Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-162477/6/Ki/Jo

Linz, 23.10.2007

 

 

 

                                                          E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Alfred Kisch über die Berufung des Mag. T S, R, W, vom 28.08.2007, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 06.08.2007, VerkR96-2006, wegen einer Übertretung der StVO 1960 nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 19.10.2007 durch Verkündung zu Recht erkannt:

 

 

I.     Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren eingestellt.

 

II.   Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrenskosten­beiträge.

 

Rechtsgrundlage:

zu  I: § 66 Abs.4 AVG iVm  §§ 24, 45 Abs.1 Z1 und 51 VStG

zu II: § 66 Abs.1 VStG

 

 

                                                         Entscheidungsgründe:

 

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit Straferkenntnis vom 06.08.2007, VerkR96-5377-2006, den Berufungswerber für schuldig befunden, er sei am 17.11.2006, 09:05 Uhr, in der Gemeinde H, Gemeindestraße Ortsgebiet, Gemeindestraße, A-weg, vor dem Haus des Gemeindearztes Dr. K in H, A-weg, mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und habe nicht sofort die nächste Sicherheitsdienststelle verständigt. Er habe dadurch § 4 Abs.2 2. Satz StVO 1960 verletzt. Gemäß § 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 wurde eine Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und überdies wurde gemäß § 64 VStG ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben.

 

I.2. Der Rechtsmittelwerber erhob gegen dieses Straferkenntnis am 28.08.2007 Berufung, er strebt die Aufhebung des Straferkenntnisses an.

 

I.3. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat die Berufung samt Verfahrensakt dem Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt und damit dessen Zuständigkeit ausgelöst. Dieser hatte, da weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

 

I.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt sowie Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, verbunden mit einem Augenschein an Ort und Stelle, am 19.10.2007. An dieser Verhandlung nahm der Rechtsmittelwerber teil, als technischer Amtssachverständiger fungierte Ing. R H vom Amt der Oö. Landesregierung, Abteilung Verkehrstechnik. Die belangte Behörde hat sich entschuldigt.

 

I.5. Laut Verkehrsunfallanzeige der Polizeiinspektion H vom 21.11.2006 lenkte der Berufungswerber am 17.11.2006 gegen 09.05 Uhr einen dem Kennzeichen nach benannten weißen Renault Espace rückwärts aus einem Parkplatz vor dem Haus des Gemeindearztes Dr. K in H, A-weg. Im selben Moment überquerte eine namentlich genannte Person als Fußgängerin die Gemeindestraße A-weg und der Berufungswerber soll diese Fußgängerin übersehen und mit dem Heck des Pkw`s angefahren haben. Die Fußgängerin stürzte daraufhin zu Boden, sie erlitt eine Rissquetschwunde am linken Knie und eine Prellung der rechten Hand.

 

Angezeigt wurde der Vorfall von einer namentlich angeführten Person, welche den Vorfall jedoch lediglich gesehen habe, als die Fußgängerin bereits am Boden lag. Er habe sich Marke und Type des Fahrzeuges gemerkt, er habe aber nicht gesehen, wie die Fußgängerin niedergefahren wurde. Die Auskunftsperson gab weiters an, sie sei sich aber sicher, dass der Fahrzeuglenker nicht bemerkte, dass dieser jemanden angefahren habe.

 

Der Rechtsmittelwerber bestritt von Anfang an, den Vorfall bemerkt zu haben und argumentiert bereits in seinem Einspruch gegen die zunächst ergangene Strafverfügung, er habe die Fußgängerin nicht gesehen, diese sei laut Aussage seines Hausarztes lediglich 1,50 m groß. Er fühle sich unschuldig und bestreite die ihm zur Last gelegte Tat.

 

Bei einer niederschriftlichen Einvernahme am 18.11.2006 vor der Polizeiinspektion H gab die betroffene Fußgängerin an, sie sei an Demenz erkrankt und könne sich an nichts erinnern, sie wisse auch nicht mehr, dass sie von einem Pkw niedergestoßen worden sei.

 

Die Tochter der Fußgängerin gab bei einer niederschriftlichen Befragung am 18.11.2006 vor der PI Hellmonsödt an, dass ihre Mutter seit 3 bis 4 Jahren an der Krankheit Demenz leide und sie daher nicht mehr in der Lage sei, sich an gewisse Ereignisse zu erinnern. Es sei durchaus möglich, dass ihre Mutter in das Auto des Unfalllenkers gelaufen sei, da sie sich im Straßenverkehr nicht mehr zu Recht finde. Die Mutter sei zum Unfallszeitpunkt, sowie fast jeden Tag von zu Hause zu ihrem Hausarzt Dr. K in H gegangen.

 

Bei seiner Einvernahme während der mündlichen Berufungsverhandlung führte der Beschuldigte aus, er sei zum Vorfallszeitpunkt mit seinem Fahrzeug, einem Renault Espace im Retourgang vom Parkplatz des Hauses A-weg aus der Parklücke herausgefahren und zwar im rechten Winkel aus seiner Sicht in Fahrtrichtung eines Linksbogens, er habe jedoch die angeblich berührte Dame nicht gesehen bzw. den Vorfall nicht bemerkt. Er habe sich durch Blick in die Spiegel des Fahrzeuges überzeugt, dass er ohne Probleme ausparken könne und sei zunächst ca. eine Fahrzeuglänge im Retourgang aus der Parklücke herausgefahren und in der Folge dann nach Vorwärtsrichtung bergauf weggefahren. Er sei zunächst soweit zurückgefahren, dass er bereits in seiner geplanten Fahrtrichtung gestanden ist. Links und rechts von seinem Fahrzeug seien ebenfalls Fahrzeuge gestanden.

 

Der der Verhandlung beigezogene verkehrstechnische Amtssachverständige erörterte unter Zugrundelegung der Erkenntnisse der Verhandlung und der Örtlichkeiten beim Lokalaugenschein die Situation aus technischer Sicht wie folgt:

 

"Unter Zugrundelegung der Erkenntnisse der heutigen Verhandlung und der Örtlichkeiten beim Lokalaugenschein ist aus technischer Sicht festzustellen, dass von der angegebenen Parkposition des Berufungswerbers das Fahrzeug rückwärts in einem Linksbogen ausgefahren ist. Dabei besteht die Möglichkeit, dass das Fahrzeug im Zuge des Rückwärtsausfahrens sehr nahe mit der rechten Fahrzeugseite an der dort befindlichen Betonmauer mit einem darauf befindlichen Holzzaun zum Stillstand gekommen ist.

 

Diese Situation wurde beim Lokalaugenschein mit einem Renault Espace nachgestellt. Wenn man diese Stellung zu Grunde legt, dass das Fahrzeug sehr nahe an der dort befindlichen Betonmauer mit dem darauf befindlichen Holzzaun gestanden ist um den Gang zu wechseln (vom Retourgang in den Vorwärtsgang) ist anzunehmen, dass zu diesem Zeitpunkt das Fahrzeug gestanden ist. Wenn zu diesem Zeitpunkt auf dem vom Ort herausführenden Gehweg die ältere Dame Richtung Arzt gegangen ist, ist sie aus Sicht des PKW-Fahrers von rechts hinten gekommen. Die augenscheinliche Betrachtungsweise vom Lenkersitz des Espace hat ergeben, dass eine Person mit einer Körpergröße von ca. 1,60 m und entsprechend dunkler Kleidung vom Lenkersitz aus praktisch nicht erkennbar ist, da sie durch den dort befindlichen Zaun verdeckt wird. Die Fußgängerin ist dann aus Sicht des Autofahrers im rechten Außenspiegel erst erkennbar, wenn sie sich auf der Fluchtlinie des dort befindlichen Zaunes befindet. Zu diesem Zeitpunkt ist der Abstand zwischen der Fußgängerin und dem Fahrzeug aber nur mehr 30 – 50 cm. Zu diesem Zeitpunkt besteht die Möglichkeit, dass der Renault Espace gestanden ist, da er die Fahrtrichtung geändert hat und vom Retourgang in den Vorwärtsgang schalten musste. Das Fahrzeug hat eine Anhängevorrichtung, eine Kugelkopfvorrichtung, die über die hintere Stoßstange hinausragt. Wenn man annimmt, dass die ältere Dame sehr knapp am Heck des stehenden Fahrzeuges vorbeigegangen ist, kann die Möglichkeit, dass sie an der Anhängevorrichtung angestoßen ist oder mit der Anhängevorrichtung in irgendeiner Weise in Berührung gekommen ist und sie dadurch zum Stolpern kam oder das Gleichgewicht verlor, woraus ein Sturz resultierte, nicht ausgeschlossen werden. Die Verletzungen der älteren Dame rühren nicht durch die Primärkollision zwischen Fußgänger und Auto her sondern durch die Sekundärkollision (durch das "Aufschlagen" auf der Fahrbahn).

 

Wenn man dieser Unfallsschilderung folgt, so kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Fußgänger bereits gestanden ist und der Sturz der Fußgängerin dadurch zustande gekommen ist, dass die Fußgängerin durch die herausragende Anhängevorrichtung in irgendeiner Weise irritiert wurde und dadurch letztlich zum Sturz gekommen ist. Eine Eingrenzung wo die Fußgängerberührung mit dem Fahrzeug stattgefunden hat, kann nicht getroffen werden, da am Fahrzeug keine Kontaktspuren vorhanden sind und sich auf Grund der Aktunterlagen und der vorliegenden Zeugenaussagen eine Berührungsstelle in Bezug auf das Fahrzeug nicht eingrenzen lässt.

 

Wenn man davon ausgeht, dass das Fahrzeug gestanden ist als die Berührung oder das Stolpern der Fußgängerin erfolgte und das Fahrzeug aber nach vorne weggefahren ist, gibt es keine Veranlassung in den Rückspiegel zu schauen, wenn vom Stand aus sofort nach vorne weggefahren wurde, ohne dass das Fahrzeug etwas zurückrollt. Nachdem es sich beim gegenständlichen Anfahrversuch um eine sehr flache Steigung handelt, ist es durchaus zumutbar, dass man mit dem Fahrzeug sofort nach vorne wegfährt, ohne dass das Fahrzeug einige Zentimeter zurückrollt."

 

I.6. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat wie folgt erwogen:

 

Gemäß § 4 Abs.2 StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn hiebei Personen verletzt worden sind, die nächste Polizeidienststelle sofort zu verständigen.

 

Gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet.

 

Zunächst wird festgestellt, dass, wie in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses zu Recht ausgeführt wurde, die Verständigungspflicht unabhängig von einem Verschulden am Unfall besteht.

 

Zu berücksichtigen ist aber im Rahmen eines  Verwaltungsstrafverfahrens jedenfalls der Grundsatz, dass nach Durchführung sämtlicher Beweise das für den Beschuldigten günstigste Ergebnis der Entscheidung zu Grunde zu legen ist (in dubio pro reo).

 

Im vorliegenden Falle hat die mündliche Berufungsverhandlung, insbesondere die Durchführung des Augenscheines an Ort und Stelle, ergeben, dass es durchaus nicht ausgeschlossen werden kann, die verletzte Fußgängerin sei gegen das bereits stehende Fahrzeug des Beschuldigten gelaufen und dabei zu Sturz gekommen, wobei die festgestellten Verletzungen letztlich erst durch den Sturz zustande gekommen sein könnten. Weder der Unfallzeuge noch die betroffene Fußgängerin selbst konnten zum genauen Vorgang Angaben machen.

 

Die diesbezüglichen Ausführungen des verkehrstechnischen Amtssachverständigen sind durchaus schlüssig und stehen nicht im Widerspruch zu den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen, sodass keine Bedenken bestehen, diese der Entscheidung zu Grunde zu legen.

 

Geht man nun davon aus, dass der Beschuldigte zu dem Zeitpunkt, als die Fußgängerin gegen sein Fahrzeug gelaufen ist, bereits sein Fahrzeug zum Stillstand gebracht hatte, um im Vorwärtsgang wegzufahren, so kann ihm – bezogen auf die konkrete Situation – auch nicht zugemutet werden, dass er diesbezüglich sich nochmals durch Blick in den Rückspiegel überzeugt, ob jemand gegen sein Fahrzeug gelaufen sein könnte, jedenfalls ist von einem objektiv sorgfältigen Personenkraftwagenlenker ein derartiges Verhalten grundsätzlich nicht mehr zu erwarten.

 

In Anbetracht der Umstände erachtet daher die erkennende Berufungsbehörde, dass dem Beschuldigten die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht mit einer zur Bestrafung führenden Sicherheit nachgewiesen werden kann, weshalb in Stattgebung der Berufung das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich einzustellen war.

 

 

 

                                                           Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

                                                                     Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

                                                                 Mag. K i s c h

 

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