Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-230554/2/Br

Linz, 30.12.1996

VwSen-230554/2/Br Linz, am 30. Dezember 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn R, vertreten durch Dr. B, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land, vom 14. November 1996, AZ. Sich96-104-1996-WIM/MR, wegen der Übertretung des SPG zu Recht:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr.

8471/1995 - AVG, iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG; II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat mit dem Straferkenntnis vom 14. November 1996, AZ.

Sich96-104-1996-WIM/MR über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 81 Abs.1 Sicherheitspolizeigesetz eine Geldstrafe von 2.000 S und für den Nichteinbringungsfall 96 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und unter genauer Umschreibung im Ergebnis zur Last gelegt, daß der Berufungswerber am 15.2.1996 um 07.00 Uhr im Ortsgebiet von L bei der O, durch Sitzen auf Baumaschinen und nach erfolgter Abmahnung dieses Verhalten nicht eingestellt und sich dadurch besonders rücksichtslos und die öffentliche Ordnung störend verhalten habe und dadurch eine Übertretung nach § 81 Abs.1 SPG begangen hätte.

1.1. Die Erstbehörde führte inhaltlich begründend aus, daß die dem Berufungswerber zur Last gelegte Verwaltungsübertretung auf Grund der Anzeige des GP-L vom 28.2.1996, GZP-214/96-Gr als erwiesen anzusehen wäre.

In dieser Anzeige ist von einer Sitzblockade, welche die Bauarbeiten behindert hätten, die Rede. Es sei, so die Anzeige, auch zum "Zusammenlauf von mehreren unbeteiligten Ortsbewohnern, die ihren Unmut darüber geäußert hätten, gekommen".

2. In der fristgerecht erhobenen Berufung verwies der Berufungswerber durch seine ag. Rechtsvertreter im Ergebnis auf die von h. vertretene Rechtsansicht, daß die Verhaltensweise des Berufungswerbers nach dem Versammlungsgesetz und nicht nach dem SPG zu beurteilen sei.

Mit diesem Vorbringen ist der Berufungswerber im Recht! 3. Da keine 10.000,- S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Zumal mit der Berufung im Ergebnis nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung gerügt wird und ein diesbezüglicher gesonderter Antrag nicht gestellt wurde, konnte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben (§ 51e Abs.2 VStG).

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land.

Daraus ergibt sich der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt.

4.1. Der Berufungswerber hielt sich am 15. Februar 1996 um 07.00 Uhr im Bereich des T im Rodungsbereich der O auf.

Zweck dieses Aufenthaltes war es offenkundig den in Form einer Sitzblockade zum Ausdruck gebrachten Willen gegen den Bau dieses Kraftwerkes zu manifestieren. Diese Sitzblockade wurde selbst nach Aufforderung durch die Gendarmerie, die Örtlichkeit freiwillig zu verlassen, nicht befolgt. In diesem Zusammenhang wurde der Berufungswerber folglich um 07.10 Uhr festgenommen und nach Feststellung der Identität am GP L um 08.00 Uhr wieder entlassen.

Wie es zur Feststellung des Zusammenlaufes unbeteiligter Ortsbewohner und deren Unmutsäußerungen über das Verhalten des Berufungswerbers gekommen sein soll, ist dem Akt nicht zu entnehmen.

5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Nach § 81 Abs.1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung, "wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört; er ist mit einer Geldstrafe bis zu 3.000 S zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden." Nach der nunmehrigen "neuen" Rechtslage wurde die Strafbarkeit gegenüber der früheren Bestimmung des Art. IX Abs.1 Z1 EGVG in zwei Punkten inhaltlich zurückgenommen. Es ist nunmehr einerseits mehr auf die Intention des Täters abzustellen, andererseits soll auch entscheidend sein, ob es eine Rechtfertigung für die Störung der Ordnung gibt (aus den Gesetzesmaterialien zum Sicherheitspolizeigesetz, Fuchs - Funk - Szymanski, Manz Taschenbuchausgabe, Seite 154 ff).

Eine solche "Rechtfertigung" könnte hier in der Äußerung eines Manifestationswillens seitens des Berufungswerbers erblickt werden.

Selbst wenn durch das hier vorgeworfene Verhalten der normale Ablauf an einem öffentlichen Ort beeinträchtigt wurde, ist dieses Verhalten nach dem Versammlungsgesetz als gegenüber dem SPG spezielle Norm - zu subsumieren.

5.2. Wie bereits im Zusammenhang mit dem gegen andere Kraftwerksgegner in diesem einschlägigen Zusammenhang geführten Berufungsverfahren ausgeführt, lagen hier die Voraussetzungen für die Auflösung der Versammlung vor.

Zutreffend verweist der Berufungswerber auf die im h.

Erkenntnis, VwSen - 420110 vom 11. Juli 1996, dargelegte Rechtsansicht.

Demnach ist nach § 13 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes, BGBl.Nr. 98/1953, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 392/1968 (im folgenden: VersG), festgelegt, daß eine Versammlung, die gegen die Vorschriften des VersG veranstaltet wird, von der Behörde zu untersagen und nach Umständen aufzulösen ist.

Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt wurde, sind nach § 14 Abs.1 VersG alle Anwesenden verpflichtet, den Versammlungsort zu verlassen und sogleich auseinanderzugehen. Gemäß 14 Abs.2 VersG kann im Falle des Ungehorsams die Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden.

Zufolge § 19 VersG sind Übertretungen dieses Gesetzes mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 5.000 S zu ahnden.

In diesem Zusammenhang ergibt sich schon aus Art. 10 Abs.1 Z7 B-VG, daß das aufgrund des Einleitungsteiles dieses Kompetenztatbestandes ("Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit") basierende SPG zu jenen gesetzlichen Vorschriften über die sog. Verwaltungspolizei (darunter z.B. "Vereins- und Versammlungsrecht") im Verhältnis der Subsidiarität steht, also nach allgemein herrschender Auffassung stets nur dann zum Tragen kommen kann, wenn es nicht um die Besorgung einer besonderen verwaltungspolizeilichen Agende geht (vgl. z.B. L.K.

Adamovich - B.C. Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3.

Auflage, Wien 1987, 161 f).

5.3. Im h. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. VwSen-230535 wurde folgendes ausgeführt:

"Die Teilnahme an einem sogenannten Widerstandscamp, das organisierte Zusammenwirken zur Manifestation eines bestimmten Zieles und die Organisation der Möglichkeit zur Leistung von passiven Widerstand ist bereits in seiner Struktur als bloß "vorübergehend organisierte Zusammenkunft" zu qualifizieren. Dies wurde insbesondere durch das Verhalten bei der Räumung - gegenseitiges Fixieren in einem Rohr - zum Ausdruck gebracht. Diese Ansicht wurde offenbar auch in einem vor dem h. Verwaltungssenat, Erk. v.

25.7.1996, VwSen-420101, vertreten.

Unter Hinweis auf die Judikatur des VfGH ist die Zusammenkunft mehrerer Personen dann als Versammlung iS des VersG 1953 zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen (VfGH Slg.Nr.

9783/1983). Durch den Versuch in aktionistischen Maßnahmen Bauarbeiten zu verhindern, wobei durchaus Verzögerungen im Fortgang erwirkt wurden, läßt an einer Assoziation der Zusammengekommenen keinen Zweifel aufkommen (VfGH 23.9.1983, B 671/80). Die Versammlung war etwa auch nicht bloß auf geladene Gäste beschränkt und damit auch nicht von der Anzeigepflicht nach § 2 Versammlungsgesetz ausgenommen. Dies wäre etwa nur dann der Fall, wenn die Teilnehmer persönlich und individuell vom Veranstalter der Versammlung zum Erscheinen geladen werden und wenn der Veranstalter Vorkehrungen trifft, durch die die Nichtzulassung Ungeladener gesichert ist (vgl. VfSlg. 7762/1976; VfGH 23.9.1983 B 671/80). Der unter den Teilnehmern bekannte Umstand der damals in Lambach eingerichtet gewesenen "Actions-Camp", welche von den Teilnehmern quasi durch freies Kommen und Gehen erhalten wurde, läßt keinen Zweifel dahingehend aufkommen, daß es sich hier für den einzelnen Teilnehmer jeweils um eine zeitlich begrenzte Tätigkeit der Manifestation handelte.

Die Behörde darf - wie schon aus dem Wortlaut des § 13 Abs.

1 VersG hervorgeht - eine gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltete Versammlung nur "nach Umständen" auflösen (mit Hinweis auf VfSlg. 7762/1976 und VfGH 23.9.1983, B671/80). Für eine behördliche Versammlungsauflösung muß also ein zureichender Grund vorliegen. Das im jeweiligen Fall - hier als Vorfrage vom unabhängigen Verwaltungssenat selbständig zu beurteilen - rechtmäßige Verhalten der Behörde ist wohl vor dem Hintergrund der Versammlungsfreiheit zu beurteilen.

Der staatsvertragliche (materielle) Gesetzesvorbehalt, wie er im Art. 11 Abs.2 MRK umschrieben wird, gilt auch im innerstaatlichen Bereich und leitet die Vollzugsorgane an, wenn sie einen zureichenden Grund für eine Versammlungsauflösung annehmen dürfen (vgl. hiezu das die Ermächtigung der Behörde, einen Verein aufzulösen, betreffende Erk.

VfSlg. 8090/1977).

Die Umstände, die zur Verletzung der Anzeigepflicht hinzuzutreten haben, um eine Versammlungsauflösung zu rechtfertigen, müssen also so geartet sein, daß ohne diese Maßnahme eines der in der zitierten Konventionsnorm aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre. Nach der sich aus Art.

11 Abs.2 MRK ergebenden Richtlinie ist dies allem voran der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Hier das Recht des Eigentümers sein Bauvorhaben vorzunehmen; ebenso war hier die öffentliche Sicherheit und die Aufrechterhaltung der Ordnung zu gewährleisten (VfGH Slg. 6883/1972, sowie VfGH 23. 6. 1977, B 209/76). Im gegenständlichen Fall war der Eingriff der Behörde (die Auflösung der Versammlung) insbesondere zum Zweck der Vermeidung des Abschwemmens der nächst der ufernahen Camps gelagerten Baumstämme durch das drohende Hochwasser, somit insbesondere des Eigentumsschutzes und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dringend geboten...." 5.3.1. Ob auch in diesem Fall solche Umstände vorlagen, hätte das Behördenorgan sowie in den Parallelverfahren nach dem Bild zu beurteilen gehabt, das sich ihm an Ort und Stelle bot. Eine darüber hinausgehende Blockierung von rechtlich geschützten Interessen sprengte danach den gesetzlich geschützten Bereich der Demonstrationsfreiheit.

5.3.2. Den Zweck der Anwesenheit des Berufungswerbers gemeinsam mit weiteren "Umweltschützern" auf der Kraftwerksbaustelle L hat offenbar auch die Erstbehörde darin erblickt, durch dessen Ausübung "passiven Widerstandes" gegen die zu erwartende zwangsweise behördliche Räumung gemeinsam mit gleichgesinnten Personen ihren Unwillen gegen die Realisierung dieses Projektes zu manifestieren. Immerhin wurde in diesen gleichgelagerten Parallelverfahren im Sinne der obigen Rechtsansicht argumentiert und wurde diese Rechtsansicht in den von h. zum Teil bereits in rechtskräftig erledigten Berufungsverfahren bestätigt (siehe h. Erkenntnis vom 10.10.1996, VwSen-130535).

Nicht nachvollziehbar ist daher, warum die Erstbehörde nun eine andere Subsumtion eines offenbar gleichgelagerten Tatverhaltens vornahm.

5.4. Es lag demnach hier eine Versammlung vor und die Erstbehörde wäre daher gehalten gewesen, im Verwaltungsstrafverfahren i.S.d. VersG - und nicht, wie tatsächlich geschehen, unter Berufung auf das SPG vorzugehen (vgl. abermals h. Erk. vom 10.7.1996, Zl.

VwSen-420110).

5.5. Da die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen wurde, war das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren nach der obzit. Gesetzesbestimmung einzustellen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Dr. B l e i e r

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum