Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420510/8/WEI/Ps

Linz, 21.11.2007

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde der S K, geb., V, S, vertreten durch Dr. C S, Patientenanwalt p.A. V P, Geschäftsstelle S, p.A. C, I, S, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in einer Angelegenheit nach dem Unterbringungsgesetz - UbG (BGBl Nr. 155/1990, zuletzt geändert durch Art II des BGBl I Nr. 12/1997) am 31. März 2007 durch einen der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zurechenbaren Gemeindearzt zu Recht erkannt:

 

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und es wird die am 31. März 2007 in F mit Hilfe des Rettungsdienstes erfolgte zwangsweise Einlieferung der Beschwerdeführerin in das A.ö. Krankenhaus S, Klinik für Psychische Gesundheit, insofern für rechtswidrig erklärt, als sie der Gemeindearzt Dr. F O ohne Ausstellung einer dem § 8 UbG entsprechenden Bescheinigung sowie eigenmächtig ohne beigezogene Sicherheitsorgane und durch Ruhigstellung der Beschwerdeführerin mittels intravenöser Verabreichung des Sedativs Dormicum veranlasste.

 

II. Der Bund hat der Beschwerdeführerin den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 710,20 Euro (darin enthalten Stempelgebühren von 49,40 Euro) binnen 2 Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm §§ 67a Abs 1 Z 2, 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 334/2003.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem am 14. Mai 2007 vom Patientenanwalt für die Beschwerdeführerin (im Folgenden kurz Bfin) eingebrachten Schriftsatz vom 9. Mai 2007 wurde Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Artikel 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG an den Oö. Verwaltungssenat erhoben und die Verletzung in verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten nach Art 5 und Art 8 EMRK sowie die Verletzung einfachgesetzlich gewährleisteter Rechte nach § 8 UbG gerügt.

 

Als Verwaltungsakt wird die Bescheinigung nach § 8 UbG in Verbindung mit der Zwangsbehandlung (Sedierung) der Beschwerdeführerin durch den Gemeindearzt bekämpft, welche Vorgangsweise die Einlieferung in das Krankenhaus S zur Folge hatte, und die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit beantragt.

 

1.1. Zum Sachverhalt wird in der Beschwerde vorgebracht, dass die Bfin am 31. März 2007 durch den Gemeindearzt Dr. F O in ihrem Haus in F untersucht worden sei. Da sie angab, Schmerzen im Fuß zu haben, habe sie eine Spritze in den Oberarm bekommen, die der Aussage des Gemeindearztes nach ein Schmerzmittel enthielt. Tatsächlich habe es sich aber um ein stark wirkendes Einschlafmittel (Dormicum) gehandelt, was von Dr. O auch dokumentiert worden sei. Die Bfin sei weder über den Inhalt, noch über die Wirkung der Injektion aufgeklärt worden. Die gegen ihren Willen bewirkte Einlieferung in das Krankenhaus mit der Rettung verlief dann ohne Zwischenfälle, da die Bfin durch das Medikament stark sediert gewesen sei. Die Bfin sei in der psychiatrischen Abteilung im untergebrachten Zustand aufgenommen worden, wobei es sich nach dem ärztlichen Aufnahmeblatt um eine Einweisung durch den Hausarzt gehandelt hätte. Die Unterbringung sei wegen aggressiven Verhaltens der Bfin notwendig gewesen. Diese habe jedoch betont, dass sie sich vor allem deshalb gegen eine Behandlung wehrte, weil sie gegen ihren Willen "niedergespritzt" und eingeliefert worden sei.

 

Die vom einweisenden Arzt ausgestellte Bescheinigung enthalte nur wenige Informationen. Es werde auf einen Suizidversuch aus 2005 hingewiesen und ein "Raptus bei Psychose" als psychische Krankheit angegeben. Zur möglichen oder befürchteten Gefährdung sei nichts ausgeführt worden. Ebenso fehlten Angaben über versuchte Alternativen zu einer Einweisung.

 

Zum Beweis für dieses Tatsachenvorbringen werden jeweils in Kopie die ärztliche Bescheinigung vom 31. März 2007 des Dr. F O, das ärztliche Aufnahmeblatt der Klinik für psychische Gesundheit am S in B und das Protokoll der gerichtlichen Erstanhörung im Unterbringungsverfahren vom 3. April 2007 vorgelegt.

 

1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die Beschwerde das Recht auf persönliche Freiheit nach Art 1 Abs 2 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG) und nach Art 5 EMRK an, welches den Einzelnen vor gesetzwidriger Entziehung seiner körperlichen Bewegungsfreiheit schütze. Nur wenige gesetzlich definierte Ausnahmefälle ermöglichten Eingriffe in dieses Grundrecht.

 

Gemäß Art 1 Abs 4 PersFrSchG dürften Personen nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck des Eingriffs entsprechen. Im Fall einer Einweisung nach § 8 UbG sei der Zweck der Beschränkung ausschließlich die Verbringung in eine Anstalt. Eine Befugnis zur Zwangsbehandlung bestehe in diesem Stadium nicht. Auch das Ärztegesetz weise keine Notfallskompetenz zur zwangsweisen Behandlung und zur mechanischen oder medikamentösen Ruhigstellung auf.

 

Die als "Barier-Einweisung" ausgewiesene Bescheinigung des Dr. O enthalte keine genaueren Informationen und genüge daher nicht den rechtlichen Anforderungen. Der einweisende Arzt müsse nicht nur die psychische Krankheit und die ernstliche und erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung begründen, sondern auch angeben, warum keine alternative Behandlungsmöglichkeit gegeben sei. Die detaillierte Begründungspflicht schütze den Kranken in seinen Rechten. Die Dokumentation des einweisenden Arztes soll eine klare Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gewährleisten. Der Einweisungsschein von Dr. O entspreche nicht diesen Anforderungen. Zur Gefährdung und zu versuchten Alternativen werde nichts ausgeführt. Es finde sich nur der kurze Vermerk "Raptus bei Psychose".

 

Die Beschwerde führt weiter unter Angabe von Fundstellen aus, dass im Stadium der Vorführung und Untersuchung keine Zwangsbehandlung vorgesehen sei. Auch in der Unterbringung sei eine konsenslose Heilbehandlung nur für Menschen vorgesehen, die selbst nicht einwilligungsfähig sind und keinen Sachwalter und gesetzlichen Vertreter haben. Eine zwangsweise Beruhigungsinjektion verletze schon mangels gesetzlicher Grundlage Art 8 EMRK. Die Bfin sei daher durch die Zwangsbehandlung Dris. O mit nachfolgender Einlieferung in das Krankenhaus S in B in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit und Privatsphäre und in ihren Rechten nach dem Unterbringungsgesetz verletzt worden.

 

2. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende Gang des Verfahrens und Sachverhalt:

 

2.1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat als belangte Behörde nach Übermittlung der Beschwerdeschrift samt Beilagen durch den Oö. Verwaltungssenat mit der Gegenschrift vom 10. Juli 2007 die Stellungnahme (Gedächtnisprotokoll) des Dr. F O vom 4. Juli 2007 zur Situation in der Nacht am 31. März 2007 vorgelegt. Die belangte Behörde äußerte die Ansicht, dass sich aus diesen Unterlagen der Sachverhalt betreffend Untersuchung, zwangsweise Einweisung und anschließende Unterbringung im Wesentlichen unstrittig darstelle. Sie geht in ihrer Gegenschrift zum Sachverhalt von der schriftlichen Darstellung des Gemeindearztes aus, die unter Punkt 2.2. wörtlich wiedergegeben wird.

 

In rechtlicher Hinsicht vertritt die belangte Behörde die Ansicht, dass der behandelnde Arzt sehr wohl begründet die ärztliche Bescheinigung nach § 8 UbG ausgestellt habe. Das Verhalten der Betroffenen wäre inhaltlich so eindeutig gewesen, dass für ihn konkrete Ansatzpunkte für das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen gegeben gewesen wären. Auf Grund der vom Arzt durchgeführten Untersuchung, der Geschehnisse an Ort und Stelle und des Verhaltens der Bfin ergebe sich für die Behörde der Schluss, dass die für die Unterbringung nötigen Voraussetzungen gegeben gewesen wären und daher keine Verletzung der subjektiven Rechte der Bfin stattgefunden hätte. Abschließend wird die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

 

2.2. Die eingeholte Stellungnahme des Gemeindearztes lautet:

 

"An BH. Vöcklabruck                                                                                       Dr. O F

 Sanitätsabteilung                                                                                           F

                                                                                                                                    B

 

 

 

 

Betreffend: Darstellung der Situation in der Nacht 31.3.2007, Barier Einweisung der Patientin Frl. K S. Geb..

 

 

In der Nacht vom Samstag 31.3.2007 auf Sonntag wurde ich durch die Mutter der Patientin sehr aufgeregt angerufen: "Doktor helfen sie uns, kommen sie schnell, die S dreht durch und will uns alle umbringen....." Bei Ankunft stellte sich die Situation folgend dar:

 

Frau K U, die Mutter der Patientin zeigte mir eine tiefe Fleischwunde am Unterarm, so als hätte ein Tier die Muskulatur herausgebissen, und erzählt mir, dass die Patientin K dies ihr zugefügt hätte. Frl. K sei dzt. völlig durcheinander, kenne sich nicht aus und schlage die Wohnung zusammen. Akut sei Sie Richtung Garten in die Nacht weggelaufen....."

 

Da mir die Krankengeschichte  der Patientin, die früher in F, B wohnte sehr gut bekannt ist/

 

(vordiagnostizierte paranoide Schizophrenie, Cannabisabusus,  stp. Suizidversuch mit Sprung aus dem Fenster 6/2005 mit Mehrfachfrakturen der Becken- Beinregion bds.)

letztem stationärem Aufenthalt an der Psychiatrie Vöcklabruck 24-27.2.07,

(In verwirrtem Zustandsbild durch Polizei am Pannenstreifen auf der Autobahn aufgegriffen)

 

- habe ich die Situationsbeschreibung der Mutter sehr ernst genommen und mich Richtung Garten auf die Suche nach der Patientin gemacht. Kurz darauf finde ich Frl. K im Wohnzimmer wieder, in das sie über die Terrassentür gelangt war. Die Patientin erkennt mich wieder. Wir setzen uns auf das Sofa und ich versuche auf Frl. K beruhigend einzureden, da sie sehr gedankenflüchtig und fahrig wirkt, umherläuft und immer wieder in aggressive Verbalinjurien verfällt.

 

.... Sie sei in V gewesen, wegen ihres Hundes, dieser sei am Bein verletzt.... ein weißer Hund, der draußen herumläuft.... dann wechselt Frl. K und erzählt sie selber sei am Bein verletzt und es tue ihr weh. Sie selbst sei ein weißer Hund und habe manchmal Hunger nach Fleisch..... Als die Mutter, Frau K das Zimmer betreten will, eskaliert die Situation und Frl. K schlägt einen deutlich aggressiveren Ton an, sodass ich Frau K bitte draußen zu warten.

 

Frl. K zeigt auf wiederholtes Fragen nach der derzeitigen Medikamenten- und Drogen Einnahme keinen Realitätsbezug und bleibt weiter sehr gedanken- und ideenflüchtig.

Sie will auch wiederholt nun hinaus ihren Hund suchen, ....keiner wolle sie mehr haben... ... keiner liebe sie mehr wirklich .... alles hat keinen Sinn....

 

Da die Medikamente, die vom Krankenhaus verordnet wurden scheinbar nicht eingenommen wurden, entschließe ich mich zur stationären Einweisung. Da zu diesem Zeitpunkt kein Realitätsbezug der Patientin bestand und sie auch nicht einer freiwilligen stationären Aufnahme zustimmt, erfolgt wegen Fremd- und Selbstgefährdung der Entschluss zur Barier – Einweisung.

 

Telefonisch halte ich Rücksprache mit der Psychiatrie V und schildere die Situation. Das KH lehnt jedoch eine direkte Aufnahme aus Platzgründen ab, auch sei Frl. K im Bezirk B gemeldet und dort zuständig. Darauf hin melde ich die Patientin bei der diensthabenden Ärztin in B als Barier Einweisung an, um einen reibungslosen Transport zu garantieren. Auch im Rahmen dieses Gespräches wird die vorgefundene Situation meinerseits ausführlich geschildert. (Auf der schriftlichen Einweisung habe ich mich nur mehr auf das äußerst Notwendigste beschränkt.) Da die Patientin zu diesem Zeitpunkt nur dadurch einigermaßen zu führen ist, indem man ihren wechselnden Gedankensprüngen nachgibt, dies jedoch während der Fahrt mit dem RK nicht sichergestellt ist, entschließe ich mich zu einer milden Sedierung der Patientin, während des doch sehr langen Transportes nach B. (da ich mich auch für die Freiwilligen Helfer der RK verantwortlich fühle)

 

Das Beiziehen der uniformierten Polizei erschein mir zu diesem Zeitpunkt nicht sehr zielführend, da immer wieder sehr aggressives Verhalten bei der Patientin durchbrach sobald Störung der Untersuchungssituation (Arzt – Patient) eintrat.

 

Zudem ist das Beiholen der Exekutive am Land, während der Nacht sehr schwer und mit sehr langer Wartezeit (bis zu ¾ Stunde) verbunden, da der Posten Frankenburg nachts nicht ständig besetzt ist.

 

Situationsbedingt erkläre ich also der Patientin, nach Abfragen etwaiger Allergien, dass die Patientin nun eine Spritze bekommen wird, die sie müde machen wird, und auch die Schmerzen im Bein, dass sie verspüre, vergessen lassen wird. (Einschub: Das Bein wurde während der Untersuchung auch auf Verletzungen untersucht, wobei keine akute Therapie erforderlich war.) Ich erkläre Frl. K auch, dass sie nun ins KH. B gebracht wird, wo man ihr sicherlich sowohl von Seiten des Beines, als auch der psychischen Gesamtsituation her helfen wird können.

 

Bereitwillig lässt sich Frl. K daraufhin ca. 8 mg Dormicum langsam iv. in die rechte Cubitalvene spritzen und schläft ein. Das Rote Kreuz wird informiert und Frau K in müdem aber ständig weckbarem Zustand ins KH B verbracht.

 

Ende des Gedächtnisprotokoll

 

Ich glaube in meiner Vorgangsweise dem Wohl der Patientin gedient zu haben, auch wenn Frl. K dies dzt. anders empfindet. Ich bedaure den gerichtlichen Misston zwischen der Patientin und mir sehr, sehe aber kein Fehlverhalten in meiner Handlungsweise am Abend des 31.03.2007.

 

                                                                        Hochachtungsvoll

                                                                        Dr. O F jun.

                                                                        Gemeindearzt, F"

 

2.3. Der Patientenanwalt legte mit der Beschwerde das undatierte, von Dr. O handschriftlich ausgefüllte Formular "Einweisung zur Anstaltspflege" in Ablichtung vor. Unter der Rubrik "Einweisung in das" schrieb der Arzt lediglich folgenden Vermerk:

 

                                    "(BARIER EINWEIS)

"Raptus bei Psychose; Stp-

Suizidversuch (2005).

: iv: 10 mg Dormicum /."

 

Im vorgelegten ärztlichen Aufnahmeblatt des A.ö. Krankenhaus S, Klinik für Psychische Gesundheit ("Psych1PSY"), wird handschriftlich von der Fachärztin Dr. J S angeführt:

 

"Anlass der Aufnahme:

Pat kommt mit Rettung, durch HA eingewiesen. Seit Tagen psychotisch, gestern von Freund weggewiesen; wegen Fußschmerzen ins KH V gefahren – noch vor Rö-ko davongelaufen. Aggressiv dem Freund, dem Taxifahrer, später der Mutter gegenüber (hat die Mutter in den Arm gebissen, mit Umbringen gedroht).

 

Psychopath. Befund:

"Psychomot. sehr unruhig, aggressiv, verbal nicht zugänglich, schreit, droht. Vermutlich paranoide Inhalte ! Gedankenduktus eingeengt. Nicht affizierbar. Anamnestisch massive Fremdgefährdung Vorbekannter Suizidversuch, Selbstgefährdung nicht auszuschließen.

Patientin hat Medikamente abgesetzt.

Einweisungsdiagnose: Raptus bei Psychose

Vorläufige Diagnose: Akute Exazerbation bei Drogen induzierte Psychose"

 

Nach der vom Patientenanwalt ergänzend vorgelegten Krankengeschichte geht diese Diagnose auch aus den beiden fachärztlichen Zeugnissen gemäß § 10 UbG für die Unterbringung der Bfin hervor. Diese wurde gegen ihren Willen in der Psychiatrie am 31. März 2007 untergebracht und bis 1. Mai 2007 stationär behandelt. In dem dann vom Facharzt Dr. S unterzeichneten Kurzarztbrief vom 30. April 2007 wird schließlich "paranoide schizophrene Störung" als Diagnose genannt.

 

2.4. Nach dem Protokoll des Bezirksgerichts Braunau vom 3. April 2007 über die Erstanhörung der Bfin im Unterbringungsverfahren zu Zl. 3 Ub 113/07d gab die Bfin zum gegenständlichen Vorfall zusammengefasst an, dass sie in ihrem Haus in der B, F, mit der das Wohnrecht habenden Mutter eine tätliche Auseinandersetzung hatte. Diese wäre wegen Meinungsverschiedenheiten auf die Bfin los gegangen, hätte ihr ein paar Watschen herunter gehaut und sie an den Haaren gezogen. Bei dem Handgemenge hätte sie ihre Mutter in Notwehr gebissen. Ihrerseits wären einige Büschel Haare drauf gegangen. Die Mutter hätte ihren Lebensgefährten zu Hilfe gerufen und schließlich wäre der Hausarzt Dr. O gekommen, der ihren schmerzenden Fuß verarzten wollte. Er habe gesagt: "Das mit dem Fußi werden wir schon hinkriegen, da gibt's jetzt ein kleines Spritzerl". Er hätte ihre eine Spritze gegeben und sie hätte sich daraufhin "im perfekten abtransportfähigen Valiumzustand" befunden. Von da an wüsste sie nichts mehr.

 

Zu ihrem Zustand zeigte sich die Bfin uneinsichtig. Sie fühlte sich gesund und wäre in keiner Weise krank. In der Klinik nähme sie nur Medikamente, weil sie müsste. Das einzige Problem wäre, dass sie unterernährt sei. Sie würde deshalb am ganzen Körper zittern. Sie käme damit aber auch alleine zurecht. Sie nähme auch seit 13. Februar 2007 keine Drogen mehr. Sie hätte nur Cannabis geraucht und keine harten Drogen genommen.

 

Nach Stellungnahme des behandelnden Facharztes Dr. S verkündete der Bezirksrichter mit Beschluss, dass die Unterbringung der Bfin vorläufig für zulässig erklärt werde. Die Entscheidung wurde zu Protokoll wie folgt begründet:

 

"Bei der Patientin wurde eine paranoide schizophrene Störung diagnostiziert. Im Vorfeld war diese Störung unbehandelt. Die Patientin nahm keine Medikamente mehr ein. Im Drogentest ergaben sich Hinweise auf Cannaboide. Derzeit ist sie im Antrieb noch gesteigert. Sie ist in ihrem Denken und Handeln desorganisiert und ihre Gedanken müssen zunächst geordnet werden. Aufgrund der Desorganisiertheit besteht die Gefahr von raptusartigen Entscheidungen. Die Patientin hat die Behandlung im offenen Bereich selbst abgebrochen. Sollte die Störung unbehandelt bleiben, besteht die Gefahr, dass es neuerlich zu Konflikten mit der Mutter kommt, insbesondere im Hinblick auf das Wohnrecht der Mutter im Haus der Patientin. Es besteht weiters die Gefahr, dass es zu einer Chronifizierung der Psychose kommt. Es kann zu einem Residualsyndrom mit Entwicklung erheblicher kognitiver Störung bis hin zur Demenz kommen. Es ist derzeit auch keine Absprachefähigkeit gegeben. Entgegen ihrer Zusage rief sie zuletzt ständig den Notruf der Polizei an. Derzeit erfolgt die Akutbehandlung. Die Patientin wird auf die richtige Medikamentendosis eingestellt. Derzeit sind keine Alternativen zur Behandlung im geschlossenen Bereich ersichtlich."

 

3. Der unabhängige Verwaltungssenat vertritt ebenso wie die belangte Behörde die Ansicht, dass der wesentliche Sachverhalt auf Grund der Aktenlage nicht strittig erscheint. Insoweit kann großteils auf die Sachverhaltsschilderung in der Beschwerde und die obige Darstellung verwiesen werden. Einen gewissen Unterschied in der Akzentuierung sieht der Oö. Verwaltungssenat im Zusammenhang mit der Verabreichung des Schlafmittels zur Sedierung der Bfin. Darüber berichtet Dr. O im Gedächtnisprotokoll vom 4. Juli 2007 – also mehr als drei Monate nach dem Einweisung am 31. März 2007 – über seine Vorgangsweise doch in etwas abgeschwächter Form. Bereitwillig hätte sich die Bfin ca 8 mg Dormicum in die rechte Cubitalvene spritzen lassen, nachdem er ihr angeblich ein Verbringen ins Krankenhaus B in Aussicht gestellt hatte, wo man ihr sowohl beim Bein als auch von ihrer psychischen Gesamtsituation her helfen werde können.

 

Aus der sich rechtfertigenden Sicht des Gemeindearztes, wonach er nur dem Wohl der Patientin gedient habe und in seiner Handlungsweise kein Fehlverhalten sehen könne, erscheint diese Aussage psychologisch verständlich. Bei unbefangener Betrachtung kann diese milde Darstellung, die beinahe Freiwilligkeit der Bfin suggeriert, für objektiv nicht ganz zutreffend angesehen werden. Dies folgt nicht nur aus den Angaben der Bfin bei der gerichtlichen Erstanhörung, sondern auch aus dem ärztlichen Aufnahmeprotokoll der Klinik für psychische Gesundheit, in dem die Bfin als aggressiv, uneinsichtig und zunächst nicht behandelbar beschrieben wird. Selbst Dr. O hat in seinem Gedächtnisprotokoll einige Absätze zuvor noch im Zusammenhang mit seinem Entschluss zum "BARIER EINWEIS" (gemeint wohl: Einweisung mittels PARERE) der Bfin betont, dass kein Realitätsbezug der Bfin bestanden und sie auch einer freiwilligen stationären Aufnahme nicht zugestimmt habe. Offenbar deshalb und weil er sich für die Helfer des Roten Kreuzes während des doch sehr langen Transportes nach B verantwortlich fühlte, habe er sich zu einer "milden Sedierung" (Anm. am Einweisungsformular sind noch 10 mg und nicht 8 mg Dormicum vermerkt) der Patientin entschlossen.

 

Zusammenfassend ist nach Ansicht des Oö. Verwaltungssenats davon auszugehen, dass die Bfin der stationären Einweisung nicht zugestimmt hätte, weshalb Dr. O den "BARIER EINWEIS" gegen den Willen der Bfin mittels medikamentöser Sedierung (Beruhigung oder Ruhigstellung) beschloss, um sich die Beiziehung der uniformierten Polizei zu ersparen und Probleme mit der renitenten Bfin auf der langen Fahrt ins Krankenhaus B zu vermeiden. Dabei kam ihm entgegen, dass die Bfin Schmerzen im Bein hatte und sich deshalb "bereitwillig" ein Medikament intravenös in der Meinung verabreichen ließ, es wäre ein Schmerzmittel. Der Gemeindearzt musste seiner Ansicht nach die in der vorgefundenen Konfliktsituation mit der Mutter nur schwer führbare Bfin in ihrem eigenen Interesse und zur Bereinigung der Lage über seine wahren Absichten täuschen, weil sie sich freiwillig nicht hätte in die Psychiatrie einweisen lassen.

 

4. In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, 74).

 

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (vgl mwN Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 8. A, 1996, Rz 610).

 

In der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts sind Beschwerden gegen die zwangsweise Einlieferung in psychiatrische Krankenanstalten schon vor dem Unterbringungsgesetz als zulässig angesehen worden (vgl VfSlg 8.180/1977 und VfSlg 11.784/1988, VwSlg 12.302 A/1986 und VwGH 17.6.1987, 85/01/0094). Der Verwaltungsgerichtshof hat diesen Standpunkt in VwSlg 13.994 A/1994 auch für das Unterbringungsgesetz (UbG) aufrechterhalten und einige grundlegende Unterscheidungen getroffen, denen sich der Verfassungsgerichtshof angeschlossen hat (vgl VfGH 8.3.2001, B 1723/00-9). Nach dem § 18 UbG ist Gegenstand des gerichtlichen Prüfverfahrens die Zulässigkeit der Unterbringung (iSd § 2 UbG) des Kranken in der Anstalt. Eine Unterbringung liegt vor, sobald eine in eine Anstalt eingelieferte Person durch Anstaltspersonal Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen wird (vgl näher VwSlg 13.994/1994). Somit erstreckt sich die gerichtliche Kontrollbefugnis nicht auch auf die der Unterbringung vorangegangenen sicherheitsbehördlichen Maßnahmen. Deren Überprüfung fällt vielmehr in die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate. Unzulässig sind dagegen Maßnahmenbeschwerden gegen Anstaltsakte.

 

Die gegenständliche Einlieferung der Bfin in das A.ö. Krankenhaus S in B erfolgte zumindest ohne ihren Willen. Sie war auf Grund eines zuvor bei der Untersuchung vom Gemeindearzt verabreichten Sedativs nicht mehr in der Lage physischen oder psychischen Widerstand zu leisten, hätte aber auch nach Darstellung des Gemeindearztes ihrer Überstellung ins Krankenhaus sicher nicht zugestimmt. Es war nicht die Entscheidung der Bfin, sondern die des Gemeindearztes, eines im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arztes, dass die Bfin in eine psychiatrische Abteilung eingewiesen und dort untergebracht werden soll. Nach Ansicht des erkennenden Mitglieds ist die Überwindung bzw Vermeidung eines erwarteten Widerstandes durch Sedierung der Ausübung physischen oder psychischen Zwanges gleichzuhalten. Es liegt daher nicht nur eine Zwangsbehandlung, sondern insgesamt eine Zwangsmaßnahme vor, die als solche und hinsichtlich ihrer Begleitumstände der Überprüfung durch die unabhängigen Verwaltungssenate unterliegt. Wenn die Einlieferung direkt durch Dritte, wie hier durch den Rettungsdienst des Roten Kreuzes, auf Grund einer in Eigenverantwortung des Gemeindearztes ausgestellten Bescheinigung erfolgt, ist auch die Tätigkeit dieser Verwaltungshelfer der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde zuzurechnen (vgl Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 [2005] Rz 154). Dem Beschwerderecht unterliegen sämtliche Kriterien der §§ 8 und 9 UbG (vgl Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz [1993], 33, Anm 7 zu § 9).

 

4.2. Gemäß § 8 UbG darf eine Person gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine Anstalt gebracht werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt sie untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im Einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet.

 

Als im öffentlichen Sanitätsdienst stehende Ärzte kommen neben den hauptberuflich bei den Sanitätsbehörden tätigen Amtsärzten auch Gemeinde-, Sprengel-, Kreis- und Distriktsärzte in Betracht (vgl Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz, 26, Anm 5 zu § 8).

 

Nach § 9 Abs 1 UbG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt (§ 8) zu bringen oder diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine Anstalt zu bringen oder dies zu veranlassen. Wird eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger angehalten werden.

 

Gemäß § 9 Abs 3 UbG haben der Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. Sie haben, soweit das möglich ist mit psychiatrischen Einrichtungen außerhalb einer Anstalt zusammenzuarbeiten und erforderlichenfalls den örtlichen Rettungsdienst beizuziehen.

 

Gemäß § 3 UbG, der die Voraussetzungen der Unterbringung regelt, darf in einer Anstalt nur untergebracht werden, wer

 

1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und

2. nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.

 

Voraussetzung für die Unterbringung ist demnach eine psychische Krankheit verbunden mit erheblicher Leibes- oder Lebensgefährdung sowie dem Fehlen ausreichender Behandlungsmöglichkeiten außerhalb einer Anstalt.

 

In VwSlg 14.706 A/1997 hat der Verwaltungsgerichtshof aus §§ 8 und 9 UbG abgeleitet, dass eine Beurteilung der Unterbringungsvoraussetzungen schon bei der Vorführung zum Arzt bzw der Verbringung in die Anstalt vorzunehmen ist. Das Gesetz lasse allerdings erkennen, dass diese Beurteilung in unterschiedlicher Intensität zu erfolgen hat. Nach § 10 Abs 1 UbG ist erst für die Aufnahme in die Anstalt die Untersuchung der betroffenen Person durch zwei Fachärzte vorgesehen, die in unabhängig voneinander erstellten ärztlichen Zeugnissen die Voraussetzungen der Unterbringung übereinstimmend  feststellen. Für die Verbringung in die Anstalt bedarf es nach § 9 Abs 2 UbG bei Gefahr im Verzug keiner ärztlichen Untersuchung und sonst gemäß § 9 Abs 1 iVm § 8 UbG nur der Untersuchung durch einen im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arztes oder durch einen Polizeiarzt, der nicht Facharzt des einschlägigen Sonderfaches sein muss.

 

4.3. Gemäß Art 5 Abs 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Absatz 1 lit a bis f) und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

 

Art 1 des PersFrSchG gewährleistet das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls auf Verfassungsebene. Nach Art 1 Abs 2 PersFrSchG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.

 

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit schützt vor willkürlichen und gesetzwidrigen Entziehungen der körperlichen Bewegungsfreiheit, wobei Grundrechtsträger alle physischen Personen, auch Minderjährige und psychisch Kranke mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit sind (vgl mwN Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007] Rz 1404).

 

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Das Recht auf Achtung des Privatlebens schützt die wesentlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Persönlichkeit und normiert damit einen Grundsatz der Selbstbestimmung (vgl Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz 1421). Art 8 EMRK schützt neben der Identität und Unverwechselbarkeit der eigenen Persönlichkeit auch die Unverletzlichkeit der körperlichen und geistigen Integrität. Deshalb fallen nicht durch Zustimmung des Betroffenen gedeckte medizinische Untersuchungen und Eingriffe (Zwangsbehandlungen) aber auch psychologische Zwangsbehandlungen unter den Schutzbereich des Art 8 EMRK (vgl mit Nachw Wiederin in Korinek/Holoubek , Bd. III, Kommentar zu den Grundrechten, Rz 34 und 41 zu Art 8 EMRK).

 

Nach dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art 8 Abs 2 EMRK ist ein Eingriff in ein Grundrecht nach Art 8 Abs 1 EMRK zulässig, wenn er gesetzlich vorgesehen, ein legitimes Ziel (ausdrücklich aufgezählte öffentliche Interessen) verfolgt und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig erscheint (vgl näher Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz 1425).

 

4.4. Die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit darf nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Grundlagen nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise erfolgen. Deshalb müssen sowohl die materiellen als auch die formellen gesetzlichen Voraussetzungen für den Entzug der persönlichen Freiheit im Einzelfall erfüllt werden. Der Oberste Gerichtshof hat dementsprechend in einem Amtshaftungsfall die Haftpflicht auch bei bloßen Verfahrensfehlern (fachärztliche Zeugnisse gemäß dem § 10 Abs 1 UbG waren entgegen § 10 Abs 2 UbG der Krankengeschichte nicht angeschlossen) trotz Erfüllung der materiellen Unterbringungsvoraussetzungen bejaht und den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens für unzulässig erklärt (vgl OGH 27.2.2001, 1 Ob 251/00v, JBl 2001, 725).

 

Im vorliegenden Fall hat der Gemeindearzt von F eine gesetzlich nicht vorgesehene Vorgangsweise bei der Einlieferung der Bfin in das A.ö. Krankenhaus S in B gewählt, indem er entgegen der Bestimmung des § 9 Abs 1 UbG nicht die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes verständigte und der Amtshandlung beizog, sondern den erwarteten Widerstand der Bfin durch Verabreichung eines Sedativs verhinderte und sie daraufhin im ruhiggestellten Zustand durch den Rettungsdienst einliefern ließ. Diese Option stand dem Gemeindearzt nach der geltenden Rechtslage nicht zu. Das Gesetz räumt ihm auch nicht die Befugnis ein, von der Beiziehung der uniformierten Polizei wegen des Verhaltens der Patientin oder weil es mit Wartezeit verbunden gewesen wäre, "als nicht sehr zielführend" abzusehen.

 

§ 9 UbG regelt die sicherheitspolizeiliche Vorführung in eine Anstalt und setzt dabei die ärztliche Untersuchung und Bescheinigung nach § 8 UbG, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, voraus. Anderen Personen und Einrichtungen als den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes kommt kein Befugnis zur zwangsweisen Einlieferung zu (vgl Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechtes2 Rz 180). Deshalb haben auch der im öffentlichen Sanitätsdienst stehende Arzt oder der Polizeiarzt nur die Bescheinigung nach § 8 UbG auszustellen und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Vorführung in die Anstalt zu überlassen. Eine gleich geordnete Befugnis, die Vorführung zu veranlassen, kommt dem Arzt nicht zu.

 

Die Regelung des § 9 UbG betreffend das Zusammenwirken von Sicherheitsorganen und dem Arzt, der eine Bescheinigung nach § 8 UbG ausstellt, hat nach Ansicht des Oö. Verwaltungssenats den Sinn, zum Schutze des Betroffenen eine Art Gewaltenteilung vorzusehen, damit ex ante eine möglichst objektive Entscheidung über die die Freiheit beschränkende Maßnahme der Einlieferung in ein psychiatrisches Krankenhaus getroffen werden kann. Diesem Gesetzeszweck widerspricht die gegenständliche Vorgangsweise, bei der der Gemeindearzt eigenmächtig die Entscheidung nach § 9 Abs 1 UbG getroffen und sich dafür auch noch selbst gemäß § 8 UbG die Voraussetzungen für die Unterbringung bescheinigt hat.

 

4.5. Beim gegebenen Sachverhalt steht auch fest, dass der Gemeindearzt Dr. O keine den Anforderungen des § 8 UbG entsprechende Bescheinigung ausgestellt hat und dennoch eine Zwangseinweisung der Bfin in die Wege leitete. Im § 8 Satz 2 UbG ist im Unterschied zum früheren "Parere" nach dem § 49 KAG eine detaillierte Begründungspflicht über die Voraussetzungen der Unterbringung vorgesehen, die eine Nachvollziehbarkeit und Überprüfung ermöglichen soll (vgl dazu unter Auswertung des JAB Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz, 28, Anm 10 und 11 zu § 8). Bloße formularmäßige Bescheinigungen genügen diesen Anforderungen auch dann nicht, wenn sie ausdrücklich als "Parere" bezeichnet werden. In einer Bescheinigung nach § 8 UbG muss im Hinblick auf § 3 UbG vielmehr festgehalten werden, aus welchem Verhalten eine psychische Krankheit abzuleiten ist, worin die ernstliche und erhebliche Gefährdung besteht und warum keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten zur Anstaltseinweisung möglich sind (vgl zum Ganzen näher Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 166 ff).

 

Die Zwangseinweisung in die Psychiatrie kommt nur als letztes Mittel in Frage, wenn die Unterbringungsvoraussetzungen iSd § 3 UbG erfüllt sind. Es gilt der Grundsatz der Subsidiarität der Unterbringung, der bereits im Vorfeld der Aufnahme des Kranken zu beachten ist (vgl Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz, 28, Anm 11 zu § 8). Deshalb verpflichtet § 9 Abs 3 UbG den Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit psychiatrischen Einrichtungen außerhalb einer Anstalt zusammenzuarbeiten. Gegebenenfalls sind daher psychosoziale Dienste oder ähnliche Einrichtungen zu kontaktieren.

 

Das vom Gemeindearzt in unkorrekte Weise verwendete gewöhnliche sozialversicherungsrechtliche Formular "Einweisung zur Anstaltspflege" – deshalb ist im Aufnahmeblatt des A.ö. Krankenhauses S, Klinik für psychische Gesundheit, fälschlicherweise auch nur von einer angeblichen Einweisung durch den Hausarzt die Rede – enthält keine ausreichende Begründung zur Notwendigkeit der Unterbringung. Es wird nur "Raptus bei Psychose" und "Suizidversuch (2005)" angeführt. Mit diesen Stichwörtern hat der Gemeindearzt noch nicht schlüssig eine akute psychische Krankheit dargelegt, bei der eine ernstliche und erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung (§ 3 Z 1 UbG) bestand. Über alternative Behandlungsmöglichkeiten iSd § 3 Z 2 UbG wurde überhaupt kein Wort verloren.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat der dargelegten Begründungspflicht nach § 8 Satz 2 UbG entscheidungswesentliche Bedeutung beigemessen und die Einlieferung auf der Grundlage einer den gesetzlichen Anforderungen nicht genügenden Bescheinigung als rechtswidrig angesehen (VwGH 27.11.2001, Zl. 2000/110320; VwGH 8.8.2002, Zl. 99/11/0327 = ZfVB 2004/155). Der detaillierten Begründungspflicht wird weder durch Ankreuzen von Begründungsfloskeln noch durch lapidare Hinweise auf die Diagnose oder auf Selbstgefährdung entsprochen. Die rechtlich fehlerhafte Bescheinigung hat nicht nur die Rechtswidrigkeit der Untersuchung, sondern auch die der Verbringung in die Anstalt zur Folge, wobei es auf die Sachlage zur Zeit des bekämpften Verwaltungshandeln ankommt; sog. ex ante Perspektive (vgl Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 168 und Rz 178 f).

 

4.6. Schließlich ist die Beschwerde auch mit ihrer Kritik im Recht, dass der Gemeindearzt Dr. O durch die intravenöse Verabreichung des Einschlafmittels Dormicum eine rechtswidrige Zwangsbehandlung vorgenommen hat. Denn das Unterbringungsgesetz enthält für das Stadium der Untersuchung und Vorführung keine Ermächtigung zur zwangsweisen Heilbehandlung oder auch nur zur Zwangsbehandlung durch medikamentöse Ruhigstellung des Patienten (vgl; Kneihs, Die "tobende Psychose" und die Rolle des Rettungsdienstes, RdM 2005, 31 ff, 37; Kopetzky, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 151). Eine Behandlung gegen den erklärten oder erkennbaren Willen des Betroffenen ist auch im Hinblick auf § 110 Abs 2 StGB, der die eigenmächtige Heilbehandlung nur bei ernstlicher Leibes- oder Gesundheitsgefahr im Notfalle erlaubt, unzulässig.

 

Es war daher schon nach dem Unterbringungsgesetz rechtswidrig, dass der Gemeindearzt der Bfin eine Beruhigungsspritze gegen ihren erkennbaren Willen gegeben hat. Außerdem greift diese Behandlung ohne die wirksame Zustimmung der Bfin in ihr Recht auf Privatleben nach dem Art 8 Abs 1 EMRK ein, weil medizinische Eingriffe unter die durch den Vorbehalt der Selbstbestimmung geschützte Privatsphäre fallen und eine gesetzliche Grundlage iSd Art 8 Abs 2 EMRK für eine Ausnahme nicht vorliegt.

 

4.7. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die gegenständliche Einlieferung der Bfin durch den Gemeindearzt trotz nachträglicher Bestätigung der materiellen Unterbringungsvoraussetzungen im A.ö. Krankenhaus S in B aus formellen Gründen rechtswidrig war, zumal die vom Gemeindearzt gewählte Vorgangsweise dem Unterbringungsgesetz widersprach. Der Gemeindearzt ging eigenmächtig vor, verständigte nur den Rettungsdienst und nicht die zur Vorführung allein befugte Polizei, stellte eine dem § 8 UbG nicht entsprechende Bescheinigung aus und sedierte die Bfin ohne ihre Zustimmung, damit sie auf der langen Fahrt bis nach B keinen Widerstand leisten konnte.

 

Durch diese Vorgangsweise wurde die Bfin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) gemäß Art 5 Abs 1 EMRK und nach Art 1 Abs 1 und 2 iVm Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrSchG verletzt, weil nach diesen Verfassungsbestimmungen der Entzug der persönlichen Freiheit nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise erlaubt ist. Außerdem ist eine Verletzung der Bfin in ihrem Selbstbestimmungsrecht nach Art 8 Abs 1 EMRK anzunehmen.

 

5. Gemäß § 79a Abs 1 AVG hat die im Verfahren nach § 67c AVG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei (§ 79a Abs 2 AVG). Nach § 79a Abs 6 AVG ist Aufwandersatz nur auf Antrag der Partei zu leisten. Gemäß § 79a Abs 7 AVG gelten die §§ 52 bis 54 VwGG auch für den Aufwandersatz im Maßnahmenbeschwerdeverfahren.

 

Als Aufwendungen gelten neben den Stempel- und Kommissionsgebühren sowie den Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat (§ 79a Abs 4 Z 1 AVG), auch die durch Verordnung des Bundeskanzlers im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates festzusetzenden Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und Vorlageaufwand (§ 79a Abs 4 Z 3 AVG).

 

Nach der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2003 (BGBl II Nr. 334/2003) gebühren der obsiegenden Bfin für ihren Schriftsatzaufwand 660,80 Euro. Daneben sind Stempelgebühren nach § 14 TP 5 und TP 6 Gebührengesetz 1957 idgF für die Beschwerde (Eingabengebühr 13,20 Euro), 2 Beilagen kurz (2 x 3,60 = 7,20 Euro) und 1 Beilage zu 2 Bögen (2 x 3,60 = 7,20) sowie für das über Aufforderung vorgelegte Beilagenkonvolut "Krankengeschichte" (21,80 Euro) angefallen. Insgesamt hat die Bfin daher für Stempelgebühren von 49,40 Euro aufzukommen, die ihr im Wege der Kostenentscheidung zu ersetzen sind. Es war ihr demnach ein Aufwand in Höhe von insgesamt 710,20 Euro zuzusprechen und der Bund als der funktionell zuständige Rechtsträger zum Aufwandersatz zu verpflichten.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1.Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 49,40 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Dr. W e i ß

 

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