Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720065/31/BMa/Jo

Linz, 25.10.2006

 

 

 

V E R F Ü G U N G

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bergmayr-Mann aus Anlass der Berufung des I U, türkischer Staatsangehöriger, vertreten durch B Rechtsanwalts KEG, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Gmunden vom 27. Juni 2005, Sich07/9250, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 2. Oktober 2006  beschlossen:

 

I.)                  Die Berufung wird zuständigkeitshalber an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich weitergeleitet.

 

II.)                Der Berufungswerber hat an Dolmetschgebühren 114,10 Euro binnen 14 Tagen nach Rechtskraft dieser Verfügung zu entrichten.

 

Rechtsgrundlagen:

ad  I.)   § 6 Abs.1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden: AVG), BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 10/2004 iVm

§ 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 99/2006

ad II.)   § 76 AVG iVm § 53b AVG 

 

 

Begründung:

 

1.1. Mit dem in der Präambel angeführten Bescheid wurde über den Berufungswerber, einen türkischen Staatsangehörigen, auf der Grundlage des Fremdengesetzes 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt.

 

Dazu wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Berufungswerber sei erstmals im Jahr 1974 ins Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist. Nachdem er wiederholt grob gegen die Rechts- und Werteordnung seines Gastlandes verstoßen habe (deswegen sei er von den Gerichten rechtskräftig verurteilt worden), habe der Bezirkshauptmann von Hallein am 29. August 1983 gegen ihn ein auf 20 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dieses Aufenthaltsverbot sei am 23. Februar 1994 von der Bezirkshauptmannschaft Hallein aus humanitären Gründen aufgehoben worden. Am 22. März 1994 sei ihm von der Bezirkshauptmannschaft Gmunden eine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden. Seit diesem Zeitpunkt gelte der Berufungswerber als in Österreich niedergelassen.

Am 8. Juni 1994 hätten ihm wieder fremdenpolizeiliche Maßnahmen angedroht werden müssen, da er unter Alkoholeinwirkung (1,75 %o) ein Kfz auf öffentlichen Straßen gelenkt habe.

Weiters habe er einem österreichischen Staatsangehörigen bei einer Rauferei das Nasenbein gebrochen, deshalb sei er vom Bezirksgericht Gmunden gemäß § 83 Abs.1 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe in Höhe 12.000 Schilling (entspricht 872 Euro) verurteilt worden.

Ein weiteres Strafverfahren gegen den Berufungswerber sei am 20. Juni 2002 gemäß § 83 StGB iVm § 90, 90f StPO mit einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt worden.

Das Bezirksgericht Gmunden habe den Berufungswerber am 25. September 2003 gemäß § 83 Abs.1 und 2 StGB (Körperverletzung) zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 2 Euro (insgesamt 120 Euro) im Nichteinbringungsfalle 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

 

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 7. Dezember 2004 sei gegen ihn ein Waffenverbot erlassen worden.

 

Mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 24. Februar 2005 sei der Berufungswerber gemäß den §§ 201 Abs.1 StGB (Verbrechen der Vergewaltigung), §§ 15 Abs.1, 105 Abs.1 StGB (versuchte Nötigung), §§ 107 Abs.1 StGB (Vergehen des Hausfriedensbruchs) und § 83 Abs.1 StGB (Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren, davon zwei Jahre bedingt mit einer Probezeit von drei Jahren verurteilt worden.

 

Durch sein Verhalten habe der Berufungswerber unter Beweis gestellt, dass er an der Einhaltung der österreichischen Rechts- und Werteordnung nicht das geringste Interesse habe. So habe er gegen die in seinem Gastland geltenden Gesetze auf das Gröbste verstoßen.

 

In dem letztgenannten Urteil habe das Landesgericht Wels den Berufungswerber schuldig erkannt, dass er am 21. November 2004 Maria Holzinger mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gewalt für Leib und Leben zur Duldung des Beischlafs genötigt habe, indem er ihr den Mund mit einem Klebeband verklebte, ihr mit einer Hand die Hände festhielt, die Hose und den Slip herunterzog, wobei der Berufungswerber angegeben habe "wenn du die Klappe aufmachst, passiert dir was, du weißt, wie wir Türken sind!"

Am 21. November 2004 habe er der Frau zwischen die Oberschenken gegriffen, ihr eine Ohrfeige gegeben und gesagt "wenn du schreist, bekommst du noch mehr!"

Weiters habe er am 21. November 2004 versucht, die Frau durch die Äußerung "wenn du jemanden davon erzählst, passiert dir etwas" zu nötigen, indem sie von der Anzeigenerstattung gegen den Berufungswerber Abstand nehmen solle.

In der Nacht vom 30. November 2004 zum 1. Dezember 2004 habe der Berufungswerber M H durch die Äußerung "ich komme rauf und werde dich ficken, ob du willst oder nicht!" mit einem Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, sohin mit einer Verletzung an der Freiheit, gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Am 1. Dezember 2004 habe der Berufungswerber sich den Eintritt in die Wohnstätte der M H durch Aufdrücken der Tür mit Gewalt erzwungen, wobei er gegen die dort befindliche M Y und M H Gewalt zu üben beabsichtigt habe.

Am 1. Dezember 2004 habe er M Y an den Haaren gepackt, sie vom Bett weggezerrt, sie auf den Boden geworfen, sie sodann aus dem Zimmer gezerrt und über die Treppe hinunter geworfen und so die Frau am Körper misshandelt. Dadurch habe diese zahlreiche Prellungen im Bereich des Genicks, des linken Oberarms, des linken Handgelenks, des rechten Knies, am Rücken und am Schulterblatt erlitten.

 

Der Berufungswerber halte sich in Österreich mit seiner Familie auf, er sei verheiratet und habe Kinder.

 

Begründend wurde weiters ausgeführt, obwohl die Verurteilungen aus den Jahren 1983 bis 1994 bereits getilgt seien, habe die Fremdenbehörde die Aufgabe alle Umstände zu erheben und einer Wertung zu unterziehen, die für oder gegen den Aufenthalt eines Fremden in Österreich sprechen würden. Hiebei sei es zulässig, Umstände anzuführen, die im Jahr 1983 zur Erlassung eines auf 20 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes geführt hätten, und es müsse auch zulässig sein, darauf hinzuweisen, dass all die Verurteilungen, selbst wenn diese nicht mehr vorwerfbar seien, den Berufungswerber in keiner Weise auf den richtigen Weg zu einem friedlichen Zusammenleben in Österreich geführt hätten. Schon aus der Tatsache, dass der Berufungswerber nach einem bereits einmal erlassenen Aufenthaltsverbot, das aus humanitären Gründen behoben worden sei, sich wiederum und dazu in gravierenderer Weise strafbar gemacht habe, mache die Erlassung eines Aufenthaltsverbots dringend erforderlich. Er habe eine wehrlose Frau nicht nur zum Beischlaf genötigt, er habe durch ständige Anwendung von Gewalt gegen Frauen sein hohes Aggressionspotential und seine Bereitschaft zu Gewalt unter Beweis gestellt.

Seine Bemerkung, er habe seine Strafen bezahlt und seine Rechtfertigung zu den von ihm begangenen Körperverletzungen, "man müsse als Gastwirt eben durchgreifen", sei ein weiterer Hinweis auf seine sorglose Einstellung zur österreichischen Rechts- und Werteordnung.

Ein Aufenthalt von nunmehr 10 Jahren, wie dies beim Berufungswerber zutreffe, in Österreich sei im Normalfall ausreichend, um von einer entsprechenden Integration eines Fremden auszugehen. Dieser Annahme sei die letzte gerichtliche Verurteilung des Landesgerichts Wels sowie sein bisheriges Verhalten im Bundesgebiet gegenüber zu stellen. Die Schwere seiner gesetzwidrigen Handlungen habe sich massiv gesteigert. In einem geregelten Leben, wie dies zu führen der Berufungswerber behauptet hat, dürfe erwartet werden, dass andere Konfliktlösungsmechanismen (vor allem im sexuellen Bereich) gefunden werden könnten, als jene, die vom Berufungswerber angewandt wurden.

Die fremdenpolizeiliche Maßnahme scheine daher nicht nur zulässig sondern dringend notwendig.

 

Aufgrund des Sachverhalts und unter Berücksichtigung der persönlichen Lebenssituation des Berufungswerbers werde festgestellt, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schwerer wiegen würden als die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbots auf seine persönliche bzw. familiäre Lebenssituation. Bei der Abwägung sei die Dauer seines Aufenthalts, das Ausmaß der Integration und die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen berücksichtigt worden.

 

Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet erlassen worden, weil nicht abzusehen sei, wann bzw. ob die negativen Charaktereigenschaften des Berufungswerbers sich zum Besseren wenden würden. Er habe fremdenpolizeiliche Ermahnungen völlig ignoriert und auch Verurteilungen hätten den Berufungswerber nicht davon abhalten können, immer wieder strafbare Handlungen zu setzen, damit könne das Aufenthaltsverbot nur auf unbefristete Dauer erlassen werden. Nach Ansicht der belangten Behörde sei er eine Gefahr für Leib und Leben anderer.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid, der dem Berufungswerber am 1. Juli 2005 zugestellt wurde, erhob dieser rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung, die (zunächst) der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vorgelegt wurde.

 

1.3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich übermittelte den Verwaltungsakt formlos an den unabhängigen Verwaltungssenat. Dieser langte am 13. Jänner 2006 ein.

 

1.4. In der Berufung wird im Wesentlichen ausgeführt, es sei zwar richtig, dass der Berufungswerber mehrmals straffällig geworden sei, dies seien jedoch mit Ausnahme der Verurteilung vom 22. Februar 2005 lediglich kleinere Delikte gewesen, die zum Großteil Jahrzehnte zurückliegen würden, wobei die Straftaten getilgt seien und sämtliche Strafen bezahlt worden seien. Es habe sich lediglich um geringfügige Vergehen gehandelt.

Das Strafverfahren 13HV10/05g, LG Wels, welches am 22. Februar 2005 zu einer Verurteilung geführt habe, sei ein Indizienprozess gewesen, wobei die Aussagen der M H und M Y für seine Verurteilung ausschlaggebend gewesen seien. Im Zuge eines anderen Verfahrens habe sich aber herausgestellt, dass diese beiden in dem anderen Verfahren nachweislich die Unwahrheit gesagt hätten. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von lediglich drei Jahren, bei einem Strafrahmen bis zu zehn Jahren, zeige, dass sich das Gericht hinsichtlich seiner Schuld nicht sicher gewesen sei. Er habe aber aus Zweckmäßigkeitsgründen, um keine Berufung der Staatsanwaltschaft gegen die Strafhöhe zu provozieren, das Urteil angenommen. Dieses Urteil sei ein krasses Fehlurteil. Auch wenn man davon ausgehe, dass er die Taten begangen habe, zeige der hohe Anteil der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, dass das Gericht davon ausgegangen sei, dass die bloße Androhung des Großteils der Strafe ausreiche, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Der Berufungswerber sei von 1974 bis 1983 sowie ab 1988, also mehr als 20 Jahre in Österreich aufhältig gewesen, wobei er immer erwerbstätig gewesen sei. Seit dem Jahr 2000 sei er Geschäftsführer der U & Co. KEG, in welcher seine Gattin und er Gesellschafter seien. Diese Gesellschaft betreibe zwei Gaststätten in Vordorf, es seien in diesen auch andere Familienmitglieder beschäftigt. Seine Mitarbeit sei für seine Familie unbedingt notwendig, da das Unternehmen von ihm geführt werde.

Viel schlimmer würde jedoch wiegen, dass durch seine drohende Ausweisung seine Ehegattin, die seit 1979 in Österreich aufhältig sei, ihren Ehegatten und seine Kinder ihren Vater verlieren würden. Die 1999 geborene Tochter würde derzeit erst den Kindergarten in Vorchdorf besuchen und insbesondere diese Tochter würde eine Trennung von ihrem Vater psychisch nicht verkraften. Es würden sehr starke familiäre Bindungen zwischen ihm, seiner Ehegattin und seinen Kindern bestehen, sodass seine Ausweisung eine soziale Katastrophe sei. Es sei daher offensichtlich, dass der Eingriff in das Familienleben schwerer wiege, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots.

Sein Verhalten in Haft zeige eindeutig, dass er sich vorbildlich verhalte, dies würde auch das noch einzuholende psychologische Fachgutachten ergeben.

Aufgrund des Umstandes, dass seine Gattin sowie seine Kinder Österreicher seien, wäre es vor der Tat auch kein Problem für ihn gewesen, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Wäre die Verurteilung nicht zu einer mehr als zweijährigen Haftstrafe erfolgt, wäre eine Ausweisung überhaupt unzulässig gewesen.

 

Es wird daher der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben.

 

2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde und über Antrag des Berufungswerbers eine mündliche Verhandlung für den 2. Oktober anberaumt zu der der Berufungswerber in rechtsfreundlicher Vertretung ebenso wie der Vertreter der belangten Behörde erschienen sind. Als Zeugen wurden über Antrag des Berufungswebers die Psychologin der Justizanstalt Wels, Mag. A M, die Gattin des Berufungswerbers, H U, seine Tochter B U und sein Sohn M U vernommen.

 

3.   Zur Zuständigkeitsfrage ist auszuführen:

 

3.1. Gemäß § 9 Abs.1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl.I Nr. 100/2005, idF BGBl.I Nr. 157/2005 (im Folgenden: FPG), entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG, sofern nichts anderes bestimmt ist,

1.      im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2.      in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.

 

Im Ausschussbericht (1055dB., XXII.GP) wurde festgehalten, dass entsprechend dem Urteil des EuGH vom 2.Juni 2005 in der Rechtssache C-136/03, wonach die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt, gelten, für diese § 9 Abs.1 Z.1 anzuwenden ist.

 

Die Richtlinie, auf die sich das vorzitierte EuGH - Urteil bezieht, wurde durch die Richtlinie 2004/38/EG aufgehoben.

Gemäß Art.8 der (aufgehobenen) Richtlinie 64/221/EWG müssen Betroffene gegen die Entscheidung, durch welche die Einreise, die Erteilung oder die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert wird, oder gegen die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet die Rechtsbehelfe einlegen können, die Inländern gegenüber Verwaltungsakten zustehen.

Gemäß Art.9 der Richtlinie 64/221/EWG trifft, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und über die Entfernung des Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet, außer in dringenden Fällen, erst nach der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist.

 

Gemäß Art.6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 hat vorbehaltlich der Bestimmungen in Art.7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

-   nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung

    seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen

    Arbeitsplatz verfügt;

-   nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den

    Arbeitnehmern aus den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden

    Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner

     Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den

     Arbeitsämtern dieses Mitgliedsstaates eingetragenes anderes Stellenangebot

     zu bewerben;

 -  nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von

     ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Gemäß

     Art.6 Abs.2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei

     werden der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft,

     Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit den Zeiten ordnungsgemäßer

     Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die

     von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind,

     sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten

     ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die

     aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

 

Nach der Rechtssprechung des EuGH entfalten die Bestimmungen des ARB 1/80 – wie auch des Assoziationsabkommens und des Zusatzprotokolls – unmittelbare Wirkung in den Mitgliedsstaaten, wenn sie unter Berücksichtung ihres Wortlautes und im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder deren Wirkung nicht vom Erlass eines weiteren innerstaatlichen Umsetzungsaktes abhängt. Der EuGH hat den Artikeln 6 Abs.1 und 7 ARB 1/80 ausdrücklich unmittelbare Wirkung in den Mitgliedsstaaten zuerkannt. Dies bedeutet, dass sich türkische Staatsangehörige, die die Vorraussetzungen dieser Vorschriften erfüllen, unmittelbar auf die in diesen Vorschriften gewährten Rechte berufen können.

 

Der ARB 1/80 enthält an sich nur beschäftigungs-, nicht aufenthaltsrechtliche Regelungen. Der EuGH geht jedoch in ständiger Rechtssprechung davon aus, dass die beschäftigungsrechtlichen Vergünstigungen, die türkischen Staatsangehörigen vor allem in den Art. 6 und 7 ARB 1/80 verliehen werden, zwangsläufig auch ein Aufenthaltsrecht dieser Personen im jeweiligen EU-Mitgliedsstaat implizieren, weil sonst die in diesen Bestimmungen eingeräumten Arbeitsmarkt - Zugangsrechte wirkungslos wären. Dieses vom EuGH im Wege der Rechtsfortbildung gewonnene assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht ist somit abgeleiteter Natur und besteht grundsätzlich nur so lange, wie der türkische Arbeitnehmer im Bundesgebiet ordnungsgemäß beschäftigt ist bzw. dem Arbeitsmarkt angehört. Für den Fall, dass ein türkischer Staatsangehöriger bereits das Recht erlangt hat, gemäß Art.6 Abs.1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, kann ein Aufenthaltsrecht bestehen, auch ohne dass er beschäftigt ist.

 

Da das Assoziationsrecht insgesamt einen integralen Bestandteil des Gemeinschaftsrecht bildet, ist das aus den Bestimmungen des ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht zugleich supranationaler Rechtsnatur und genießt als solches – nach ständiger Rechtssprechung des EuGH – Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechtes.

 

3.2. In der mündlichen Verhandlung wurde dargelegt, dass der Berufungswerber Geschäftsführer der U & Co KEG ist, an der er zu 10 % und seine Gattin zu 90 % beteiligt seien. Er habe auch den Gewerbeschein. Präzisierend führt der Berufungswerber aus, ihm obliege alleine die gesamte Organisation der Firma mit ihren drei Standorten, er sei der Chef. Seine Frau führe nur untergeordnete Tätigkeiten in der Küche aus. Er treffe alle Entscheidungen und seine Frau wäre im Bereich der Behördenwege und der Bankgeschäfte tätig. Entscheidungen würden gemeinsam getroffen werden. Ihm komme nur der Lohn als Geschäftsführer zu (Seite 5 der Verhandlungsschrift vom 2. Oktober 2006).

Die nachfolgenden Zeugenvernehmungen haben ebenso ergeben, dass der Berufungswerber der Chef der Firma ist. Er hat in der Firma das "Sagen", er erledigt (aber auch) Bankgeschäfte oder Behördenentscheidungen und ist der "Chef" der Firma (H U, Seite 6 der Verhandlungsschrift vom 2. Oktober 2006, ebenso B U, Seite 7 der Verhandlungsschrift vom 2. Oktober 2006). Der Berufungswerber hat nicht nur Zugriff auf seinen Geschäftführergehalt, er hat auch Zugriff auf den verbleibenden Gewinn aus der Firma.

 

Der Aussage der Gattin des Berufungswerbers, die glaubwürdig und lebensnah die Abläufe im Familienbetrieb schildert, war auch deshalb zu folgen, weil sich diese Aussage mit Ausnahme der Darstellung des Zugriffs auf den Betriebsgewinn und der Erledigung der Behördenwerge und Bankgeschäfte mit jener des Berufungswerbers deckt und durch die Aussagen ihrer Kinder, B U und M U, gestützt wird.

 

3.3. Daraus ergibt sich aber, dass die Tätigkeit des Berufungswerbers nicht mehr unter die Arbeitnehmereigenschaften des Artikel 6 des ARB 1/80 zu subsumieren ist. Zwar bietet der genannte Beschluss keine Legaldefinition für den Arbeitnehmerbegriff, der EuGH kam aber zur Erkenntnis, dass der Begriff des Arbeitnehmers iSd des Assoziationsabkommens, mangels irgendeines Anhaltspunktes für eine restriktive Auslegung, mit einem gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff gleichzusetzen ist.

 

Der EuGH setzt für die Charakterisierung einer Person als Arbeitnehmer voraus, dass sie:

... "eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält." (M A, Das Assoziationsabkommen EWG – Türkei, Seite 50).

Wesentliche Merkmale sind damit die Erbringung wirtschaftlicher Leistungen für einen anderen und die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers, die dann vorliegt, wenn die betreffende Person die von ihr zu verrichtende Tätigkeit unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten erbringt, sodass ein persönliches und wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber entsteht.

Das Kriterium der Weisungsgebundenheit bildet die Grenze zu den selbständigen Tätigkeiten, die entweder dem rechtlichen Regime der Niederlassungsfreiheit (Artikel 44 ff EG) oder der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff EG) unterliegen.

Als selbständig sind jene Tätigkeiten anzusehen, die für eigenes Risiko und auf eigene Rechnung durchgeführt werden. Abgrenzungsschwierigkeiten können sich insbesondere bei Personen mit Managementfunktionen ergeben, die zwar in einem Angestelltenverhältnis stehen, denen aber maßgeblicher Einfluss auf die Unternehmensführung zukommt. In solchen Fällen kann die Beurteilung der Weisungsgebundenheit nur nach Vornahme einer Abwägung zwischen den der betroffenen Person zukommenden Einflussmöglichkeiten und den ihre Unterordnung unter die Unternehmensführung ausmachenden Elementen gewonnen werden. Die Weisungsabhängigkeit darf jedenfalls nicht schon deshalb verneint werden, weil der Arbeitnehmer des Unternehmens zugleich Gesellschafter desselben ist, wenn die Dienste im Übrigen in einem Unterordnungsverhältnis zum Arbeitgeber durchgeführt werden (M A, Das Assoziationsabkommen EWG – Türkei, Seite 52).

 

3.4. Aus den Feststellungen ist ersichtlich, dass der Berufungswerber federführend im Familienbetrieb, der U & Co KEG, ist. Seine Gattin, die Mehrheitseigentümerin der Firma, verrichtet lediglich untergeordnete Tätigkeiten in der Küche. Damit aber fehlt ein wesentliches Kriterium, nämlich die "Weisungsabhängigkeit", zur Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des ARB 1/80 nach Gemeinschaftsrecht.

Zum gleichen Ergebnis käme man, würde man die Kriterien des nationalen Rechts zur Unterscheidung zwischen abhängiger und selbständiger Tätigkeit heranziehen. Dem Berufungswerber, dem Minderheitengesellschafter, kommt wesentlicher Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft zu und wird durch diesen tatsächlich und persönlich ausgeübt. Dieser beherrschende Einfluss ist gekennzeichnet durch sein geschäftsführerisches Pouvoir, in dem Sinn, dass ein bestimmender (gestaltender, positiver) Einfluss auf die (laufende) Geschäftsführung vorliegt.

Der Berufungswerber kann damit gegenwärtig nicht als Arbeitnehmer bezeichnet werden,  dem die aus ARB 1/80 erfließenden Rechte zukommen.

 

3.5. Aus dem Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung mit Stand vom 26. Mai 2006 geht hervor, dass der Berufungswerber beginnend mit 21. Oktober 1975 bei verschiedensten Firmen in Österreich als Arbeiter beschäftigt war und zwischenzeitig Arbeitslosen- oder Krankengeld bezogen hat. Beginnend mit 1. Juni 2003 bis 31. Jänner 2004, danach seit 1. Mai 2004 bis 30. Juni 2005 und dann wieder ab 1. Dezember 2005 bis dato war der Rechtsmittelwerber als Arbeiter bei der U & Co KEG gemeldet. Daraus ergibt sich, dass der Berufungswerber die von ihm in der mündlichen Verhandlung geschilderte Position des Chefs der U & Co KEG zumindest seit 1. Juni 2003, als er erstmals als "Arbeiter" der Firma gemeldet war, inne hatte. (Laut Firmenbuchauszug besteht die U & Co KEG seit

7. April 2001 und der Berufungswerber wurde mit Bescheid des Bezirkshauptmanns von Gmunden vom 21. Juli 2003, Ge 10-872-2003, zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellt). In der Zeit, in der er als arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet war (12. Februar 2004 bis 30. April 2004) und in der für ihn keine Versicherungszeiten aufscheinen (30. Juni 2005 bis 1. Dezember 2005 – offenbar die Zeit seiner Haft), war er weiterhin gewerberechtlicher Geschäftsführer und Gesellschafter der Firma. Damit ist davon auszugehen, dass er auch in diesem Zeitraum keine weisungsgebundene, abhängige Tätigkeit verrichtet hat.

 

3.6. Selbst wenn der Rechtsmittelwerber durch seine jahrzehntelange Beschäftigung in Österreich als türkischer Arbeitnehmer die höchste Integrationsstufe im Sinne des Artikel 6 Abs 1 UAbs 3 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980, das Recht des uneingeschränkten Zugangs zu jeder Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, erlangt hat, so gehört er seit mehr als einem Jahr nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt iS des Beschlusses an. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH endet das aus dem oa Beschluss abgeleitete Recht nach "angemessener" Zeit. Das ist im Regelfall ein Jahr der Nichterfüllung der Kriterien nach dem Beschluss Nr. 1/80.

Weil dem Berufungswerber die Rechtstellung nach Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1990 über die Entwicklung der Assoziation nicht zukommt, bzw. er die aus diesem Beschluss erworbenen Rechte verloren hat,  ist für ihn § 9 Abs.1 Z1 FPG nicht anzuwenden. Damit ist aber der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich nicht zur Behandlung der Berufung gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zuständig.

Die Berufung war daher gemäß § 6 Abs.1 AVG an die zuständige Stelle, in diesem Fall die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich, weiterzuleiten.

 

4.  Gem. § 76 AVG hat die Partei, die den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hat, für die bei einer Amtshandlung der Behörde erwachsenen Barauslagen aufzukommen.

Nichtamtliche Sachverständige haben für ihre Tätigkeit im Verfahren Anspruch auf Gebühren nach den §§ 24 bis 33, 34 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 erster Satz, Abs. 4 und 5, 36,37 Abs.2, 53 Abs.2 und 54 des Gebührenanspruchsgesetzes 1975. § 53 a Abs. 1 zweiter Satz und Abs. 2 bis 4 ist anzuwenden ( § 53 b AVG).

 

Die Gebühren für Dipl. Bw P U für die Dolmetschertätigkeit in der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2006 wurden mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats vom 6. Oktober 2006, VwSen–720065 /26/Pf/Ri, in der Höhe von 114,10 Euro festgesetzt und sind vom Berufungswerber, der den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hat, zu tragen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss  - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

Mag. Bergmayr-Mann

 

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde zurückgewiesen.

VwGH vom 09.11.2009, Zl.: 2006/18/0450-7

 

 

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