Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-104460/3/Br

Linz, 10.04.1997

VwSen-104460/3/Br                 Linz, am 10. April 1997                                                                                                                                                                      DVR.0690392                                                          

Erkenntnis

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch die 2. Kammer (Vorsitzender: Dr. Langeder, Beisitzer: Dr. Guschlbauer und Berichter: Dr.Bleier) über die Berufung des Mag. W, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. G gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 6. Februar 1997, Zl.: Verk96-1-215-1996-Ga, wegen Übertretung nach § 99 Abs.1 lit.a iVm § 5 Abs.1 StVO 1960, zu Recht:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 471/1995 - AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG.

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden hat mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wider den Berufungswerber eine Geldstrafe von 12.000 S und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von zwölf Tagen verhängt, weil er am 31. März 1996 um 08.55 den Kombi mit dem Kennzeichen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand auf der S, im Gemeindegebiet von G, aus Richtung G kommend in Richtung A (Höhe Strkm 0,8) gelenkt habe.

2. Die Erstbehörde stützte sich das Ergebnis der von ihr vorgenommenen Rückrechnung des Atemluftalkoholgehalts auf den Unfallszeitpunkt.

3. In der fristgerecht erhobenen Berufung bestreitet der Berufungswerber eine Grenzwertüberschreitung seiner Atemluft zum Lenkzeitpunkt. Der Berufungswerber beantragt nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung die Verfahrenseinstellung.

3.1. Die Erstbehörde hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da eine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, durch die nach der Geschäftsverteilung zuständige Kammer zu entscheiden. Weil sich die Notwendigkeit der Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses bereits aus der Aktenlage ergibt, konnte hier die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung unterbleiben.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der Erstbehörde vorgelegten Verwaltungsakt. Daraus ist ersichtlich, daß im Zuge der hier verfahrensgegenständlichen Lenkereigenschaft der Berufungswerber einen Verkehrsunfall verursachte, wobei Personen verletzt wurden. Er wurde diesbezüglich vom BG Gmunden, AZ: 4 U 151/96, wegen § 88 Abs.1 StGB zu 30 Tagessätzen a S 200 (insgesamt einer Geldstrafe von 6.000 S im Nichteinbringungsfall 15 Tage Ersatzfreiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren) am 7. Mai 1996 rechtskräftig verurteilt. Die Qualifikation der Tat wegen Alkoholisierung um 08.55 Uhr hat das Gericht nicht angenommen. Vielmehr wurde trotz des sich aus der Anzeige ergebenden Meßergebnisses der Atemluftuntersuchung von 0,36 mg/l um 09.36 Uhr, von einem Sachverhalt ohne eine Beeinträchtigung durch Alkohol ausgegangen.

Die von der Erstbehörde vorgenommene Rückrechnung ergab einen wahrscheinlichen Alkoholisierungswert von 0,41, günstigstensfalls von 0,40 mg/l zum Zeitpunkt der Beendigung des Lenkens.

5. Der unabhängige Verwaltungssenat hat darüber erwogen:

5.1. Der EGMR (Urteil vom 23. Oktober 1995 [Z 33/1994/480, Serie A/562 = ÖJZ 1995, 954 = ZVR 1996, 12]) hat in der verwaltungsbehördlichen Bestrafung eines bereits gerichtlich - allerdings nur wegen des Grunddeliktes, nicht wegen der Qualifikation nach § 81 Z2 StGB (fahrlässige Tötung nach selbstverschuldeter Berauschung); nach ausdrücklicher Feststellung im Protokoll- und Urteilvermerk war nach Ansicht des Gerichts das Ausmaß der Alkoholisierung dafür nicht ausreichend - bestraften Lenkers gemäß § 99 Abs.1 lit.a iVm § 5 Abs.1 StVO eine Konventionsverletzung erblickt, weil wegen Art. 4 Abs.1 des 7. ZPMRK "niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz ... rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren ... erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden" darf. Bei beiden Verfahren sei es zwar nicht um dieselbe Norm und auch nicht um denselben Normzweck gegangen, wohl aber um "dasselbe Verhalten" ("méme comportement", "same conduct").

Im Anschluß an dieses Urteil hob der Verfassungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 5. Dezember 1996, G9/96-12 u.a. die Wortfolge "in Abs.2 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete" in § 99 Abs.6 lit.c StVO als verfassungswidrig auf. Dies bewirkt, daß die Subsidiaritätsvorschrift des § 99 Abs.6 StVO, so ausdrücklich der Verfassungsgerichtshof, nunmehr auch die hier gegenständliche Verwaltungsübertretung des § 99 Abs.1 lit.a StVO erfaßt. Daß die Subsidiaritätsvorschrift möglicherweise zu "liberaleren" Ergebnissen führt, als es nach Art. 4 Abs.1 7. ZPMRK erforderlich wäre, hängt mit der Beschränkung der Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes auf Aufhebung bestimmter Gesetzesstellen (§ 64 Abs.1 VfGG) zusammen.

5.2. Im gegenständlichen Fall liegt ohne Zweifel ein "dasselbe Verhalten" im Sinne des "Gradinger-Urteiles" des EGMR vor. Die Fälle liegen in gewisser Hinsicht durchaus parallel; der Unterschied: fahrlässige Tötung (Gradinger-Urteil) / fahrlässige Körperverletzung (hier) ist unerheblich. Diese Parallelität wird besonders deutlich aus der Verweisung des § 88 Abs.3 (fahrlässige Körperverletzung - Qualifikation) auf § 81 Z2 (fahrlässige Tötung - Qualifikation) StGB. Es gilt daher auch hier uneingeschränkt die Auffassung des EGMR, daß es für das Vorliegen "desselben Verhaltens" unerheblich ist, daß die in § 5 StVO vorgesehene Strafbestimmung nur einen der Gesichtspunkte der gemäß § 81 Z2 StGB (bzw hier: in Verbindung mit § 88 Abs.3 StGB) strafbaren Handlung widerspiegelt. 5.3. Im gegenständlichen Fall liegt allerdings weder ein gerichtlicher Schuldspruch noch ein gerichtlicher Freispruch vor. Die den Alkoholisierungsverdacht begründenden Umstände wurden zwar von seiten der Gendarmerie (nicht nur der belangten Behörde sondern) auch dem Staatsanwalt mitgeteilt. Dieser unterließ es jedoch, die auf Alkoholisierung gestützte Qualifikation zur Anklage zu bringen. Das Gericht befaßte sich daher, im Unterschied zur Situation beim "Gradinger-Urteil", mit dem Alkoholisierungsvorwurf nicht. Das "Gradinger-Urteil" des EGMR zwingt zumindest nicht dazu, eine solche Situation einem Freispruch bzw einer Situation gleichzuhalten, in der sich das Gericht mit dem Vorwurf der Alkoholisierung auseinandergesetzt hat. 5.4. Infolge der Aufhebung der zitierten Wortfolge des § 99 Abs.6 lit.c StVO durch den Verfassungsgerichtshof gilt, wie gesagt, die Subsidiaritätsvorschrift des § 99 Abs.1 lit.a StVO auch für den vorliegenden Fall. Demnach "liegt" keine "Verwaltungsübertretung vor, ... wenn eine Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht". Nach herrschender Auffassung zu von der Subsidiaritätsvorschrift erfaßten Delikten ist dann, wenn das Gericht über seine Zuständigkeit nicht entschieden hat, die Gerichtszuständigkeit von der Verwaltungsbehörde zu prüfen; bejaht die Verwaltungsbehörde die Zuständigkeit des Gerichtes, hat sie ihre eigene Zuständigkeit zu verneinen (vgl. Messiner, StVO, 9. Auflage, 1995, S 1295 f, unter Anmerkung 31). Im vorliegenden Fall hat das Gericht über seine Zuständigkeit nicht (und zwar auch nicht implizit) abgesprochen, sodaß es der belangten Behörde aufgegeben war, die gerichtliche Zuständigkeit zu prüfen und bejahendenfalls, wegen der Subsidiaritätsvorschrift, ihre eigene Zuständigkeit zu verneinen. Eine diesbezügliche Prüfung hat die belangte Behörde unterlassen. Diese Prüfung hätte jedoch zu folgendem Ergebnis geführt: Der Berufungswerber wurde gemäß § 88 Abs.1 StGB (fahrlässige Körperverletzung) gerichtlich bestraft. Bei (Prüfung und) Bejahung der Alkoholisierung, wie sie dem angefochtenen Straferkenntnis zugrundeliegt, wäre auch das Vorliegen der Qualifikation (§ 81 Abs.2 iVm § 88 Abs.3 StGB) und somit die Gerichtszuständigkeit zu bejahen gewesen. Die belangte Behörde hätte ihre Zuständigkeit (genauer: das Vorliegen eines Verwaltungsstraftatbestandes iSd Subsidiaritätsvorschrift) verneinen müssen, zumal es gerade im Lichte des Gradinger-Urteiles naheliegt, "die Tat" iSd Subsidiaritätsvorschrift mit "dem Verhalten" iSd Gradinger-Urteiles gleichzusetzen. Dies umso mehr wenn man die großzügige Auslegung der Anlaßfallwirkung im Erkenntnis vom 11. Dezember 1993, B 3880/95-11 berücksichtigt.

5.5. Da das Verhalten des Berufungswerbers keine Verwaltungsübertretung bildet, war spruchgemäß zu entscheiden. 5.6. Dieser Sachverhalt ist demnach dem Berufungswerber nicht (mehr) als Verwaltungsübertretung vorzuwerfen. Es war daher mit einer Verfahrenseinstellung vorzugehen. Ein Eingehen auf sein weiteres Berufungsvorbringen erübrigt sich daher.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Dr. Langeder

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