Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720050/4/BMa/Be

Linz, 19.06.2006

 

 

 

VwSen-720050/4/BMa/Be Linz, am 19. Juni 2006

DVR.0690392

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Gerda Bergmayr-Mann über die Berufung des M D, vertreten durch RA Dr. M F, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Wels, vom 12. Februar 2005, IV-1002140/FP/05, wegen eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 10/2004 - AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem in der Präambel angeführten Bescheid wurde gegen M D ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Berufungswerber habe die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin S D nur deshalb geschlossen, um sich dadurch einen Aufenthaltstitel zu verschaffen, eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen und Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu haben. Er habe sich in einem Verfahren für die Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. eines Befreiungsscheines auf diese Ehe berufen, obwohl die eheliche Lebens-, Vermögens- und Geschlechtsgemeinschaft, sohin ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art.8 EMRK, nie geführt worden sei. Für die Eheschließung sei ein Vermögensvorteil geleistet worden. Überdies habe er durch sein Verhalten gegen die Vorschrift des § 8 Abs.4 FrG verstoßen, wonach er sich für die Erteilung und Beibehaltung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe nicht hätte berufen dürfen. Aufgrund dieses Verhaltens sei die Annahme gerechtfertigt, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle, sowie den öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Die "Scheinehe" sei lediglich deshalb eingegangen worden, weil der Berufungswerber ansonsten keinen Aufenthaltstitel oder Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten hätte. Er habe damit gegen die Interessen eines geordneten Fremdenwesens und damit auch gegen die öffentlichen Interessen gehandelt. Die Dauer des erlassenen Aufenthaltsverbotes entspreche jenem Zeitraum, innerhalb dessen ein allfälliger positiver Gesinnungswandel seiner Einstellung zu den österreichischen Rechtsvorschriften erwartet werden könne. Es sei sowohl auf die Dauer seines bisherigen Aufenthaltes als auch auf seine familiäre und private Situation bei der Entscheidung Bedacht genommen worden.

§ 38 FrG stehe der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.

1.2. Gegen dieses Aufenthaltsverbot, das dem rechtsfreundlichen Vertreter am 17. Februar 2005 zugestellt worden war, wurde die am 25. Februar 2005 - und damit rechtzeitig - bei der Bundespolizeidirektion Wels abgegebene Berufung erhoben.

1.3. In dieser wird im Wesentlichen vorgebracht, der Bescheid sei mit Nichtigkeit behaftet, weil die entscheidungswesentlichen Bestimmungen, auf die sich die belangte Behörde gestützt hat, inhaltlich keinesfalls dem Determiniertheitsgebot gemäß Art.18 B-VG entsprechen würden. So würden zivilrechtlich und verfassungsrechtlich geregelte Wirkungen der Ehe völlig ausgeklammert und weitere fundamentale Rechtsgrundsätze nicht beachtet werden. Es sei gesetzlich nicht klar definiert, inwiefern bereits der Umstand der "Eheschließung" unter den Sachverhalt der Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu subsumieren sei. Die bloße Tatsache, dass durch den Fremden eine "Ehe geschlossen" worden sei, könne eine Gefahrensituation (für öffentliche Interessen) nicht rechtfertigen.

Im konkreten Fall sei die Ehe gültig begründet worden, ihr komme der Schutz gemäß Art.8 EMRK zu. Überdies sei die Ehe am 16. Juli 2003 rechtskräftig geschieden worden. Die von der Behörde als Bescheidgrundlage herangezogenen Bestimmungen seien aufgrund ihrer Unbestimmtheit bei Vorliegen einer schon geschiedenen Ehe eines früher begünstigten Drittstaatsangehörigen nicht anwendbar und es sei bei richtiger rechtlicher Gesamtbetrachtung überhaupt von der Nichtigkeit des gegenständlichen Bescheides auszugehen.

Darüber hinaus sei nicht auf die bloße Behauptung einer "Scheinehe" abzustellen, sondern auf das Gesamtverhalten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Fremden. Es sei eine umfassende Ermittlung des Sachverhalts und die darauf zu erstellende Interessenabwägung sowie die Zukunfts- und Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der betroffenen Partei unterblieben. Nur bei Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung, die ein Grundinteresse einer demokratischen Gesellschaft berühre, wäre bei begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nach § 48 Abs.1 FrG überhaupt zulässig.

Angesichts der Unterlassung einerseits sämtlicher beantragter Beweiserhebungen und andererseits der von Amts wegen durchzuführenden Interessenabwägung und Erstellung einer Zukunfts- und Gefährlichkeitsprognose zur Person der betroffenen Partei sei das Verfahren mit Nichtigkeit behaftet.

Es seien unrichtige Sachverhaltsfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung getroffen worden. Weiters werde Aktenwidrigkeit geltend gemacht. Der Berufungswerber bestreite, eine bloße "Scheinehe" mit S D eingegangen zu sein. Die Ehegattin habe selbst zugestanden, etwa sechs Monate an der Adresse in mit ihrem Ehegatten aufhältig gewesen zu sein. Im durchgeführten Scheidungsverfahren vor dem Bezirksgericht Wels sei niemals angezweifelt oder in Frage gestellt worden, dass tatsächlich auch ein gemeinsames Familienleben geführt worden sei. Von der Behörde sei aktenwidrig festgestellt worden, der Berufungswerber halte sich erst seit kurzer Zeit im Bundesgebiet auf, gehe keiner legalen Beschäftigung nach, sei weder kranken-, noch sozialversichert und verfüge auch in Österreich über keine familiären Bindungen.

Tatsächlich sei der Berufungswerber bereits seit März 2001 im Bundesgebiet aufhältig. Er sei bei der Firma P in Marchtrenk beschäftigt und übe damit auch eine legale Beschäftigung aus, bringe ausreichend Einkommen ins Verdienen und sei zudem kranken- und sozialversichert. Unter der Adresse des Berufungswerbers lebe weiters der Bruder M D. Damit sei die Annahme der Behörde widerlegt, es würden keine familiären Beziehungen und Bindungen im Bundesgebiet bestehen. Von der Erstbehörde sei nicht festgestellt worden, dass dem Berufungswerber nach seiner Scheidung am 16. Juli 2003 durch den Magistrat der Stadt Wels eine Niederlassungsbewilligung zur Ausübung einer unselbstständigen Tätigkeit erteilt worden sei. Er habe sich seit diesem Zeitpunkt nicht mehr auf die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin berufen. Überdies sei der Berufungswerber völlig unbescholten.

Die Annahme der Erstbehörde, dass der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle sowie den öffentlichen Interessen zuwider laufe, sei damit nicht nachvollziehbar.

Der Bescheid sei mit Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet. So sei in den Feststellungen offenbar ausschließlich ein Teil der niederschriftlichen Aussage der Ehegattin des Berufungswerbers zugrund gelegt worden, deren Glaubwürdigkeit jedoch anzuzweifeln sei. Es sei naheliegend, dass Animositäten zwischen den früheren Ehepartnern ein wesentliches Motiv für die Angabe einer Scheinehe gewesen seien.

Die frühere Ehegattin sei über das ihr zustehende Aussageverweigerungsrecht nicht im vollen Umfang belehrt worden. Der Berufungswerber sei nie persönlich einvernommen worden und er habe keine faire Chance zur Darlegung des tatsächlichen Ablaufs gehabt. Im Verfahren der belangten Behörde sei die Einholung von gestellten Beweisanträgen unterlassen worden, obwohl diese keine untauglichen Beweismittel gewesen seien. Darüber hinaus sei der bekämpfte Bescheid auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Abschließend wurden die Berufungsanträge auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, auf Aufhebung des bekämpften Bescheides, in eventu auf Aufhebung und Zurückverweisung des Bescheides an die Erstbehörde, gestellt.

2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Wels zu Zl. IV-1002140/FP/05 festgestellt, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nach der Aktenlage geklärt erscheint. Die Verhandlung kann entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 67d Abs.2 Z.1AVG).

3. Zur Zuständigkeitsfrage ist auszuführen:

 

Gemäß § 9 Abs.1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl.I Nr. 100/2005, idF BGBl.I Nr. 157/2005 (im Folgenden: FPG), entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG, sofern nichts anderes bestimmt ist,

  1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und
  2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.

Im Ausschussbericht (1055dB., XXII.GP) wurde festgehalten, dass entsprechend dem Urteil des EuGH vom 2.Juni 2005 in der Rechtssache C-136/03, wonach die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt, gelten, für diese § 9 Abs.1 Z.1 anzuwenden ist.

Die Richtlinie, auf die sich das vorzitierte EuGH - Urteil bezieht, wurde durch die Richtlinie 2004/38/EG aufgehoben.

Gemäß Art.8 der (aufgehobenen) Richtlinie 64/221/EWG müssen Betroffene gegen die Entscheidung, durch welche die Einreise, die Erteilung oder die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert wird, oder gegen die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet die Rechtsbehelfe einlegen können, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen.

Gemäß Art.9 der Richtlinie 64/221/EWG trifft, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und über die Entfernung des Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet, außer in dringenden Fällen, erst nach der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.

Gemäß Art.6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 hat vorbehaltlich der Bestimmungen in Art.7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung

seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen

Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den

Arbeitnehmern aus den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden

Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner

Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den

Arbeitsämtern dieses Mitgliedsstaates eingetragenes anderes Stellenangebot

zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von

ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Gemäß

Art.6 Abs.2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei

werden der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft,

Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit den Zeiten ordnungsgemäßer

Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die

von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind,

sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten

ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die

aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

Gemäß Art.7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

- vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

- freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Nach der Rechtssprechung des EuGH entfalten die Bestimmungen des ARB 1/80 - wie auch des Assoziationsabkommens und des Zusatzprotokolls - unmittelbare Wirkung in den Mitgliedsstaaten, wenn sie unter Berücksichtung ihres Wortlautes und im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder deren Wirkung nicht vom Erlass eines weiteren innerstaatlichen Umsetzungsaktes abhängt. Der EuGH hat den Artikeln 6 Abs.1 und 7 ARB 1/80 ausdrücklich unmittelbare Wirkung in den Mitgliedsstaaten zuerkannt. Dies bedeutet, dass sich türkische Staatsangehörige, die die Vorraussetzungen dieser Vorschriften erfüllen, unmittelbar auf die in diesen Vorschriften gewährten Rechte berufen können.

Der ARB 1/80 enthält an sich nur beschäftigungs-, nicht aufenthaltsrechtliche Regelungen. Der EuGH geht jedoch in ständiger Rechtssprechung davon aus, dass die beschäftigungsrechtlichen Vergünstigungen, die türkischen Staatsangehörigen vor allem in den Art. 6 und 7 ARB 1/80 verliehen werden, zwangsläufig auch ein Aufenthaltsrecht dieser Personen im jeweiligen EU-Mitgliedsstaat implizieren, weil sonst die in diesen Bestimmungen eingeräumten Arbeitsmarkt - Zugangsrechte wirkungslos wären. Dieses vom EuGH im Wege der Rechtsfortbildung gewonnene assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht ist somit abgeleiteter Natur und besteht grundsätzlich nur so lange, wie der türkische Arbeitnehmer im Bundesgebiet ordnungsgemäß beschäftigt ist bzw. dem Arbeitsmarkt angehört. Für den Fall, dass ein türkischer Staatsangehöriger bereits das Recht erlangt hat, gemäß Art.6 Abs.1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, kann ein Aufenthaltsrecht bestehen, auch ohne dass er beschäftigt ist.

Da das Assoziationsrecht insgesamt einen integralen Bestandteil des Gemeinschaftsrecht bildet, ist das aus den Bestimmungen des ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht zugleich supranationaler Rechtsnatur und genießt als solches - nach ständiger Rechtssprechung des EuGH - Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechtes.

Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 2. Juni 2005 in der Rechtssache

C-136/03 wird festgehalten, dass die im Rahmen von Art.48 EG-Vertrag geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden müssen. Demnach sind die im Rahmen von Artikel 3 der Richtlinie 64/221 aufgestellten Grundsätze auf türkische Arbeitnehmer, die die durch den Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte in Anspruch nehmen können, übertragbar. Die nationalen Gerichte haben daher diese Grundsätze bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer gegenüber einem türkischen Arbeitnehmer gesetzten Maßnahme der Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zu berücksichtigten.

Weiters hält es der EuGH für geboten, dass die in den Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221 niedergelegten Grundsätze auf türkische Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, zu übertragen sind. Damit die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtschutzes zur Geltendmachung der individuellen Rechte türkischer Staatsbürger gewährleistet ist, ist es unabdingbar, ihnen die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden; es muss ihnen somit ermöglicht werden, sich auf die in den Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221 vorgesehenen Garantien zu berufen. Diese Auslegung gilt nicht nur für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 zukommt, sondern auch für ihre Familienangehörigen, deren Stellung sich nach Art.7 dieses Beschlusses richtet. Nach der Rechtssprechung des EuGH ist es nicht gerechtfertigt, für diese Staatsangehörigen, die sich legal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates aufhalten, in Bezug auf die ihnen mit dem Beschluss Nr. 1/80 zuerkannten Rechte ein eigenständiges Schutzniveau vorzusehen, das hinter dem der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221 zurückbleibt. Denn wenn Artikel 14 Abs.1 dieses Beschlusses den zuständigen nationalen Behörden nicht, wie der Gerichtshof bereits im Urteil C entschieden hat, Verfahrensgrenzen setzen würde, die denen entsprechen, die für eine gegenüber einem Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates getroffene Ausweisungsmaßnahme gelten, dann stünde es den Mitgliedsstaaten völlig frei, die Ausübung der Rechte unmöglich zu machen, auf die sich türkische Staatsangehörige, die ein im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumtes Recht besitzen, berufen können.

Diese zur Richtlinie 64/221/EWG ergangene Judikatur des EuGH ist zur Vermeidung eines eigenständigen Schutzniveaus für türkische Staatsangehörige, denen die Begünstigung gemäß des Beschlusses Nr. 1/80 zukommt, auch auf die Richtlinie 2004/38/EG anzuwenden, die unter anderem die Richtlinie 64/221/EWG aufgehoben und die dort festgelegten Verfahrensgarantien neu geregelt hat.

In Abs.22 der Erwägung der Gründe zur Erlassung der Richtlinie 2004/38/EG wird nämlich dargelegt, dass der Vertrag eine Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, oder Gesundheit vorsieht. Um eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sicherzustellen, unter denen Unionsbürger und deren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann oder unter denen sie ausgewiesen werden können, sollte die vorliegende Richtlinie die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, ersetzen.

Aus den Gründen zur Erlassung der Richtlinie 2004/38/EG, die bis 30. April 2006 von den Mitgliedsstaaten umzusetzen war, geht nicht hervor, dass mit dieser Richtlinie eine Schlechterstellung der türkischen Staatsangehörigen in ihren Verfahrensgarantien gegenüber der Richtlinie 64/221 vorgenommen werden sollte.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Richtlinie 2004/38 EG, die bereits am

29. Juni 2004 veröffentlicht wurde, in § 9 FPG berücksichtigt wurde. Dies ergibt sich auch aus dem Bericht des Ausschusses (siehe oben).

Die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates ist daher auch in jenen Fällen von türkischen Staatsangehörigen, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt, zu bejahen.

4. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

4.1. Im konkreten Fall wurde vorgebracht, M D sei eine Niederlassungsbewilligung zur Ausübung einer unselbstständigen Tätigkeit durch den Magistrat der Stadt Wels erteilt worden und der Berufungswerber habe sich seit dem Zeitpunkt der Scheidung seiner Ehe mit S D nicht mehr auf die Ehe berufen. Als Beweis wurde der Akt des Magistrates Wels, BZ-Auf-429-2003, angeführt. Der Originalantrag mit dem Eingangsstempel des Magistrates der Stadt Wels befindet sich im Fremdenakt. Auf diesem wurde handschriftlich vermerkt, "es wurde die Scheidung eingereicht".

Dem Unabhängigen Verwaltungssenat war es trotz Anfrage beim Magistrat Wels, der BPD Wels, der BH Wels-Land und bei der Sicherheitsdirektion nicht möglich, den gesamten Akt anzufordern und in diesen Einsicht zu nehmen, da außer jenem Aktenteil, der ohnehin dem Unabhängigen Verwaltungssenat übermittelt worden war, keine weiteren entscheidungsrelevanten Teile auffindbar waren. Aus dem dem Akt angeschlossenen Auszug der Fremdeninformationsdatei des Bundesministeriums für Inneres geht hervor, dass dem Berufungswerber der Aufenthaltstitel B für jeglichen Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG, gültig vom 19. Jänner 2004 bis 18. Jänner 2005, verliehen wurde.

Diese Frist ist eine in Tagen festgesetzte Frist, die sich bei einer Berechnung gemäß § 32 AVG über die Dauer von exakt einem Jahr erstreckt.

Der Berufungswerber hat damit in der Dauer eines Jahres eine legale Beschäftigung aufgrund eines gültigen Aufenthaltstitels und damit eine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne des Art.6 Abs.1 ARB 1/80 ausgeübt.

Eine weitere Prüfung seiner Beschäftigungszeiten während aufrechter Ehe erübrigt sich damit. Er ist jedenfalls Begünstigter des Assosationsabkommens ARB 1/80 und damit ist im konkreten Fall die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenats gem. § 9 Abs. Z 1 zu bejahen.

Das bekämpfte auf fünf Jahre befristete Aufenthaltsverbot wurde auf der Grundlage des § 36 Abs.1 iVm Abs. 2 Z. 9 und § 39 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997 idgF - FrG, erlassen.

Gemäß § 125 Abs.1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I 2005/100 idF

BGBl. I 2005/157, sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiter zu führen.

Im konkreten Fall bedeutet dies, dass die Bestimmungen des FPG 2005 zur Anwendung kommen.

4.2. Nachstehender Sachverhalt liegt der Entscheidung zu Grunde:

Die Ehe des Berufungswerbers mit der österreichischen Staatsangehörigen S D wurde am 3. Oktober 2000 geschlossen und dem Berufungswerber wurde erstmals eine quotenfreie Niederlassungsbewilligung beginnend mit 19. März 2001 für Österreich erteilt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Wels vom 16. Juli 2003 wurde die Ehe geschieden.

Der Beschwerdeführer hält sich seit ca. sechs Jahren in Österreich auf und geht seit 29. Mai 2001 einer Beschäftigung als Gießer bei der Firma Polytec nach.

Aufgrund eines von ihm am 14. Februar 2003 gestellten Antrages wurde ihm ein Aufenthaltstitel für jeglichen Aufenthaltszweck, gültig vom 19. Jänner 2004 bis 18. Jänner 2005, erteilt. Mit Bescheid des Polizeidirektors der Bundespolizei Wels vom 5. Dezember 2005, Zl. IV-1002140/FP/05, wurde das bekämpfte Aufenthaltsverbot erlassen.

Diese Feststellungen ergeben sich aufgrund der im Akt der Erstbehörde einliegenden Schriftstücke und Dokumente. Eine Äußerung des Berufungswerbers steht diesen nicht entgegen.

4.3. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergeben sich folgende rechtlichen Erwägungen:

Den Ausführungen unter Punkt 3. dieses Erkenntnisses ist zu entnehmen, dass die Verfahrensgarantien der Richtlinie 2004/38/EG auch auf "assoziationsintegrierte" türkische Staatsangehörige anwendbar sind. Daraus ergibt sich für diese die Subsumtion des § 86 FPG.

Gemäß § 86 Abs.1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Im Sinne der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 48 FrG 1997, die in Folge gleichartiger Regelungen auch für das FPG Geltung beanspruchen kann, stellen die in § 60 Abs.2 FPG genannte Gründe einen Orientierungsmaßstab dar (hier insbesondere § 60 Abs.2 Z.9 FPG).

[ Gemäß § 60 Abs.1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

  1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
  2. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider läuft. ]

Gemäß § 60 Abs.2 Z.9 FPG gelten als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs.1 insbesondere, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nie geführt hat.

Nach § 60 Abs.6 FPG gilt § 66.

Die bisherige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 37 FrG 1997 kann infolge der gleichgelagerten Regelung des § 66 FPG auch für die derzeit anzuwendende Regelung Geltung beanspruchen.

Der Schutz des Privat- und Familienlebens wird in § 66 FPG im Hinblick auf Ausweisungen geregelt. Eine Abwägung der Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens ist gemäß § 60 Abs.6 FPG damit auch bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes vorzunehmen.

Dabei ist auf die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie abzustellen und bei der Abwägung insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Selbst wenn man die Annahmen der belangten Behörde zugrunde legen würde, wonach der Rechtsmittelwerber die Ehe mit S D nur zur Erlangung eines Aufenthaltstitels eingegangen sei, so liegt die rechtsmissbräuchliche Eheschließung bereits mehr als fünf Jahre zurück. Ansonsten hat der Berufungswerber kein fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten gesetzt. Nach der Judikatur des VwGH (Hinweis VwGH 4.12.1997, 97/18/0097) rechtfertigt dieses (bereits mehrere Jahre zurückliegende) Verhalten nicht die Annahme, dass der weitere inländische Aufenthalt des Fremden die maßgeblichen öffentlichen Interessen gefährde. Ist aber eine Gefährdung öffentlicher Interessen durch den weiteren Aufenthalt des Fremden nicht anzunehmen, so kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme zur Erreichung der in Art.8 Abs.2 MRK genannten Ziele dringende geboten sei und die privaten und familiären Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet nicht schwerer wiegen würden als die öffentlichen Interessen an der Ausweisung. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass die Erteilung des Aufenthaltstitels aufgrund der Berufung auf eine Ehe ohne gemeinsames Familienleben im FrG 1997 ausdrücklich als Grund für eine Ausweisung von Fremden mit Aufenthaltstitel (§ 34 Abs.1 Z.3 FrG 1997) und die Berufung auf eine solche (unter Leistung eines Vermögensvorteils geschlossene Ehe) zur Erlangung eines Aufenthaltstitels oder eines Befreiungsscheines als Grund für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes (§ 36 Abs.2 Z.9) normiert wurde, sind doch im Rahmen der Interessenabwägung gemäß

§ 37 Abs.1 und 2 FrG 1997 die selben öffentlichen Interessen maßgeblich, die auch für die Frage der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 18 Abs.1 FrG 1992 heranzuziehen waren (VwGH 19.10.1999, 99/18/0184; Riel/Schrefler-König/Szymanski/Wollner, FPG § 66 E 67).

Wie sich aus den Feststellungen ergibt, wurde die Ehe des Berufungswerbers mit S D am 3. Oktober 2000 geschlossen und dem Berufungswerber wurde erstmals eine quotenfreie Niederlassungsbewilligung beginnend mit 19. März 2001 für Österreich erteilt. Die Ehe wurde am 16. Juli 2003 geschieden.

Der Beschwerdeführer hält sich nunmehr seit mehr als sechs Jahren in Österreich auf und geht seit 29. Mai 2001 einer Beschäftigung als Gießer in einem unbefristeten Dienstverhältnis bei der Firma Polytec nach. Die "Erwerbstätigkeit als unselbstständiger Beschäftigter" wird vom Terminus "Privatleben" im Sinn des § 37 FrG 1997 erfasst (VwGH 23.7.1998, 98/18/0187).

Im Lichte der vorzitierten Judikatur des VwGH ist die Annahme, dass der weitere inländische Aufenthalt des Berufungswerbers die maßgeblichen öffentlichen Interessen gefährde, nicht mehr gerechtfertigt, da das Gesamtverhalten des Berufungswerbers insbesondere aufgrund seines beruflichen Umfeldes eine positive Zukunftsprognose erwarten lässt.

Weil es nicht entscheidungsrelevant ist, ob der Berufungswerber im Jahr 2000 eine Scheinehe eingegangen ist, konnte von einer weiteren Beweisaufnahme und der Überprüfung der diesbezüglichen erstinstanzlichen Feststellungen durch Befragung des Berufungswerbers selbst bzw. durch Klärung der näheren Umstände der Eheschließung und der sechsmonatigen gemeinsamen Wohnsitznahme sowie der Angabe bezüglich des Vorliegens einer Scheinehe, welche erst mehrere Monate nach der Scheidung erfolgte, abgesehen werden.

Das auf fünf Jahre befristete Aufenthaltsverbot war damit aufzuheben.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in der Höhe von 13 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Mag. Bergmayr-Mann

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