Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420275/23/Kl/Rd

Linz, 21.12.2000

VwSen-420275/23/Kl/Rd Linz, am 21. Dezember 2000

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Klempt über die Beschwerde der P, vertreten durch Rechtsanwälte, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Abnahme des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln durch Organe der BPD Linz, nach öffentlichen mündlichen Verhandlungen am 8.9.2000 und 4.10.2000 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Abnahme des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln am 28.3.2000 für rechtswidrig erklärt.

II. Die belangte Behörde (Bund) hat der Beschwerdeführerin den beantragten Aufwandersatz für Schriftsatzaufwand und Barauslagen in der Höhe von insgesamt 8.580 S (entspricht 623,53 €) binnen vierzehn Tagen ab Zustellung zu leisten. Das Mehrbegehren sowie der Aufwandersatzantrag der belangten Behörde werden abgewiesen.

Rechtsgrundlagen:

zu I.: §§ 67a und 67c AVG iVm §§ 57 Abs.8 und 58 Abs.1 KFG 1967.

zu II.: § 79a AVG iVm § 1 Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl.Nr. 855/1995.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Eingabe vom 31.3.2000 wurde Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt eingebracht und beantragt, der unabhängige Verwaltungssenat möge die durch ein Organ der BPD Linz am 28.3.2000 um 15.40 Uhr erfolgte Abnahme der Kennzeichentafeln und des Zulassungsscheins für rechtswidrig erklären und die BPD Linz zum Ersatz der entstandenen Kosten im verzeichneten Ausmaß (für Schriftsatzaufwand und Barauslagen) schuldig erkennen. Am 28.3.2000 gegen 15.40 Uhr sei F mit dem Pkw mit dem amtl. Kennzeichen die Salzburger Straße Richtung stadtauswärts unterwegs gewesen und nahe dem Haus Salzburger Straße von dem Beamten mit der Dienstnummer angehalten und das Fahrzeug einer Überprüfung unterzogen worden. Es wurden der Zulassungsschein sowie die Kennzeichentafeln - letztere unter Anwendung von Körpergewalt durch Zerstörung der Kennzeichenhalterungen - abgenommen, weil an den Seitenscheiben, und zwar auch an der Fahrer- und Beifahrerseite, Folien angebracht waren. Die Bf ist Eigentümerin und hat das Fahrzeug im Herbst 1999 in diesem Zustand mit einer gültigen Plakette gemäß § 57a KFG 1967 erworben und es wurde das Fahrzeug in diesem Zustand zum Verkehr zugelassen. Auf den Folien seien Genehmigungszeichen aufgebracht. Am Betretungstag war schönes Wetter und die Sicht nicht durch Witterungseinflüsse wie Nebel, starker Regen oder Ähnliches eingeschränkt. Bei Zweifeln an der Verkehrssicherheit hätte das Polizeiorgan die Fahrzeugeigentümerin auffordern müssen, das Fahrzeug gegebenenfalls mit geöffneten Seitenscheiben einer Überprüfung zuzuführen. Die Abnahme der Kennzeichen und des Zulassungsscheins war aus der Sicht der Verkehrs- und Betriebssicherheit nicht erforderlich und nicht gesetzeskonform. Eine Aufforderung iSd § 58 Abs.3 KFG 1967 ist nicht ergangen.

2. Die BPD Linz als belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und bezughabende Aktenteile vorgelegt. Darin wird dargelegt, dass anlässlich der Lenker- und Fahrzeugkontrolle festgestellt wurde, dass auf sämtlichen Scheiben des Fahrzeuges außer der Windschutzscheibe, somit auf den Seitenscheiben der ersten und zweiten Sitzreihe und der Heckscheibe Verdunklungsfolien angebracht waren, auf denen die Genehmigungsnummer TI400 h.c. D5130, sichtbar war. Der Lenker habe aber für die Seitenscheiben ab der zweiten Sitzreihe keine Typengenehmigung über den ordnungsgemäßen Einbau eines autorisierten Verarbeitungsbetriebes oder des Amtes der Oö. Landesregierung vorweisen können. Der Lenker sei weiters angewiesen worden, die Verdunklungsfolien von den vorderen Seitenscheiben zu entfernen, da durch die Weiterverwendung des Kfz die Verkehrssicherheit nicht mehr gegeben sei, widrigenfalls es zu einer Abnahme der Kennzeichentafeln und des Zulassungsscheines kommen werde. Auch sei der Lenker aufgefordert worden, mit zur Prüfstelle des Amtes der Oö. Landesregierung zu fahren, um dort das Kfz einer Überprüfung zuzuführen. Dies sei mit dem Hinweis auf dringende Termine verweigert worden. Daraufhin wurden Zulassungsschein und Kennzeichentafeln abgenommen. Der Zulassungsbesitzerin (Bf) wurde um 17.35 Uhr erklärt, dass die Kennzeichentafeln und der Zulassungsschein abgeholt werden könnten, sofern die Folien von den vorderen Seitenscheiben entfernt werden. Dies wurde auch bis 22.00 Uhr von ihr zugesagt. Tatsächlich erfolgte eine Entfernung der Folien und Abholung der Kennzeichentafeln und des Zulassungsscheins nicht, sodass letztere an die Behörde weitergeleitet wurden. Die Scheibenfolien seien zwar typengenehmigt, aber nicht vorschriftsgemäß angebracht und daher anzeigepflichtig. Dies deshalb, weil sie an den Seitenscheiben der ersten Sitzreihe angebracht waren und die Folien bis 1mm zum Scheibenrand reichten, wodurch der Rand der Verdunklungsfolien in den Scheibenhalterungen und über den Fenstergummi mit der Karosserie verklemmt war, sodass ein erhöhtes Verletzungsrisiko durch Glassplitter gegeben war. Es war daher die Abnahme gemäß § 58 Abs.1 iVm § 57 Abs.8 KFG 1967 rechtmäßig. Gelindere Mittel wie die selbständige Entfernung oder die Vorführung zur Prüfstelle des Amtes der Oö. Landesregierung kamen wegen mangelnder Bereitschaft nicht zur Anwendung. Es wurde daher Kostenersatz begehrt.

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die Schriftsätze sowie die vorgelegte Anzeige der BPD Linz, Verkehrsabteilung, vom 31.3.2000 samt Beilagen und dem Bericht vom 13.4.2000. Weiters wurde vom Oö. Verwaltungssenat eine öffentliche mündliche Verhandlung für den 8.9.2000 und 4.10.2000 anberaumt und an diesen Tagen durchgeführt. Bei diesen Verhandlungen sind neben den Verfahrensparteien, die Zeugen F und RI S geladen worden und erschienen. Weiters wurde TAR Ing. L als technischer Amtssachverständiger für Kraftfahrwesen zur Gutachtenserstattung herangezogen. Anlässlich der mündlichen Verhandlung wurden von der Bf Fotos des Pkw sowie der Typengenehmigungsbescheid samt Einbaubestätigung vorgelegt. Der Pkw wurde an Ort und Stelle besichtigt.

4. Als entscheidungsrelevanter Sachverhalt wird festgestellt:

4.1. Am 28.3.2000 gegen 15.20 Uhr wurde der Lenker des Pkw mit dem Kennzeichen, dessen Fahrzeughalterin und Zulassungsbesitzerin die Bf ist, auf der Salzburger Straße Richtung stadtauswärts nächst dem Haus Nr. zu einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten. Dabei wurde von Organen der belangten Behörde festgestellt, dass auf sämtlichen Scheiben des Pkw außer der Windschutzscheibe Verdunklungsfolien angebracht waren. Die Verdunklungsfolien wiesen die Nr. TI400 h.c., D5130 auf. Aufgrund einer Aufforderung durch das Organ konnte kein Typengenehmigungsbescheid und auch keine Bestätigung eines autorisierten Verarbeitungsbetriebes über den ordnungsgemäßen Einbau der Folien vorgelegt werden, weil ein Typengenehmigungsbescheid vom Autohändler, bei welchem das Fahrzeug erworben wurde, nicht ausgehändigt wurde. Nach Angaben des Lenkers, der beim Erwerb des Pkw dabei war, wurde das Auto im Oktober 1999 in dem bei der Kontrolle vorgefundenen Zustand mit der Zusicherung erworben, dass alles schon typisiert sei. Der Pkw wurde mit einer gültigen Prüfplakette erworben. Er wurde auch in diesem Zustand von der Bf zur Zulassung angemeldet. Zum Zeitpunkt der Kontrolle waren gute Sichtverhältnisse, es war sehr hell und es hat die Sonne geschienen. Der Lenker wurde sodann aufgefordert, die Folien in der ersten Sitzreihe herunterzunehmen oder zur Überprüfung zum Amt der Oö. Landesregierung zu fahren, ansonsten würden die Kennzeichen abgenommen werden. Trotz dieser Androhung wurde sowohl das Mitfahren als auch die Herunternahme der Folien verweigert. Daraufhin wurde der Lenker aufgefordert, die Kennzeichentafeln abzunehmen. Auch dies wurde von ihm nach mehrmaliger Aufforderung verweigert und es wurden die Kennzeichentafeln vom Organ abgenommen. Dabei wurde der seitliche Rand der Kennzeichenhalterung gebrochen. Der Zulassungsschein wurde ebenfalls nicht mehr ausgefolgt. Eine Bestätigung über die Abnahme wurde dem Lenker ausgehändigt.

Der später beim WZ Neue Heimat erschienenen Bf wurde angegeben, dass sie die Folien an der vorderen Sitzreihe entfernen müsse, dann könne sie jederzeit die Kennzeichen und den Zulassungsschein mitnehmen. Dies wurde nicht unternommen, sodass Kennzeichen und Zulassungsschein am nächsten Tag der Behörde vorgelegt wurden. Es wurde sodann vom Organ Anzeige erstattet und ein Antrag auf besondere Überprüfung gemäß § 56 KFG 1967 gestellt.

Dieses Ergebnis stützt sich auf die Zeugenaussagen sowie auch auf die Angaben der belangten Behörde und den bezughabenden Akt. Während der Lenker aussagte, dass in der ersten Sitzreihe die Folien heller waren als in der zweiten Sitzreihe, sämtliche Folien aber Genehmigungsnummern aufwiesen, gab das zeugenschaftlich einvernommene Organ an, dass die Folien aller Seitenscheiben im Verdunklungsgrad gleich waren und immer wieder auf die Genehmigungsnummer durch den Lenker hingewiesen wurde. Es war die gleiche Nummer angebracht. Im Hinblick auf die gleiche Nummer war daher vom gleichen Verdunklungsgrad aller Folien auszugehen.

4.2. Für die gegenständlichen Verdunklungsfolien wurde in der öffentlichen mündlichen Verhandlung ein Typengenehmigungsbescheid des Verkehrsministeriums vom 11.7.1995 vorgelegt, woraus die firmenmäßige Typenbezeichnung TI400 h.c. und das Genehmigungszeichen D5130 ersichtlich ist. Gemäß Punkt 6 lit.e des Bescheides dürfen die genehmigten Folien nur zur nachträglichen Aufbringung an der Innenseite von nicht getönten Fahrzeugscheiben, die für die Sicht des Lenkers nicht von Bedeutung sind, verwendet werden. Weiters ist im Bescheid angeordnet (lit.f), dass die Folie nur vom Hersteller oder dessen Bevollmächtigten in Österreich oder von diesen ermächtigten Firmen oder Werkstätten angebracht werden darf, und dass jeder in den Handel gebrachten Folie eine Kopie dieses Genehmigungsbescheides beizugeben ist mit dem Hinweis, diese im Fahrzeug mitzuführen und auf die Verpflichtung der Einhaltung dieser Bedingungen (lit.g).

4.3. Am 8.9.2000 wurde in Anwesenheit des techn. Amtssachverständigen ein Lokalaugenschein am gegenständlichen Fahrzeug vorgenommen und festgestellt, dass zu diesem Zeitpunkt an der Verglasung der zweiten Sitzreihe sowie an der Heckscheibe eine getönte Scheibenfolie mit der Genehmigungsnummer TI 400 h.c. D 5130 angebracht war. Für diese Folien wurde eine entsprechende Typengenehmigung vorgelegt. An der ersten Sitzreihe waren zu diesem Zeitpunkt des Augenscheines die Folien bereits entfernt, allerdings wurde festgestellt, dass sämtliche Verglasungen des Fahrzeuges eine Grundtönung aufweisen. Unter Hinweis auf Erlässe zu Zl 430.303/4-IV-2/88, 190.500/2-I-8/94 und 170.303/18-IIB-7-99, ist das Anbringen von Folien auf bereits getönten Scheiben nicht zulässig, weil der erforderliche Transmissionsgrad, sprich die Durchlässigkeit, nicht mehr eingehalten werden kann. Dies kommt bei der Anbringung einer getönten Folie an die für die Sicht des Fahrers primär zur Bedeutung kommenden Verglasungen, zB erste Sitzreihe, umso mehr zum Tragen, weil die seitliche optische Wahrnehmung zB Rundumblick auf Schutzwege, Radfahrer, Fußgänger bzw Querkommer, drastisch herabgesetzt wird. Insbesondere während der Dämmerung und Dunkelheit sowie bei unsichtigem Wetter und Nebel. Zur unsachgemäßen Montage der Scheibenfolie wurde vom Amtssachverständigen ausgeführt, dass bei Folien, die über den Fenstergummi mit der Karosserie verklebt werden, sich das Problem ergibt, dass das Glas bei einem Unfall durch Einschlagen nicht zerbröselt bzw nicht krümelt. Dies kann bei einem Verkehrsunfall für den Lenker oder sonstigen Unfallbeteiligten zu einem erhöhten Verletzungsrisiko führen. Es war daher durch die weitere Verwendung des gegenständlichen Fahrzeuges mit Verdunklungsfolien an den Seitenscheiben der ersten Sitzreihe grundsätzlich die Verkehrssicherheit gefährdet. Unter den gegebenen Voraussetzungen der guten Sicht und Witterung sowie Sonnenschein zum Zeitpunkt der Abnahme der Kennzeichentafeln war eine unmittelbare Gefährdung der Verkehrssicherheit nicht gegeben.

Dieses Gutachten ist schlüssig und konnte der Entscheidung zu Grunde gelegt werden.

5. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

5.1. Gemäß § 33 Abs.1 KFG 1967 hat der Zulassungsbesitzer Änderungen an einem einzelnen zum Verkehr zugelassenen Fahrzeug einer genehmigten Type, die die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeuges beeinflussen können, unverzüglich dem Landeshauptmann anzuzeigen. Durch Verordnung können Ausnahmen der Anzeigepflicht unter bestimmten näher geregelten Voraussetzungen geregelt werden. Entsprechende Ausnahmen von der Anzeigepflicht wurden daher im § 22a Abs.1 Z2 lit.l KDV geregelt, weil gemäß § 2 Abs.1 lit.n KDV die Genehmigungspflicht für Folien, die auf Scheiben von Kraftfahrzeugen angebracht werden, vorgesehen ist. Sie müssen aber hinsichtlich ihrer Beschaffenheit und Anbringung den Vorschriften entsprechen (§ 22a Abs.1 Z2 KDV).

Aufgrund des Beweisverfahrens steht fest, dass die gegenständlichen Verdunklungsfolien zwar typengenehmigt sind, dass sie aber nicht entsprechend den bescheidmäßigen Auflagen (Aufbringung nur an nicht getönten Fahrzeugscheiben, die für die Sicht des Lenkers nicht von Bedeutung sind; Beschichtung mit der Folie nur bis zur Scheibenhalterung; ein Verklemmen oder eine Verbindung der Folie mit der Scheibeneinfassung oder der Gummidichtung ist unzulässig; die Kopie des Genehmigungsbescheides ist im Fahrzeug mitzuführen) angebracht waren bzw diese nicht eingehalten worden sind. Insbesondere wurden die Folien vorschriftswidrig auf getönten Fahrzeugscheiben angebracht und weiters an Scheiben, die für die Sicht des Lenkers von Bedeutung sind, nämlich in der ersten Sitzreihe. Es wäre daher wieder die Anzeigepflicht gemäß § 33 KFG gegeben gewesen.

5.2. Gemäß § 58 Abs.1 KFG 1967 kann die Wirksamkeit der Teile und Ausrüstungsgegenstände eines Fahrzeuges, die bei seinem Betrieb betätigt werden, und für die Verkehrs- oder Betriebssicherheit von Bedeutung sind, und der Zustand seiner Reifen jederzeit von der Behörde, in deren örtlichen Wirkungsbereich sich das Fahrzeug befindet, oder von den ihr zur Verfügung stehenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an Ort und Stelle geprüft werden. Wird die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet, so sind die Bestimmungen des § 57 Abs.8 anzuwenden.

Gemäß § 57 Abs.8 KFG sind bei Gefahr im Verzug, unbeschadet der Bestimmungen des § 44a Abs.1 lit.a über die Aufhebung der Zulassung, der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln unverzüglich abzunehmen, wenn die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet ist.

5.2.1. Der VwGH hat in seiner zahlreichen Judikatur "Gefahr im Verzug" immer dahingehend definiert, dass die Wahrscheinlichkeit eines unmittelbaren Schadens bei Unterlassung einer Maßnahme gegeben ist bzw bei Unterlassung einer Maßnahme die Gefahr eines unmittelbaren Schadens droht (vgl. Hauer-Leukauf, S. 427, Anm. 2 zu § 57 Abs.1 AVG). Dies bedeutet, dass nicht durch gelindere Mittel und unter Durchführung eines - wenn auch verkürzten - Verwaltungsverfahrens das Ziel der Gefahrenabwehr und der Schadensbekämpfung erreicht werden kann. Auch der Verfassungsgerichtshof führte aus, dass bei der Frage, ob Gefahr im Verzug vorliegt, ein strenger Maßstab anzulegen ist (VfSlg. 12701/1989). Unter diesem Aspekt ist auch die Bestimmung des § 57 Abs.8 KFG zu sehen, wonach die Anwendung von unmittelbarem Zwang durch Abnahme des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln nur dann gerechtfertigt ist, wenn gelindere Mittel oder die Durchführung eines ordentlichen oder verkürzten Verwaltungsverfahrens, so zB Verfahren zur Auflassung der Zulassung oder behördliche Aufforderung zur besonderen Überprüfung des Kfz, das Ziel der unmittelbaren Gefahrenabwehr nicht erreichen würde.

5.2.2. Der VfGH weist in seiner Entscheidung vom 28.6.1973, B 314/71; VfSlg 7091 auf die in § 57 Abs.7 und 8 getroffene Unterscheidung zwischen Fahrzeugen, die sich nicht in verkehrs- und betriebssicherem Zustand befinden, und solchen, durch deren weitere Verwendung die Verkehrssicherheit gefährdet wird, hin und folgert daraus, dass nicht bereits jedweder bei der Überprüfung vorgefundene Mangel, der die Ursache des nicht verkehrs- und betriebssicheren Zustandes des Fahrzeuges bildet, zugleich ein solcher ist, bei dessen Vorliegen die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet wird. Die in § 58 Abs.1 vorgesehene Maßnahme der Abnahme des Zulassungsscheines und der Kennzeichentafeln ist darauf abgestellt, dass "die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet" wird und setzt somit die Verwendbarkeit, dh die Fahrfähigkeit des Fahrzeuges voraus. So wird in den ADE IV zu § 58 Abs.1 des BMV vom 16.5.1984, 70303/13-IV/3-84, unter Mängeln bei fahrfähigen Fahrzeugen, durch deren weitere Verwendung die Verkehrssicherheit gefährdet wird, angeführt: Bremswirkung entspricht nicht den Mindestanforderungen für die Hilfsbremse; Lenkanlage mit zu großem Spiel; Fahrwerk so verzogen, dass Spurhaltung nicht mehr gewährleistet; alle Scheinwerfer fehlen oder unbrauchbar (nur bei Dunkelheit oder schlechter Sicht auf Freilandstraßen). Weiters wird angeführt, dass bei fahrfähigen Fahrzeugen, die sich offensichtlich nicht in vorschriftsmäßigem Zustand befinden und bei deren weiterer Verwendung die Verkehrssicherheit nicht unmittelbar gefährdet wird, die Behörde vom Zustand des Fahrzeuges zu verständigen ist. Beispielsweise wurden als solche Mängel, die durch besonderes Verhalten, insbesondere durch erhöhte Aufmerksamkeit des Lenkers kompensiert werden können, angeführt: alle Rückspiegel fehlen oder unbrauchbar; Betriebsbremsanlage ausgefallen, nur Wirkung der Hilfsbremsanlage; Deformation der Karosserie ohne offensichtliche Beeinträchtigung des Fahrverhaltens; Fahrzeugreifen hinsichtlich Tragfähigkeit oder (ausgenommen Winterreifen) Bauartgeschwindigkeit unzureichend (vgl. Grubmann, KFG, Manz Verlag, S. 287 ff).

5.2.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere aufgrund des Beweisverfahrens und des eingeholten Gutachtens des techn. Amtssachverständigen für Kraftfahrwesen ist aber ersichtlich, dass durch das Anbringen der gegenständlichen Verdunklungsfolien auf getönte Seitenscheiben der ersten Sitzreihe zwar die seitliche optische Wahrnehmung insbesondere während der Dämmerung oder Dunkelheit oder bei schlechter Sicht und Nebel, drastisch herabsetzt und daher die Verkehrssicherheit gefährdet wird. In der konkreten Situation der Betretung gegen 15.30 Uhr nachmittags bei Sonnenschein und günstiger Witterung war aber die optische Wahrnehmung nicht in dem Maß herabgesetzt und beeinträchtigt, dass unter den gegebenen Verhältnissen zum Zeitpunkt des Einschreitens eine unmittelbare Gefährdung der Verkehrssicherheit und damit auch eine Gefahr im Verzug gegeben war. Es wird auf die im zit. Erlass geschilderte vergleichbare Situation, dass alle Scheinwerfer fehlen oder unbrauchbar sind und dies nur bei Dunkelheit oder schlechter Sicht auf Freilandstraßen die Abnahme des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln rechtfertigt, hingewiesen. Bei Tag und günstigen Sichtverhältnissen ist daher eine Zwangsmaßnahme nicht gerechtfertigt. Im Hinblick auf den vom Amtssachverständigen erwähnten Rundblick ist daher auch der die Verkehrssicherheit nicht unmittelbar gefährdende Mangel, dass alle Rückblickspiegel fehlen oder unbrauchbar sind, vergleichbar. Auch hier wäre nach dem zit. Literaturhinweis eine Zwangsmaßnahme rechtswidrig.

Mangels der gesetzlichen Voraussetzung einer Gefahr im Verzug war die Ausübung von unmittelbarem verwaltungsbehördlichen Zwang durch Abnahme des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln in der gegenständlichen Situation nicht gerechtfertigt. Es war daher der gegenständliche Verwaltungsakt als rechtswidrig festzustellen.

Nachdrücklich wird aber darauf hingewiesen, dass hiemit nichts über die Rechtmäßigkeit der Vorgangsweise der Bf bzw den vorschriftsmäßigen Zustand des Fahrzeuges ausgesagt wird.

5.3. Im Hinblick auf die Ausführungen der belangten Behörde ist die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit von der Beeinträchtigung der Betriebssicherheit der Fahrzeuge zu unterscheiden. Können beide auch gleichermaßen an Ort und Stelle überprüft werden, so kann dennoch nur bei Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit die Maßnahme nach § 57 Abs.8 KFG Anwendung finden (vgl. § 58 Abs.1 zweiter Satz sowie § 57 Abs.8 KFG "wird die Verkehrssicherheit ..."). Es ist daher im Hinblick auf das vorschriftswidrige Aufbringen der Folien über den Fenstergummi und der damit verbundenen Verletzungsgefahr bei einem Verkehrsunfall bei Glasbruch zwar von einer Gefährdung der Betriebssicherheit aber nicht der Verkehrssicherheit (Beeinträchtigung der übrigen Verkehrsteilnehmer) gegeben. Die Gefährdung der Betriebssicherheit eines Fahrzeuges rechtfertigt daher keine Maßnahme gemäß § 57 Abs.8 KFG, es sei denn, es läge damit auch eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer vor.

5.4. Aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen ist aber von einer weiterreichenden (behaupteten) Rechtsverletzung nicht auszugehen. Insbesondere wurde der Bf noch am selben Tag angeboten, die Folien an den Seitenscheiben der ersten Sitzreihe abzunehmen, wonach jederzeit die Kennzeichentafeln und der Zulassungsschein formlos bei den Organen abgeholt werden konnten. Der weitere Verbleib der Kennzeichentafeln bei den Organen bzw der Behörde ist nicht der Behörde zuzurechnen, sondern der Bf. Darüber hinaus wurde an Ort und Stelle dem Lenker freigestellt, selbst die Kennzeichentafeln abzunehmen, was von diesem verweigert wurde.

5.5. Wenn sich die Bf weiters auf eine gültige Prüfplakette auf dem gegenständlichen Pkw beruft, so ist aber diesbezüglich auszuführen, dass das Aushändigen der Prüfplakette bestätigt, dass zum Überprüfungszeitpunkt der Pkw verkehrs- und betriebssicher und den Vorschriften entsprechend ist. Über den Zustand des Fahrzeuges nach dem Prüfungszeitpunkt wird dadurch keine Aussage getroffen. Insbesondere kann der Zustand des Fahrzeuges nach der entsprechenden technischen Überprüfung jederzeit geändert werden.

6. Weil die Beschwerde Erfolg hatte, war die Bf obsiegende Partei und war ihr daher gemäß § 79a AVG der Kostenersatz antragsgemäß zuzusprechen. Mit dem Beschwerdeschriftsatz wurden der Schriftsatzaufwand und Barauslagen geltend gemacht. Diese sind daher gemäß § 79a Abs.4 Z1 und 3 AVG sowie § 1 der Aufwand-ersatzverordnung UVS zuzusprechen. Es ergibt sich daher ein Schriftsatzaufwand von 8.400 S sowie der Ersatz der Barauslagen für Stempelgebühren in Höhe von 180 S. Das Mehrbegehren war mangels Rechtsgrundlage abzuweisen. Darüber hinaus wurde kein Aufwandersatz geltend gemacht und konnte daher nicht zugesprochen werden (§ 79a Abs.6 AVG). Der Kostenersatzanspruch der belangten Behörde war hingegen abzuweisen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Dr. Klempt

Beschlagwortung:

Gefahr im Verzug, Beurteilung nach konkreter Situation, Verdunkelungsfolien bei Sonne keine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit.

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