Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230428/10/Br/Bk

Linz, 15.05.1995

VwSen-230428/10/Br/Bk Linz, am 15. Mai 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung der Frau H N, S, vertreten durch Dr. H B Rechtsanwalt, M, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 9.

Mai 1994, Zl. St.-3.101/94-B, zu Recht:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben und das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z2 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 866/1992 AVG iVm § 21, § 24, § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 666/1993 VStG.

II. Es entfallen daher sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat mit Straferkenntnis vom 9. Mai 1994, (irrtümlich wohl im Erkenntnis 29. Mai 1994 datiert) Zl. St. 3.101/94-B, über die Berufungswerberin wegen der Übertretung nach § 82 Abs.1 Z4 iVm § 15 Abs.1 Z2 Fremdengesetz eine Geldstrafe in Höhe von 2.500 S und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden verhängt, weil sie sich als Fremde im Sinne des § 1 Z1 FrG seit 3.10.1992 unrechtmäßig im Bundesgebiet Österreich aufgehalten habe, weil in ihrem Reisedokument kein Sichtvermerk eingetragen gewesen sei.

1.1. Begründend führte die Erstbehörde aus:

"Der Tatbestand der Ihnen zur Last gelegten Verwaltungsübertretung ist durch die Feststellung der fremdenpolizeilichen Abteilung, der hierüber vorgelegten Anzeige vom 21.2.1994 sowie durch das behördlich durchgeführte Ermittlungsverfahren einwandfrei erwiesen.

Demnach steht fest, daß Sie die im umseitigen Spruch detailliert angeführte Verwaltungsübertretung begangen haben.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurden Sie mit Strafverfügung vom 7.3.1994 bestraft, wogegen Sie innerhalb offener Frist Einspruch einbrachten.

In der Stellungnahme Ihres Rechtsvertreters vom 25.4.1994 wird zunächst Verfolgungsverjährung eingewendet. Darüber hinaus machen Sie die Anwendbarkeit des § 21 VStG geltend.

Dazu muß von der entscheidenden Behörde folgendes festgestellt werden:

1) Zur Verfolgungsverjährung: Hinsichtlich der in der Strafverfügung angelastet Übertretung nach dem Grenzkontrollgesetz ist tatsächlich Verfolgungsverjährung eingetreten und wurde deshalb dieser Tatbestand gemäß § 45/1/3 VStG eingestellt. Anders verhält es sich jedoch bei der Übertretung nach dem Fremdengesetz. Nach den einschlägigen Bestimmungen des VStG beträgt die Verjährungsfrist bei dieser Übertretung sechs Monate. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat. Im gegenständlichen Fall hat das strafbare Verhalten zumindest bis zum Tage der Feststellung durch das fremdenpolizeiliche Referat, daß war 21.2.1994 angedauert. Die Verjährungsfrist ist daher frühestens von diesem Zeitpunkt an zu berechnen und ist bereits am 7.3.1994 eine Verfolgungshandlung gesetzt worden indem eine Strafverfügung erlassen wurde. Die Verfolgungsverjährung kann somit für die Übertretung nach dem Fremdengesetz nicht zutreffen.

2) Zur Anwendbarkeit des § 21 VStG: Die entscheidende Behörde stellt jedoch fest, daß die Voraussetzungen zur Anwendbarkeit des § 21 (gemeint wohl VStG) nicht vorliegen.

Es liegt weder geringfügiges Verschulden vor, noch sind die Folgen unbedeutend geblieben. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß ein Fremder im Sinne des Fremdengesetzes bei einem Aufenthalt im Inland einer Aufenthaltsbewilligung bzw.

eines Sichtvermerkes bedarf. Es ist auch jedem Fremden zumutbar, alles zu unternehmen, um rechtzeitig einen Sichtvermerk zu erlangen. Wenn Sie nun nach monatelangem Aufenthalt im Inland noch immer nicht dafür gesorgt haben, daß Ihnen ein Sichtvermerk erteilt wurde, so kann von einem geringfügigem Verschulden keine Rede sein.

Auch sind die Folgen nicht unbedeutend geblieben, zumal der Staat ein Recht auf Regelung der Einwanderung und des Aufenthaltes von Fremden im Bundesgebiet hat. Zur Durchsetzung dieses Rechtes schafft der Staat die entsprechenden Gesetzesbestimmungen. Werden nun diese Bestimmungen nicht eingehalten, so wird der Schutzzweck der Norm verletzt und der Staat in seinem Recht auf Regelung des Aufenthaltes von Fremden im Bundesgebiet eingeschränkt.

Im übrigen wird auf die Rechtssprechung des VwGH (insbesondere vom 29.5.1985, Zl. 84/01/0381 und viele andere) hingewiesen, wonach ein länger dauernder Aufenthalt im Inland unter Mißachtung der Bestimmung des Fremdengesetzes als nicht unbedeutende Übertretung zu qualifizieren ist, sodaß eine Anwendung des § 21 ausgeschlossen ist.

Bei der Strafbemessung konnte Ihre Unbescholtenheit mildernd gewertet werden. Erschwerende Umstände wurden keine bekannt.

Die verhängte Strafe ist im Hinblick auf den gesetzlichen Strafrahmen, die Schwere der Übertretung, und insbesondere im Hinblick auf die lange Dauer des illegalen Aufenthaltes äußerst milde bemessen, demnach durchaus schuldangemessen, dem Unrechtsgehalt der Tat angepaßt und scheint der entscheidenden Behörde gerade noch geeignet, Sie in Hinkunft von der Begehung gleicher oder ähnlicher Übertretungen abzuhalten.

Ihre persönlichen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse wurden trotz ausdrücklicher Aufforderung nicht bekanntgegeben, weshalb diese geschätzt werden mußten. Es wurde der Strafbemessung Vermögenslosigkeit und Einkommenslosigkeit zugrunde gelegt.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

Für den Polizeidirektor i.A. OR Dr. B" 2. Dagegen wendet sich die Berufungswerberin mit ihrer nach antragsgemäßer Beigabe eines Verfahrenshilfeanwaltes fristgerecht erhobenen Berufung. Sie führt in der Sache aus:

"In umseits näher bezeichneter Fremdenrechtssache erhebe ich durch meinen bevollmächtigten Vertreter in offener Frist BERUFUNG an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes 0.ö. und stelle den ANTRAG, der UVS des Landes 0Ö möge das hier angefochtene Straferkenntnis der BPD Linz, Strafamt, vom 29.5.1994 (richtig wohl 9. Mai 1994) aufheben und das gegen mich eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren einstellen.

Meine Berufung begründe ich wie folgt:

Meinem Fall liegt folgender umfassender Sachverhalt zugrunde:

Ich bin Staatsangehörige der sozialistischen Republik Vietnam und am 3.10.1992 von der Tschechoslowakei nach Österreich eingereist. Die Tschechoslowakei war bis zum Fall des "Eisernen Vorhanges" kommunistisch. Am 8.10.1992 beantragte ich die Gewährung von Asyl. Mein Antrag wurde negativ entschieden. Ebenso meine dagegen eingebrachte Berufung. Aufgrund dieses zweitinstanzlich negativen Bescheides wurde über mich am 24.2.1994 mittels Bescheid der BPD Linz, Zl. Fr-85027, die Ausweisung verfügt. Der VwGH hob mit Erkenntnis vom 2.9.1994 den zweitinstanzlichen Asylbescheid des BMI wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Aufgrund dieses Erkenntnisses behob die Sicherheitsdirektion für das Bundesland am 19.1.1995 mittels Bescheid, St 103-2/94, den Ausweisungsbescheid der BPD Linz. Darin führt die Sicherheitsdirektion für das Bundesland begründend aus:

"Andererseits sind aber doch dadurch, daß die Entscheidung im Asylverfahren nunmehr wieder offen ist, Umstände eingetreten, die es, im Zusammenhang mit ihrer Ehe mit dem in L lebenden Ehegatten, erforderlich zu machen scheinen, zu überprüfen, inwieweit zum derzeitigen Zeitpunkt gegen Sie eine Ausweisung zu verfügen ist, nachdem der Hauptgrund für eine solche, nämlich der rechtskräftige negative Abschluß des Asylverfahrens, zumindest derzeit nicht mehr besteht.

Die Berufungsbehörde hält daher eine neuerliche Verhandlung der Frage ihrer allfälligen Ausweisung, und zwar unter Bedachtnahme auf den endgültigen Ausgang des Asylverfahrens, für unvermeidlich, weshalb sie den Bescheid über die Verfügung der Ausweisung behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde 1. Instanz verwiesen hat." Aufgrund des Vorwurfes des illegalen Aufenthaltes erließ die BPD Linz am 7.3.1994 eine Strafverfügung, wogegen ich innerhalb offener Frist Einspruch einbrachte. Am 29.5.1994 erließ das Strafamt der BPD Linz das hier angefochtene Straferkenntnis, St.-3.101/94.B, in dem unter Anwendung der §§ 82 Abs. 1 Z 4 iVm § 15 Abs. 1 Z 2 FrG eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.500,--, im Nichteinbringungsfalle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden, verfügte.

Die BPD L befaßte sich in ihrer Begründung mit der allfälligen Verfolgungsverjährung und der Anwendbarkeit des § 21 VStG.

II. Rechtliche Ausführungen Strafausschließungsrund des § 6 VStG Gemäß § 6 Abs. 1 AsylG ist ein Asylwerber, der direkt aus dem Staat kommt (Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention), in dem er behauptete, Verfolgung befürchten zu müssen, weder wegen rechtswidriger Einreise noch rechtswidriger Anwesenheit im Bundesgebiet zu bestrafen.

Dazu die Erläuterungen:

Die Judikatur des VwGH zu dieser zitierten Konventionsbestimmung, wonach diese keine Derogation paßoder fremdenpolzeirechtlicher Vorschriften, wohl aber einen besonderen Strafausschließungsgrund im Sinne des § 6 VStG darstellt, ist daher auch auf den ersten Satz dieser Bestimmung anwendbar. Weiters normiert diese Bestimmung für jenen Asylwerber, der direkt aus dem Staat kommt, in dem er behauptet, Verfolgung befürchten zu müssen und dem die Einreise nicht schon aufgrund des Paßgesetzes gestattet werden kann, ein Recht auf Einreise in das Bundesgebiet. Das gleiche gilt im Sinne des Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention auch für Asylwerber, die sich nicht bereits in einem anderen Staat aufgehalten haben, der das Non-Refoulement-Prinzip respektiert.

Auf meinen Fall angewendet bedeutet dies:

Wie oben ausgeführt, war die Tschechoslowakei bis zum Jahre 1992 kommunistisch regiert. Sie stand im engen Arbeitszusammenhang mit dem ebenfalls kommunistischen Vietnam. Es ist eine notorische Tatsache, daß aufgrund der ideologischen Übereinstimmung und der darauf basierenden Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ländern von seiten der Tschechoslowakei das Refoulement-Verbot nicht eingehalten worden wäre. Damit ist jedoch § 6 AsylG 1991 auf mich anwendbar und stellt auch in meinem Fall einen Strafausschließungsgrund im Sinne des § 6 VStG dar.

Eine Bestrafung hätte schon alleine aus diesem Grunde nicht erfolgen dürfen.

Zur Anwendbarkeit des § 21 VStG:

Die Anwendung dieser Bestimmung setzt zweierlei voraus:

Geringfügiges Verschulden und unbedeutende Folgen der Übertretung.

Grundsätzlich ist jedermann verpflichtet, die ihn betreffenden Rechtsvorschriften zu kennen. In meinem Fall ist es jedoch mit einer bloßen Kenntnis um die einschlägigen Bestimmungen nicht getan. Ich müßte mit dem äußerst schwierigen Zusammenspiel asylrechtlicher Bestimmungen mit jenen des Fremdenrechtes und des Aufenthaltsgesetzes vertraut sein. Dies würde eine entsprechende juristische Ausbildung erfordern, die mir nicht zumutbar ist.

Im einzelnen ist dazu folgendes auszuführen:

Bejaht man, wie soeben ausgeführt, die Anwendbarkeit des § 6 Abs.1 AsylG, so käme schon aus diesem Grunde eine Bestrafung nicht in Frage.

Ein Rechtsirrtum ist insbesondere dann entschuldbar, wenn die betreffende Rechtsfrage auch von Behörden verschieden gelöst wird. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Sicherheitsdirektion für das Bundesland ) meinen Ausweisungsbescheid behoben hat. Insofern wäre es völlig widersinnig, wenn einerseits die Sicherheitsdirektion für das Bundesland 0Ö mitteilt, es ist das Ergebnis des Asylverfahrens abzuwarten, andererseits ich wegen illegalen Aufenthaltes bestraft würde. Von der Grundidee her sind beide Entscheidungen völlig gegenläufig.

Wenn mir die BPD L vorwirft, daß ich "nun nach monatelangem Aufenthalt im Inland noch immer nicht dafür gesorgt habe, daß mir ein Sichtvermerk erteilt wurde" (Ende des Zitats wohl hier), so muß ich dem entgegenhalten, daß ich aufgrund des § 10 Abs.1 Z 7 FrG iVm § 5 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz nicht in der Lage bin, ein Visum zu erlangen. In diesem Sinne hat auch der Magistrat der Landeshauptstadt Linz am 27.2.1995 mit Bescheid, 01-11/1-8528-EA, entschieden. Der Vorwurf der BPD L geht also schon von Rechts wegen ins Leere.

Die einzige Möglichkeit besteht also darin, ins Ausland zu gehen. Damit würde mir jedoch das Recht genommen, mein Asylverfahren ordnungsgemäß zu betreiben: Das aufhebende Erkenntnis des VwGH hat zur Folge, daß mein Asylverfahren wieder beim BMI anhängig ist. Es wird mit 100 %iger Sicherheit zu einer ergänzenden Befragung und Stellungnahmen kommen. Um es drastisch auszudrücken, die gegenständliche Bestrafung und damit verbunden meine Pflicht zum Verlassen Österreichs hätte zur Folge, daß ich des Parteiengehörs im Asylverfahren beraubt würde.

Österreich bekennt sich zum Asyl. Daraus ergibt sich jedoch, daß die BPD Linz die fremdenrechtlichen Vorschriften nicht bloß isoliert, sondern eben unter Berücksichtigung meines Asylverfahrens betrachten hätte müssen. Auch wenn zum Zeitpunkt der Fällung des Straferkenntnisses das aufhebende VwGH-Urteil noch nicht vorlagen hätte man mit einem solchen rechnen können.

Im Ergebnis ist es also völlig unklar, welcher Rechtsmeinung man anhängt, also ob man die fremdenrechtspolizeilichen Bestimmungen rein formal betrachtet, oder unter Einbeziehung des gesamten Fremden- und Asylrechtes inhaltlich auffaßt.

Eine derartig komplexe Fallkonstellation, wie die meine, ist also rechtlich nicht leicht durchschaubar - entsprechende mangelnde Kenntnisse um meinen rechtlichen Zustand in Österreich können mir insofern nicht vorgeworfen werden.

Sollte man also überhaupt vom Vorliegen eines illegalen Aufenthaltes ausgehen, so ist mein Verschulden als äußerst geringfügig anzusehen.

Auch die Folgen sind geringfügig:

Nochmals möchte ich wie soeben erwähnt, darauf hinweisen, daß sich Österreich als Asylland versteht. Es ist also eine Abwägung zu treffen zwischen der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen und der Garantie eines fairen Asylverfahrens. Von einer Verletzung des Schutzzweckes fremdenrechtlicher Normen, wie die BPD Linz vermeint, kann also so ohne weiteres nicht gesprochen werden.

L, am 24. April 1995 N D" 3. Da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Mitglied zu entscheiden. Die Berufung richtet sich im Ergebnis gegen eine unrichtige rechtliche Beurteilung des an sich unbestrittenen Sachverhaltes und zuletzt auch gegen das Ausmaß der verhängten Strafe. Zumal sich nach Einholung bezughabender Entscheidungen aus dem Akt sämtliche für die Entscheidung erforderlichen Beurteilungskriterien ergeben und ein diesbezüglicher gesonderter Antrag nicht vorliegt, konnte hier von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme des von der Erstbehörde vorgelegten Verwaltungsaktes, Zl.

St.-3.101/94-B. Ferner durch Einholung des Erkenntnisses des VwGH, Zl. 1994/17/0447-8, vom 2. September 1994, womit die abweisende letztinstanzliche Entscheidung des Bundesministeriums für Inneres vom 28. Oktober 1992, Zl.

4.340.777/1-III/13/92, betreffend die Asylgewährung, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde; des Bescheides der Sicherheitsdirektion f. O.ö., womit unter Hinweis auf das vorher zit. Erk. des VwGH der Ausweisungsbescheid der Bundespolizeidirektion Linz unter Anwendung des § 66 Abs.4 AVG iVm § 54 des Fremdengesetzes, BGBl.Nr. 838/1992 idF des Art. 20 BGBl.Nr.314/1994, aufgehoben wurde und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde verwiesen wurde.

4.1. Der Erstbehörde wurde eine Kopie der vom bestellten Verfahrenshilfeverteidiger eingebrachten Berufung übermittelt und zur Gegenäußerung binnen zwei Wochen eingeladen. Diesbezüglich nimmt die Erstbehörde inhaltlich keine Stellung, sondern verweist bloß auf die Begründung ihres Straferkenntnisses.

5. Folgender Sachverhalt steht fest:

5.1. Die Berufungswerberin reiste am 3. Oktober 1992 illegal von der damaligen Tschechoslowakei nach Österreich ein.

Bereits am 8. Oktober 1992 stellte sie einen Asylantrag, welcher schließlich bereits am 9. November 1992 negativ beschieden wurde. Daraufhin wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 24.2.1994, Zl. Fr-85027, die Ausweisung der Berufungswerberin verfügt. Sie war nicht im Besitz eines in ihrem Reisedokument eingetragenen Sichtvermerkes.

5.1.1. Der Verwaltungsgerichtshof verweist in seinem obzit.

Erkenntnis auf die Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs.2 AsylG 1991 durch den VfGH vom 1. Juli 1994, Zl. G 92/93/94 und folglich auf sein Erkenntnis vom 25. 8.1994, Zl. 94/19/0435. In diesem Erkenntnis wird im Ergebnis die Auffassung vertreten, daß nicht gesagt werden könne, ob angesichts der geänderten Rechtslage (Wegfall des Wortes "offenkundig" im AsylG) die angefochtene Entscheidung noch mit dem Geist der sich dadurch geänderten Rechtslage vereinbar sei. Es könne nach der Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß sich die Anwendung der als verfassungswidrig aufgehobenen Norm für die Rechtsstellung des Asylwerbers als nachteilig erweist (Hinweis E VfGH 11.12.1986, B 518/83).

5.1.2. Dieses Beweisergebnis stützt sich auf die unbestrittene und angesichts der ergänzenden schriftlichen Vorbringen und Verweise, klare Aktenlage.

6. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

1. Zur Rechtswidrigkeit:

6.1. Der § 6 Abs.1 AsylG besagt über die Einreise von Asylwerbern, daß ein Asylwerber, der direkt aus dem Staat kommt (Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention), in dem er behauptet, Verfolgung befürchten zu müssen, weder wegen rechtswidriger Einreise noch rechtswidriger Anwesenheit im Bundesgebiet zu bestrafen ist. Nach § 6 Abs.3 ist für den Anwendungsbereich des Abs.1 und 2 ein Fremder, der anläßlich der Einreise (Betreten des Bundesgebietes) in das Bundesgebiet den Wunsch oder die Absicht erkennen läßt, einen Asylantrag zu stellen, wie ein Asylwerber zu behandeln. Davon ist hier auszugehen.

Nach § 7 AsylG bestand infolge der offenkundig rechtzeitigen diesbezüglichen Antragstellung eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet und endet diese erst (§ 7 Abs.3 AsylG) mit dem Zeitpunkt zu dem Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Nach § 7 Abs. 4 AsylG wäre eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung von Amts wegen zu bescheinigen gewesen. Diese hätte den fehlenden Sichtvermerk ersetzt. Warum eine solche nicht ausgestellt wurde, läßt sich dem Akt nicht entnehmen. Durch die zwischenzeitige Aufhebung des diesbezüglichen Bescheides durch den VwGH ist die Asylfrage wieder offen.

Schon aus dieser Sicht ist die Berufungswerberin mit ihrem Vorbringen im Ergebnis im Recht.

6.1.1. Die rechtzeitige und wirksame Antragstellung wirkt hinsichtlich der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung konstitutiv (Steiner, Österreichisches Asylrecht, Wien 1990, Seite 14, samt der dort zitierten Judikatur).

6.1.2. Zumal innerhalb des in diesem Verfahren zur Last gelegten Übertretungszeitraumes das Verfahren hinsichtlich des Asylantrages noch anhängig war und nun wieder anhängig ist, gilt nach dem vorhin Gesagten, daß der Aufenthalt nicht nach dem Fremdengesetz sondern nach dem Asylgesetz zu beurteilen ist. Gemäß § 9 Abs.1 AsylG 1991 ist u.a. auch § 82 FrG, auf Fremde die eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung haben, nicht anwendbar. In zutreffender Weise wurde daher - wie oben schon festgestellt - auch von der Erstbehörde erst nach Abschluß des Feststellungsverfahrens dieses Strafverfahren eingeleitet.

Der Tatzeitraum erweist sich dabei jedoch als widersprüchlich.

6.1.3. Von einer Zuwiderhandlung gegen das Fremdengesetz nämlich die den Aufenthalt eines Fremden regelnde Bestimmung - schon ab dem Zeitpunkt der Einreise konnte hier jedenfalls nicht ausgegangen werden (siehe auch U. Davy, Asylverfahren u. Schubhaft, Journal für Rechtspolitik 1993, Heft 1, Seite 41 ff). Diese Rechtsansicht hat der O.ö. Verwaltungssenat bereits in einem vergleichbaren Verfahren gegenüber der Erstbehörde vertreten (Erk. v. 31. Mai 1994, Zl.

VwSen-230301).

6.2. Es hat im Rahmen dieses Verfahrens dahingestellt zu bleiben, ob der Berufungswerberin anläßlich ihrer Einreise 1992 in Tschechien Schutz vor befürchteter Verfolgung im Herkunftsland zugekommen wäre. Es ergibt sich aus dem vorliegenden Akt kein Anhaltspunkt dafür, daß die tschechischen Behörden von ihrer Existenz in einer für die Asylfrage relevanten Art und Weise Kenntnis erlangt haben.

Gemäß § 7 Abs.2 AsylG kommt einem Flüchtling die Aufenthaltsberechtigung nach § 7 Abs.1 AsylG unter anderem etwa dann nicht zu, wenn er anderweitig Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Nach ständiger Judikatur des VwGH (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 16. März 1988, 86/01/0249; vom 7. Mai 1986, Z1. 84/01/0094, Slg. N.F. 12.131/A und vom 22. Mai 1985, Z1. 84/01/0255, Slg. N.F. 11.773/A) setzt der Begriff des "Findens anderweitigen Schutzes" zumindest voraus, daß der Aufenthalt des Asylwerbers den Behörden des betreffenden Staates bekannt war und von diesen geduldet wurde. Nach den EB zum AsylG (vgl. 544 der Beilagen zu den sten. Prot. des NR XI. GP § 7), auf die sich das VwGH-Erkenntnis Slg. N.F. 11.773/A ausdrücklich stützt, hat ein Asylwerber dann in einem anderen Staat Schutz vor Verfolgung gefunden, wenn er bei seiner Rückkehr in diesen Staat nicht Gefahr läuft, in seinen Heimatstaat abgeschoben zu werden (vgl. in diesem Sinn auch die Materialien zum AsylG 1991, 220 der Beilagen zu den sten. Prot. des NR XVIII. GP 13. vgl. VwGH 16.9.1992, Zl. 92/01/0522). Die Frage einer diesbezüglichen Fehleinschätzung käme allenfalls für die Schuldfrage Bedeutung zu.

6.3. Zur Schuld:

6.3.1. Die Frage, ob eine allfällige Fehleinschätzung eines Asylwerbers darüber, ob ihm das Drittland (hier in Tschechien) Schutz vor Verfolgung geboten hätte (geboten hat), müßte wohl in einem derartigen Zusammenhang letztlich als ein zu entschuldigender Rechtsirrtum gewertet werden.

Von einem Asylwerber kann keine derart fundamentale Kenntnis einer sich überaus komplex und vielschichtig und letztlich auch unter Experten (und den Behörden) häufig divergent beurteilte Rechtsmaterie erwartet werden. Das zeigt die Berufungswerberin ebenfalls folgerichtig auf.

6.3.2. Auch im Verwaltungsstrafrecht ist nur ein schuldhaftes Verhalten strafbar (VwGH 13.5.1987, 85/18/0067). Es ist demnach für die Beurteilung der Zumutbarkeit, sich Kenntnis von einer bestimmten Rechtslage zu verschaffen, von einem objektivierten Sorgfaltsmaßstab auszugehen. Nach § 5 Abs.2 VStG entschuldigt die Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte. Das "Unerlaubte" wäre hier in der Weiterreise aus dem Drittland (Tschechien) nach Österreich zu erblicken, wobei für die Strafbarkeit dieses Tuns die Kenntnis über eine Sicherheit bereits hier Schutz vor einer Zurückschiebung in das Herkunfts- Verfolgerland (hier Vietnam) unterstellt werden müßte. So steht es auch im Einklang mit der Judikatur des VwGH, wonach ein "anderweitiger Schutz vor Verfolgung" erst dann anzunehmen ist, wenn auch die Behörden vom Aufenthalt des Asylwerbers Kenntnis haben und seinen Aufenthalt wenigstens geduldet haben. Umso mehr muß daher für die Asylwerberin gelten, daß sie, solange sie von ihrem Schutz im Drittland noch keine Kenntnis hat, ihr eine in diesem Sinn "illegale" Einreise nach Österreich und folglich das Abwarten der Entscheidung des Höchstgerichtes nicht als Verschulden angelastet werden darf. Unzumutbar wäre folglich auch von einem Asylwerber zu erwarten den Verfahrensausgang im Ausland abzuwarten. Dieses Problem stellt sich für den Zeitraum des rechtskräftig negativ entschiedenen Asylantrages bis zur aufhebenden Entscheidung durch den VwGH. Auch darauf wird zutreffend hingewiesen.

6.3.3. Hinsichtlich des sich in diesem Zusammenhang ergebenden Problems der Sorgfaltsübung ist eben auf die Situation des Flüchtlings generell einzugehen. Es wird gegen einen Flüchtling kein antizipierter Schuldvorwurf dahingehend gemacht werden können, daß er sich hier auf eine Sache (seine Flucht, welche dem Wesen nach als subjektive Entscheidung einmal grundsätzlich zu respektieren ist) schuldhaft eingelassen hat, deren gesamte Dynamik und Dimension er letztlich nicht zu überblicken in der Lage gewesen ist und dies folglich zu einem vorübergehend rechtswidrigen Verhalten geführt hat.

6.3.4. Betreffend des Ausmaßes der objektiven Sorgfaltspflicht ist es gesicherte Rechtsansicht (s E Slg 9710 A und 28.10.1980, 2244/80), daß der hiefür geltende Maßstab ein objektiv-normativer ist. Maßfigur ist der einsichtige und besonnene Mensch, den man sich in die Lage des Täters versetzt zu denken hat. Objektiv sorgfaltswidrig hat der Täter folglich nur dann gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch des Verkehrskreises, dem der Handelnde angehört, an seiner Stelle anders verhalten hätte (VwGH 12.6.1989, 88/10/0169). Die Maßfigur muß angesichts dieser rechtsdogmatischen Prinzipien nur in die Lage des Flüchtlings (hier aus Vietnam) gedacht werden.

Jedes andere Verhalten, als eines, welches aus seiner Sicht maximalen Schutz erwarten läßt, ist daher nicht zu erwarten.

Man würde daher jedes Ausmaß an die objektive Sorgfaltspflicht überspannen, würde man schon die Versäumung bloßer - ohnedies nur theoretisch bestehende Informationsmöglichkeiten über die Asyl- u.

Einreisebestimmungen als Verletzung solcher Sorgfaltspflichten erachten. Nur ein solches Verhalten, welches die Rechtsordnung nach den gesamten Umständen des Falles vernünftigerweise auferlegen darf, machen das Wesen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit aus (vgl. abermals VwGH 12.6.1989, 88/10/0169).

6.3.5. Das Vorgehen mit einer Bestrafung für den Zeitraum eines anhängigen Feststellungsverfahrens erweist sich aus diesen Gründen somit jedenfalls problematisch.

6.4. Im Ergebnis war sohin der Rechtsansicht der Berufungswerberin vollinhaltlich beizutreten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

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