Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-104852/6/BR

Linz, 23.09.1997

VwSen-104852/6/BR Linz, am 23. September 1997 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn E, vertreten durch Herrn Dr. M Rechtsanwalt, S gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau, AZ. VerkR96-2296-1997-Shw, vom 27. Juni 1997, wegen Übertretungen der StVO 1960, nach der am 22. September 1997 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und Verkündung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991,zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 471/1995 - AVG, iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG; II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau hat mit dem Straferkenntnis vom 27. Juni 1997 über den Berufungswerber eine Geldstrafe von 2.500 S und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden verhängt, weil er am 15.4.1997 um 14.20 Uhr als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen , auf der F, von Richtung S kommend bei Strkm. 46.810 in Sandtal, die dort durch Vorschriftszeichen kundgemachte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 45 km/h überschritten habe, wobei die Geschwindigkeitsüberschreitung mittels geeichtem Meßgerät festgestellt worden sei. 1.1. Begründend stützte die Erstbehörde ihre Entscheidung auf das vorliegende Meßergebnis mittels dem geeichten Geschwindigkeitsmeßgerät der Bauart LTI 20.20 TS/KM-E. Dieses Gerät sei von einem geschulten Beamten ordnungsgemäß bedient worden, so daß von der Erstbehörde von einer Fehlmessung nicht ausgegangen wurde. Der Meldungsleger habe das Gerät glaubhaft gemäß der Betriebsanleitung und den Verwendungsbestimmungen bedient. Auch ein Ablesefehler am Display sei auszuschließen gewesen. Dies habe der Meldungsleger auch anläßlich seiner Zeugenaussage dargetan. Die Erstbehörde ging von einem Monatseinkommen von 5.000 DM, keinem Vermögen und keinen Sorgepflichten aus. 2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung wendet der Rechtsvertreter des Berufungswerbers einerseits ein, daß er Verfahrensvorschriften verletzt erachte und führt weiter zur Sache im Ergebnis aus, daß zum Vorfallszeitpunkt sehr wohl Schneefall geherrscht habe. Die Erstbehörde habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Es sei einerseits kein Meßprotokoll vorhanden, andererseits sei auch die Entfernung, aus welcher die Messung erfolgt ist, nicht festgestellt worden. Ebenfalls sei nicht erhoben worden, ob die Messung freihändig oder von einem Stativ aus gemacht worden ist und wie sich der Verlauf des Straßenstückes gestaltete bzw. wie der Meßwinkel gewesen ist. Der Berufungswerber beantragt die Abhaltung eines Ortsaugenscheines, die Einholung eines meteorologischen Gutachtens, die Beschaffung des Meßprotokolls, der Herstellerangaben und des Eichscheines. Abschließend bemängelt er auch den Spruch des Straferkenntnisses, wonach die als erwiesen angenommene Tat nicht ausreichend bezeichnet wäre und die Begründung, worin nicht zu entnehmen wäre welche Sachverhaltsannahme die Erstbehörde zum Schuldspruch gelangen ließ. Der Berufungswerber beantragt die Verfahrenseinstellung, in eventu die Behebung und Zurückverweisung zu ergänzenden Erhebungen an die Erstbehörde und eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Braunau, AZ. VerkR96-2296-1997-Shw und Erörterung des Akteninhaltes unter ergänzender Angaben zur Berufungsausführung anläßlich der im Rahmen eines Ortsaugescheines durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung. Dabei wurden der die Messung durchführende Gendarmeriebeamte, GrInsp. H und die Lebensgefährtin des Berufungswerbers, Frau S. U als Zeugen vernommen und das fragliche Straßenstück (Meßdistanz) ausgemessen. Ebenfalls wurden die damals zur fraglichen Tageszeit in L und S herrschenden Wetterdaten im Wege der Flugsicherung Linz und der Austro-Control GmbH erhoben. Die Berechnungen der Verzögerungsweite erfolgten mittels eines Computerprogramms durch den Verhandlungsleiter (EVU-Unfallsrekonstruktionsprogramm von Prof. Dr. Gratzer, KFZ-Sachverständiger). 4. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4.1. Der Berufungswerber lenkte zur oben genannten Zeit und Örtlichkeit seinen Pkw auf der B 156. Unmittelbar vor dem Meßort verläuft in der Fahrtrichtung des Berufungswerbers eine starke Rechtskurve, welche etwa zwanzig Meter vor dem angeblichen Meßpunkt (Strkm 46,810 = linksseitige Abzweigung in Richtung Schwand), auf über einem Kilometer einen geraden Verlauf einnimmt. Im Kurvenbereich sind die zwei Fahrstreifen durch eine Sperrlinie getrennt. Ab diesem Punkt ist dieser Straßenzug wieder mit einer Leitlinie versehen. Die Breite der zwei Fahrstreifen beträgt etwa drei Meter. Ebenfalls ist das Straßenbankett beidseitig durch eine Randlinie begrenzt. Der Standort des Meldungslegers ist auf Grund der übereinstimmenden Angaben mit maximal 177 m östlich des Meßpunktes anzunehmen. Der Meldungsleger befand sich im Dienstkraftwagen, welcher rechts neben der Fahrbahn in Fahrtrichtung Salzburg abgestellt war. Die Messung erfolgte vom Fahrersitz aus durch die Windschutzscheibe in Richtung des anfließenden Verkehrs. Während der Messung befand sich kein anderes Fahrzeug im Meßbereich. Die vom Meldungsleger unter Berücksichtigung der Meßfehlergrenze mit dem Laserverkehrsgeschwindigkeitsmesser "LTI 20/20-E, Nr. 7097" festgestellte Fahrgeschwindigkeit betrug 105 km/h. Der Meldungsleger legte nach der von ihm als positiv festgestellten Fahrgeschwindigkeit das Meßgerät auf dem Beifahrersitz, öffnete die Fahrzeugtür, stieg aus dem Fahrzeug und gab dem Berufungswerber per Hand das Zeichen zum Anhalten. Dabei kam der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug, einem 140 PS starken Audi Turbodiesel, etwa auf der Höhe des Meldungslegers mühelos zum Stehen. Zum Zeitpunkt der Anhaltung herrschten nasse Fahrbahnverhältnisse, die Temperatur betrug 4 Grad über Null. Ferner gingen im Raum Oberösterreich und Salzburg immer wieder Regen- und Schneeschauer nieder. Zum Zeitpunkt der Anhaltung gab es dort keinen Niederschlag.

Bei der Anhaltung wies der Berufungswerber auf einen unmittelbar nach dem Kurvenbereich überholten Radfahrer hin und versuchte dadurch die Unmöglichkeit der ihm vorgehaltenen Fahrgeschwindigkeit darzutun. Das in der Displayanzeige dokumentierte Meßergebnis wurde dem Berufungswerber nach der Anhaltung nicht vorgewiesen. Ebenfalls wurde die Meßentfernung offenbar nicht mit dem Meßgerät ermittelt und nicht in die Anzeige aufgenommen. Die Fahrgeschwindigkeit kann an der besagten Örtlichkeit nicht mit 105 km/h angenommen werden. 4.2. Grundsätzlich hat das Beweisergebnis wohl keine Anhaltspunkte dafür erbracht, daß das Gerät nicht den Verwendungsbestimmungen entsprechend eingesetzt worden wäre. Dennoch ist die hier angelastete Fahrgeschwindigkeit aus nachfolgenden Gründen als sehr unwahrscheinlich bis unmöglich zu qualifizieren. Geht man einerseits vom Meßpunkt (Ort der Feststellung der Fahrgeschwindigkeit) bei Strkm 46,810 und von dem davon maximal 177 m entfernten Ort des Geräteeinsatzes aus - diese Annahmen ergaben sich zweifelsfrei - so folgt den Denkgesetzen entsprechend, daß das Zeichen zur Anhaltung frühestens nach drei Sekunden gegeben worden sein konnte. Der Meldungsleger hatte das Gerät noch wegzulegen, hatte die Fahrzeugtür zu öffnen und auszusteigen und konnte erst dann das Zeichen zum Anhalten geben. Eine frühere Messung ist auszuschließen, weil das Fahrzeug des Berufungswerbers erst etwa 50 Meter vor dem Meßpunkt, aus der sehr starken Kurve herauskommend, in das Gesichtsfeld des Meldungslegers gelangte.

4.2.1. Wenn man nun eine Zeitspanne von zumindest drei Sekunden bis zur Abgabe des Haltezeichens durch den Meldungsleger veranschlagt, so folgt, daß sich der Berufungswerber bei 105 km/h bereits um weitere 90 Meter, nämlich auf etwa 87 Meter an den Standort des Meldungslegers angenähert gehabt haben müßte. Unter weiterer Berücksichtigung einer Reaktionszeit von einer Sekunde und einer Bremsschwellzeit von 0,2 Sekunden müßte die Bremsung mit etwa 8 m/sek/2 erfolgt sein, um das Fahrzeug noch auf der Höhe des Meldungslegers zum Stillstand bringen zu können. Selbst unter der Annahme einer Reaktionszeit von nur 0,5 Sekunden ergäbe sich noch immer eine notwendige Bremsverzögerung von fast 6,5 m/sek/2. Beide Verzögerungskomponenten wären jedoch unter diesen Bedingungen auf nasser und kalter Fahrbahn schon technisch nicht möglich gewesen und wäre eine solche Bremsung einerseits dem Meldungsleger und andererseits von der Mitfahrerin im Fahrzeug des Berufungswerbers besonders einprägsam bemerkt worden. Letztere gab dazu befragt an, daß sie sich zum Zeitpunkt der unmittelbaren Annäherung an den Standort des Meldungslegers gerade zu ihrer Tasche hinunter gebückt hatte und sie dabei keinesfalls eine starke Bremsung verspürt habe. Ihr Lebensgefährte habe erwähnt, daß er nun von der Polizei angehalten würde. Auf diese Frage hätte sich die Lebensgefährtin wohl auch nicht vorbereiten können, so daß ihre diesbezügliche Angabe durchaus glaubwürdig und auch mit den Angaben des Berufungswerbers ident ist. Aber auch dem Meldungsleger ist laut seinen Angaben kein Bremsgeräusch aufgefallen, wenngleich er die Bremsung als eher stark in Erinnerung zu haben glaubte. Diese Feststellungen sind als sehr starkes Indiz dafür zu werten, daß unter den oben getroffenen Annahmen - Zeitdauer bis zum Haltezeichen bei logischer Betrachtung mit zumindest drei Sekunden - die hier zur Last gelegte Fahrgeschwindigkeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. Da sich auch keine logische Erklärung dafür finden ließe, daß etwa der Berufungswerber nach der Kurve - wo die Strecke wieder nahezu völlig geradlinig verläuft - langsamer geworden wäre, während er in der starken Rechtskurve demnach bei 105 km/h geschwindigkeitsmäßig zumindest im absoluten Grenzbereich gefahren sein müßte und in diesem Bereich wieder ebenso unwahrscheinlich einen Radfahrer überholen hätte können, ohne dabei in die Gegenfahrbahn "hineinzudriften", ist auch aus diesem Grund diese Fahrgeschwindigkeit fahrtechnisch kaum erklärbar. Die Existenz des Radfahrers wird einerseits bereits in der Anzeige erwähnt, andererseits auch von der Mitfahrerin anläßlich der Berufungsverhandlung bestätigt. Dabei ist auch logisch, daß der Radfahrer, welcher im Bereich des Kurvenausganges überholt worden ist, unmittelbar nach dem Eintreffen des Berufungswerbers am Anhalteort in dieser Phase an dieser Position eingetroffen sein konnte. Ebenfalls unwahrscheinlich wie auch unlogisch ist, daß die letzten 50 Meter nach dem Kurvenausgang das Fahrzeug des Berufungswerbers voll beschleunigt worden sein sollte. Dies würde auf einen völlig aggressiven und örtlichkeitsspezifisch extrem gefährlichen wie sinnlosen Fahrstil schließen lassen, was wiederum bei einer Fahrt aus Italien zurück nach Deutschland unter schlechten Straßen- und Witterungsverhältnissen als höchst seltsam wie unwahrscheinlich zu bezeichnen wäre. Der Berufungswerber, welcher zur Verhandlung aus Passau persönlich angereist ist und in der Verhandlung einen sehr soliden Eindruck hinterließ und seine Verantwortung vom Anfang an im Ergebnis stets gleichlautend blieb, war diesbezüglich auch hinsichtlich seines Vorbringens bei der Berufungsverhandlung durchaus glaubwürdig. Daher konnte bei logischer Abwägung sämtlicher vor Ort gemachten und als erwiesenen erachteten Feststellungen und der darauf gestützten Berechnungen, zumindest nicht von einer Fahrgeschwindigkeit von 105 km/h ausgegangen werden. Allenfalls könnte die Ursache des hier angenommenen Meßergebnisses in der allenfalls - nach dem positiven akustischen Meßsignal - sehr raschen Anhaltenotwendigkeit und einem zu flüchtigen Blick auf den Display und einen dabei unterlaufenen Ablesefehler gelegen sein.

5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Schon bei bloßem Zweifel an der Tatbegehung ist von der Fortführung eines Verwaltungsstrafverfahrens abzusehen und ist die Einstellung zu verfügen (vgl. VwGH 12.3.1986, Zl. 86/83/0251; ZfVB 1991/3/1122). Hier reichen die Zweifel vielmehr an den Bereich der Unwahrscheinlichkeit heran.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2500 S zu entrichten. Dr. B l e i e r

Beschlagwortung: Beweiswürdigung, Lasermessung, Denkgesetze