Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-161880/10/Bi/Se

Linz, 20.02.2007

 

 

                                              

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung der Frau M R, S, vertreten durch RA a. Univ.-Prof. Dr. M W, U, L, vom 22. Dezember 2006 gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Steyr vom 11. Dezember 2006, S1014/ST/06, wegen Über­tretungen der StVO 1960 und des KFG 1967, aufgrund des Ergebnisses der am 6. Februar 2007 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, zu Recht erkannt:

 

      Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als das angefochtene Strafer­kenntnis in allen Punkten behoben und das Verwaltungsstraf­verfahren jeweils ohne Vorschreibung von Verfahrens­­kostenbeiträgen eingestellt wird.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i, 45 Abs.1 Z1 und 66 VStG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurde über die Beschuldigte wegen Verwaltungsübertretungen gemäß 1) §§ 99 Abs.3 iVm 134 Abs.1 KFG 1967, 2) und 3) jeweils §§ 18 Abs.1 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960, 4) §§ 16 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs. 3 lit.a StVO 1960, 5) §§ 16 Abs.2 lit.b iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960, 6) §§ 16 Abs.1 lit.b iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 und 7) §§ 16 Abs.1 lit.c iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 Geldstrafen von 1) 30 Euro (18 Stunden EFS), 2) und 3) je 100 Euro (je 50 Stunden EFS) , 4), 5), 6) und 7) je 70 Euro (je 48 Stunden EFS) verhängt, weil sie als Lenkerin des Kraftfahrzeuges mit dem behördlichen Kennzeichen ...... am 13. Jänner 2006 um 19.13 Uhr in Steyr,

1) auf Höhe der S 2 bis Höhe S 10, Fahrt­richtung S, im Ortsgebiet Fernlicht verwendet habe,

2) auf Höhe des Objektes S 6, Fahrtrichtung S, nicht einen solchen Abstand vom nächsten vor ihr fahrenden Fahrzeug eingehalten habe, das ihr jederzeit das rechtzeitige Anhalten ermöglicht hätte, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre, da der Abstand zum Vorderfahrzeug max. 1 m bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 45 km/h betragen habe,

3) auf Höhe des Objektes S Nr. 28, Fahrtrichtung T , wiederum nicht einen solchen Abstand vom nächsten vor ihr fahrenden Fahrzeug eingehalten habe, dass ihr jederzeit das rechtzeitige Anhalten ermöglicht hätte, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre, da der Abstand zum Vorderfahrzeug max. 1 m bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 45 km/h betragen habe,

4) auf der S auf Höhe Objekt Nr. 26 bis Nr. 22 überholt habe, obwohl nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden gewesen sei, da der seitliche Abstand für den entsprechenden Sicherheitsabstand nicht ausgereicht habe,

5) auf der S auf Höhe Objekt Nr. 26 bis Nr. 22 überholt habe, obwohl es sich bei dieser Straßenstelle um eine unübersichtliche Linkskurve gehandelt habe,

6) auf der S auf Höhe Objekt Nr. 26 bis Nr. 22 überholt habe, obwohl der Unterschied der Geschwindigkeiten des überholenden und des eingeholten Fahr­zeuges unter Bedachtnahme auf allenfalls geltende Geschwindigkeitsbeschränkun­gen für einen kurzen Überholvorgang zu gering gewesen sei,

7) auf der S auf Höhe Objekt Nr. 26 bis Nr. 22 überholt habe, obwohl sie nicht einwandfrei habe erkennen können, dass sie das Fahrzeug nach dem Überhol­vorgang in den Verkehr einordnen könne, ohne andere Straßenbenützer zu gefähr­den oder zu behindern.

Gleichzeitig wurden ihr Verfahrenskostenbeiträge von gesamt 51 Euro auferlegt.

 

2. Dagegen hat die Berufungswerberin (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Ver­wal­tungs­senat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro über­steigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsver­teilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 6. Februar 2007 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung an den genannten Örtlichkeiten im Stadtgebiet Steyr in Anwesenheit der Bw, ihres Rechtvertreters RA a. Univ.-Prof. Dr. M W , der Vertreterin der BPD Steyr Frau M P , des Anzeigers RI M S und des technischen Amtssachverständigen Ing R H (SV) durchgeführt. Auf die mündliche Verkündung der Berufungsentschei­dung wurde verzichtet.

 

3. Die Bw macht im Wesentlichen geltend, zum Vorfallszeitpunkt hätten keinerlei winterliche Fahrbedingungen geherrscht. Bei lebensnaher Beurteilung sei von einem auffällig provokanten Langsamfahren des Anzeigers auszugehen, sodass sich die Angaben über die Abstände zwangsläufig relativierten. Außerdem habe der Anzeiger erfahrungsgemäß keine Möglichkeit, einen hinter ihm bestehenden Sicher­heits­abstand verlässlich wahrzunehmen. Ein gesicherter Sachverhalt könne sich damit nicht verfestigen. Der Anzeiger sei mit sinnlosem Langsamfahren unterwegs gewesen, das im Bereich Wiesenberg in eine blockierende Fahrweise übergegangen sei; sie sei sogar gezwungen gewesen, den 1. Gang einzulegen. Sie sei angesichts dieser Situation nicht nur zum Überholen berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen. Der Anzeiger habe keinen Gegenverkehr darstellen können und tatsäch­lich habe auch ausreichende Sicht bestanden. Die Erstinstanz habe den Bescheid inhaltlich mit Rechtswidrigkeit belastet. Die Betätigung der Lichthupe als ange­messene Reaktions­handlung sei zur Herstellung der Sicherheit der Augenblickslage erforderlich gewesen, da die Fahrweise des Anzeigers einen verwirrten und unmotivierten Lenker vermuten habe lassen. Selbst wenn man den Angaben des Anzeiges folge, ergebe sich daraus eine Serie von sinnlosen Beschleunigungs- und Abbremsmanövern, denen ein erfahrener Lenker nur dadurch entkomme, dass er bei erster und zulässiger Gelegenheit das Fahrzeug überhole. Beantragt wird eine mündliche Berufungs­verhandlung mit Ladung des Anzeigers als Zeuge, im übrigen Aufhebung des Straferkenntnisses.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung an Ort und Stelle unter Beiziehung eines technischen Sach­verständigen, bei der beide Parteien gehört und der Anzeiger, ein Polizei­beamter der BPD Linz, der eigene außerdienstliche Wahrnehmungen auf einer Privatfahrt ange­zeigt hat, unter Hinweis auf die Wahrheitspflicht des § 289 StGB zeugenschaft­lich einvernommen wurde.

 

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:

Der Anzeiger fuhr nach eigenen Angaben vom Leitnerberg kommend in Richtung S und bog nach dem Tunnel in Richtung S nach rechts in diese ein. Die S verläuft im dortigen Bereich gerade und weist nach dem Haus Nr. 10 vor der Brücke über die Steyr einen Fußgängerübergang mit Ampel auf, nach der Brücke befindet sich die ampelgeregelte Kreuzung mit dem W graben.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Anzeiger an, er sei in die S aus dem Stillstand eingebogen und habe dann auf ca. 40 km/h beschleunigt, zumal die Fahrverhältnisse winterlich gewesen seien und sich eisige Stellen bzw Schneereste auf der nassen Fahrbahn befunden hätten. Er glaube nicht, dass er den auf seinen aufschließenden Pkw der Bw behindert habe, jedoch habe die Bw grundlos das Fernlicht eingeschaltet und einen derart geringen Abstand zu seinem Pkw eingehalten, dass er die Scheinwerfer nicht mehr im Innenspiegel und nicht mehr in den Außenspiegeln gesehen habe. Den Abstand schätzte der Anzeiger auf "maximal 1 m". Beim Haus Nr. 10 habe die Bw den Abstand wieder erhöht und das Fernlicht abgeschaltet. Er glaube, dass die Ampel beim Fußgängerübergang grün gewesen sei und er bei der Kreuzung mit dem Wehrgaben anhalten habe müssen. Ob er bis zum Haus Nr. 10 gebremst habe, wusste er nicht mehr. Der zeitlich nicht genau zuordenbare geringe Abstand habe jedenfalls so lange bestanden, dass er ihn beim Blick in den Rückspiegel wahrgenommen habe.

 

Die Bw hat dazu ausgeführt, sie sei mit ihrem Pkw aus dem Tunnel gekommen und habe auf den ohne ersichtlichen Grund äußerst langsam fahrenden Pkw des Anzeigers aufgeschlossen, dessen Fahrverhalten sie sich nicht habe erklären können, sodass sie ihn mit der Lichthupe angeblinkt habe. Die Straßenverhältnisse seien zur ange­gebenen Zeit, einem Freitag kurz nach 19.00 Uhr, sicher nicht winterlich gewesen, auch habe weder Straßenglätte noch ein sonst erkennbarer Anlass für eine derart geringe Geschwindigkeit bestanden. Der Pkw vor ihr habe nicht geblinkt und sei nicht eingebogen, habe aber ohne Grund  - die Ampeln seien grün gewesen, er habe nirgends anhalten müssen - abgebremst und es könne sein, dass dabei der Abstand kurzfristig geringer geworden sei, allerdings sicher nicht in der vom Anzeiger behaupteten Größenordnung, weil sonst ein Auffahrunfall unvermeidbar gewesen wäre. Danach seien beide Pkw hintereinander auf den Wiesenberg in Richtung S gefahren, wobei der Pkw vor ihr grundlos so langsam nach rechts einge­bogen sei, dass sie auf den 1. Gang zurückschalten habe müssen, weil sonst der Motor ihres Fahrzeuges abgestorben wäre. Vor ihnen habe sich kein Fahrzeug befunden und der Pkw sei für sie unerklärbar mit ca. 25 km/h bergauf gefahren, sodass sie sich kurz vor der Einmündung der A gasse entschlossen habe, ihn zu überholen, zumal dort die S drei Fahrstreifen aufweise, kein Gegenverkehr zu sehen gewesen sei und genügend Sicht bestanden habe. Sie habe ihn mit ihrem 75 PS starken Pkw bergauf überholt, dabei einen normalen Sicherheitsabstand eingehalten und den Anzeiger auch nicht beim Wieder­einordnen geschnitten, zumal sich auch in Richtung T kein Fahrzeug vor diesem befunden habe.

 

Der Anzeiger bestätigte in der Verhandlung, über die S eine Geschwindig­keit von ca. 30 km/h eingehalten zu haben und erklärte dies wiederum mit winter­lichen Fahrbedingungen und "bestimmt einem" Pkw, auf den er kurz vor dem Haus Nr. 28 mit einem Nachfahrabstand von schätzungsweise 7 m aufgeschlossen habe. Die Bw habe nach dem Einbiegen in die S erneut einen "maximal 1 m" betragenden Abstand zu seinem Pkw eingehalten, diesen dann vergrößert und schließlich unmittelbar vor der unübersichtlichen Links­kurve beim Haus Nr. 28 begonnen ihn zu überholen, obwohl die Sicht durch die Kurve eingeschränkt gewesen sei, sie eine Gefährdung oder Behinderung anderer Straßen­benützer, insbesondere eines Gegen­verkehrs - der allerdings tatsächlich nicht vorhanden war - nicht habe ausschließen können, sie nur einen geringen seitlichen Abstand von maximal einem halben Meter und nach seinem subjektiven Eindruck eine sehr geringe Geschwindig­keit - das Überholmanöver sei ihm sehr lang vorgekommen - eingehalten habe.

 

Von der Anschuldigung laut Anzeige, die Bw habe ihn beim Wiedereinordnen nach dem Überholmanöver zu einer Vollbremsung und zum Verreißen seines Pkw nach rechts veranlasst, hat der Zeuge in der Verhandlung nichts erwähnt, ebenso hat er zum von ihm eingehaltenen Abstand zum nach seiner Schilderung vor seinem fahrenden Pkw nichts mehr ausgeführt. Die von ihm selbst eingehaltene Geschwin­dig­keit hat er in der Verhandlung niedriger angegeben als vor der Erstinstanz, nämlich auf der S ca. 40 km/h, auf der S ca. 30 km/h. Er hat erklärt, er habe nach dem Vorfall anhand eines Planes die Hausnummern zur örtlichen Konkretisierung seiner Anzeige eruiert.

 

Zum Nachfahrabstand von "maximal 1 m", den der Zeuge beim Blick in den Innen­spiegel und beide Außenspiegel seines Pkws geschätzt hat, wurde vom SV eine Stellprobe mit dem Honda Civic des Anzeigers und einem von der Höhe der Scheinwerfer dem Peugeot der Bw entsprechenden Citroen Xantia durchgeführt, wobei eruiert wurde, dass, wenn der Anzeiger in den Spiegeln die Scheinwerfer nicht mehr gesehen hat, immer noch ein Abstand von mindestens 3,5 m bestanden haben muss.

Der SV hat ausgehend vom Beginn des Überholmanövers nach der Schilderung der Bw den Überholvorgang als problemlos eingestuft, zumal von dort eine Sichtweite von 220 bis 250 m besteht, die Überholstrecke bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 25 km/h mit ca. 80 m errechnet wurde und ein Seitenabstand von laut Zeuge 0,50 m bei dieser Geschwindigkeit als ausreichend anzusehen ist. Nach diesen Angaben habe es sich um einen problemlosen Überholvorgang gehandelt. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der S wurde mit den im Orts­gebiet erlaubten 50 km/h eruiert, sodass auch beim vom Anzeiger als zu gering angezeigten Geschwindigkeitsunterschied beim Überholen keine Besonderheit fest­ge­stellt wurde; allerdings wurde die Anzeige diesbezüglich mit dem subjektiven Eindruck des Anzeigers begründet.

 

Aus der Sicht des UVS haben sich die Angaben des Anzeigers in der Verhandlung relativiert, teilweise durch seine eigenen Schilderungen an Ort und Stelle bzw. beim Nachfahrabstand durch die Stellprobe. Wo nun tatsächlich die Bw zu überholen begonnen hat, ließ sich in der Verhandlung nicht mit der letztlich für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit objektivieren. Die S weist bergauf gesehen vor der Einmündung der A gasse eine geringe Sichtweite auf, die ab dem von der Bw geschilderten örtlichen Beginn ihres Überholmanövers tatsächlich ausreichend ist, noch dazu wenn der Anzeiger tatsächlich mit ca. 25 bis 30 km/h unterwegs war, was er selbst bestätigt hat. Die S hat drei Fahrstreifen, der vom Anzeiger und der Bw nach dem Einbiegen vom Wiesenberg befahrene ist durch eine Leitlinie markiert. Wenn die Bw die Verwendung des Fernlichtes als Lichthupe darstellt, die sie wegen der nicht nachvollziehbar langsamen Fahrweise des Anzeigers verwendet hat, ist ihr nichts entgegenzuhalten, zumal nach der allgemeinen Lebenserfahrung nichts dafür spricht, dass an einem Freitag (Werktag) kurz nach 19.00 Uhr tatsächlich so winterliche Fahrbedingungen im Stadtgebiet Steyr bestanden hätten, wie sie vom Zeugen geschildert wurden. Der Behördenvertreterin war nichts bekannt, dass es an diesem Tag zu vermehrten Unfällen gekommen oder die Schneeräumung derart nachlässig gewesen wäre. Die S , der Wiesenberg und die Richtung T ansteigende S sind Hauptverkehrsverbindungen durch das Stadtgebiet, die S, in deren Verlängerung das Krankenhaus liegt, wird von Linienbussen befahren. Dass dort an einem normalen Freitag Abend bei uneingeschränkter, also niederschlags­freier Sicht die Schneeräumung so nachlässig gewesen wäre, dass Vereisungen nur geringe Geschwindigkeiten zugelassen hätten, ist nach der allgemeinen Lebens­erfahrung äußerst unwahrscheinlich, sodass die Angaben der Bw diesbezüglich glaubwürdig sind.

Von ihrem persönlichen Eindruck in der Verhandlung her waren sowohl der Anzeiger als auch die Bw glaubwürdig, durch objektive Anhaltspunkte verifizierbar war allerdings keine der Aussagen. Die Bw ist unbescholten, dh eine wie die angezeigte gefährdende, verantwortungs- bzw. rücksichtslose Fahrweise ist bei ihr bisher nicht aufgefallen. Die Bw hat zugestanden, den Anzeiger angeblinkt und möglicherweise im Rahmen eines von diesem veranlassten Bremsvorganges im Bereich der S kurzzeitig einen zu geringen Abstand eingehalten zu haben, der aber größer gewesen sei als der angezeigte, und den Pkw des Anzeigers auf der S überholt zu haben, dies jedoch unter zulässigen Bedingungen. Sie verstehe nicht, warum sie angezeigt worden sei, sie habe mit dem ihr persönlich und vom Fahrzeug her gänzlich unbekannten Anzeiger noch nie etwas zu tun gehabt. Möglicherweise habe er sich durch die Lichthupe provoziert gefühlt und dann sie provozieren wollen.

 

Der Anzeiger ist als Polizist offenbar auch bei nicht dienstlichen Fahrten auf die Wahrnehmung von Verkehrsverstößen fixiert; er hat allerdings als Lenker eines Fahrzeuges im fließenden Verkehr einen anderen Blickwinkel als ein Straßen­auf­sichtsorgan, das in der Regel als unbeteiligter Beobachter am Verkehrsge­schehen Wahrnehmungen aus einer überblickbaren Entfernung macht. Wenn aber ein Polizist selbst als Lenker eines Kraftfahrzeuges mit der dafür notwendigen Aufmerksamkeit am Verkehrsgeschehen teilnimmt und keine technischen Hilfsmittel zur Verfügung hat, ist ihm schon von der nur mehr eingeschränkten Möglichkeit seiner Sinneswahr­nehmung her keine erhöhte Glaubwürdigkeit allein aufgrund seiner sonstigen beruflichen Tätigkeit zuzubilligen, auch wenn ihm eine besondere Ausbildung diesbezüglich zugutezuhalten ist. Die mündliche Verhandlung hat ergeben, dass der Anzeiger seine Wahrnehmungen in der Anzeige offenbar zum Teil überzogen geschildert hat, zumal er an Ort und Stelle zB. hinsichtlich der Geschwindigkeit Korrekturen vornehmen musste, seinen Ausführungen im Hinblick auf den Nachfahr- und den Seiten­abstand wurde vom SV widersprochen, hinsichtlich des behaupteten zu geringen Geschwindigkeitsunterschiedes beim Überholen hat die Verhandlung außer subjektiven Eindrücken des Anzeigers nichts ergeben, was die Anzeige rechtfertigen würde.

 

In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Zu Punkt 1) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 99 Abs.3 KFG 1967 darf im Ortsgebiet außer den - hier nicht zutreffenden - im Abs.5 angeführten Fällen Fernlicht nicht verwendet werden; das Verwenden des Fernlichtes während des Fahrens ist jedoch außer den im Abs.4 lit.c bis f ange­führten Fällen ua zulässig beim Abgeben von optischen Warnzeichen.

 

Der Anzeiger hat ausgeführt, die Bw habe beim Haus S 2 das Fernlicht eingeschaltet und beim Haus Nr. 10 wieder ausgeschaltet. Er hat in der Verhandlung zugestanden, zunächst aus dem Stillstand in die S eingebogen zu sein - das hat die Bw offenbar wegen ihrer Entfernung vom Fahrzeug des Zeugen nicht bemerkt – ca. 40 km/h gefahren zu sein und im dortigen Bereich gebremst zu haben, wobei er einen Grund dafür nicht mehr nennen konnte. Er konnte auch nicht sagen, wie lange er den Pkw im Innenspiegel beobachtet habe. Dabei habe er den Abstand geschätzt und Fernlicht wahrgenommen.

Die Bw hat ausgeführt, sie habe dem Anzeiger wegen seiner für sie nicht nachvollziehbar niedrigen Geschwindigkeit  mit der Lichthupe Zeichen gegeben.

Aus der Sicht des UVS ist die Aussage der Bw glaubwürdig, wenn man davon ausgeht, dass im Bereich der beiden Ampeln keinerlei Behinderungen bestanden haben, die die Aufmerksamkeit des Anzeigers erregt haben. Tatsächlich hat dieser aber bestätigt, er glaube, er habe bei der Kreuzung mit dem W graben anhalten müssen. Allein die zeitlich nicht einordenbare Wahrnehmung von Fernlicht hinter ihm schließt noch nicht aus, dass die Bw tatsächlich "nur" die Lichthupe betätigt hat. Für die Beurteilung der "Verwendung von Fernlicht" im Sinne des § 99 Abs.3 1. Halbsatz KFG ist jedoch eine größere uneingeschränkte Beobachtungsstrecke erforderlich als dem Anzeiger bei angemessener Aufmerksamkeit zur Verfügung stand.

 

Zu den Punkten 2) und 3) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 18 Abs.1 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand zum nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird. 

 

Der Zeuge hat zum einen im Bereich S 6 (Punkt 2) des Strafer­kenntnisses), zum anderen im Bereich S 28 (Punkt 3) des Straferkennt­nisses) den Nachfahrabstand der Bw als so gering angegeben, dass er die Schein­werfer ihres Pkws im Innenspiegel und den beiden Außenspiegeln nicht mehr gesehen habe, schätzungsweise "maximal 1 m". Bei der Stellprobe hat sich nach diesen Kriterien ein Abstand von mindestens 3,5 m ergeben, wobei der Anzeiger im Punkt 2) seine eigene Geschwindigkeit mit ca. 50 km/h, in der Verhandlung mit 40 km/h, im Punkt 3) zunächst mit 40 km/h, in der Verhandlung mit 25 bis 30 km/h angab. Im Punkt 2) hat der Zeuge nach eigenen Angaben seine Geschwindigkeit verringert, weil er meinte, bei der Kreuzung mit dem W graben angehalten zu haben. Er konnte nicht sagen, wie lange er zur Schätzung des Abstandes in den Innen- bzw. einen Außenspiegel geblickt habe. Vor dem Haus S 28 hat der Anzeiger nach eigenen Angaben auf einen langsam fahrenden Pkw aufgeschlossen, sodass auch hier eine Geschwindigkeitsanpassung erfolgt sein muss.

Die Bw hat einen solchen Nachfahrabstand vehement abgestritten und ausgeführt, in einem solchen Fall wäre ein Auffahren unvermeidbar gewesen.

 

Aus der Sicht des UVS ist der Bw in Punkt 2) insofern nichts entgegenzusetzen, als der Anzeiger im dortigen Bereich - den er nachträglich zur Anzeigeerstattung anhand eines Planes mit Hausnummern lokalisierte - nach eigenen Angaben bremsen musste und ein eventueller geringer Nachfahrabstand der Bw auch auf eine verspätete Reaktion zurückzuführen sein kann. Ein Nachfahrabstand von 3,5 m bei 40 km/h entspräche nach den SV-Ausführungen einem Abstand von 0,6 Sekunden. Allerdings ist zur Wahrnehmung eines solchen Abstandes eine längere Beobachtungszeit erforderlich, die der Zeuge selbst nicht bestätigen konnte, zumal er offenbar selbst die Geschwin­digkeit, aus welchen Gründen immer, verlangsamte. Auch ist nicht auszuschließen, dass die Bw auf sein Abbremsen verspätet reagiert hat, was nicht mit dem Tatbild des § 18 Abs.1 StVO 1960 gleichzusetzen wäre.

Zu Punkt 3) hat der Zeuge in der Verhandlung eine Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h angegeben, was sich mit den Aussagen der Bw deckt und laut SV einem Nachfahrabstand in der Größenordnung von 0,6 Sekunden entspricht. Der Anzeiger hat den geringen Sicherheitsabstand beim Haus S 28 vor Beginn des Überhol­manövers lokalisiert, wobei dieser Abstand nicht im Zuge des Überholmanövers eingehalten worden sei, sondern vorher. Die Bw hat nach eigenen Aussagen den Pkw des Anzeigers wegen dessen geringer Geschwindigkeit und bei freier Sicht überholt, wobei sie die Einhaltung eines derart geringen Abstandes abgestritten hat. Wenn allerdings der Anzeiger nach eigenen Angaben vor dem Haus Nr. 28 auf einen so langsam fahrenden Pkw aufgeschlossen hat, ist auch hier eine Geschwindigkeitsanpassung und damit eine möglicherweise kurzfristige Abstands­änderung des Pkw der Bw nicht auszuschließen, die aber zum einen nach den Angaben der Bw nicht bestanden haben kann, weil sie kein Fahrzeug, auf das der Anzeiger aufgeschlossen hätte, wahrgenommen hat. Objektiviert werden kann daher weder die Schilderung des Anzeigers noch die der Bw, wobei auch Zweifel an der Länge der Beobachtungsstrecke und der Aufmerksamkeit des Anzeigers auf dieser Strecke bestehen, zumal fraglich ist, inwieweit dieser gleichzeitig vorne seinen eigenen Nachfahrabstand beobachten und hinten den der Bw schätzen konnte.     

 

Zu den Punkten 4), 5) , 6) und 7) des Straferkenntnisses:

Gemäß § 16 Abs.1 StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn lit.a andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist,

lit.b der Unterschied der Geschwindigkeiten des überholen­den und des überholten Fahrzeuges unter Bedachtnahme auf allenfalls geltende Geschwindigkeitsbeschrän­kungen für eine kurzen Überholvorgang zu gering ist,

lit.c er nicht einwandfrei erkennen kann, dass er sein Fahrzeug nach dem Überhol­vorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern.

Gemäß § 16 Abs.2 lit.b StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges außer den im Abs.1 angeführten Fällen nicht überholen, bei ungenügender Sicht und auf unüber­sichtlichen Straßenstellen, zB. vor und in unübersichtlichen Kurven.

 

Der Anzeiger hat den Beginn des grundsätzlich als solches unbestritten gebliebenen Überhol­manövers der Bw in der Anzeige örtlich konkretisiert beim Haus S Nr. 26, in der Verhandlung jedoch auf Höhe des Hauses Nr. 28. Die Bw hat den Überholbeginn kurz vor Einmündung der A gasse in die S angegeben, wobei der SV die Über­holsicht nach dieser Verantwortung mit 220 bis 250 m und den Überholweg mit 80 bis 90 m aus einer Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h heraus beziffert und einen Seitenabstand von ca. 0,50 m für ausreichend erachtet hat.

 

Abgesehen von den oben näher ausgeführten Zweifeln an der Erforderlichkeit einer derart geringen Geschwindigkeit, wie sie der Zeuge nunmehr bestätigt hat, hat er den als zu gering zur Anzeige gebrachten Seiten­abstand und Geschwindigkeits­unterschied, der vom SV in keiner Weise irgendwie objektiv einzuordnen war, mit

seinem subjektiven Eindruck der "langen Dauer des Überholvorganges" begründet. Derartige Kriterien sind für ein Verwaltungsstrafverfahren mangels jeglicher Nachvoll­ziehbarkeit nicht geeignet. Ebenso wenig ist der Ort des tatsächlichen Beginns des Überholmanövers mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit objektivier- oder verifzierbar. Die Schilderungen des Anzeigers, wonach die Bw trotz bester Sicht- und Verkehrs­verhältnisse erst unmittelbar vor der unübersichtlichen Kurve zu überholen begonnen habe, ihn dann geschnitten und sich in den geschätzten 7 m-Abstand zwischen seinem und dem vor ihm fahrenden Pkw, auf den er gerade aufgeschlossen habe, hineingedrängt habe, widersprechen jeder Logik, zumal, da offenbar keinerlei Sicht­behinderungen bestanden haben, die Bw den Pkw des Anzeigers beim (mangels Vorhandensein eines derartigen Pkw von ihr nicht beobachteten) Aufschließen mitverfolgen hätte können. Der Anzeiger hat in der Verhandlung im übrigen von der in der Anzeige erwähnten Vollbremsung und dem Verreißen seines Pkws nach rechts wegen des Einordnens der Bw vor ihm nichts mehr erwähnt und wäre das bei 25 km/h ohne jeden Gegenverkehr und bei breiter Fahrbahn auch fraglich.

 

Insgesamt ist in freier Beweiswürdigung unter Berücksichtigung des gemäß § 51i VStG zu beachtenden Unmittelbarkeitsgrundsatzes davon auszugehen, dass die Angaben des Anzeigers in der Berufungsverhandlung für ihre Heranziehbarkeit im Verwaltungs­strafverfahren zu vage und nicht ausreichend nachvollziehbar waren, um als geeigneter Beweis für die von ihm zur Anzeige gebrachten Anschuldigungen bestehen zu können.

Es war daher im Zweifel zugunsten der Bw spruchgemäß zu entscheiden, wobei naturgemäß keine Verfahrenskosten anfallen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsge­richtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

Mag. Bissenberger

 

Beschlagwortung:

Tatvorwürfe objektiv nicht erweisbar => Einstellung

 

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