Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-161280/15/Kof/Sp

Linz, 28.09.2006

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Josef Kofler über die Berufung des Herrn AL vertreten durch Herrn Rechtsanwalt                      Mag. DM gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 16.1.2006, VerkR96-13636-2005, wegen Übertretungen der StVO 1960, nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 12.9.2006 sowie Verkündung des Erkenntnisses   vom  27.9.2006,  zu  Recht  erkannt:

 

I.

Betreffend die Punkte 1., 5. und 6. (§§ 18 Abs.1, 16 Abs.1 lit.c und 15 Abs.3 StVO) wird der Berufung stattgegeben, das erstinstanzliche Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach §  45 Abs.1 Z1 bzw. Z3 VStG  eingestellt.

Der Berufungswerber hat weder Geldstrafen, noch Verfahrenskostenbeiträge                zu  entrichten.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm § 24 VStG; § 66 Abs.1 VStG.

 

 

II.

Betreffend die Punkte 2., 3. und 4. (§§ 16 Abs.2 lit.a, 9 Abs.1 und 15 Abs.4 StVO) wird die Berufung als unbegründet abgewiesen und das erstinstanzliche  Straferkenntnis   bestätigt.

Der Berufungswerber hat zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat                20 %  der  verhängten  Geldstrafen  zu  bezahlen.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 16, 19 und 24 VStG

§ 64 Abs.1 und 2 VStG.

 

Der Berufungswerber hat somit insgesamt zu entrichten:

(Punkte 2., 3. und 4. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses):

 

Ø      Geldstrafe (70 + 40 + 40 =).....................................................................150 Euro

Ø      Verfahrenskostenbeitrag I. Instanz     10%.............................................15 Euro

Ø      Verfahrenskostenbeitrag II. Instanz     20%............................................30 Euro

                                                                                                                       195 Euro

 

Die Ersatzfreiheitsstrafe beträgt insgesamt  (48 + 36 + 36 =)................120 Stunden.

 

 

   

Entscheidungsgründe:

 

Die belangte Behörde hat über den nunmehrigen Berufungswerber (Bw) das in der Präambel zitierte Straferkenntnis – auszugsweise – wie folgt erlassen:

 

"Sie haben am 1.6.2005, um ca. 19.15 Uhr den Pkw mit dem Kennzeichen
VB-..... auf der B1 Wienerstraße im Gemeindegebiet von 4650 Edt bei Lambach                         in  Fahrtrichtung  Lambach  gelenkt  und  dabei

1.      bei einer Geschwindigkeit von etwa 100 km/h nur etwa 1 m Sicherheits­abstand zu dem vor Ihnen fahrenden Pkw mit dem Kennzeichen WL-...... eingehalten.

2.      In weiterer Folge habe Sie bei km 221,700 den Pkw mit dem Kennzeichen
WL-..... im Bereich eines beschilderten Überholverbotes rechtswidrig überholt.

3.      Bei diesem Überholmanöver haben Sie die dort vorhandene Sperrlinie überfahren.

4.      Sie haben als Lenker eines Fahrzeuges beim Überholen nicht einen der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden seitlichen Abstand vom überholten Fahrzeug eingehalten, weil dieser während des Überholvorganges nur etwa 20 cm betrug.

5.      Sie haben verbotenerweise überholt, obwohl Sie nicht einwandfrei erkennen konnten, ob Sie Ihr Fahrzeug nach dem Überholvorgang ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer wieder in den Verkehr einordnen werden können, da der Lenker des überholten Fahrzeuges zum Ablenken und Abbremsen seines Fahrzeuges genötigt wurde.

6.      Im Ortsgebiet von 4650 Lambach bei km 223,600 haben Sie den bevorstehenden Überholvorgang mit beabsichtigtem Wechsel des Fahrstreifens nicht gemäß § 11 StVO so rechtzeitig angezeigt, dass sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen konnten, weil Sie einen Motorradfahrer überholten ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen.

 

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

      1.   § 18 Abs.1 StVO 1960                     2.   § 16 Abs.2 lit.a StVO 1960

3.       § 9 Abs.1 StVO 1960                       4.   § 15 Abs.4 StVO 1960

5.       § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960               6.   § 15 Abs.3 StVO 1960

 

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende Strafen verhängt:

Geldstrafe von

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

Gemäß

1.    70 Euro

48 Stunden

§ 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

2.    70 Euro

48 Stunden

§ 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

3.    40 Euro

36 Stunden

§ 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

4.    40 Euro

36 Stunden

§ 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

5.    40 Euro

36 Stunden

§ 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

6.    30 Euro

24 Stunden

§ 99 Abs.3 lit.a StVO 1960

 

Gesamt: 290 Euro                228 Stunden

Ferner haben Sie gemäß § 64 VStG     10 % der Strafe, 

das sind 29 Euro, als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu zahlen

(je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich 15 Euro angerechnet).

 

Der zu zahlende  Gesamtbetrag  (Strafe/Kosten/......) beträgt daher  319 Euro."

 

Gegen dieses Straferkenntnis hat der Bw innerhalb offener Frist die begründete Berufung vom 7.2.2006 eingebracht.

 

Hierüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS) durch sein nach der Geschäftsverteilung zuständiges Mitglied (§ 51c VStG) erwogen:

 

Der UVS hat am 12.9.2006 im Gemeindeamt Edt bei Lambach eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt, an welcher der Bw, dessen Rechtsvertreter sowie die Zeugen Frau S. L. (= Gattin des Bw) und Herr U. W.                  (= Anzeiger)  teilgenommen  haben.

 

Der Bw hat dabei nachfolgende Stellungnahme abgegeben:

 

"Ich fuhr am 1.6.2005 um ca. 19.15 Uhr auf der B1 von Wels kommend nach Lambach, Schwanenstadt usw.

Noch vor dem von km ca. 221,4 bis 221,9 verordneten Überholverbot überholte               ich den Pkw, gelenkt von dem mir damals völlig unbekannten Herrn U. W..                   Den Überholvorgang habe ich ca. 200 m vor diesem Überholverbot abgeschlossen.

Mir wurde ca. drei Monate nach diesem Vorfall vorgeworfen, bei diesem Überholmanöver insgesamt vier (richtig wohl: sechs) näher bezeichnete Verwaltungsübertretungen nach der StVO begangen zu haben.

 

Obwohl ich pro Jahr ca. 70.000 km mit dem Auto fahre, konnte und kann ich mich an diesen Vorfall genau erinnern.

An den von mir überholten Pkw kann ich mich noch genau erinnern.

Den Lenker könnte ich bei einer Gegenüberstellung nicht identifizieren.

 

An das angebliche Überholmanöver bei km 223,6 – ich soll dort einen Motorradfahrer überholt haben und dabei den beabsichtigten Fahrstreifenwechsel nicht angezeigt haben – kann ich mich nicht erinnern.

 

Herr U.W. hat daraufhin nachfolgendes zeugenschaftlich ausgesagt:

 

"Die B1 im Bereich Wels – Gunskirchen – Lambach ist mir seit vielen Jahren sehr genau bekannt.  Ich habe früher in Stadl-Paura gewohnt und bin nach Gunskirchen zur Arbeit gefahren.

Ich bin diese Strecke mehr als 15 Jahre jeden Arbeitstag gefahren.

Am 1.6.2005 um ca. 19.15 Uhr fuhr ich mit meinem damaligen Pkw, Fiat Panda Allrad, schwarz, auf der B1 von Gunskirchen kommend nach Stadl-Paura.

Auf Höhe km 221,7 – exakt bei der Linksabbiegespur zur Firma X –                   wurde ich vom Pkw, BMW, Kennzeichen VB-....., sehr rasant überholt.                               Der Lenker dieses BMW hatte sich – wie ich im Rückspiegel gesehen habe – sehr schnell genähert, verriss unmittelbar hinter meinem Pkw seinen Pkw nach links, überholte  und  verriss  unmittelbar  vor  meinem  Pkw  seinen  Pkw  nach  rechts.

Er hat mich dabei "geschnitten".

In diesem Bereich besteht ein verordnetes Überholverbot und eine Sperrfläche.

Der Seitenabstand bei diesem Überholmanöver hat meiner Einschätzung nach               nur ca. 20 cm betragen, ich befürchtete, dass es zu einer Spiegelkollision kommt.

Ich fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h. Als der Lenker des BMW sich nach dem Überholmanöver vor meinem Pkw eingereiht hat, hat der Abstand meiner Schätzung nach 5 m betragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Lenker des BMW mich beim Wiedereinordnen bereits im Rückspiegel gesehen hat.

Ich habe bei meiner gesamten Fahrt – und damit auch beim Überholmanöver –              mit  Sicherheit  nicht  mit  einem  Handy  telefoniert.

Beim Nachfahren bemerkte ich noch, dass der Lenker dieses BMW bei km 223,6 ("Bahnhofsberg") einen Pkw überholte, ohne den Fahrtrichtungsanzeiger                          zu  betätigen.

Der Lenker des BMW befand sich – soweit ich erkennen konnte – alleine im Fahrzeug.    Einen Beifahrer habe ich nicht gesehen.

Den Gendarmerieposten 4650 Lambach habe ich von meinem Elternhaus aus angerufen."

 

 

 

 

Anschließend  hat  Frau  S.L.  zeugenschaftlich  ausgesagt:

Übersetzung durch den Bw – mit Einverständnis der Rechtsvertreterin des Bw.

 

"Ich habe drei Monate nach diesem Vorfall von meinem Ehemann erfahren, dass ihm vorgeworfen wird, er habe am 1.6.2005 um ca. 19.15 Uhr bei der Fahrt von Wels nach Lambach insgesamt sechs Übertretungen nach der StVO begangen.

Ich fahre – abgesehen vom Weg zur Arbeit – fast immer mit meinem Ehemann mit, wenn dieser mit dem Pkw unterwegs ist, das sind geschätzte ca. 50.000 km pro Jahr.

An die Fahrt vom 1.6.2005 um ca. 19.15 Uhr kann ich mich noch erinnern.

Als wir nach Wels "aus dem Wald hinaus gefahren sind", wollte mein Mann den vor ihm fahrenden Pkw überholen. Dieser wollte einen vor ihm fahrenden Mopedfahrer überholen und war im Begriff den Fahrstreifen zu wechseln. Dadurch musste mein Ehemann das Überholmanöver vorerst abbrechen. Ich bin dadurch erschrocken.

Beim abgebrochenen Überholmanöver habe ich gesehen, dass der Lenker des überholten Fahrzeuges mit dem Handy telefonierte.

Anschließend konnte mein Ehemann den vor ihm fahrenden Pkw überholen.

Ich habe ihn mit Handzeichen darauf aufmerksam gemacht, dass er bei unserem ersten – abgebrochenen – Überholmanöver nicht auf den Verkehr geachtet hat.

Daraufhin zeigte er mir den Mittelfinger.

Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich beim Lenker des von uns überholten Pkw um Herrn U.  W.   gehandelt hat.

Ich habe Herrn W. weder vor diesem Vorfall, noch nach diesem Vorfall bis zum heutigen Tage noch nie gesehen.

Beim von meinem Ehemann überholten Pkw handelt es sich um einen Jeep ähnlichen Pkw, Farbe schwarz.

Beim gelungenen Überholmanöver habe ich mich nicht erschreckt, es war für mich ein normaler Überholvorgang.

Bei Fahrten mit meinem Ehemann kommt es selten zu gefährlichen Fahrmanövern bzw. Situationen."

 

Im Anschluss an diese Zeugenaussagen wurde auf der B1, km 221,7 ein kurzer Lokalaugenschein durchgeführt.

 

Letztendlich hat die Rechtsvertreterin des Bw nachfolgende Stellungnahme abgegeben:

"Beantragt wird die Einholung eines Gutachtens eines verkehrstechnischen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass die vom Zeugen U. W. geschilderte Fahrweise einerseits höchst selbstgefährdend und andererseits fahrtechnisch kaum durchführbar ist.

Weiters wird die zeugenschaftliche Einvernahme des Herrn A. L. sen. und                           der  Frau M. L. (= Eltern des Berufungswerbers) beantragt zum Beweis dafür,                    dass  Frau S. L.  zum  Tatzeitpunkt  Beifahrerin  im  Pkw  des  Berufungswerbers  war.

 

 

Die Wahrnehmungen und Schilderungen des Anzeigers sind subjektiv und nicht nachvollziehbar, weil eine derartige Fahrlinie bei derartigen Geschwindigkeiten eine vorsätzliche Selbstgefährdung und fahrtechnisch nicht durchführbar wären. Die Angaben des Anzeigers zum vom Berufungswerber geschilderten Überholmanöver sind seinerseits als Schutzbehauptungen zu werten. Die Angaben des Beschuldigten werden hingegen von seiner Beifahrerin der Zeugin S. L., die unter Wahrheitspflicht steht, bestätigt. Die vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen werden weiterhin bestritten und können keinesfalls als erwiesen erachtet werden. Unklar ist auch, warum der Zeuge U. W. die  Zeugin L. im Fahrzeug nicht wahrgenommen hat.

Die Verwaltungsübertretungen wurden daher nicht begangen.

Der Antrag auf Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens  bleibt  aufrecht."

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung ist festzustellen:

Sowohl der Bw als auch dessen Ehegattin haben – durch die "Aufforderung zur Rechtfertigung" vom 22.8.2005 – erst ca. drei Monate nach dem Vorfallszeitpunkt                 (= 1.6.2005) erfahren, dass dem Bw vorgeworfen werde, er habe – zur Tatzeit und             am Tatort – insgesamt sechs Übertretungen nach der StVO begangen.

 

Nach eigenen Angaben fährt der Bw ca. 70.000 km/Jahr; seine Ehegattin ist – abgesehen vom Weg zur Arbeit – fast immer Beifahrerin, geschätzt ca. 50.000 km/Jahr.

 

Sowohl der Bw als auch dessen Ehegattin, welche zum Vorfallszeitpunkt angeblich am Beifahrersitz des vom Bw gelenkten Fahrzeuges gesessen ist, bestreiten die gegenständlichen Übertretungen. Beide führen übereinstimmend aus, dass der Bw noch vor dem von km ca. 221,4 bis km 221, 9 verordneten Überholverbot den Pkw  des ihnen damals völlig unbekannten Zeugen U.W. überholt und es sich dabei um ein "völlig normales Überholmanöver" gehandelt habe.

 

Der UVS hatte bei der Berufungsverhandlung vom 12.9.2006 den Eindruck, dass              der Bw und die Zeugin S.L. von der Richtigkeit ihrer Wahrnehmungen überzeugt sind.

 

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Beim Autofahren nehmen der Lenker und sein(e) Beifahrer(in) zahlreiche Sinneswahrnehmungen auf.  Dies erfordert eine drastische Auswahl jener Wahrnehmungen, welche den höheren Hirnzentren zugeleitet werden, da diese sonst mit unwesentlichen Informationen überschwemmt  und von ihr blockiert würden. Dementsprechend sind im Gehirn gewissermaßen Filter für Wahrnehmungen vorhanden:   Ultrakurzzeit-  und  Kurzzeit-Gedächtnis.

Was über diese Filter nicht in das Langzeitgedächtnis gelangt, kann nicht erinnert werden; es wird gewissermaßen im Gehirn gelöscht wie ein übersprochenes Tonband.

Der Zeuge U.W. hat bei der mündlichen UVS-Verhandlung ausgesagt, dass im Fahrzeug des ihn überholenden BMW sich der Lenker alleine befunden hat bzw.            dass er einen Beifahrer nicht gesehen hat.

 

Selbst wenn Frau S.L. zum Vorfallszeitpunkt tatsächlich Beifahrerin im vom Bw                      (= ihres Ehegatten) gelenkten Pkw gewesen sein sollte – siehe die Bestätigung der Mutter des Bw, Frau G.M.L. vom 25.9.2006; die vom Bw beantragte zeugenschaftliche Einvernahme seiner Eltern, Herr  A.L. sen. und Frau M.L. ist dadurch entbehrlich –              ist  Folgendes  zu  bemerken:

 

Der Bw hat sich – nach seiner eigenen Aussage sowie der Aussage seiner                  Ehegattin  – vollkommen gesetzeskonform verhalten.

 

Der Bw fährt pro Jahr ca. 70.000 km mit dem Pkw; davon ist seine Ehegattin bei             ca. 50.000 km  Beifahrerin.

Der Bw sowie dessen Ehegattin haben – durch die "Aufforderung zur Rechtfertigung" vom 22.8.2005 – erst  drei Monate nach diesem Vorfall vom Tatvorwurf erfahren.

Der Bw hat – bei Durchschnittbetrachtung – in diesem Zeitraum von ca. drei Monaten mehr als 15.000 km mit dem Pkw zurückgelegt; seine Ehegattin saß bei mehr                     als  10.000 km  auf  dem  Beifahrersitz.

 

Es ist völlig unwahrscheinlich, dass sich der Bw sowie dessen Ehegattin  sich an einen derartigen, nur wenige Sekunden dauernden, Vorfall erinnern  können.

Dies würde bedeuten, dass sowohl der Bw, als auch dessen Ehegattin sich an jede einzelne Situation rechtskonformen Verhaltens im Straßenverkehr erinnern könnten.

 

Was sowohl für den Bw als auch dessen Ehegattin und Zeugin Frau S.L. im Zeitpunkt der Wahrnehmung völlig gleichgültig und unbedeutend war, ist  plötzlich im Zeitpunkt der Zustellung der "Aufforderung zur Rechtfertigung" von Interesse.

Dies ist eine bedeutende Quelle der Unzuverlässigkeit.

Wird ein gesetzeskonformes Überholmanöver – wie dies der Bw sowie                      dessen Ehegattin behaupten – vorgenommen, ist dies aus Sicht der  Wahrnehmungs­bereitschaft zunächst eine uninteressante Einzelheit.

 

Kommt jedoch später – hier nach Zustellung der "Aufforderung zur Rechtfertigung" vom 22.8.2005 – Interesse daran auf, kann die ursprünglich fehlende Aufnahme­bereitschaft nicht ersetzt werden. Die nicht ins Bewusstsein eingedrungenen äußeren Vorgänge sind idR für immer verloren.

Nachträgliches "sich erinnern" ist nichts anderes als Einbildung und Phantasie;

siehe dazu ausführlich das Erkenntnis des UVS Oberösterreich vom 10.3.1997,                         VwSen-103990/16  mit  Literaturhinweisen.

 

 

 

Der Bw sowie dessen Ehegattin als Beifahrerin haben im Ergebnis angegeben,                 sie hätten zum Vorfallszeitpunkt vor dem verordneten Überholverbot ein einem             Jeep ähnliches Fahrzeug,  Farbe: schwarz,  überholt.

 

Der Lenker dieses von ihnen überholten Fahrzeuges habe – so jedenfalls die Aussage  der  Ehegattin  des  Bw  –  mit  dem  Handy  telefoniert.

 

Der Zeuge U.W. hat bei der mündlichen UVS-Verhandlung vom 12.9.2006                          u.a. glaubwürdig ausgesagt, dass er mit Sicherheit nicht mit dem Handy telefoniert hat.

 

Falls der Bw tatsächlich vor dem bei km 221,4 bis km 221,9 verordneten Überholverbot einen schwarzen "Jeep-ähnlichen" Pkw überholt hat, dessen Lenker mit einem Handy telefoniert hat, so hat sich dieser Überholvorgang nicht am 1.6.2005 um 19.15 Uhr sondern zu einer anderen Zeit ereignet und  handelte es sich bei dem vom Bw überholten Kfz nicht um das vom Zeugen U.W. gelenkte –  sondern um ein anderes – Fahrzeug!

 

Der Zeuge U.W. hat bei der mündlichen UVS-Verhandlung vom 12.9.2006 einen kompetenten und glaubwürdigen Eindruck hinterlassen.

 

Der Zeuge hat mehr als 15 Jahre hindurch jeden Arbeitstag jene Straßenstrecke befahren, auf welcher der gegenständliche Vorfall sich ereignet hat,                              dh  der  Zeuge  ist  absolut  ortskundig.

 

Weiters hat sich das vom Zeugen geschilderte Überholmanöver an einem markanten Punkt (= Betriebseinfahrt Firma X) ereignet.

 

Schließlich hat der Zeuge U.W. nur wenige Minuten nach diesem Vorfall telefonisch Anzeige beim Gendarmerieposten Lambach erstattet.

 

Zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist folgendes auszuführen:

Die Behörde hat nach der Aufnahme von Beweisen zu prüfen, ob ihr diese die erforderliche Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen des maßgeblichen Sachverhalts vermitteln.

Die Behörde hat dabei gemäß § 45 Abs.2 AVG unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen,  ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist.

Der damit normierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet, dass die Behörde nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt              zu  beurteilen  hat.

Dabei müssen die vorgenommenen Erwägungen schlüssig sein, dh mit den Gesetzen der Logik und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut in   Einklang  stehen.

Bei Zeugen ist die Annahme zulässig, dass sie sich an einen länger zurückliegenden Vorfall nicht ohne weiteres erinnern können;

siehe dazu Hengstschläger-Leeb, AVG, 2. Teilband, RZ 8f zu § 45 AVG (Seite 463f)           mit  zahlreichen  Judikaturhinweisen.

 

Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung und entbehrt jedweder Logik,                                dass der Bw sowie dessen Ehegattin ca. drei Monate nach diesem Vorfall –                   der Bw hat zwischenzeitlich mehr als 15.000 km zurückgelegt; davon war seine Ehegattin bei mehr als 10.000 km Beifahrerin – einen für sie völlig normalen Verkehrsvorgang  exakt  wiedergeben  können.

 

Demgegenüber hat der absolut glaubwürdige und ortskundige Zeuge, Herr U.W.                    nur wenige Minuten nach diesem Vorfall eine Anzeige beim Gendarmerieposten Lambach erstattet.  Bereits bei dieser Anzeige hat der Zeuge U.W. den Geschehensablauf  schlüssig  und  nachvollziehbar  dargelegt.

 

Den von Herrn U.W. bei der mündlichen UVS-Verhandlung vom 12.9.2006 getätigten Zeugenaussagen wird daher vollinhaltlich Glauben geschenkt.

 

Für den UVS steht daher fest, dass der Bw zur Tatzeit bei km 221,7 –                      somit im Bereich des von ca. km 221,4 bis ca. 221,9 verordneten Überholverbotes – den  vom  Zeugen  U.W.  gelenkten  Pkw  überholt  und  dabei

Ø      das Überholverbot missachtet   sowie

Ø      die dort vorhandene Sperrlinie überfahren

und dadurch die Verwaltungsübertretungen nach § 16 Abs.2 lit.a StVO sowie § 9 Abs.1 StVO (= Punkte 2. und 3. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses) begangen hat.

 

Zur Verwaltungsübertretung nach § 15 Abs.4 StVO (= Punkt 4. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses) ist auszuführen:

Der Zeuge U.W. (= Lenker des überholten Kfz) hat bei der mündlichen UVS-Verhandlung vom 12.9.2006 angegeben, der vom Bw beim Überholen eingehaltene Seitenabstand habe geschätzt nur ca. 20 cm betragen.

Er habe befürchtet, dass es zu einer Spiegelkollision kommt.

 

Bei der Angabe des Seitenabstandes handelt es sich naturgemäß um eine Schätzung bzw. um einen „Ungefährwert“;  VwGH vom 19.10.1988, 88/02/0074.

Beim Überholen eines mehrspurigen Kfz durch ein anderes mehrspuriges Kfz bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h ist ein Seitenabstand von 50 cm bereits zu gering;

VwGH vom 6.6.1963, 1224/62 – zitiert in Messiner, StVO, 10. Auflage,

E58 zu § 15 StVO (Seite 370).

Um so mehr gilt dies, wenn – wie im vorliegenden Fall – das überholte Kfz eine Geschwindigkeit von 70 km/h einhält.

Dem Zeugen U.W. – dieser ist zwar kein verkehrstechnischer Sachverständiger und auch kein Organ der Straßenaufsicht, jedoch ein erfahrener Pkw-Lenker, welcher bei der mündlichen UVS-Verhandlung einen glaubwürdigen und kompetenten Eindruck hinterlassen hat – ist eine richtige Schätzung des Seitenabstandes zuzumuten.

 

Insbesondere hat Herr U.W. ausgesagt, er habe befürchtet, dass es bei diesem Überholmanöver zu einer Spiegelkollision kommt.

 

Bei derartigen Überholmanövern kann es auch zu einer Streifung des überholten Fahrzeuges kommen; siehe dazu VwGH vom 1.7.1987, 87/03/0059.

Je geringer der Seitenversatz (und damit der seitliche Sicherheitsabstand),                        desto kürzer ist die Zeit des “Ausscherens"  und  desto kürzer ist der Überholvorgang.

Entgegen der Rechtsansicht des Bw ist daher das vom Zeugen U.W: geschilderte Überholmanöver – Seitenabstand geschätzt 20 cm – fahrtechnisch sehr wohl möglich.

Zu dieser Frage ist daher die Einholung des Gutachtens eines verkehrstechnischen Sachverständigen nicht erforderlich und wird der diesbezügliche Beweisantrag des Bw abgelehnt.

 

Für den UVS steht daher fest, dass der Bw zur Tatzeit bei km 221,7 den vom                Zeugen U.W. – mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h – gelenkten Pkw überholt,             dabei einen Seitenabstand von nur ca. 20 cm eingehalten und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 15 Abs.4 StVO begangen hat.

 

Zur Strafbemessung ist auszuführen:

 

Wer als Lenker eines Fahrzeuges gegen die Vorschriften der StVO oder der aufgrund der StVO erlassenen Verordnungen verstößt, begeht eine Verwaltungsübertretung             und ist gemäß § 99 Abs.3 lit.a StVO mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro –                    im  Fall  ihrer  Uneinbringlichkeit  mit  Arrest  bis  zu  zwei  Wochen  –  zu  bestrafen.

 

Gemäß § 19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, in wie weit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Im ordentlichen Verfahren sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen.                 Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu  nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die  §§ 32 bis 35 StGB  sinngemäß  anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind  bei  der  Bemessung  von  Geldstrafen  zu  berücksichtigen.

 

Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Bw betragen:

kein Einkommen (Zivildienst), kein Vermögen, Sorgepflicht für Ehegattin und ein Kind.

Als mildernd ist die bisherige Unbescholtenheit des Bw zu werten.

Erschwerende Umstände liegen nicht vor.

 

Die von der belangten Behörde zu Punkte 2., 3. und 4. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses festgesetzten Geldstrafen (70 Euro; 40 Euro; 40 Euro) betragen                10 % bzw. jeweils 6 % der möglichen Höchststrafe und sind – trotz der geringen Einkommenssituation sowie der Sorgepflichten des Bw – nicht überhöht.

 

Betreffend die Punkte 2., 3. und 4. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses war daher die Berufung sowohl hinsichtlich des Schuldspruchs, als auch der verhängten Geldstrafen als unbegründet abzuweisen.

 

Gemäß § 64 Abs.2 VStG betragen die Kosten für das Verfahren I. Instanz.....10 %                 und  für  das  Berufungsverfahren  weitere  20 %  der  verhängten  Geldstrafen.

 

Zu Punkt 1. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (Verwaltungsübertretung nach                § 18 Abs.1 StVO) ist auszuführen, dass sowohl in den Verfolgungshandlungen,                    als auch im erstinstanzlichen Straferkenntnis die Angabe des Tatortes fehlt.

Es war daher der Berufung in diesem Punkt stattzugeben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z3 VStG einzustellen.

 

Zu Punkt 5. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (Verwaltungsübertretung nach              § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960) ist festzustellen:

 

Die Entscheidung über die Zulässigkeit des Überholmanövers aus der Sicht des                § 16 Abs.1 lit.c StVO setzt grundsätzlich die Feststellung jener Umstände voraus, die für die Länge der für den geplanten Überholvorgang benötigten Strecke von Bedeutung sind; das sind in erster Linie die Geschwindigkeiten des Überholenden und des zu überholenden Fahrzeuges und der Tiefenabstand. Ferner sind Feststellungen über die dem Lenker des überholenden Fahrzeuges zur Zeit des Beginnes des Überholvorganges zur Verfügung stehenden Sichtstrecke erforderlich. Schließlich sind noch Feststellungen über das Vorhandensein allfälliger bereits im Zeitpunkt des Beginnes des Überholmanövers dem Lenker erkennbarer Hindernisse zu treffen, die unter Berücksichtigung der erforderlichen Überholstrecke einem gefahrlosen Wiedereinordnen in den Verkehr entgegen stehen könnten; VwGH vom 12.3.1986, 85/03/0152, zitiert in Messiner, aaO, E52 zu § 16 StVO (Seite 386).

 

Da nicht mehr alle erforderlichen Feststellungen getroffen werden können, war in diesem Punkt – gemäß dem Grundsatz „in dubio pro reo“ – der Berufung stattzugeben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen.

 

 

Zu Punkt 6. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (Verwaltungsübertretung nach               § 15 Abs.3 StVO) ist auszuführen:

Gemäß § 15 Abs.3 StVO hat der Lenker des überholenden Fahrzeuges den bevorstehenden Überholvorgang nach § 11 StVO über den Wechsel des Fahrstreifens rechtzeitig anzusehen.

Gemäß § 11 Abs.2 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, dass sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können.

Im vorliegenden Fall kann nicht mehr festgestellt werden, ob sich im Nahbereich des                         vom  Bw  gelenkten  Pkw  ein  anderer  Straßenbenützer  befunden  hat  oder  nicht.

Es war daher in diesem Punkt – ebenfalls gemäß dem Grundsatz „in dubio pro reo“ –                            der Berufung stattzugeben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1VStG                                       einzustellen.

 

Zu Punkte 1. – 6.:  Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsge­richts­hof erhoben werden; diese muss von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

Mag. Kofler

 Beschlagwortung: Beweiswürdigung

 

 

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