestützt hat.

Auf Grund dieses Gutachtens, welches nachvollziehbar und schlüssig ist, ist in Verbindung mit den vorliegenden Ergebnissen des durchgeführten Ermittlungsverfahrens als erwiesen anzunehmen, daß Sie den Ihnen zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und als Verwaltungsübertretung zu verantworten haben.

Von der Anwendung der Bestimmungen des 21 VStG. 1991 konnte nicht Gebrauch gemacht werden, da Ihr Verschulden keinesfalls als geringfügig angesehen werden kann. Gerade derartige Überholmanöver, die im übrigen eine schwere Verwaltungsübertretung darstellen, sind immer wieder Ursache von Verkehrsunfällen, sodaß solche Übertretungen mit entsprechender Strenge zu bestrafen sind.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die zu verhängende Geldstrafe unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des 19 VStG. 1991 festzusetzen.

Dabei wurden das Ausmaß Ihres Verschuldens und Ihre bisherige Unbescholtenheit gewertet und Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse (ca. S 10.000,-- mtl. Nettoeinkommen, kein Vermögen) und das Nichtvorliegen von Sorgepflichten berücksichtigt.

Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den gemäß 99 Abs.3 lit.a StVO. 1960 bis S 10.000,-reichenden Strafsatz, ist die Höhe der über Sie verhängten Geldstrafe durchaus angemessen und keineswegs zu hoch.

Die Entscheidung über die Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen." 2.1. Dagegen wendet sich der Berufungswerber durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter mit der fristgerecht erhobenen Berufung. Darin führt er nachfolgendes aus:

"In außen bezeichneter Verwaltungsstrafsache erhebt der Beschuldigte Martin R durch seinen ausgewiesenen Rechtsanwalt gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 20.06.1995, VerkR96-6546-1994/Bi/Hu zugestellt am 23.06.1995, innerhalb offener Frist B E R U F U N G an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich und führt diese aus wie folgt:

Das angefochtene Straferkenntnis wird in seinem gesamten Umfange und Inhalt nach bekämpft, der Berufungswerber erhebt gegen das angefochtene Straferkenntnis volle Berufung und bekämpft sowohl den Schuldspruch als auch den Ausspruch über die Strafe.

Als Berufungsgründe werden unrichtige und unvollständige Tatsachenfeststellung auf Grund unrichtiger und unvollständiger Beweiswürdigung, unrichtige rechtliche Beurteilung sowie unrichtige, unzweckmäßige und gesetzwidrige Ermessensausübung geltend gemacht.

Die Berufungsgründe werden im einzelnen ausgeführt wie folgt:

1. Unrichtige und unvollständige Tatsachenfeststellung auf Grund unrichtiger und unvollständiger Beweiswürdigung:

Unter diesem Berufungsgrund bekämpft der Berufungswerber die Feststellung der Erstbehörde, der Beschuldigte habe einen Kleinlastwagen überholt, wodurch andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden hätten können, zumal für diesen Überholvorgang die erforderliche Überholsichtweite nicht gegeben war.

Für diese Feststellung fehlen in der weiteren Begründung des Bescheides jegliche Anhaltspunkte und Feststellungen. Die Behörde hat nicht festgestellt, wie lange die Überholsichtstrecke tatsächlich war und welche Überholsichtweite tatsächlich erforderlich gewesen wäre.

Derartige Feststellungen, insbesondere genaue Meterangaben wären jedoch für die Beurteilung der zu prüfenden Verwaltungsübertretung erforderlich gewesen.

Der angefochtene Bescheid leidet daher unter erheblichen und wesentlichen Begründungsmängeln, da nicht einmal die Überholsichtstrecke, die tatsächliche Überholstrecke und der genaue Überholbeginn festgestellt wurden.

Aus den Feststellungen der Erstbehörde im angefochtenen Bescheid kann die dem Berufungswerber zur Last gelegte Verwaltungsübertretung keinesfalls abgeleitet werden.

Der Berufungswerber verweist darauf, daß selbst wenn man den Aussagen des Zeugen Anton T Glauben schenkt, der genaue und exakte Überholbeginn hier auf Meter genau nicht einzuordnen ist, zumal die im Bescheid angeführte Zufahrt bzw. Ausfahrt zum Billa-Markt sich mindestens über 10 m erstreckt.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob überhaupt Fahrzeuge links neben der Fahrbahn abgestellt waren. Geht man zugunsten des Beschuldigten davon aus, daß keine Fahrzeuge geparkt waren, so ergibt sich nach dem Gutachten des Herrn ASV Ing. A vom 28.03.1995 eine Überholsichtweite von 125 m unter Berücksichtigung der Sitzhöhe auf einem Motorrad.

Nach dem Gutachten vom 02.05.1995 wäre eine Überholsichtweite von zumindest 121 m erforderlich gewesen, wenn daher keine Fahrzeuge links neben der Fahrbahn geparkt waren so hat die Überholsichtweite von 125 m auch tatsächlich für ein gefahrloses Überholmanöver ausgereicht.

Wie aus den Zeugeneinvernahmen hervorgeht, ist die Art und der Umfang abgestellter Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Tat nicht mehr nachvollziehbar, und führte der Herr ASV auch aus, daß für den Beschuldigten daher die für den Überholvorgang benötigte Wegstrecke von ca. 60 m einsehbar war.

Die Aussagen des Zeugen Herrn Anton T sind daher insgesamt nicht derart präzise, daß darauf Feststellungen von einem metergenauen Überholbeginn getroffen werden können.

Der Berufungswerber begehrt daher die Feststellung, daß die Überholsichtweite, die für den Beschuldigten zur Verfügung gestanden ist, 125 m betragen hat und der Beschuldigte daher ohne Behinderung eines allenfalls entgegenkommenden Verkehrsteilnehmers das Postfahrzeug überholen konnte. Diese Feststellung ergibt sich aus den beiden vom Herrn ASV erstatteten Gutachten und aus den Ergebnissen des Ortsaugenscheines.

2. Unrichtige rechtliche Beurteilung (materielle Rechtswidrigkeit):

Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtswidrig.

Wie bereits unter Berufungspunkt 1. ausgeführt, reichen die Feststellungen der Erstbehörde im angefochtenen Bescheid keinesfalls, eine Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs.1 lit.a StVO anzunehmen.

Der Berufungswerber weist nochmals darauf hin, daß weder die genaue Überholposition, noch die genaue Überholsichtweite, die erforderliche Überholsichtweite und die Überholstrecke sowie die genauen Fahrzeuggeschwindigkeiten festgestellt wurden.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH hat die Behörde genaueste Feststellungen darüber zu treffen, wie weit die Sicht des Beschuldigten, gemessen von seiner Position zu Beginn des Überholmanövers reichte, welche Länge die Überholstrecke hatte etc. (VwGH 21.09.1983, 82/03/0227 = Slg 11155/A).

Für die Strafbarkeit des Beschuldigten bzw. für die Annahme der Verwaltungsübertretung nach § 16 lit.a StVO fehlen daher im angefochtenen Straferkenntnis konkrete Feststellungen.

Da nicht einmal die genauen Geschwindigkeiten und der genaue Überholbeginn sowie die genaue Überholsichtstrecke durch das Beweisverfahren geklärt werden konnten, kann keinesfalls mit der für eine Bestrafung wegen einer Verwaltungsübertretung erforderlichen Sicherheit ein Tatbestand festgestellt werden.

Im Verwaltungsstrafverfahren gilt der Grundsatz "in dubio pro reo", sodaß von der für den Beschuldigten günstigsten Version auszugehen ist. Nach den für den Beschuldigten günstigsten Prämissen ist jedoch keinesfalls eine mögliche Behinderung eines allfälligen Gegenverkehrs durch das Überholmanöver des Berufungswerbers gegeben.

Das angefochtene Straferkenntnis beruht daher auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung und ist sohin materiell rechtswidrig.

3. Unrichtige, unzweckmäßige und gesetzwidrige Ermessensübung:

Die von der Erstbehörde verhängte Geldstrafe von S 1.500,-erscheint unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles als bei weitem zu hoch bemessen.

Insbesondere wurden die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Berufungswerbers nicht ausreichend berücksichtigt. Das vom Berufungswerber verdiente Nettoeinkommen liegt nach der Exekutionsordnung bzw. der Existenzminimumverordnung nur geringfügig über den unpfändbaren Beträgen.

Darüber hinaus ist selbst wenn man von einem Verschulden des Berufungswerbers ausgehen würde, dieses derart geringfügig daß die Bestimmung des 21 VStG bei richtiger Ermessensausübung anzuwenden gewesen wäre, zumal keinerlei Folgen der Tat für andere Verkehrsteilnehmer eingetreten sind und auch keinerlei konkrete Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers gegeben war.

Bei richtiger und zweckmäßiger Ermessensübung durch die Erstbehörde hätte diese daher das Verwaltungsstrafverfahren gemäß 21 VStG einstellen müssen und von einer Bestrafung absehen müssen.

Der Beschuldigte und Berufungswerber stellt sohin nachstehende A N T R Ä G E :

1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich wolle als Berufungsbehörde der Berufung des Beschuldigten Folge geben und das angefochtene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 20.06.1995, VerkR96-6546-1994, - allenfalls nach Beweiswiederholung und ergänzender Beweisaufnahme - aufheben und ersatzlos beseitigen und das gegen den Beschuldigten eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren einstellen; und 2. In eventu wolle der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich der Strafberufung Folge geben und die verhängte Geldstrafe angemessen herabsetzen.

W, 06.07.1995 B/KI Martin R" 3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser ist, da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Eine öffentliche mündliche Verhandlung war anzuberaumen, weil vom Berufungswerber die Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens bestritten wurde (§ 51e Abs.1 VStG).

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems, VerkR96-6546-1994/Bi, die Vernehmung des Anton T als Zeugen und die Vernehmung des Berufungswerbers als Beschuldigten im Zuge der im Rahmen eines Ortsaugenscheines durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung.

5. Der Berufungswerber bog am 8. September 1994 gegen 09.30 Uhr mit seinem Motorrad der Marke Kawasaki 250 ccm, Leistung 27 PS vom Zentrum W kommend nach rechts in die P ein. Vor ihm fuhr zu diesem Zeitpunkt bereits der Kleinlastkraftwagen der österr. Post und Telegraphenverwaltung. Dieses Fahrzeug hat eine Länge von 6,2 und eine Breite von 2,10 Meter. Der Straßenverlauf führt vorerst in einer Linkskurve an der Fleischhauerei M vorbei und geht etwa 50 Meter weiter südostwärts auf der Höhe des Sportgeschäftes W in eine etwas leichtere Rechtskurve über. Etwa auf der Höhe des letztgenannten Geschäftes befindet sich fahrbahnmittig ein fahrbahnniveaugleicher Kanaldeckel. Die Fahrbahnbreite beträgt auf der Höhe des anzunehmenden Überholbeginnes in der Höhe des südlichen Portales des Kaufhauses Billa 5,5 Meter, auf Höhe der Fleischhauerei M 6,2 Meter. Ausgehend im Zweifel von für den Berufungswerber günstigsten Sichtbedingungen in seiner Fahrtrichtung (mangels Feststellungen wird - was aufgrund der dortigen Situation [Billakaufhaus u. Metzgerei] eher unwahrscheinlich ist davon ausgegangen, daß die auf der linken Seite der P in Fahrtrichtung des Berufungswerbers keine die Gefahrensichtweite noch beträchtlich reduzierenden Fahrzeuge zum Parken abgestellt gewesen sind) betrug die Gefahrensichtweite bis zur weiteren Linkskurve nach dem Sportgeschäft W 131,8 Meter. Ausgehend von einer maximal möglichen Beschleunigung von 2,5 m/sek/2 unter Einhaltung eines minimalen Sicherheitsabstands zum Zeipunkt des Überholbeginnes von bloß zehn Metern bei einer Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h und einem Seitenversatz von nur einem Meter und einer Querbeschleunigung von 1,5 m/sek/2, ergibt dies bei einer erreichten Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h einen Überholweg von 78,4 Meter und einer Überholzeit von 5,54 Sekunden. In dieser Zeit legt ein mit 50 km/h fahrendes entgegenkommendes Fahrzeug 77,5 Meter zurück. Dies bedeutet, daß die für das hier vorliegende Überholprofil eine Überholsichtweite von mindestens 156 Meter erforderlich gewesen wäre, tatsächlich betrug die Sicht selbst unter den optimalen Bedingungen - wie oben bereits ausgeführt - lediglich knappe 132 Meter.

5.1. Dieses Beweisergebnis stützt sich auf das Ergebnis des durchgeführten Ortsaugenscheines. Dabei wurden die entsprechenden Strecken, sowie auch die Länge und Breite des überholten Fahrzeuges vor Ort vermessen. Aufgrund des zeugenschaftlich vernommenen Lenkers des Postfahrzeuges ergab sich in gut nachvollziehbarer Weise, daß sich etwa auf der Höhe der Fleischhauerei M das überholende Motorrad auf seiner Höhe befunden hat. Seine Fahrgeschwindigkeit habe dabei 30 bis 40 km/h betragen. Der Zeuge legte auch seine persönliche Einschätzung über die zu diesem Zeitpunkt gegenüber seinem Beifahrer geäußerte Meinung, "daß dies auch schlecht ausgehen könne" dar. Nachvollziehbar ist schließlich diese Wahrnehmung auch mit der eigenen Angabe des Berufungswerbers, daß er etwa auf der Höhe des ca. 25 Meter vorher gelegenen Bereichs des "Südportals" des Kaufhauses Billa (dort wurde der Meßpunkt für die Überholsichtweite gewählt), weil sich ein rechnerischer Ausscherweg von ca 26,6 Meter ergibt und der Berufungswerber in der Innenkurve einen geringfügig kürzeren Weg zurückzulegen hat, sodaß er im genannten Bereich etwa auf gleicher Höhe des überholten Fahrzeuges angelangt sein mußte.

Das Überholprofil wurde mittels des Computerprogrammes für Unfallrekonstruktionen - EVU [Prof. Dr. Gratzer, KFZ-Sachverständiger] unter den oben genannten - alle zugunsten des Berufungswerbers getätigten - Annahmen im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung errechnet.

Die grundgelegten Beschleunigungswerte basieren auf den spezifischen Fahrzeugdaten, von welchen auch der Sachverständige des erstbehördlichen Verfahrens ausgegangen ist. Im erstbehördlichen Verfahren wurde lediglich von einer Länge des überholten Fahrzeuges von vier Meter ausgegangen.

Nicht zuletzt hat auch die Beurteilung der Örtlichkeit bereits an sich ergeben, daß ein Überholen in diesem Bereich nur sehr schwer möglich ist und hier, auch wenn (zumindest theoretisch besehen) letztlich auch nur eine geringfügige Fehleinschätzung der Situation vorgelegen hat, nicht überholt werden hätte dürfen.

6. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen.

6.1. Gemäß 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist.

6.1.1. Eine konkrete Behinderung oder Gefährdung ist nach diesem Tatbild nicht erforderlich. Es kommt eben nur auf das "Gefährdet- oder Behindert-Werden-Könnens" an (vgl. VwGH v.

25.3.1992, Zl. 91/03/0044 u.a.). Ferner setzt die Entscheidung über die Zulässigkeit des Überholmanövers grundsätzlich (auch noch) die Feststellung jener Umstände voraus, die für die Länge der für den Überholvorgang benötigten Strecke von Bedeutung sind, das sind in erster Linie die Geschwindigkeiten des überholenden und des (der) zu überholenden Fahrzeuge(s). Ebenso sind vor dem Überholmanöver Umstände zu beurteilen, welche einem Wiedereinordnen in den Verkehr entgegenstehen könnten (VwGH 12.3.1986, 85/03/0152).

Hier wäre allenfalls für den Motorradfahrer der Umstand des vermutlich zum Sturz führenden Kanaldeckels von Bedeutung gewesen. Auch aus dieser Sicht erfolgte der hier vorliegende Überholvorgang entgegen den Vorschriften des Straßenverkehrs.

7. Gemäß 19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der 32 bis 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

7.1. Unüberlegte Überholmanöver sind die häufigsten unmittelbaren Ursachen für schwerste Verkehrsunfälle.

Deshalb ist im Hinblick auf das mit dieser Tathandlung, auch ohne der hier infolge des Sturzes zusätzlichen Gefährdung auch von fiktiven Benützer des Gehsteiges, herbeigeführten (zusätzlichen) Gefährdungspotentials für andere Verkehrsteilnehmer, zumindest aus Gründen der Spezialprävention verhängte Strafe jedenfalls gerechtfertigt. Es widerspricht daher - selbst unter der Tatsache eines gegenwärtig wegen des Präsenzdienstes nur unterdurchschnittlichen Einkommens von knapp über 3.000 S monatlich, der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit und nicht zuletzt der im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung grundsätzlich zum Ausdruck gebrachten positiven Einstellung zu rechtlich geschützten Werten - nicht dem Sinn der Strafbemessungsbestimmungen, bei einer gesetzlichen Höchststrafe von 10.000 S, die Geldstrafe mit 1.500 S zu bemessen (siehe auch VwGH 18. September 1991, Zlen.

91/03/0043, 91/03/0250).

Mit einem - wenn vielleicht auch nur infolge einer doch noch nicht ausreichenden Erfahrung im Straßenverkehr unterlaufenen Fehleinschätzung - vorschriftswidrigen Überholmanöver war demnach eine gravierende Rechtsgutbeeinträchtigung verbunden.

Es ist wie oben schon ausgeführt eine statistisch belegte Tatsache, daß derartige Fehlverhalten eine der häufigsten Ursachen für Verkehrsunfälle, oft auch mit tödlichem Ausgang für völlig schuldlose bzw. unbeteiligte Personen, sind. Wie von der Erstbehörde zutreffend ausgeführt wurde, bedarf es daher einer strengen Bestrafung, um derartigen Übertretungen entgegenzuwirken. Den erstbehördlichen Ausführungen ist diesbezüglich vollinhaltlich beizutreten. Die Anwendung des § 21 VStG kann somit mangels der gesetzlichen Voraussetzungen (geringes Verschulden und unbedeutende Folgen) nicht in Betracht kommen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum