Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-162518/7/Sch/Hu

Linz, 10.12.2007

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Schön über die Berufung des Herrn J D vom 20.9.2007 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 3.9.2007, VerkR96-18584-2005-Si/Pi, wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) zu Recht erkannt:

 

I.                     Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II.                   Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrens­kosten­beiträge.

 

Rechtsgrundlagen:

zu  I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 und 45 Abs.1 Z3 VStG.

zu II.: §§ 64ff VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Zu I.:

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 3.9.2007, VerkR96-18584-2005-Si/Pi, wurde über Herrn J D, S, K, wegen Verwaltungsübertretungen gemäß 1) § 52 lit.a Z10a StVO und 2) § 52 lit. a Z4a StVO 1960 Geldstrafen von 1) und 2) jeweils 40 Euro und Ersatzfreiheitsstrafen von 1) und 2) jeweils 24 Stunden, verhängt, weil er am 27.2.2005 um 07.45 Uhr in Linz, Hamerlingstraße, von Richtung Lenaustraße kommend in Richtung Lastenstraße stadtauswärts fahrend, Lastenstraße, in Richtung Franckstraße stadteinwärts fahrend, bis zur Anhaltung in der Lastenstraße nach der Bahnunterführung vor der Einfahrt zum Parkplatz des Geschäftes "Lidl", das Kfz, Kennzeichen …, gelenkt und

1) die durch Verbotszeichen kundgemachte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten habe, da die Fahrtgeschwindigkeit ca. 50 bis 60 km/h betrug, wobei die Überschreitung durch Nachfahrt in gleichbleibendem Abstand festgestellt wurde und die Verkehrsfehlergrenze bereits abgezogen wurde;

2) das Verbotszeichen „Überholen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen verboten“ missachtet habe.

 

Überdies wurde der Berufungswerber zu einem Kostenbeitrag zum Verfahren in der Höhe von 8 Euro verpflichtet.

 

2. Gegen dieses Straferkenntnis hat der Berufungswerber rechtzeitig Berufung erhoben. Vom Instrumentarium der Berufungsvorentscheidung hat die Erstbehörde nicht Gebrauch gemacht und die Berufung vorgelegt. Damit ist die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates gegeben.

 

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung erwies sich als nicht erforderlich (§ 51e Abs.2 Z1 VStG).

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Folgendes erwogen:

 

Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurde die Tatörtlichkeit in Augenschein genommen. Die zum Vorfallszeitpunkt baustellenbedingt vorhanden gewesenen Verkehrsbeschränkungen (VZ „Überholen verboten“ und „Geschwindigkeits­beschränkung 30 km/h“) konnten anhand des Akteninhaltes örtlich rekonstruiert werden. Der Beginn war demnach laut Polizeianzeige etwa bei der Kreuzung Hamerlingstraße/Lenaustraße, das Ende auf der Lastenstraße auf Höhe des inzwischen nicht mehr vorhandenen Gebäudes des ehemaligen Frachtenbahnhofes (vormals Lastenstraße 15). Dieses Gebäude stand, wie dem unterfertigten Mitglied des Oö. Verwaltungssenates bekannt, direkt bei der Einmündung der Hamerlingstraße in die Lastenstraße.

 

Wie der obigen Wiedergabe des Spruches des angefochtenen Straferkenntnisses entnommen werden kann, werden dem Berufungswerber ein Überholdelikt und eine Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Hamerlingstraße und in der Folge auf der Lastenstraße, ohne weitere Differenzierung, angelastet. Diese Straßenstrecke stellt, wie der Lokalaugenschein ergeben hat, beginnend bei der Kreuzung Hamerlingstraße/Lenaustraße und endend bei der Zufahrt zum Kaufgeschäft „Lidl“ in der Lastenstraße, eine mehrere hundert Meter lange Verkehrsfläche dar.

 

Für das Überholdelikt leuchtet von vornherein ein, dass dieses nicht auf der gesamten Tatörtlichkeit, wie sie der Spruch des Straferkenntnisses umschreibt, begangen worden sein konnte. Der Polizeianzeige vom 17.3.2005 kann in diesem Zusammenhang entnommen werden, dass der Tatort diesbezüglich auf die Hamerlingstraße einzuschränken ist. Nachdem das Polizeifahrzeug dort vom Berufungswerber überholt worden war, wurde die Nachfahrt aufgenommen und war eine solche laut Polizeianzeige nach Aufschließen auf das Fahrzeug des Berufungswerbers und nach dem Einbiegevorgang in die Lastenstraße in gleichbleibendem Abstand erst dort möglich. Der Tatort Hamerlingstraße scheidet hier aus, da die Schätzung der Fahrgeschwindigkeit eines anderen Fahrzeuges aus einem selbst in Fahrt befindlichen Fahrzeug heraus zwar lebensnah durchaus weitgehend zutreffende Ergebnisse erbringen kann, als Beweismittel in einem Verwaltungsstrafverfahren aber nicht ausreichend ist. Die Hamerlingstraße mündet zudem in die Lastenstraße in einem nahezu rechten Winkel ein, ein Einbiegemanöver mit einer Fahrtgeschwindigkeit von 50 bis 60 km/h, welche der Berufungswerber eingehalten haben soll, ist daher kaum bis gar nicht möglich, abgesehen davon, dass der übrige Verkehr, insbesondere der Querverkehr, und eine im Kreuzungsbereich vorhandene Verkehrsinsel eine solche Geschwindigkeit, etwa durch Kurvenschneiden, nicht zulassen.

 

Geht man von den Angaben in der Polizeianzeige aus, endete die 30 km/h-Beschränkung aber offenkundig bereits beim damals noch vorhanden gewesenen Gebäude Lastenstraße 15, sodass zweifelhaft ist, ob die Nachfahrstrecke in der Lastenstraße in Richtung Franckstraße dann überhaupt noch im Beschränkungsbereich lag (siehe auch Niederschrift mit dem als Zeugen einvernommenen Polizeiorgan vom 18.8.2005).

 

Die Formulierung des Spruches des angefochtenen Straferkenntnisses hinsichtlich Tatort steht also zum einen in Widerspruch mit dem Akteninhalt und zum anderen mit dem Konkretisierungsgebot des § 44a Z1 VStG bzw. der dazu ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. etwa VwGH 3.10.1985, Slg. 11894/A).

 

Wenn seitens der Erstbehörde der Tatvorwurf zu Faktum 2. des Straferkenntnisses so formuliert wurde, dass der Berufungswerber das Verbotszeichen „Überholen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen verboten“ missachtet hätte, so ist dazu zu bemerken:

Gemäß § 52 lit.a Z4a StVO 1960 zeigt das Verbotszeichen „Überholen verboten“ an, dass das Überholen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen verboten ist. Wenngleich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Aussage, jemand hätte ein Verbot missachtet, im Regelfall gleichgesetzt wird damit, dass er diesem zuwidergehandelt hat, reicht diese Formulierung für den Spruch eines Strafbescheides nicht aus. Es wäre vielmehr im vorliegenden Fall dezidiert festzuhalten gewesen, dass entgegen diesem Überholverbot ein mehrspuriges Kraftfahrzeug überholt wurde.

 

Aufgrund der obigen Ausführungen stellt sich folglich die Frage, ob und inwieweit die Berufungsbehörde zu Tatkonkretisierungen hinsichtlich beider Delikte befugt bzw. gehalten wäre. Dazu ist im Einzelnen zu bemerken:

Die vorerst von der Bundespolizeidirektion Linz ergangene Strafverfügung vom 23.5.2005 enthält hinsichtlich Tatort schon die offenkundig von der Erstbehörde nach Abtretung des Verfahrens übernommene Spruchformulierung.

 

Ausgehend vom Vorfallstag 27.2.2005 endete die 6-monatige Verfolgungs­verjährungs­frist des § 31 Abs.2 VStG am 27.8.2005. Als Verfolgungshandlungen wurden in dieser Zeit die oa. Strafverfügung mit der erwähnten großzügigen Tatortumschreibung, die Verfahrensabtretung von der Bundespolizeidirektion Linz an die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 27.5.2005, das Rechtshilfeersuchen vom 18.7.2005 und die Zeugeneinvernahme vom 18.8.2005 unternommen. Die Verständigung des Berufungswerbers vom Ergebnis der Beweisaufnahme ist  zwar mit 23.8.2005 datiert, wurde jedoch erst am 30.8.2005 abgefertigt und dem Berufungswerber am 1.9.2005 durch Hinterlegung zugestellt. Substantiell, also im Hinblick auf die Tatumschreibung an sich, können nur die Polizeianzeige und die Zeugenniederschrift herangezogen werden, da Abtretungsverfügung und Rechtshilfeersuchen diesbezüglich nicht verwendbar sind (in der Abtretungsverfügung sind die Delikte mit keinem Wort erwähnt, im Rechtshilfeersuchen heißt es unter der Rubrik „genaue Beschreibung“: „Strafverfügung der BPD Linz vom 23.5.2005“). Auf die Polizeianzeige ist schon oben eingegangen worden, die erwähnte Zeugenniederschrift enthält keinen Tatort bezüglich Überholdelikt, die Nachfahrtstrecke wird faktisch mit der gesamten Lastenstraße angegeben.

 

Einer allfälligen Spruchkorrektur unter Anwendung des § 66 Abs.4 AVG stehen sohin formelle Bedenken der Berufungsbehörde entgegen.

 

Unbeschadet dieser gegen eine Abweisung der Berufung entsprechenden Erwägungen müsste im anderen Falle vor einer solchen Entscheidung jedenfalls eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung gemäß § 51e Abs.1 VStG durchgeführt werden, zumal keine Gründe vorliegen würden, von dieser Abstand zu nehmen. Dann wiederum könnte nur auf das Bedacht genommen werden, was in der Verhandlung vorgekommen ist (vgl. § 51i VStG). Nach den Erfahrungen der Berufungsbehörde ist nicht zu erwarten, dass sich ein Polizeiorgan, geht man von einem Verhandlungstermin zu Beginn des Jahres 2008 aus, nahezu drei Jahre nach einem Vorfall noch an Details, auf die es hier ankäme, erinnern kann, wenn es sich, so wie auch hier, um wohl zum Dienstalltag gehörende Wahrnehmungen erfahrungsgemäß oftmals begangener wenig bedeutsamer (Geldstrafen von jeweils 40 Euro) Verkehrsdelikte handelt.

 

Der Berufung war daher Folge zu geben, ohne auf das Berufungsvorbringen einzugehen, da dieses für die Entscheidung nicht von Belang war.

 

Zu II.:

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

S c h ö n