Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420331/5/Gf/La

Linz, 19.06.2002

VwSen-420331/5/Gf/La Linz, am 19. Juni 2002 DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Beschwerde des A B, A, K, vertreten durch RA Dr. J P, S, M, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe des Bezirkshauptmannes von Braunau am 1. März 2002 zu Recht erkannt:

Die vorläufige Abnahme des Führerscheines am 1. März 2002 wird als rechtswidrig erklärt.

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. In seiner 10. April 2002 - und damit rechtzeitig - per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingebrachten, auf Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG i.V.m. § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG gestützten Beschwerde bringt der Rechtsmittelwerber vor, dass ihm am 1. März 2002 wegen einer unter besonders gefährlichen Verhältnissen auf einer Freilandstraße begangenen Geschwindigkeitsübertretung im Ausmaß von 91 km/h von einem Beamten des GP P der Führerschein abgenommen worden sei.

Diese Führerscheinabnahme sei auf den zweiten Satz des § 39 Abs. 1 des Führerscheingesetzes gestützt worden; diese Bestimmung begegne jedoch deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 2 StGG und das Legalitätsprinzip des Art. 18 Abs. 1 B-VG, weil sich keinerlei Determinanten für das diesbezüglich der Behörde eingeräumte Ermessen fänden. Im Unterschied zu einer Alkohol- und Suchtgiftbeeinträchtigung könne im Falle der Betretung bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung in der Regel mit Einsicht und anschließendem Wohlverhalten des Lenkers gerechnet werden. Außerdem wäre ansonsten ein Lenker, der sich im Bewusstsein seines Fehlverhaltens der Kontrolle entzieht und so einen Führerscheinentzug von vornherein vereitelt, de facto besser gestellt als einer, der sich dieser Maßnahme unterwirft.

Da sich der Beschwerdeführer sohin durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als in seinen Rechten verletzt erachtet, wird die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Führerscheinentzuges beantragt.

1.2. Die belangte Behörde wendet dagegen unter Vorlage des bezughabenden Verwaltungsaktes in ihrer Gegenschrift ein, dass im Hinblick auf die Tatörtlichkeit - einmündende Straßen, Wildwechsel - zweifelsfrei besonders gefährliche Verhältnisse vorgelegen seien, sodass die Führerscheinabnahme gerechtfertigt gewesen sei.

Deshalb wird - erschließbar - die Zurück- bzw. Abweisung der Beschwerde beantragt.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der BH Braunau zu Zl. VerkR21-130-2002/BR; da sich bereits aus diesem in Verbindung mit dem Parteienvorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und mit der gegenständlichen Beschwerde lediglich eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde geltend gemacht sowie ein entsprechender Parteienantrag nicht gestellt wurde, konnte im Übrigen von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 39 Abs. 1 des Führerscheingesetzes, BGBl.Nr. I 120/1997, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 94/1998 (im Folgenden: FSG) haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Straßenaufsicht einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, dass er insbesondere in Folge eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt oder bei dem ein Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder mehr oder ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 g/l oder mehr festgestellt wurde, oder der eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO begangen hat, den Führerschein vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug gelenkt bzw. in Betrieb genommen hat oder es in Betrieb zu nehmen versucht (§ 39 Abs. 1 erster Satz FSG). Ebenso können diese Organe bei mit technischen Hilfsmitteln festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen, die mit einer Entziehung geahndet werden, den Führerschein vorläufig abnehmen (§ 39 Abs. 1 FSG).

3.2. Im gegenständlichen Fall wendet sich der Beschwerdeführer ausschließlich gegen die Verfassungsmäßigkeit der letztzitierten Bestimmung und regt in diesem Zusammenhang die Einleitung eines Normprüfungsverfahrens gemäß Art. 140 Abs. 1 i.V.m. Art. 129a Abs. 3 und Art. 89 Abs. 2 B-VG an.

3.3. Der Oö. Verwaltungssenat sieht sich jedoch hier aus folgenden Gründen nicht zu einer dementsprechenden Antragstellung veranlasst:

3.3.1. Dem Beschwerdeführer ist zunächst dahin beizupflichten, dass der erste Satz des § 39 Abs. 1 FSG eine Rechtsentscheidung, § 39 Abs. 2 zweiter Satz FSG hingegen eine Ermessensentscheidung statuiert.

3.3.2. Der erste Satz des § 39 Abs. 1 FSG ist nun normlogisch derart strukturiert, dass - unter gelegentlicher Beifügung von Beispielsaufzählungen - drei Fallgruppen eines zwingenden interimistischen Führerscheinentzuges schafft. Einem Kraftfahrzeuglenker (der ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen hat bzw. versucht, es in Betrieb zu nehmen) ist danach der Führerschein nämlich dann vorläufig abzunehmen, wenn

a) aus seinem Verhalten deutlich zu erkennen ist, dass er nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt - dies z.B. (arg. "insbesondere") infolge Alkohol- oder Suchtmittelgenusses, einer Einnahme von Medikamenten oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes;

oder

b) ein einen bestimmten Grenzwert übersteigender Alkoholgehalt des Blutes oder der Atemluft festgestellt wurde;

oder

c) er eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO (Verweigerung des Alkotests, der Blutabnahme oder der ärztlichen Untersuchung) begangen hat.

Insgesamt geht daraus - weil die Fallgruppen b) und c) systematisch betrachtet lediglich als eine Untergruppe der Kategorie a) erscheinen - als zentrales Prinzip die gesetzgeberische Grundsatzentscheidung hervor, dass ein Führerscheinentzug stets dann zu erfolgen hat, wenn aus dem Verhalten des Kraftfahrzeuglenkers deutlich zu erkennen ist, dass er nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt.

3.3.3. An diese Wertentscheidung knüpft nun - wie dies durch das Wort "ebenso" zum Ausdruck gebracht wird - § 39 Abs. 1 zweiter Satz FSG unmittelbar an, sodass die Behörde (im Wege einer Ermessensentscheidung) grundsätzlich dann einem Kraftfahrzeuglenker den Führerschein vorläufig abnehmen kann, wenn eine mit einer Entziehung bedrohte und mit technischen Hilfsmitteln festgestellte Geschwindigkeitsübertretung vorliegt, und das einschreitende Organ deutlich erkennen kann, dass dieser nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Körper besitzt.

Der Einwand des Beschwerdeführers, dass § 39 Abs. 1 zweiter Satz FSG "nicht einmal andeutet, unter welchen Umständen der Führerschein abgenommen werden kann" (vgl. S. 7 des Beschwerdeschriftsatzes), vermag daher nicht zu überzeugen.

3.3.4. Dies gilt auch für sein weiteres Vorbringen, dass damit ein Lenker, der sich einer Anhaltung entzieht und stattdessen ein Strafverfahren in Kauf nimmt, besser gestellt wäre als jener, der sich der Verkehrskontrolle stellt, weil dies in jenen Fällen, wenn ein Straftäter nicht betretenen oder ermittelt werden kann, generell zutrifft. Sollte das Vorbringen des Rechtsmittelwerbers hingegen von der Überlegung getragen sein, dass jene die Anhalteverpflichtung normierende Bestimmung (§ 97 Abs. 5 StVO) aus dem Blickwinkel des gegenständlichen Falles nicht mit einer adäquaten Sanktion verbunden ist, so wäre diese Verfassungswidrigkeit jener - hier nicht präjudiziellen - Vorschrift anzulasten.

3.4. Von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des § 39 Abs. 1 zweiter Satz FSG ausgehend war daher unter dem Aspekt der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung im Zuge der vorläufigen Führerscheinabnahme im gegenständlichen Fall zu prüfen, ob die einschreitenden Sicherheitsorgane deutlich erkennen konnten, dass der Beschwerdeführer infolge eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und Körper besaß.

3.4.1. Wenn in diesem Zusammenhang in der Anzeige des GP P vom 6. März 2002, Zl. A1/234/02, angeführt ist, dass mittels Laser-Messgerät eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 91 km/h festgestellt wurde und der Rechtsmittelwerber - dazu befragt - bloß angeben konnte, sich nicht erklären zu können, warum er so schnell gefahren ist, so lässt dies objektiv besehen unter Zugrundelegung der allgemeinen Lebenserfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass er einem sog. "Geschwindigkeitsrausch" erlegen ist, der - im Zeitpunkt der Begehung einer derart exzessiven Geschwindigkeitsüberschreitung - einen temporären Verlust der vollen Herrschaft über seinen Geist nach sich gezogen hat.

3.4.2. Wesentliche Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme des vorläufigen Führerscheinentzuges ist jedoch - worauf der Beschwerdeführer zu Recht hinweist - darüber hinaus auch eine im Zeitpunkt des Einschreitens vom Sicherheitsorgan zu treffende ungünstige Prognoseentscheidung derart, dass der Rechtsmittelwerber im Falle der Belassung des Führerscheines eine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen würde (vgl. auch § 39 Abs. 2 FSG, wonach der Führerschein seinem Besitzer wieder auszufolgen ist, wenn dieser die volle Herrschaft über seinen Geist und Körper vor Ablauf von zwei Tagen wiedererlangt hat).

Diesbezüglich finden sich jedoch in dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt keine Anhaltspunkte (insbesondere weder in der bereits zuvor angesprochenen Anzeige vom 6. März 2002 noch in der gemäß § 76 Abs. 1 KFG ausgestellten Bescheinigung).

Die belangte Behörde hat daher insoweit rechtswidrig gehandelt, als nicht objektiv nachvollziehbar ist, dass das einschreitende Organ deutlich erkennen konnte, dass beim Beschwerdeführer unmittelbar nach dem Feststellen der Geschwindigkeitsüberschreitung (weiterhin) eine (zwei Tage überschreitende) Beeinträchtigung der vollen Herrschaft über seinen Geist und Körper infolge eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes vorlag.

3.5. Dies hatte der Oö. Verwaltungssenat in Stattgebung der Beschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG festzustellen.

4. Eine Kostenentscheidung war mangels eines darauf gerichteten Antrages (§ 79a Abs. 6 AVG) nicht zu treffen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

Dr. G r o f

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