Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420029/2/Schi/Ri

Linz, 03.03.1993

VwSen - 420029/2/Schi/Ri Linz, am 3. März 1993 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Christian Schieferer über die Beschwerde des O T, C, S, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. W M, R, L, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Bundespolizeidirektion Linz zu Recht erkannt:

I.: a) Die Festnahme des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde am 21. November 1992 um 15.10 Uhr war rechtswidrig; b) die nachfolgende Anhaltung des Beschwerdeführers bis 23. November 1992 war rechtswidrig.

Rechtsgrundlage:

§ 67a Abs.1 Z2 und § 67c AVG; § 175 und § 177 StPO; Art.1, Art.2 Abs.1 Z3 und Art.4 Abs.5 bis Abs.7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl.Nr. 684/1988.

II.: Die Bundespolizeidirektion Linz als belangte und hinsichtlich der festgestellten Rechtswidrigkeit für den Bund tätig gewordene Behörde wird verpflichtet, die mit 7.413,33 S zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig bestimmten Kosten dem Beschwerdeführer z.Hd. seines Vertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage: § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1. Der vorliegenden Beschwerde liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Am 21. November 1992 wurde von Organen der Bundespolizeidirektion Linz wegen zu befürchtender Ausschreitungen im Zusammenhang mit der Eröffnung einer Moschee in der H eine planquadratmäßige Anhaltung von Kraftfahrzeugen mit türkischen Insassen durchgeführt. In deren Zuge wurde auch der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, dabei betreten, daß sich in dem von ihm als Beifahrer benützten PKW eine Faustfeuerwaffe und 50 Schuß dazupassender Munition befand, obwohl hiefür keiner der PKW-Insassen eine behördliche Berechtigung vorweisen konnte. Wegen der Begehungs- und Verdunkelungsgefahr wurden der Beschwerdeführer, der Lenker und die weiteren zwei Beifahrer gemäß § 452 iVm § 175 Abs.1 Z3 StPO bzw. § 177 Abs.1 iVm § 175 Abs.1 Z3 und 4 StPO vorläufig in Verwahrung genommen.

1.2. Mit dem dem Beschwerdeführer am 23. November 1992 durch persönliche Aushändigung zugestellten und auf § 5 Abs.1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. 75/1954, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 406/1991 (im folgenden: FrPG), iVm § 57 Abs.1 AVG gestützten Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom selben Tag, Zl. Fr-81315, wurde über diesen zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Anhaltung im Polizeigefangenenhaus Linz sofort vollzogen. Der Beschwerdeführer hat dagegen rechtzeitig Vorstellung erhoben.

1.3. Am 21. November 1992 erstattete die Bundespolizeidirektion Linz ua auch gegen den Beschwerdeführer Anzeige wegen des Verdachtes des versuchten Landfriedensbruches und des Verstoßes gegen § 36 des Waffengesetzes. Danach sei es am 21. November 1992 anläßlich der Eröffnung einer Moschee in Linz zu massiven Auseinandersetzungen unter türkischen Staatsangehörigen und zu tumultartigen Ausschreitungen, an denen bis zu 500 Personen beteiligt gewesen seien, gekommen. Die gewalttätige Demonstration, in deren Zuge es auch zu Sachbeschädigungen gekommen sei, sei daher von der Polizei um 13.40 Uhr aufgelöst worden. Um ein Wiederaufflammen der Gewalttätigkeiten zu verhindern, seien bereits im Vorfeld des Eröffnungsgeländes Kraftfahrzeugkontrollen durchgeführt und dabei insbesondere nach Waffen gesucht worden. In diesem Zusammenhang seien bereits gegen 13.20 Uhr, gegen 14.17 Uhr und gegen 14.50 Uhr andere Fahrzeuge angehalten und bei dessen Insassen Waffen aufgefunden worden; gegen 15.10 Uhr sei auch das Kraftfahrzeug, in dem sich der Beschwerdeführer befand, perlustriert und im Zuge dieser Durchsuchung eine Pistole vorgefunden worden.

1.4. Mit Eingabe vom 30. Dezember 1992 (zur Post gegeben am 31. Dezember 1992) hat der Beschwerdeführer unmittelbar beim unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (eingelangt am 4. Jänner 1993) eine Beschwerde gemäß § 67a Abs.1 Z2 AVG wegen unrechtmäßiger Ausübung der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt, mit der das Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde, eingebracht.

1.5. Mit Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 25. November 1992, Zl. Fr-81315, wurde über den Beschwerdeführer wegen Gefahr in Verzug ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das gesamte Bundesgebiet erlassen.

1.6. Am 26. November 1992 wurde der Beschwerdeführer vom Flughafen Wien-Schwechat aus in die Türkei abgeschoben.

2.1. Der Beschwerdeführer führt im wesentlichen aus, daß als Begründung für seine Verhaftung § 175 Abs.1 Z3 und Abs.1 Z4 StPO herangezogen worden sei; grundlegende Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Verhaftung sei, daß er sich eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig gemacht habe. Die belangte Behörde gehe hiebei vom Tatverdacht des Vergehens nach § 36 Waffengesetz und des versuchten Landfriedensbruches gemäß § 274 StGB aus.

Gemäß § 36 Waffengesetz ist nur zu bestrafen, wer eine Faustfeuerwaffe führt oder besitzt. Voraussetzung sei, daß ein räumliches Naheverhältnis zur Faustfeuerwaffe hergestellt sei, sodaß eine jederzeitige Benützung derselben möglich sei. Dies liege nur dann vor, wenn die Waffe entweder direkt am Körper geführt oder sonst in Griffweite sei. Aus dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt ergebe sich, daß die Faustfeuerwaffe in nicht betriebsbereitem Zustand im Kofferraum verwahrt vorgefunden wurde, sodaß keinesfalls von einem Führen oder Besitzen der Waffe ausgegangen werden könne. Ein konkreter Verdacht hinsichtlich § 36 Waffengesetz sei sohin zum Zeitpunkt der Verhaftung nicht vorgelegen.

Auch im Hinblick auf § 274 StGB sei zum Zeitpunkt seiner Verhaftung kein Anhaltspunkt vorgelegen, der eine Verhaftung gerechtfertigt hätte; er sei mit seinen Kollegen bereits im Begriffe gewesen, L zu verlassen und sie hätten auch in keiner Weise kundgetan, an einer Versammlung teilnehmen zu wollen, noch Anstalten gemacht, welche auf eine Verwirklichung der im § 274 StGB angeführten Tatbilder hinweisen würde. Ein konkreter Tatverdacht müsse sich aber immer auf ein konkretes Delikt und auf eine bestimmte Person beziehen. Darüber hinaus müssen aber neben dem Tatverdacht auch noch Haftgründe nach § 175 Abs.1 Z3 (Verdunkelungsgefahr) und Z4 (Tatbegehungs- und Ausführungsgefahr) vorhanden sein. Die Behörde hätte eine Verhaftung wegen Verdunkelungsgefahr erst aussprechen dürfen, wenn auf Grund konkreter Hinweise sie davon ausgehen hätte können, der Beschwerdeführer würde die Ermittlung der Wahrheit erschweren; aus dem gesamten Akteninhalt ergeben sich hiefür keinerlei Anhaltspunkte. Weiters lagen zum Zeitpunkt der Verhaftung keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Beschwerdeführer versuchen würde, an einer Demonstration teilzunehmen oder gar diese im Sinne des § 274 StGB zu stören. Dazu kommt noch, daß zum Zeitpunkt der Verhaftung (15.10 Uhr) die Ausschreitungen von der Polizei längst beendet worden seien (um ca. 13.40 Uhr). Somit kann für diesen Zeitpunkt auch keine Tatbegehungs- und Ausführungsgefahr zu Recht angenommen werden. Aus all diesen Gründen wird daher die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Festnahme und nachfolgenden Anhaltung im Polizeigefangenenhaus Linz beantragt.

2.2. Die belangte Behörde bringt hiezu in ihrer Gegenschrift im wesentlichen vor, gemäß § 274 StGB sei mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren zu bestrafen, wer wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge teilnimmt, die darauf abzielt, daß unter ihrem Einfluß ein Mord, ein Totschlag, eine Körperverletzung oder eine Sachbeschädigung begangen werde, sofern es zu einer solchen Gewalttat gekommen ist. Es genüge daher schon die bloße Teilnahme an einer solchen Zusammenrottung mit dem Wissen um ihre gewalttätigen Ziele. Weiters sei es für eine Zusammenrottung charakteristisch, daß die ihr angehörenden Personen in äußerlich erkennbarer Weise vom gemeinsamen Willen zu alsbaldigem bedrohlichen oder gewalttätigem Verhalten beherrscht werden. Die einschreitenden Polizeibeamten seien daher mit Recht davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer und seine Mitreisenden an der Zusammenrottung teilnehmen wollten, sohin die strafbare Handlung bereits in das Versuchsstadium getreten sei. Aus der Fahrtrichtung konnte nicht geschlossen werden, daß die vier Personen L verlassen wollten. Es sei mehr als unglaubwürdig, wenn vier türkische Staatsbürger aus S, S und B zufällig im Bereich der Ausschreitungen mit einer Waffe im Fahrzeug angetroffen werden und angeben, sie wollten zu der Eröffnung eines Bethauses bzw. zu einem Konzert und wüßten von der Zusammenrottung nichts. Davon, daß diese Personen zur Beteiligung an den Ausschreitungen angereist waren, mußten die Beamten aufgrund der Sachlage ausgehen. Daß es nach dem Willen der vier Türken auch zu gewalttätigem oder zumindest bedrohlichem Verhalten kommen sollte, wurde durch das Mitführen einer Faustfeuerwaffe dokumentiert.

Nach § 36 Abs.1 Z1 Waffengesetz ist, wer wenn auch nur fahrlässig, unbefugt eine Faustfeuerwaffe besitzt oder führt, vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten zu bestrafen. Gemäß § 5 Abs.1 Waffengesetz führt eine Schußwaffe, wer sie bei sich hat. Der Beschwerdeführer befand sich zum besagten Zeitpunkt mit drei weiteren türkischen Staatsangehörigen in einem PKW. Bei der Durchsuchung des PKW's durch Polizeibeamte wurde im Kofferraum unter einer Decke versteckt eine ungeladene Pistole und Munition dazu gefunden. Als Eigentümer wurde im Zuge der späteren Erhebungen der Lenker R P eruiert. Es sei nicht erforderlich, daß die Waffe am Körper getragen wird, sondern es genüge, wenn sie im Fahrzeug mitgeführt werde. Der Eigentümer oder Besitzer der Waffe sei irrelevant; der Tatbestand des § 36 Waffengesetz sei erfüllt, auch wenn sich herausstelle, daß der Lenker des PKW's Besitzer der Waffe sei. Zum Zeitpunkt der Festnahme habe daher der dringende Verdacht bestanden, daß (auch) der Beschwerdeführer die Faustfeuerwaffe geführt habe.

Zu den Festnahmegründen nach § 177 iVm § 175 Abs.1 Z4 StPO (Ausführungsgefahr) sei es erforderlich, daß auf Grund bestimmter Tatsachen objektiv anzunehmen sei, der Verdächtige werde die versuchte Tat ausführen. Dadurch, daß der Beschwerdeführer mit drei weiteren Landsleuten in unmittelbarer Nähe des Zentrums der Krawalle unterwegs war, die noch im Gange gewesen seien bzw. jederzeit wieder aufzuleben drohten, sei von einer akuten Ausführungsgefahr auszugehen gewesen. Noch dazu, weil die vier Personen eine Waffe mitgeführt hätten, über deren Herkunft und Grund, warum sie mitgeführt werde, niemand Angaben machen wollte.

Zum Festnahmegrund nach § 452 iVm § 175 Abs.1 Z3 StPO führt die belangte Behörde aus, daß zum Festnahmezeitpunkt kein Fahrzeuginsasse ein waffenrechtliches Dokument habe vorweisen können; alle vier Personen haben angegeben, über die Herkunft der Waffe keine Aussagen machen zu können. Auch habe nicht geklärt werden können, wer die Waffe im Kofferraum deponiert habe. Es habe daher gegenüber allen vier Personen sehr wohl die Gefahr, sie werden die Wahrheitsfindung erschweren, bestanden.

Aus diesen Gründen wird die kostenpflichtige Abweisung der vorliegenden Beschwerde beantragt.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Linz zu Zl. Fr-81315. Da aus diesem in Verbindung mit dem Beschwerdevorbringen der Sachverhalt hinreichend geklärt erschien, und schon aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 67d Abs.1 AVG unterbleiben.

Unbestritten steht daher fest, daß der Beschwerdeführer (zusammen mit drei weiteren Kollegen) am 21. November 1992 um 15.10 Uhr mit einem PKW in L, H, gefahren ist und von der Polizei gegenüber dem Haus Nr. 25 angehalten und verhaftet worden ist. Die Verhaftung erfolgte somit zu einem Zeitpunkt, an dem objektiv die gewalttätigen Auseinandersetzungen schon seit einiger Zeit von der Polizei beendet worden waren (13.40 Uhr).

4. Auf Grund des festgestellten und als erwiesen angenommenen Sachverhaltes hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

4.1. Gemäß Art. 2 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl.Nr. 684/1988, darf die persönliche Freiheit einem Menschen ua in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

2. wenn er einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehördlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist, a) zum Zwecke der Beendigung des Angriffes oder zur sofortigen Feststellung des Sachverhaltes, sofern der Verdacht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, daß er einen bestimmten Gegenstand innehat, b) um ihn daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen, oder c) um ihn bei einer mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung an der Begehung einer gleichartigen Handlung oder an der Ausführung zu hindern.

Derartige gesetzliche Vorschriften finden sich mit Blick auf den vorliegenden Fall in den §§ 175 und 177 StPO.

Gemäß § 175 Abs.1 StPO kann der Untersuchungsrichter auch ohne vorangegangene Vorladung die Vorführung oder vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:

1. wenn der Verdächtige auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt oder mit Waffen oder anderen Gegenständen betreten wird, die von Verbrechen oder Vergehen herrühren oder sonst auf seine Beteiligung darauf hinweisen; 4. wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, er werde eine strafbare Handlung begehen, die gegen das selbe Rechtsgut gerichtet ist, oder er werde die ihm angelastete versuchte oder angedrohte Tat (§ 74 Z5 StGB) ausführen.

§ 177 StPO ermächtigt die Organe der Sicherheitsbehörden auch aus eigenem, d.h. ohne richterlichen Befehl, zur Verwahrung der eines Verbrechens oder eines Vergehens verdächtigen Person zum Zwecke ihrer Vorführung vor den Untersuchungsrichter, wenn der Verdächtige unmittelbar nach der Begehung eines Verbrechens oder Vergehens mit Gegenständen betreten wird, die auf seine Beteiligung an dieser Tat hinweisen; der in Verwahrung Genommene ist durch die Sicherheitsbehörden unverzüglich zur Sache unter den Voraussetzungen der Verwahrungshaft zu vernehmen und binnen 48 Stunden dem zuständigen Gericht einzuliefern.

4.2. Jede Verhaftung nach § 175 StPO setzt das Vorliegen eines Tatverdachtes und eines bestimmten Haftgrundes (Z1 bis 4) voraus. Ein Tatverdacht liegt vor, wenn dies auf Grund bestimmter Tatsachen wahrscheinlich ist, daß die zu verhaftende Person eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat. Der Haftgrund der Tatbegehungs- oder Ausführungsgefahr liegt nur dann vor, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen objektiv (SSt 38/45) anzunehmen ist, der Verdächtige werde die Tat wiederholen oder die versuchte oder angedrohte Tat ausführen. Die bloße Möglichkeit eines neuerlichen Delinquierens - wie im vorliegenden Fall von der belangten Behörde angeführt ist auch zur Annahme dieses Haftgrundes nicht ausreichend (vgl. Foregger-Serini, die Österreichische Strafprozeßordnung 4.Auflage, S.221). Eine Anordnung der vorläufigen Verwahrung durch Sicherheitsorgane ist insbesondere von verschiedenen Voraussetzungen, insbesondere von Gefahr in Verzug abhängig; die Voraussetzungen müssen daher streng beurteilt werden. Gefahr in Verzug ist nur dann gegeben, wenn es nach den Umständen als wahrscheinlich anzunehmen ist, daß der Verdächtige ohne sofortige Verhaftung fliehen oder sich verbergen, die Wahrheitsfindung erschweren oder die Tat wiederholen oder die versuchte oder angedrohte Tat ausführen werde (vgl. VfGH Slg. 5704 ua). Bei einer strengen Beurteilung konnte daher keine Gefahr in Verzug angenommen werden; dazu kommt noch, daß auch beim Beschwerdeführer ein Verdacht von strafbaren Handlungen (versuchter Landfriedensbruch nach § 15 iVm § 274 StGB bzw. Verstoß nach § 36 Waffengesetz) nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden konnte:

4.2.1. Gemäß § 15 Abs. 2 StGB ist die Tat versucht, sobald der Täter seinen Entschluß, sie auszuführen, durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt. Die Annahme eines Versuches setzt somit zeitliche und örtliche Ausführungsnähe und eine unmittelbare sinnfällige Beziehung zum tatbildmäßigen Unrecht voraus. Liegen zwischen Tätigkeit und der Vollendung zeitliche, örtliche oder manipulative Etappen oder zeitlich und sonstige Zwischenakte (EvBl 1978/115) bzw. Zwischenstadien, so liegt noch kein Versuch, sondern bloß eine straflose Vorbereitungshandlung vor. Ob die Täterhandlung objektiv bereits den Beginn der Ausführung bildet oder wenigstens im Vorfeld der Tatverwirklichung liegt und subjektiv das Tätervorhaben bereits soweit gediehen ist, daß die Hemmstufe überwunden ist, kann immer nur im Einzelfall, und zwar aus objektiv-normativer Sicht beurteilt werden (vgl. Foregger-Serini, Strafgesetzbuch, 4. Auflage, Seiten 69/70). Eine solche objektiv-normative Beurteilung ergibt für den vorliegenden Fall, daß nicht einmal ein Versuch vorliegt, weil die für das Vorliegen des Tatbildes des § 274 StGB erforderliche Zusammenrottung bereits beendet war und das Mitfahren in einem PKW, in dessen Kofferraum sich eine ungeladene Pistole befindet, keine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung darstellt.

4.2.2. Ebenso konnte im vorliegenden Fall die Anschuldigung nach § 36 Abs.1 Z1 Waffengesetz (unbefugtes Führen einer Faustfeuerwaffe) nicht greifen, weil sich die Pistole in ungeladenem Zustand unter einer Decke im Kofferraum eines PKW's, in dem der Beschwerdeführer lediglich Beifahrer war, befand. Unter diesen Umständen, nämlich daß die Waffe einem theoretischen Zugriff durch den Beschwerdeführer (und auch durch die anderen Personen) offenstand, kann noch nicht von einem unbefugten Führen einer Faustfeuerwaffe gesprochen werden, zumal für diesen Fall § 5 Abs.2 Z2 Waffengesetz einen Ausnahmetatbestand vorsieht.

4.3. Der Beschwerdeführer wurde daher durch die Festnahme am 21. November 1992 um 15.10 Uhr und die nachfolgende Anhaltung bis zum Beginn der Schubhaft am 23. November 1992 in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

5. Da der Beschwerdeführer in seiner Eingabe die Beschwerde auch ausdrücklich auf § 5a Fremdenpolizeigesetz gestützt hat, wurde die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft in der Zeit vom 23. November 1992 bis zur Abschiebung in die Türkei am 26. November 1992 im ha. Erkenntnis vom 25. Februar 1992, VwSen-400173/4/Schi, abgehandelt.

6. Bei diesem Verfahrensergebnis waren dem Beschwerdeführer gemäß § 79a AVG zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten in Höhe von 7.413,33 S zuzusprechen; die Berechnung dieser Kosten hatte nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB VwGH vom 23.9.1991, 91/19/0162) nach der Pauschalierungsverordnung BGBl.Nr. 104/1991 zu erfolgen, wobei deren Beträge um ein Drittel zu kürzen sind.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann von den Parteien des Verfahrens (§ 67c Abs.4 AVG) innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (vgl. Slg. 12821A/1988) oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Schieferer

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