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des Landes Oberösterreich
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VwSen-230436/10/Br/Bk

Linz, 01.06.1995

VwSen-230436/10/Br/Bk Linz, am 1. Juni 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn Ml H, K gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 23. März 1995, AZ. Sich96-163-1994, wegen der Übertretung des Versammlungsgesetzes 1953, nach der am 1. Juni 1995 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und der Verkündung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird keine F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird mit der Maßgabe bestätigt, daß der Spruch in Abänderung zu lauten hat:

"Sie haben am 30. Mai 1994, nach 19.50 Uhr als Teilnehmer......(folglich wie im Straferkenntnis)".

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr.

866/1992 - AVG, iVm § 19 Abs.1 u. 2, § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1, § 51f Abs.2 u. § 51i Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr.

666/1993 - VStG; II. Zuzüglich zu den Verfahrenskosten erster Instanz werden dem Berufungswerber für das Berufungsverfahren 400 S (20% der verhängten Strafe) auferlegt.

Rechtsgrundlage:

§ 64 Abs.1 und 2 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems hat mit dem Straferkenntnis vom 23. März 1995, AZ. Sich96-163-1994 über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 14 iVm § 19 Versammlungsgesetz 1953 eine Geldstrafe von 2.000 S und für den Nichteinbringungsfall 48 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und in dessen Spruch ausgeführt: "Sie haben am 30.

Mai 1994 als Teilnehmer der Versammlung im Bereich des eingezäunten Baustellengeländes der ÖSAG am Südportal des projektierten L, Gemeinde S diese Versammlung nicht sogleich verlassen, obwohl diese von der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d. Krems am 30.5.1994 um 19.50 Uhr behördlich untersagt und aufgelöst worden ist." 1.1. Für die in der Dauer von einer Stunde und 41 Minuten (von 20.25 Uhr bis 22.06 Uhr) des 30. Mai 1994 erlittene Vorhaft wurden dem Berufungswerber auf die Geldstrafe 70,20 S angerechnet.

1.2. Hiezu führte die Erstbehörde in der Sache begründend aus:

"Sie haben gegen die Strafverfügung der BH. Kirchdorf v.

28.06.1994 Zahl w.o., innerhalb offener Frist Einspruch erhoben ohne diese(n) konkret zu begründen.

Hiezu wird festgestellt:

§ 1 VersG.:

Die positive österreichische Rechtsordnung enthält keine nähere Definition des Begriffes "Versammlung", sondern setzt diesen voraus. Unter einer Versammlung im weiteren Sinn versteht man sprachlich eine organisierte einmalige Vereinigung einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck an einem bestimmten Ort; sie unterscheidet sich von einer eventuellen Ansammlung durch ihre Organisation.

Eine solche Versammlung im Sinne des § 1 des Versammlungsgesetzes lag am 30.5.1994 vor. Hiefür spricht das am 26.5.1994 bei der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf eingelangte Schreiben der ARGE "Stop Pyhrn", in welcher zu einem "Aktionscamp" in der Zeit vom 28.5. bis 5.6.1994 aufgerufen wurde. Im gegenständlichen Fall waren alle Voraussetzungen für eine Versammlung, nämlich die Organisation einer Mehrheit von Personen (Demonstrationsteilnehmer) zu einem gemeinsamen Zweck (Protest gegen den Weiterbau der A9-Pyhrnautobahn) an einem bestimmten Ort (Südportal des projektierten L im Gemeindegebiet von S erfüllt. Es kann somit keinesfalls von einer eher zufälligen "Ansammlung" oder gar einer geschlossenen Veranstaltung gesprochen werden, da hiefür typische und wesentliche Voraussetzungen (geschlossene Veranstaltung tritt nicht nach außen in Erscheinung, Zustimmung des Verfügungsberechtigten) fehlen. Der mögliche Umstand, daß einzelne Versammlungsteilnehmer ev. auch persönlich geladen wurden vermag diesen Mangel nicht zu beheben.

Der geschilderte Sachverhalt erfüllt somit die Voraussetzungen des § 1 des Versammlungsgesetzes.

§ 14 VersG.:

(1) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, sind alle Anwesenden verpflichtet, den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen.

(2) Im Falle des Ungehorsams kann die Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden.

§ 19 VersG.:

Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Amtsgebiet einer Bundespolizeibehörde aber von dieser Behörde, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu S 5.000,-- zu ahnden.

Die gegenständliche Versammlung wurde am 30. Mai 1994 um 19.45 Uhr von der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d.

Krems als örtlich zuständige Behörde aufgelöst und wurden sämtliche auf dem Baustellengebiet befindlichen Versammlungsteilnehmer aufgefordert, das Gelände sogleich zu verlassen.

Da Sie dieser Aufforderung keine Folge geleistet haben, wurden Sie am selben Tag um 20.25 Uhr festgenommen und wurde gegen Sie Anzeige wegen Übertretung des Versammlungsgesetzes erstattet. (Beweis: siehe Anzeige GP. Kirchdorf v.

30.5.1994, GZ P-3135-7/94).

Die Einvernahme des Gendarmeriebeamten BezInsp. M K hat ergeben, daß Sie sich zweifelsfrei nach Verkündung der behördlichen Auflösung der Versammlung weiterhin im Baustellenbereich (=Bereich der aufgelösten Versammlung) aufgehalten haben, sodaß Sie in weiterer Folge festgenommen werden mußten. Dieser Zeugenaussage wurde im Rahmen der freien Beweiswürdigung eine maßgebliche Beweiskraft beigemessen.

Anläßlich Ihrer Beschuldigten-Ersteinvernahme bei der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf am 30.5.1994 haben Sie sämtliche Angaben hinsichtlich des Tatvorwurfes des Verbleibes auf der Baustelle nach behördlicher Auflösung der Versammlung verweigert.

In Ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 10.2.1995 geben Sie zu, daß Sie sich zur angeführten Zeit auf dem Baustellengelände aufgehalten haben und bezeichnen die gegenständliche Versammlung als "öffentliche Belustigung".

Mag sein, daß einige Demonstrationsteilnehmer dies so empfunden haben, diese subjektive Betrachtungsweise vermag jedoch nichts am objektiven Tatbestand zu ändern.

Was Ihre weitere Behauptung betrifft, die Auflösung der Versammlung sei erst nach der Erstürmung erfolgt, so scheinen Sie die Reihenfolge der Ereignisse durcheinanderzubringen. Die Versammlung wurde im Sinne der einschlägigen Bestimmungen aufgelöst und kundgemacht und erst nachher erfolgte die zwangsweise Auflösung, nachdem sich einige Demonstrationsteilnehmer nicht freiwillig vom Versammlungsort entfernt haben. Ihre Behauptung, Sie seien ob dieser "Erstürmung" derartig in Panik geraten, daß Sie sich mit einem vorsorglich mitgebrachten Fahrradschloß an ein Baufahrzeug ketteten erscheint absolut absurd und widerspricht sämtlichen Lebenserfahrungen. Vielmehr erscheint es logisch, daß Sie bereits zu Beginn der Versammlung mit einer behördlichen Aktion gerechnet und die hiefür erforderlichen Utensilien (Fahrradschloß und Kette) mitgebracht haben. Es ist Ihnen hiermit vielmehr eine vorsätzliche Handlung vorzuwerfen.

Weiters ziehen Sie die Zeugenaussage des Bez.Insp. K in Frage indem Sie behaupten, er wäre nicht in der Lage gewesen, Ihren Aufenthalt und den der anderen Versammlungsteilnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt zu beobachten. Dieser Behauptung steht allerdings die besagte Zeugenaussage sowie die unbestreitbare Tatsache, daß Sie sich nach Auflösung der Versammlung auf dem Baustellengelände aufgehalten haben (angekettet durch eigene vorsätzliche Handlung) entgegen.

Aufgrund dieses ermittelten maßgeblichen Sachverhaltes steht fest, daß Sie gegen die Bestimmung des § 14 VersammlungsG.

verstoßen haben, indem Sie sich nach Auflösung der Versammlung durch die Behörde weiterhin auf dem durch die Auflösung betroffenen Baugelände aufgehalten haben.

Grundlage für die Bemessung der Strafe ist gemäß § 19 VStG.

1991 das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Bei der Strafbemessung wurde auf die Einkommens-, Vermögensund Familienverhältnisse des Beschuldigten Rücksicht genommen. Als erschwerend mußte der Umstand, daß Sie sich trotz Aufforderung, das Baustellengelände zu verlassen, dort weiter vorsätzlich aufgehalten haben, gewertet werden.

Mildernde Umstände konnten, abgesehen von der bisherigen Unbescholtenheit, keine festgestellt werden.

Im Hinblick auf diese Tatumstände, die Milderungs- und Erschwernisgründe sowie die festgestellten Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse (jährlich ca.

50.000,-- S, keine Sorgepflichten) erscheint die Verhängung der angeführten Geldstrafe unter Hinweis auf den gesetzlichen Strafrahmen als angemessen.

Die Vorschreibung des Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens stützt sich auf die im Spruch zitierte Gesetzesstelle." 2. Fristgerecht bringt der Berufungswerber nachfolgende Berufung direkt beim unabhängigen Verwaltungssenat des Landes O.ö. ein:

"Sich96-163-1994 (BH Kirchdorf) Berufung gegen das Straferkenntnis der BH Kirchdorf a.d. Krems vom 23.3.1995 Wenn sich Herr oder Frau Dr. R in seinem Straferkenntnis bemüht, den Begriff "Versammlung" zu definieren, dann sollte er oder sie doch auch den Begriff "öffentliche Belustigung" klären, damit mensch beurteilen kann, ob es sich dabei nur um meine subjektive Betrachtungsweise oder vielleicht doch um den objektiven Tatbestand einer "öffentlichen Belustigung" handelt. Ich bleibe dabei, daß ich am 30.5.1994 an einer "öffentlichen Belustigung" beim L teilgenommen habe und deshalb nicht nach dem Versammlungsgesetz bestraft werden kann. (§ 5 VersG. 1953: Ferner sind öffentliche Belustigungen, Hochzeitszüge, volksgebräuchliche Feste oder Aufzüge, Leichenbegängnisse, Prozessionen, Wallfahrten und sonstige Versammlungen oder Aufzüge zur Ausübung eines gesetzlich gestatteten Kultus, wenn sie in der hergebrachten Art stattfinden, von den Bestimmungen dieses Gesetzes ausgenommen.) Nach mehrmaliger Rücksprache mit anderen Belustigungsteilnehmerlnnen konnte mir niemand bestätigen, daß er oder sie am 30.5.1994 um 19.45 aufgefordert wurde, das Gelände zu verlassen. Wie auch zu dieser Zeit dort anwesende Journalisten versichern können, war die Polizeiaktion darauf angelegt, die Belustigungsteilnehmerlnnen zu überraschen. Allfällige Aufforderungen, das Gelände zu verlassen, konnten daher erst nach der Erstürmung des Geländes durch die Gendarmerie erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt war es mir aber nicht mehr möglich, den Aufforderungen Folge zu leisten, wie ich schon in meiner schriftlichen Stellungnahme vom 10.2.1995 dargelegt habe. Um die Glaubhaftigkeit meiner Ausführungen zu stützen, bin ich gerne bereit, eine lange Liste von Zeuginnen anzuführen, falls das erforderlich sein sollte.

Mit meiner Stellungnahme zur Zeugenaussage von BezInsp. M K vom 29.8.1994 wollte ich vor allem ausdrücken, daß es mir fragwürdig erscheint, 14 Menschen auf der Grundlage einer einzigen (ziemlich dürftigen) 25-minütigen Zeugeneinvernahme zu bestrafen.

Zum Schluß möchte ich noch die Willkür in Frage stellen, mit der die Ersatzfreiheitsstrafe festgelegt wird. Die Strafverfügung vom 28.6.1994 sieht bei einer Geldstrafe von 2000 S eine Ersatzfreiheitsstrafe von 36 Stunden vor (aber keine Anrechnung der Vorhaft), im Straferkenntnis vom 23.3.1995 wird bei gleicher Geldstrafe eine 48-stündige Ersatzfreiheitsstrafe verhängt (wenn ich böswillig wäre, könnte ich unterstellen, daß dies nur zur Verringerung des Betrages dient, der jetzt auf einmal für die Vorhaft angerechnet wird). Außerdem bezweifle ich noch, daß bei der Strafbemessung auf die Einkommensverhältnisse Rücksicht genommen wurde (unveränderte 2000 S bei einer Höchststrafe von 5000 S).

3. Zumal keine 10.000,- S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Zumal mit der Berufung die Übertretung auch dem Grunde nach bestritten wurde, war eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen (§ 51 Abs.1 VStG).

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems und Erörterung des erstinstanzlichen Verfahrensergebnisses, Zl. Sich96-163-1994, sowie die Verlesung und Erörterung einzelner Angaben von in diesem Zusammenhang bereits abgeführter Berufungsverfahren einvernommener Personen; ferner durch die Vernehmung der am Einsatz beteiligten Gendarmeriebeamten, der Gruppeninspektoren H. H und M. P als Zeugen; den von der Erstbehörde vorgelegten und verlesenen Aktenvermerk des Einsatzleiters vom 31. Mai 1994 und der Sichtung der vom Landesgendarmeriekommando erstellten Videodokumentation anläßlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung, welcher der Berufungswerber trotz ordnungsgemäßer Ladung und Hinweis auf die Säumnisfolgen nach § 51f Abs.2 VStG unentschuldigt ferngeblieben war.

4.1. Die Baustelle der A9-L wurde am Morgen des 30. Mai 1994 von etwa 30 Demonstranten "besetzt". Den Teilnehmern dieser Veranstaltung gehörte - jedenfalls zum Zeitpunkt der Auflösung - auch der Berufungswerber an. Die Einfahrt zur Baustelle wurde bereits in der Früh von den Teilnehmern verbarrikadiert. Ebenfalls sollte im Baustellengelände eine Straße durch das Herunterrollen von großen Steinen von einem Schotterhügel unbefahrbar gemacht werden. Für die um 7.00 Uhr früh den Schichtwechsel vornehmenden Arbeiter war demzufolge ein Verlassen bzw. Erreichen der Baustelle und somit auch ein Arbeitsbetrieb nicht mehr möglich. Der Vorarbeiter verständigte den GP W wo der Zeuge GrInsp. A den Anruf entgegennahm und sich folglich gemeinsam mit dem Postenkommandanten auf die Baustelle begab. Dabei stellte sich die Situation wie eingangs angeführt dar.

Diese Veranstaltung wurde der Bezirkshauptmannschaft nicht als solche angezeigt. Zu diesem sogenannten "Actions-Camp" wurde zumindest auch durch Plakatierung aufgerufen. Im Baustellenbereich wurden von den "Actions-Camp-Teilnehmern" zahlreiche, teilweise mehrere Meter große Transparente an Baumaschinen angebracht, deren Texte sich plakativ gegen den (Weiter-) Bau der Pyhrnautobahn richtete. Die in der Folge auf eine Zahl von zumindest 50 Demonstranten angewachsenen Teilnehmer waren zu einem guten Teil mit Proviant, diversem Gepäck und Decken ausgerüstet. Im Verlaufe des späteren Nachmittages wurde seitens der Exekutive, welche in der Stärke von zwei Zügen vor Ort beordert worden war, versucht, die Teilnehmer zum freiwilligen Verlassen der Baustelle zu bewegen. Dies verlief letztlich erfolglos. Bereits vor der Untersagung wurde dann das Gelände von Kräften der Exekutive, vermutlich für die Teilnehmer überraschend, betreten. Nach der Kundmachung der Untersagung der Versammlung durch den Behördenvertreter vor Ort um 19.45 Uhr und einer neuerlichen diesbezüglichen Durchsage mittels Megaphon um 19.50 Uhr begann die Exekutive schließlich mit der zwangsweisen Räumung der Baustelle. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch etwa fünfzehn an Baumaschinen und Geräten - teilweise die versperrten Bügel oder Fahrradabsperrvorrichtungen um den Hals gelegt - fixierte Teilnehmer auf der Baustelle. Der Berufungswerber und mit ihm vierzehn weitere Teilnehmer hatten sich bereits vor der Untersagung der Veranstaltung an Baumaschinen mittels Sperrketten - der Berufungswerber mit einem um seinen Hals gelegten engen Bügel an einer Bohrlafette - fixiert gehabt.

Damit waren diese Teilnehmer (so auch der Berufungswerber) hinsichtlich seiner Befreiung auf fremde Hilfe angewiesen, welche nur durch Durchschneiden der um seinen Hals gelegten Sperrvorrichtung mittels Schneidbrenners möglich war. Nur durch äußerst geschicktes Arbeiten und Aufwendung größter Sorgfalt kam es dabei zu keiner Verletzung des Berufungswerbers. Der Berufungswerber mußte - wie dem Video illustrativ zu entnehmen ist - mittels einer Plane verhüllt, und der Eisenbügel mit fließendem Wasser gekühlt werden. Nur dadurch vermochte eine Verletzung durch Funkenflug und eine Verbrennung des Berufungswerbers durch den knapp neben der Trennfuge am Körper eng anliegenden und sich erhitzenden Eisenbügel vermieden werden.

Im Falle eines Aus- oder Abrutschens oder eines Schwächeanfalles hätten die Fixierungen am Hals wahrscheinlich auch zu einer Strangulierung eines Betroffenen führen können. Der Großteil der Teilnehmer kam der Aufforderung der Behörde bzw. der Exekutive nach und verließ freiwillig die Baustelle bzw. die "Veranstaltungsstätte".

Der Berufungswerber wurde nach der Trennung vom Baufahrzeug um 20.25 Uhr festgenommen und nach seiner Identifizierung und Vernehmung um 22.06 Uhr wieder entlassen. Der Berufungswerber verweigerte anläßlich seiner Vernehmung unmittelbar nach der Festnahme sämtliche Angaben.

4.2.1. Der Aktenvermerk wird nachfolgend in seinem gesamten Umfang wiedergegeben:

"Am 28.05.1994 errichteten Aktionsgruppen (Arge-Bauern; Arge-Stop Transit; Netzwerk-Pyhrn; Plattform-ÖKO Region Pyhrn-Garstnertal; Global 2000; Österreichische Hochschülerschaft) auf den Gründen des Landwirtes Adolf P, W, Gemeinde R, ein Aktionscamp mit mehreren Zelten.

In einer Aussendung haben diese Aktionsgruppen angekündigt, in der Woche von 28.05.1994 bis 05.06.1994 gegen die Transitpolitik der Regierung zu demonstrieren. Diese Aussendung wird als Versammlungsanzeige für das Aktionscamp angesehen, soweit dieses Camp einen versammlungsrechtlichen Charakter überhaupt aufweist.

Am 30.05.1994 um 07.00 Uhr besetzten ca. 70 Männer und Frauen der genannten Aktionsgruppen überfallsartig die eingezäunte Baustelle der ÖSAG am Südportal des sogenannten L, ketteten sich an Baustellenfahrzeugen und Baugeräten an und verhinderten somit die weiteren Bauarbeiten. Sie waren über die Geleise der Pyhrnbahnstrecke in das Baustellengebiet eingedrungen.

Dieser Sachverhalt wurde um ca. 07.20 Uhr der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich berichtet und von dort aus dem Bundesministerium für Inneres gemeldet.

Dabei wurde von Bundesminister Dr. Löschnak und dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit an die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich die Weisung erteilt, die Baustelle so bald als möglich zu räumen.

Zunächst wurde mit den Teilnehmern der nicht angezeigten Versammlung Kontakt aufgenommen; es wurde versucht, sie unter Hinweis auf die nunmehr erreichte Publizität des von ihnen vertretenen Anliegens (Medienvertreter hatten bereits Berichte aufgenommen) zur freiwilligen Aufgabe der Besetzung zu bewegen. Sie erklärten jedoch dezidiert, ihre Aktion weiterhin fortsetzen zu wollen und kündigten somit eine längerfristige Besetzung der Baustelle an.

Die genannte Aktion war jedenfalls als Versammlung im Sinn des Versammlungsgesetzes zu werten, da die Teilnehmer in gemeinsamem Wirken (sie diskutierten und präsentierten Transparente) ihrer Meinung zum Weiterbau der A9 -Pyhrn Autobahn und zur Transitbelastung Ausdruck verliehen.

Erklärtes Ziel der Aktivisten war es, einen Baustopp für die gegenständliche Baustelle zu erwirken.

Da die Versammlungsteilnehmer zu einer freiwilligen Aufgabe der Besetzung der Baustelle nicht bereit waren, wurde die gegenständliche Versammlung um 19.45 Uhr gemäß § 13 des Versammlungsgesetzes untersagt und aufgelöst, wobei mittels Megaphon folgender Wortlaut an die Versammlungsteilnehmer verkündet wurde:

"Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d. Krems untersagt gemäß § 13 des Versammlungsgesetzes 1953 i.d.g.F. diese Versammlung und löst sie nach dieser Gesetzesbestimmung auf.

Alle Anwesenden sind verpflichtet, den Versammlungsort zugleich zu verlassen und auseinanderzugehen. Im Fall des Ungehorsams müssen Zwangsmittel angewendet und die Räumung des Versammlungsortes verfügt werden. Überdies stellt die Weigerung, den Versammlungsort zugleich zu verlassen und auseinanderzugehen, eine Verwaltungsübertretung dar, welche gemäß § 19 des Versammlungsgesetzes 1953 i.d.g.F. mit Arrest bis zu 6 Wochen oder mit Geldstrafe bis zu S 5.000,-bestraft werden kann." Zu begründen ist diese Versammlungsauflösung zunächst dadurch, daß die gegenständliche Versammlung nicht binnen 24 Stunden vor ihrer Abhaltung bei der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d. Krems angezeigt wurde und somit ein Verstoß gegen die Ordnungsvorschriften vorliegt.

Darüberhinaus ist jedoch zu berücksichtigen, daß durch die gegenständliche, nicht angezeigte Versammlung die Bauarbeiten auf der genannten Baustelle behindert werden. Da sich die Versammlungsteilnehmer im unmittelbaren Gefahrenbereich der Baustelleneinrichtungen und Baumaschinen befanden, mußte die ÖSAG eine totale Einstellung ihres Baustellenbetriebes verfügen, um ein gravierendes Verletzungsrisiko für die Versammlungsteilnehmer hintanzuhalten.

Die ÖSAG hat bereits mit Schreiben vom 14.09.1993 darauf hingewiesen, daß Baustellenbesetzungen einen schwerwiegenden Eingriff in ihre Rechte darstellen und daraus große wirtschaftliche Nachteile entstehen werden.

Aus diesem Grund hat die ÖSAG auch das gesamte Baustellengelände mit einem Zaun abgesichert, welcher die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse der Republik Österreich deutlich ersichtlich zum Ausdruck bringt. Dadurch soll verhindert werden, daß sich unbeteiligte Personen in den Gefahrenbereich der Baustelleneinrichtungen und Baumaschinen begeben können.

Zu berücksichtigen ist weiters der Zweck, den die Versammlungsteilnehmer mit ihrer Baustellenbesetzung verfolgen: offensichtlich soll auf das österreichweite Problem der Transitbelastung und das Problem der Belastung der Pyhrn Priel-Region durch den Weiterbau der A 9-Pyhrnautobahn hingewiesen werden. Dabei soll von den Versammlungsteilnehmern im gemeinsamen Wirken eine gemeinsame Meinung zur Transitbelastung und zur Frage der Notwendigkeit des Weiterbaus der A 9-Pyhrnautobahn zum Ausdruck gebracht werden, wobei der Öffentlichkeit mit drastischen Mitteln die Beeinträchtigung des Einzelnen durch das Transitverkehrsgeschehen vor Augen gehalten werden soll, indem der Grundeigentümer in seinem Verfügungsrecht beeinträchtigt werden soll.

Diese Interessen der Versammlungsteilnehmer sind den Interessen der Republik Österreich gegenüberzustellen, wobei zu berücksichtigen ist, daß durch die Einstellung der Bauarbeiten der Republik Österreich ein beträchtlicher finanzieller Schaden entsteht.

Weiters darf nicht vergessen werden, daß sich die Versammlungsteilnehmer im unmittelbaren Gefahrenbereich der Baustelleneinrichtungen und Baumaschinen befinden und daher durch die von den Baumaschinen ausgehenden Gefahren in ihrer Sicherheit beeinträchtigt werden können.

Aus diesem Grunde mußte der Standpunkt vertreten werden, daß die von den Versammlungsteilnehmern beabsichtigte Meinungskundgabe ebenso zielführend auch durch andere Maßnahmen bzw. Demonstrationen erreicht werden kann, durch welche die Republik Österreich in ihrem Eigentums- und Verfügungsrecht nicht beeinträchtigt wird und die Versammlungsteilnehmer keinen Gefahren ausgesetzt werden.

Somit muß davon ausgegangen werden, daß die Interessen an der Aufrechterhaltung der Sicherheit und die Interessen des Schutzes der Rechte des Grundeigentümers Republik Österreich die Interessen an der Durchführung der von den Versammlungsteilnehmern abgehaltenen Versammlung bei weitem überwiegen, weshalb die Versammlung untersagt und aufgelöst werden mußte.

Um ca. 19.50 Uhr wurden die Versammlungsteilnehmer nochmals auf ihre Verpflichtung gemäß 14 Versammlungsgesetz hingewiesen; da jedoch nicht alle Versammlungsteilnehmer dieser Verpflichtung nachkamen, wurde anschließend das Versammlungsgelände durch die Einsatzeinheit und die Sondereinsatzgruppe des LGK geräumt.

Dabei mußten angekettete Versammlungsteilnehmer zunächst von den Baugeräten geschnitten werden. Von den zunächst noch vorhandene ca. 30 Besetzern wurden 14 Personen nach § 35 VStG festgenommen, nach dem Versammlungsgesetz angezeigt und der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d. Krems vorgeführt.

Die Auflösung der Besetzung war um 21.15 Uhr beendet. Die der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf vorgeführten Personen wurden wegen Übertretung des Versammlungsgesetzes (bzw.

zusätzlich zum Teil wegen Übertretung des Eisenbahngesetzes) als Beschuldigte einvernommen und anschließend auf freien Fuß gesetzt.

K, am 31.5.1994 (e.h. gezeichnet vom Behördenvertreter)" 4.2.2. An der Richtigkeit der zuletzt wiedergegebenen Darstellung des Verlaufes der Versammlung bestehen keine wie immer gearteten Zweifel. Betreffend das Verhalten des Berufungswerbers steht laut dem h. durchgeführten Ermittlungsverfahrens wohl fest, daß ihm ein Verlassen der Veranstaltungsstätte nach Auflösung dieser, objektiv nicht mehr möglich gewesen ist. Wie auf dem Video klar ersichtlich ist, war der Berufungswerber mittels eines um den Hals gelegten Bügel- bzw. Motorradschlosses an einer Bohrlaffette fixiert. Es ist demnach davon auszugehen, daß sich der Berufungswerber des Schlüssels für die Sperrvorrichtung entweder entledigte oder gegenüber den Exekutivbeamten verborgen hielt, um dadurch den unvermeidbaren Verbleib dem Manifestationsziel noch weiteren Nachdruck zu verleihen. Die Teilnehmer waren, was aus der Mitnahme von Liegematten, Rucksäcken und Proviant zu schließen ist, auf einen längeren Aufenthalt auf der Baustelle offenkundig auch eingerichtet.

Dem Ergebnis des durchgeführten Beweisverfahrens ist dies schlüssig abzuleiten. So führte die Berufungswerberin W etwa aus, daß man gerade eine Pause eingelegt hatte und jausnete, als plötzlich die Sicherheitsbeamten die Baustelle stürmten.

Dabei habe sie sich gerade noch mit einem anderen Teilnehmer/Teilnehmerin mit der Handschelle, welche sie auf der Baustelle erhalten hatte, an einer Maschine anhängen können.

Die in der Verantwortung inhaltlich zum Ausdruck gebrachte Ansicht, daß diese Veranstaltung objektiv nicht den Charakter einer Versammlung gehabt hätte, sondern als Volksbelustigung zu bezeichnen gewesen sei, zeigt, daß der Berufungswerber offenbar nicht wirklich ernsthaft die ihm zur Last gelegte Tat bestreiten will, sondern dieses Verfahren vielmehr ins Lächerliche gezogen werden sollte.

Dies unterstreicht der Berufungswerber zusätzlich noch dadurch, daß er auch den gesamten Einsatz der Gendarmerie, welche gerade für ihn durch die mit großem Geschick ausgeführte Hilfeleistung - er hatte sich doch wahrlich in eine Lage der Hilflosigkeit gebracht - wirksam wurde, anstatt einer zu erwartenden Geste der dankbaren Anerkennung, auch noch diesen Einsatz mit Spott zu übergießen scheint. Dies wird auch durch das nachstehend wiedergegebene Schreiben an die Erstbehörde vom 10.2.1995 verdeutlicht:

"Schriftliche Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme Sehr geehrte Frau N! Zum Ergebnis der Beweisaufnahme vom 29.8.1994 nehme ich wie folgt Stellung:

Unsere Anwesenheit beim projektierten L hatte den Charakter einer öffentlichen Belustigung, wie die freundliche Aufnahme durch die dort anwesenden Bauarbeiter und die rege Anteilnahme der im Laufe der Zeit sich um die Baustelle ansammelnden Schaulustigen beweisen, und ist daher von den Bestimmungen des Versammlungsgesetzes ausgenommen (§ 5 Versammlungsgesetz 1953). Bei Bedarf bin ich bereit, zum Beweis dafür Zeugen zu nennen.

Falls sie dieser Argumentation nicht folgen wollen, möchte ich noch feststellen: Die vermeintliche Versammlung wurde durch die BH erst nach einer überfallsartigen Erstürmung der Baustelle durch die Gendarmerie aufgelöst. Ich geriet durch diese Erstürmung derart in Panik, daß ich mich mit einem zur öffentlichen Belustigung mitgebrachten Fahrradschloß an ein Baufahrzeug schloß und in der allgemeinen Hektik (hin- und herlaufende Gendarmen und panikartig davonlaufende BelustigungsteilnehmerInnen) den Schlüssel verlor. Beweis:

Die Gendarmen zogen mich bis auf die Unterhose aus, konnten aber auch nach intensiver Suche (sie drehten sogar meine stinkenden Socken um) keinen Schlüssel finden. Es war mir also beim besten Willen nicht möglich, nach der Verkündung der Auflösung der Versammlung durch die BH den Aufforderungen, die Baustelle zu verlassen, Folge zu leisten. Demnach war ich durch meine Zwangslage weder dazu imstande gehorsam, noch ungehorsam zu sein (§ 14 Versammlungsgesetz 1953, den sie mir vorwerfen).

An dieser Stelle will ich noch einmal den mutigen Gendarmen meinen Dank aussprechen, die keine Mühe scheuten, um mich aufopfernd und verwegen mit bedrohlich anmutenden technischen Hilfsmitteln aus einer unangenehmen Zwangslage zu erlösen. Nach der heldenhaften Befreiung konnte ich meine Dankbarkeit leider nicht mehr durch bedingungslosen aber freiwilligen Gehorsam zum Ausdruck bringen, da ich schon festgenommen war und die staatliche Zwangsgewalt erbarmungslos auf mich zugriff. (So gerät mensch vom Regen in die Traufe.) Zum Schluß möchte ich noch anmerken, daß mir die Zeugenaussage des Bez. Insp. M K ("ich kann bezeugen, daß die obgenannte Person mit Sicherheit (Hervorhebung von mir) (...) um 19.50 Uhr im Baustellenbereich aufhältig gewesen ist,..."), dessen Zeugenvernehmung am 29. 8. 1994 von 15.05 bis 15.30 nach den mir vorliegenden Informationen anscheinend für alle 14 Festgenommenen herangezogen wurde, als nicht sehr glaubwürdig erscheint.

Ich als Normalsterblicher würde mir jedenfalls nicht zutrauen, den Aufenthalt von 14 mir unbekannten Personen in einem weitläufigen Gelände zu einem bestimmten Zeitpunkt bei Dunkelheit feststellen zu können. Aber vielleicht zeichnen sich unsere Gendarmeriebeamten nicht nur durch beherzten Einsatz, sondern auch durch übernatürliche Fähigkeiten aus.

In diesem Fall möchte ich mich bei M K aufrichtig entschuldigen und ihm zu seinen außerordentlichen Begabungen herzlich gratulieren.

Wenn sie mich jetzt immer noch bestrafen wollen: Ich bin ledig, habe keine Sorgepflichten, kein Vermögen und nicht mehr als 50.000 S jährliches Einkommen.

Mit freundlichen Grüßen (M F. H - e.h. Unterschrift)" Daß es dem Berufungswerber mit der wirklichen Betreibung und Mitwirkung an diesem Verfahren nicht ernst gewesen schien, belegt ferner, daß er bereits anläßlich der am 4. Mai 1995 anberaumt gewesenen Berufungsverhandlung keine Folge leistete. Über fernmündliche Anfrage durch den Verhandlungsleiter teilte er mit, daß er sich wegen der falsch zitierten Aktenzahl und Bescheiddatum des Straferkenntnisses in der Ladung, im Hinblick auf seine Berufungssache nicht angesprochen fühlte. Aus diesem Grunde mußte wohl eine neuerliche Verhandlung anberaumt werden, zu welcher er auch neuerlich trotz ausgewiesener Zustellung und diesmal unentschuldigt nicht erschien.

Mangels Realitäts- und Sachbezogenheit erübrigt sich daher ein weiteres Eingehen auf das Vorbringen des Berufungswerbers.

5.1. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1.1. Als Vorfrage war zunächst zu klären, ob einerseits eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz vorlag und ob diese zu untersagen war und nach den gegebenen Umständen aufgelöst werden durfte bzw. mußte (VfGH 23.9.1983, Zl.

23/09/1983).

5.1.2. Eine Versammlung ist unter anderem dann den Vorschriften des VersG 1953 zuwider veranstaltet, wenn sie nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde, obgleich hiezu die Verpflichtung bestand. Wie der VfGH schon wiederholt ausgesprochen hat, ist die Zusammenkunft mehrerer Personen dann als Versammlung iS des VersG 1953 zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen (VfGH Slg.Nr. 9783/1983). Durch das Anbringen zahlreicher Transparente deren eindeutiger Inhalt sich gegen den Bau eines Teilstückes der Pyhrnautobahn richtete und der von den Teilnehmern geflogene Aktionismus (Anketten an Baufahrzeugen, Erklettern von Betonsilos udgl.) läßt an einer Assoziation der Zusammengekommenen keinen Zweifel aufkommen (VfGH 23.9.1983, B 671/80). Die Versammlung war demnach nicht bloß auf geladene Gäste beschränkt und damit nicht von der Anzeigepflicht nach § 2 Versammlungsgesetz ausgenommen. Dies ist nämlich nur dann der Fall, wenn die Teilnehmer persönlich und individuell vom Veranstalter der Versammlung zum Erscheinen geladen werden und wenn der Veranstalter Vorkehrungen trifft, durch die die Nichtzulassung Ungeladener gesichert ist (vgl. VfSlg.

7762/1976; VfGH 23.9.1983 B 671/80). Der Aufruf (auch) per Plakat zum "Actions-Camp" läßt keinen Anhaltspunkt dafür zu, daß es sich hier um eine individuelle Einladung jedes einzelnen Teilnehmers und um eine geschlossene Veranstaltung gehandelt hätte. Geschlossene Veranstaltungen können wohl auch nur auf hiefür geeigneten Veranstaltungsstätten abgeführt werden und nicht auf Baustellen, wobei die Frage der Inanspruchnahme dieser Baustelle für diesen Zweck ein hier nicht zu erörterndes Rechtsproblem darstellt. Ebenfalls kann die auf einen anderen Zweck gerichtete Verbarrikadierung der Baustelleneinfahrt nicht als Besorgung der Vermeidung des Zutrittes Ungeladener erachtet werden.

Außerdem war die Baustelle auch über die Eisenbahnanlage zugänglich. Auf diesem Wege gelangte etwa der Teilnehmer Hildebrandt - welcher über die Medien von der Veranstaltung erfahren hatte - nach seinen eigenen Angaben auf die Baustelle. Diese Veranstaltung wäre daher der Behörde anzuzeigen gewesen.

Die Behörde darf - wie schon aus dem Wortlaut des § 13 Abs.

1 VersG hervorgeht - eine gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltete Versammlung nur "nach Umständen" auflösen (mit Hinweis auf VfSlg. 7762/1976 und VfGH 23.9.1983, B 671/80). Für eine behördliche Versammlungsauflösung muß also ein zureichender Grund vorliegen. Das im jeweiligen Fall - hier als Vorfrage vom unabhängigen Verwaltungssenat selbständig zu beurteilen rechtmäßige Verhalten der Behörde ist wohl vor dem Hintergrund der Versammlungsfreiheit zu beurteilen.

Der staatsvertragliche (materielle) Gesetzesvorbehalt, wie er im Art. 11 Abs. 2 MRK umschrieben wird, gilt auch im innerstaatlichen Bereich und leitet die Vollzugsorgane an, wenn sie einen zureichenden Grund für eine Versammlungsauflösung annehmen dürfen (vgl. hiezu das die Ermächtigung der Behörde, einen Verein aufzulösen, betreffende Erk. VfSlg. 8090/1977).

Die Umstände, die zur Verletzung der Anzeigepflicht hinzuzutreten haben, um eine Versammlungsauflösung zu rechtfertigen, müssen also so geartet sein, daß ohne diese Maßnahme eines der in der zitierten Konventionsnorm aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre. Nach der sich aus Art. 11 Abs.2 MRK ergebenden Richtlinie ist dies u.a. die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung, des Schutzes der Gesundheit sowie der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (VfGH Slg. 6883/1972, sowie VfGH 23. 6. 1977, B 209/76). Im gegenständlichen Fall war der Eingriff der Behörde zwecks Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, ferner zum Schutz des Eigentums der Baustellenbetreiber, insbesondere aber zum gesundheitlichen Schutz der sich an Baumaschinen festgeketteten Teilnehmer selbst, berechtigt, ja gefordert.

Wie oben bereits dargelegt galt es, durch die von mehreren Demonstrationsteilnehmern mittels einer ihren Hals eng umschließende Bügel vorgenommenen Fixierung, eine nicht unerhebliche Gefahr von diesen Personen selbst abzuwenden.

Ob solche Umstände vorlagen, hatte das Behördenorgan nach dem Bild zu beurteilen, das sich ihm an Ort und Stelle bot.

Dies mußte der Veranstalter, der hier auch seiner Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist, gegen sich gelten lassen; er hatte demnach auch in Kauf zu nehmen, daß kein eigentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt werden konnte und daß es der Behörde in der Regel auch nicht mehr möglich gewesen sein wird, allenfalls erforderliche, den ungehinderten Ablauf der Versammlung sichernde Vorkehrungen zu treffen. Hier wurde obendrein ohnedies erst eingegriffen als der Zweck der Demonstration/Manifestation weitestgehend erreicht gewesen schien.

Zum Zeitpunkt der Auflösung konnte das einschreitende Organ des Bezirkshauptmannes nach dem sich ihm bietenden Gesamtbild mit gutem Grund den Eindruck gewinnen, daß sich bei dem genommenen Verlauf der Versammlung strafgesetzwidrige Vorgänge, Beschädigungen von Baumaschinen ereignen würden, insbesondere aber die akute Selbstgefährdung von Teilnehmern gegeben war (VfGH 10.6.1985, B 567/84). Die Beurteilung des Handelns der Behörde hatte hier aus einer ex-ante Sicht zu erfolgen.

5.2. Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit schon fahrlässiges Verhalten (§ 5 Abs.1 VStG erster Satz). Das VStG gibt bezüglich der Schuldform Vorsatz und Fahrlässigkeit keine Definition. Wenngleich das VStG (abgesehen vom § 19) nicht auf das StGB verweist, wird dennoch den Begriffsbestimmungen dieses Gesetzes Bedeutung zukommen.

Hinsichtlich der Fahrlässigkeit definiert § 6 StGB, wobei zwischen bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit unterschieden wird, daß bewußt fahrlässig derjenige handelt, der zwar daran denkt, daß sein Verhalten ein tatbildmäßiges Unrecht verwirklichen könne, dieses jedoch nicht herbeiführen will, wenngleich er es für möglich hält. Im Falle der unbewußten Fahrlässigkeit verkennt der Täter zufolge Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt, daß er einen tatbildmäßigen Erfolg verwirklichen könnte.

Hier ist jedoch von der Schuldform des Vorsatzes auszugehen.

Vorsätzlich handelt, wer zumindest in Kauf nimmt (Eventualvorsatz), daß er mit seinem Handeln ein gesetzliches Tatbild (hier Verweilen auf dem Versammlungsort nach deren Auflösung) verwirklicht.

Wenn sich nun der Berufungswerber noch vor dem ausgesprochenen Verbot der Veranstaltung sich des Schlüssels für die an seinem Körper selbst angebrachten Sperrvorrichtung begeben gehabt haben sollte (was wohl nicht endgültig geklärt werden konnte) oder er diesen nicht freiwillig aushändigte und er aus diesem Grunde der Aufforderung der Behörde etwa nicht mehr Folge leisten konnte, ist ihm trotzdem vorsätzliche Begehungsweise vorzuwerfen. Er hatte sich selbst in eine Lage gebracht, aus welcher er sich nach Auflösung der Veranstaltung nicht mehr sein rechtmäßiges Verhalten disponieren konnte. Eine selbstverschuldete Zwangslage ist kein Schuldausschließungsgrund (VwGH 8.9.1969, 1708/68, 22.4.1976.

1705/75, 15.4.1983, 82/04/0169 u. v. 25.11.1986, 86/04/0116, Hauer-Leukauf, Handbuch des öst. Verwaltungsverfahrens, S.

737, RZ 5). Als Teilnehmer an einer Demonstration an deren Zuspitzung er durch sein Anketten selbst beteiligt war, mußte er auch mit einer Auflösung derselben rechnen. Durch die Begebung des Schlüssels hat er zumindest in Kauf genommen, daß sie einer zu erwartenden Aufforderung die Baustelle zu verlassen nicht mehr befolgen werde könne (Eventualvorsatz).

6. Bei der Strafzumessung ist gemäß 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

6.1. Mit der in der Berufung vermeinten Willkürhandlung durch die Erstbehörde, weil diese die Ersatzfreiheitsstrafe von 36 Stunden in der Strafverfügung, auf 48 Stunden im angefochtenen Straferkenntnis erhöht hat, ist objektiv nichts zu gewinnen. Einerseits greift hier der Grundsatz des Verschlechterungsverbotes (reformatio in peius) nicht.

Andererseits ist bei einer Höchststrafe bis zu sechs Wochen Freiheitsstrafdrohung oder mit einer Geldstrafe bis zu 5.000 S das Verhältnismäßigkeitsprinzip jedenfalls gewahrt worden. Vielmehr hätte demnach die Ersatzfreiheitsstrafe durchaus noch wesentlich höher angesetzt werden können. Die hier im Verhältnis niedrige Geldstrafe, welche im Gesetz als zweite Strafvariante aufscheint, muß aus dem Blickwinkel des Geldwertes im Jahre 1953 gesehen werden.

In der Sache selbst wurde durch die vom Berufungswerber geübte Verhaltensweise gesetzlich geschützten Interessen in massiver Weise zuwidergehandelt. Es wurden durch die Unterbrechungen der Bauarbeiten und Blockierung der Baumaschinen, neben dem Anspruch des Gemeinwesens auf Ruhe und Ordnung, auch private und wirtschaftliche Interessen empfindlich beeinträchtigt. Diese Interessensschädigung mußte mit einem großen Einsatz der Exekutive entgegengetreten werden, welcher letztlich wiederum vom Steuerzahler finanziert werden mußte. Daran ändert auf der objektiven Tatebene auch nichts die Tatsache, daß der Berufungswerber aus Überzeugung für ein globales Ziel und somit aus achtenswerten Gründen die Verwaltungsübertretung in Kauf genommen haben mag. Dem ist entgegenzuhalten, daß auch höchste Ziele, welche zu einem persönlichen Anliegen gemacht worden sein mögen und für die der Berufungswerber mit Nachdruck einzutreten bereit gewesen zu sein schien, hinter Staatszielen zurücktreten müssen. Persönliche Neigungen rechtfertigen keinen Gesetzesbruch. Jede andere Sicht würde mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates nicht vereinbar sein.

Mangels weiterer Milderungsgründe konnte daher der hier verhängten Strafe auch angesichts des Umstandes, daß von der Erstbehörde zu Unrecht die vorsätzliche Begehungsweise (diese Begehungsweise ist tatbildmäßig) als straferschwerend gewertet wurde, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.

Diese Strafe ist sowohl aus Gründen der Generalprävention indiziert und scheint ferner vom Gesichtspunkt der Spezialprävention erforderlich um den Berufungswerber künftighin von derartigen Übertretungen abzuhalten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

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