Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-103721/7/Br

Linz, 04.06.1996

VwSen-103721/7/Br Linz, am 4. Juni 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn J P, T, vertreten durch Herrn Dr. F B, RA, L, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 27.

März 1996, AZ. III/VU/P/1949/95 W, wegen Übertretungen der StVO 1960, nach der am 29. Mai 1996 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr.

471/1995 - AVG, iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 und § 51i Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr.

52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG; II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat mit dem Straferkenntnis vom 27. März 1996, AZ. III/VU/P/1949/95 W über den Berufungswerber wegen der Übertretung des § 9 Abs.2 StVO 1960 iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 700 S und für den Nichteinbringungsfall 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er am 8.6.1995 um 16.50 Uhr in L, auf der S Richtung zur Kreuzung mit der L, nach rechts in diese einbiegend den Pkw gelenkt und einem Radfahrer (gemeint einer Radfahrerin) auf der Radfahrerüberfahrt das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn nicht ermöglicht habe.

1.1. Begründend führte die Erstbehörde in rechtlicher Hinsicht aus, daß der Lenker eines Fahrzeuges, das kein Schienenfahrzeug ist, einem Radfahrer, der sich auf einer Radfahrerüberfahrt befindet oder diese erkennbar benützen will, das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen habe.

Die Erstbehörde vermeinte, es sei irrelevant von welcher Seite in einem solchen Fall "der Radfahrer" sich der Kreuzung näherte, zumal der Berufungswerber, wie er selbst angegeben habe, die Radfahrerin übersehen habe. Selbst wenn die Radfahrerin auf der "falschen Seite" (gemeint auf der linken Seite der L in Richtung stadtauswärts) fuhr, hätte der Berufungswerber die Bestimmung des § 9 Abs.2 StVO zu beachten gehabt, da der Anstoß in jenem Augenblick erfolgt sei, als die Radfahrerin vor dem PKW des Berufungswerbers fuhr. Somit habe diese sich zu diesem Zeitpunkt auf der Radfahrerüberfahrt befunden. Diese Radfahrerüberfahrt sei für den Berufungswerber durch das Verkehrszeichen "Kennzeichnung einer Radfahrerüberfahrt" deutlich gekennzeichnet gewesen.

2. Der Berufungswerber führte durch seinen ag.

Rechtsvertreter im wesentlichen aus, daß die Radfahrerin den Radweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung gelenkt habe. Es sei nämlich auf beiden Seiten der L ein Radweg vorhanden gewesen, sodaß im Sinne des Rechtsfahrgebotes der gegenüberliegende Radweg zu verwenden gewesen wäre. Der KFZ-Lenker habe gemäß § 3 StVO 1960 (Vertrauensgrundsatz) nicht mit einer Annäherung eines Radfahrers rechnen brauchen und zwar auch dann nicht, wenn für ihn schon vor dem Radweg das Verkehrszeichen "Vorrang geben" angebracht gewesen wäre.

Ein solches Verkehrszeichen verpflichte den Kfz-Lenker nicht, einem unzulässig von rechts herannahenden Radfahrer den Vorrang einzuräumen (OGH v. 25.3.1992, 2 OB 9/92, ZVR 1992/142).

Es wurde die Verfahrenseinstellung beantragt.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Linz und dessen Erörterung im Rahmen der unter Durchführung eines Ortsaugenscheines vorgenommenen öffentlichen mündlichen Verhandlung, an welcher auch ein Vertreter der Bundespolizeidirektion Linz teilnahm. Ferner wurde Beweis geführt durch die Vernehmung der S. H als Zeugin.

3.1. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Da mit der Berufung auch Tatsachenfragen aufgeworfen wurden, wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt (§ 51e Abs.1 VStG). Die Parteien verzichteten einvernehmlich auf die Anberaumung eines Termins zur öffentlichen mündlichen Entscheidungsverkündung.

4. Im Kreuzungsbereich S beträgt aus der Sichtposition eines Fahrzeuglenkers die Gefahrensichtweite nach links (in die Leonfeldnerstraße stadtauswärts) etwa 40 Meter. Die Sicht war zum Zeitpunkt des Ortsaugenscheines zusätzlich durch knapp an den Kreuzungsbereich heran abgestellte Fahrzeuge erheblich reduziert. Dies führt zum Ergebnis, daß ein in die Leonfeldnerstraße einbiegender Fahrzeuglenker, ein von links mit 50 km/h annäherndes Fahrzeug maximal drei Sekunden vor dem Erreichen der Kreuzung wahrnehmen kann. Daher ist der Fahrzeuglenker in der Einbiegephase gezwungen seine Aufmerksamkeit zur Gänze nach links zu richten.

Die Radfahrerin H hielt fünf Meter vor dem stadteinwärts gelegenen Schnittpunkt mit der L (der Radfahrerüberfahrt auf der S) an. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch der Berufungswerber sein Fahrzeug unmittelbar vor der Radfahrerüberfahrt angehalten und einen Blick auch in Richtung der Radfahrerin und in weiterer Folge nach links in die L gemacht. Die Radfahrerin meinte, daß der Pkw-Lenker stehen bleiben würde und wollte unmittelbar vor dem Pkw die Radfahrerüberfahrt überqueren. In dieser Phase hatte der Berufungswerber das Abbiegemanöver in die L nach rechts bereits eingeleitet und stieß dabei die zwischenzeitig in seine Fahrlinie gelangte Radfahrerin um.

4.1. Dieses Beweisergebnis stützt sich auf das Ergebnis der Feststellungen beim Ortsaugenschein. Insbesondere der Aussage der Zeugin S. H (der Radfahrerin) war zu entnehmen, daß sie ca. fünf Meter vor der späteren Kollisionsstelle angehalten und dabei auch den Pkw-Lenker gesehen hatte wie dieser vorerst zu ihr blickte und folglich seinen Blick nach links wandte. Sie habe sich mit dem linken Fuß am Boden abgestützt gehabt und sei der Meinung gewesen der Pkw-Lenker hätte sie gesehen und würde nicht weiterfahren. Folglich sei sie, nachdem sie unmittelbar vor das Fahrzeug des Berufungswerbers gefahren sei, in dessen Anfahrphase umgestoßen worden. Auf Grund der beträchtlichen Unübersichtlichkeit dieser Kreuzung in Richtung stadtauswärts ist ein Fahrzeuglenker in einer solchen Anfahrphase in typischer Weise dazu gezwungen, bei einem in Form eines "Vorantasten" ablaufenden Einbiegens, seine gesamte Aufmerksamkeit nach links zu wenden, zumal die geringe Gefahrensichtweite dies zwingend erforderlich macht.

Offenbar hat die Radfahrerin vorerst wegen des unmittelbar vor der Radüberfahrt verkehrsbedingt und vorschriftsmäßig anhaltenden Berufungswerbers, das durch die Unübersichtlichkeit bedingte "Innehalten" vor der Radfahrerüberfahrt (jedoch bei Erkennen der Blickrichtung des Fahrzeuglenkers nach links), fehlinterpretiert.

5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Der Lenker eines Fahrzeuges, das kein Schienenfahrzeug ist, hat einem Fußgänger, der sich auf einem Schutzweg befindet oder diesen erkennbar benützen will, das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Zu diesem Zweck darf sich der Lenker eines solchen Fahrzeuges einem Schutzweg nur mit einer solchen Geschwindigkeit nähern, daß er das Fahrzeug vor dem Schutzweg anhalten kann, und er hat, falls erforderlich, vor dem Schutzweg anzuhalten. In gleicher Weise hat sich der Lenker eines Fahrzeuges, das kein Schienenfahrzeug ist, vor einer Radfahrerüberfahrt zu verhalten, um einem Radfahrer, der sich auf einer solchen Radfahrerüberfahrt befindet oder diese erkennbar benützen will, das ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen (§ 9 Abs.2 StVO 1960).

5.1.1. Der Erstbehörde ist durchaus beizupflichten, daß das allfällige Befahren in der falschen Richtung eines Radweges einen Fahrzeuglenker nicht von der obigen Verpflichtung befreit. Eine andere Absicht kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, weil ein Fahrzeuglenker häufig nicht wissen kann, ob vor einer ihm angezeigten Radfahrerüberfahrt, eine derartige Anlage auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite eingerichtet ist. Die gegensätzliche, im zit. Urteil des OGH zum Ausdruck gelangende Rechtsansicht eines fehlenden Vorranges auf einer Radfahrerüberfahrt, falls diese bei Vorhandensein eines gegenüberliegenden Radweges in Gegenrichtung zu der nächstgelegenen Fahrbahn befahren wird, vermag nicht zu überzeugen. Ein eine solche Anlage überquerender Fahrzeuglenker wird, wie schon bemerkt, in aller Regel nicht erkennen können, ob sich auf der Gegenseite ein Radweg befindet, sodaß eine solch differenzierte Betrachtung aus Gründen der Sicherheit für die schwächeren Verkehrsteilnehmer - der Radfahrer - (welche bereits im Alter von zehn Jahren am Radfahrerverkehr teilnehmen), dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann. Das Gebotszeichen "Kennzeichnung einer Radfahrerüberfahrt" (§ 53 2b StVO 1960) würde einerseits seines Sinnes überhaupt weitgehend entleert, andererseits läßt der klare Wortlaut des § 9 Abs.2 StVO in seinem Kern, daß "einem Radfahrer der sich auf einer solchen Anlage befindet oder diese erkennbar benützen will, das ungefährdete Überqueren zu ermöglichen ist" eine so differenzierte Auslegung nicht zu. Auch die Argumentation mit dem Vertrauensgrundsatz zieht nicht, weil im Falle des "Erkennenkönnens bzw. des Erkennenmüssens" eines Fehlverhaltens der Vertrauensgrundsatz nicht mehr zur Anwendung gelangen würde.

5.1.2. Der Berufungswerber verhielt sich hier aber trotzdem verkehrsgerecht. Von keinem Fahrzeuglenker wäre in der hier vorliegenden Konstellation ein anderes Verhalten zu erwarten gewesen. Nachdem die Radfahrerin vorerst angehalten hatte, mußte er nicht (mehr) damit rechnen, daß die Radfahrerin in weiterer Folge ihm gleichsam direkt vor das Fahrzeug fahren würde. Sie hätte objektiv beurteilt zumindest ab der Blickwendung des Pkw-Lenkers nach links erkennen müssen, daß der Fahrzeuglenker "seine gesamte Aufmerksamkeit" im Hinblick auf den Fahrzeugverkehr von links dem Einbiegevorgang zuzuwenden hatte. Es schadet in diesem Zusammenhang auch nicht, wenn der Berufungswerber ausführte, daß er die Radfahrerin vor dem Zusammenstoß nicht gesehen haben will. Für ihn war durch den vorerst gemachten Blick nach rechts die Annäherung eines fahrenden Fahrzeuges nicht (mehr) erkennbar (die Radfahrerin hatte angehalten), sodaß das folgliche Hineintasten in die Kreuzung keine Verletzung der Vorschrift des § 9 Abs.2 (leg.cit.) darstellt. Das Verhalten der Radfahrerin war für den Berufungswerber objektiv als Vorrangverzicht zu beurteilen (§ 19 Abs.8 StVO 1960). Er mußte daher nicht damit rechnen, daß die Radfahrerin, bei welcher es sich um eine erwachsene Person handelte, wieder weggefahren und sich in der kritischen Phase seines Hineintastens in die Kreuzung, ihm gleichsam vor sein Fahrzeug fährt.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

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