Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-400930/4/Gf/Ga

Linz, 27.01.2008

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des russischen Staatsangehörigen R I, vertreten durch RA Dr. L B, gegen seine Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck zu Recht erkannt:

 

 

I.        Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird festgestellt, dass die bisherige Anhaltung des Beschwerdeführers rechtswidrig war und zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine für eine weitere Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft maßgeblichen Gründe vorliegen.

 

II.      Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshaupt­mann von Vöcklabruck) hat dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von 660,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG; § 83 FPG; § 79a AVG; § 1 UVS-AufwandsersatzVO.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Der Beschwerdeführer ist am 5. Dezember 2007 ohne gültigen Reisepass und Sichtvermerk sowie ohne Bargeld von Polen aus kommend gemeinsam mit seiner Ehegattin und seinem minderjährigen Sohn ins Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag einen Asylantrag eingebracht.

 

Zuvor hatte er – wie mittels Fingerabdruckabgleiches festgestellt werden konnte –bereits in Polen einen Asylantrag gestellt. Da er jedoch in seiner Heimat den Tod fürchten müsse und sich auch in Polen nicht sicher gefühlt habe, habe er beschlossen, zu seinen Verwandten nach Wien (eine Großmutter, zwei Tanten und ein Onkel) weiterzureisen.

 

1.2. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 14. Dezember 2007, Zl. Sich40-3420-2007, wurde über den Rechtsmittelwerber zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie deren Vollstreckung im Wege der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Über­stellung in das PAZ Linz sofort vollzogen.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass er durch das mehrfache Stellen eines Asylantrages dokumentiert habe, dass er in Wahrheit nur ein Aufenthaltsrecht und eine Grundversorgung für sich und seine Familie erschleichen wolle. Es sei jedoch offenkundig, dass sein Asylantrag mangels Zuständigkeit österreichischer Behörden zurückzuweisen sein wird. Daraus lasse sich insgesamt ableiten, dass er sich offenbar einer Abschiebung nach Polen entziehen wolle. Da er über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet und über keinerlei finanzielle Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verfüge, sei zu befürchten, dass er sich – in Freiheit belassen – dem im Zuge der Abschiebung erforderlichen zwangsweisen behördlichen Zugriff zu entziehen versuchen werde. Die Gesamtheit seiner Verhaltensweise (illegale Einreise, Verschleierung des tatsächlichen Aufenthalts­zweckes, Mittellosigkeit, Gleichgültigkeit gegenüber dem polnischen Asylverfahren, Verhinderung der Ausweisung) lasse sohin einen akuten Sicherungsbedarf erkennen, weshalb zur Sicherung des Ausweisungsverfahrens die Schubhaft zu verhängen gewesen sei.

 

1.3. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am 24. Jänner 2008 beim Oö. Verwaltungssenat eingegangene Beschwerde.

 

Darin wird vorgebracht, dass der Umstand, dass sich der Rechtsmittelwerber freiwillig zur Asylbehörde begeben und dort seine Dokumente vorgelegt habe, unmissverständlich deutlich mache, dass keine Rede davon sein könne, dass er sich dem Zugriff der Behörde zu entziehen versuchen werde. Die Trennung von seiner Familie stelle jedenfalls eine Verletzung seines Grundrechts auf Familienzusammen­gehörigkeit gemäß Art. 8 MRK dar. Außerdem verstoße die Anhaltung des Beschwerdeführers, der in Tschetschenien mittels Elektroschocks gefoltert worden und daher psychisch schwer gestört sei, gegen Art. 3 MRK. Demgegenüber fänden sich im Schubhaftbescheid keine echten Begründungen für einen Sicherungsbedarf, sondern nur eine Reihe von haltlosen Unterstellungen.

 

Die Verhängung der Schubhaft erweise sich sohin als unverhältnismäßig, weshalb die kostenpflichtige Feststellung von deren Rechtswidrigkeit beantragt wird.

 

1.4. Die belangte Behörde hat dem Oö. Verwaltungssenat den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Außerdem wird nochmals darauf hingewiesen, dass die Ausreise des Beschwerdeführers aus Polen während des laufenden Asylverfahrens bereits die akute Fluchtgefahr für den Fall, dass dieses im Ergebnis nicht wunschgemäß abgeschlossen wird, signalisiert habe.

 

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu Zl. Sich40-3420-2007; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

 

3.1. Nach § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 157/205, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 99/2006 (im Folgenden: FPG), hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, u.a. das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

 

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und 4 FPG können auch Asylwerber u.a. zu dem Zweck festgenommen und in Schubhaft angehalten werden, wenn gegen diese ein Ausweisungsverfahren bereits eingeleitet wurde bzw. anzunehmen ist, dass deren Antrag mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werden wird.

 

Nach § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in diesem Sinne gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei dem dem Fremden bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

 

3.2. Im gegenständlichen Verfahren eines in Schubhaft angehaltenen Asylwerbers ist offenkundig, dass dessen Antrag mangels Zuständigkeit Österreichs zurückzuweisen sein wird, weil er bereits in Polen um Asyl angesucht hat. Auch die von der belangten Behörde unter Berücksichtigung aller Begleitumstände gezogene Schlussfolgerung, dass es sich beim Rechtsmittelwerber und dessen Familie in Wahrheit um sog. "Wirtschaftsflüchtlinge" handelt, ist nicht nur nicht unvertretbar, sondern geradezu auf der Hand liegend.

 

3.2.1. Da jedoch eine konkrete gesetzliche Regelung, wie die Behörden mit Wirtschaftsflüchtlingen umzugehen haben, (zumindest bislang) fehlt, muss insoweit zur Lösung der damit verbundenen Rechtsprobleme auf die allgemeinen fremdenrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden. Weil nun diesbezüglich nicht unterschieden wird, kann daher über Fremde, die formell – nämlich durch Stellung eines Asylantrages – als Asylwerber anzusehen sind, grundsätzlich auch dann die Schubhaft verhängt werden, wenn diese in Wahrheit als Wirtschaftsflüchtlinge zu gelten haben.

 

Andererseits unterliegt aber eine derartige Anhaltung – wiederum mangels bestehender Sondervorschriften – denselben Regelungen, wie sie für fremden­polizeiliche aufenthaltsbeendende Maßnahmen gelten. Dies bedeutet zum einen, dass zunächst sämtliche formellen Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegen müssen; darüber hinaus darf sich die Anhaltung – was in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen ist – nicht als eine unverhältnismäßige Maßnahme erweisen. Diesbezüglich hat der Verwaltungs­gerichtshof zB in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Recht­sprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeenden­den Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verur­teilungen und einer fehlenden Ausreise­willigkeit für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremden­polizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattge­geben.

 

3.2.2. Insgesamt besehen bewirkt so das Fehlen gesonderter, auf Wirtschafts­flüchtlinge bezogener gesetzlicher Bestimmungen in der Praxis gerade in jenen aus rechtlicher Sicht in aller Regel unproblematischen Fällen, wo diese bereits in einem anderen Staat einen Asylantrag gestellt haben, dass diese faktisch i.d.R. nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand wieder außer Landes geschafft werden können, weil die Behörden dazu verpflichtet und gleichzeitig darauf angewiesen sind, Rechtsvorschriften anwenden zu müssen, die nicht sachadäquat sind. Denn das auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußende Asylrecht hat nur die Regelung der Rechtsstellung von aus politischen, rassischen, religiösen oä Gründen verfolgten Personen zum Gegenstand, nicht aber von solchen, die ihren Heimatstaat in der Absicht verlassen, in einem anderen Staat bessere ökonomische Bedingungen vorzufinden und zu diesem Zweck auch eine Umgehung von formellen Einreisebestimmungen, einen Missbrauch des Asylrechts ua in Kauf nehmen.

 

Mangels (bislang) anders lautender Rechtsvorschriften ist jedoch allein der Umstand, dass sich ein Fremder in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich verhält, diesem nur dann und selbst in jenem Fall nur insoweit anlastbar, als dies entsprechend gesetzlich vorgesehen ist. So kann z.B. wegen illegaler Einreise ins Bundesgebiet eine Verwaltungsstrafe verhängt, ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, ein Asylantrag mangels Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, etc. – es können also Einzelmaßnahmen gesetzt werden, die jedoch seitens der Fremdenbehörde stets nur situationsangepasst  zum Einsatz gebracht werden können und damit auch keine Gewähr dafür bieten, dass sie (isoliert oder in ihrem Zusammenwirken) das beabsichtigte Ziel auch tatsächlich erreichen.

 

3.2.3. Diese dargestellte – zudem unter der Kautel des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die Handlungen der Behörde bei sonst drohendem Grundrechtseingriff stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, stehende – Rechtslage bedingt zunächst, dass, wie sich aus dem zuvor angesprochenen VwGH-Erkenntnis ergibt und auch der Beschwerdeführer zutreffend vorbringt, eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig ist. So darf z.B. aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht schon a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen finanziellen Mittel durch illegale Arbeit beschaffen wird; und aus dem Nichtvorhandensein eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes nicht darauf, dass er sich (allein deshalb) dem behördlichen Zugriff entziehen wird; und aus einer Einreise ohne die hiefür erforderlichen Dokumente darauf, dass er eine gegenüber der Rechtsordnung des Aufnahmestaates generell ablehnende oder zumindest gleichgültige Haltung einnimmt; etc.

 

Vielmehr muss die Fremdenbehörde, wenn sie – wie gegenständlich – als eine von mehreren Maßnahmen zur Außerlandesschaffung eines Fremden die Schubhaft anordnet, in jedem Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen für diese gewählte aufenthaltsbeendende Maßnahme, sodann den aktuellen Sicherungsbedarf und schließlich noch konkret begründen, weshalb keine gelindere, in gleicher Weise zur Zielerreichung geeignete Maßnahme zum Tragen kommen konnte.

 

3.3. Im vorliegenden Fall wurde die Verhängung der Schubhaft auf § 76 Abs. 2 Z. 2 und Z. 4 FPG gestützt. Dies setzt voraus, dass entweder gegen den Fremden bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde (Z. 2) oder dass anzunehmen ist, dass sein Asylantrag zurückgewiesen werden wird (Z. 4).

 

Da nach § 27 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005 (im Folgenden: AsylG) eine Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG – die nach Ausweis des vorgelegten Aktes am 11. Dezember 2007 an den Beschwerdeführer erfolgte – ex lege als Einleitung eines Ausweisungsverfahrens gilt, konnte die Anordnung der Schubhaft gegen den Rechtsmittelwerber – was deren prinzipielle Zulässigkeit betrifft – gegenständlich sowohl auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG, aber auch auf § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG gestützt werden, weil es offensichtlich ist, dass sein Asylantrag infolge der Zuständigkeit Polens zu dessen Behandlung in Österreich zurückzuweisen ist.

 

3.4. Im vorliegenden Fall wurde die Schubhaft sachlich betrachtet „zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung“ erlassen.

 

Letztere Alternative kann im gegenständlichen Fall aber schon deshalb nicht zum Tragen kommen, weil bis dato noch gar keine aufenthaltsbeendende Maßnahme, die bereits vollstreckbar wäre, gesetzt wurde. Vielmehr wurden diesbezüglich bloß Konsultationen mit Polen aufgenommen.

 

Es bleibt daher der im Zusammenhang mit dem Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gegebene Sicherungsbedarf zu prüfen.

 

Ein solcher ist offenkundig umso größer, je weiter fortgeschritten dieses Verfahren ist und dabei einem negativen Ausgang zustrebt: Ein Sicherungsbedarf wird daher regelmäßig – d.h., wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die eine gegenteilige Annahme rechtfertigen – dann zu bejahen sein, wenn dem Fremden ein Ausweisungsbescheid zugestellt wird, mit dem gleichzeitig die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen wird, weil ihm dann klar sein muss, dass er in kurzer Zeit zwangsweise außer Landes geschafft wird, wenn er das Bundesgebiet nicht freiwillig verlässt (bzw. verlassen kann). Aus dieser Zwangslage könnte er sich i.d.R. eben nur dadurch befreien, dass sich der Fremde dem behördlichen Zugriff entzieht, was gerade durch die Verhängung der Schubhaft verhindert werden soll.

 

Umgekehrt ist aber – gleichsam am gegenüberliegenden Pol – ein derartiges Sicherungsbedürfnis beispielsweise regelmäßig dann nicht gegeben, wenn ein Aufenthalts- oder Ausweisungsverfahren noch nicht über das Stadium der persönlichen Einvernahme eines Fremden, der sich bisher legal in Österreich aufgehalten und hier über einen Wohnsitz und ein regelmäßiges Einkommen verfügt hat, hinausgekommen ist. Bei einer im Lichte des Art. 5 MRK und des PersFrSchG verfassungskonformen Interpretation kann daher ein Bedürfnis zu „Sicherung des Verfahrens“ in § 76 Abs. 2 FPG nicht allein schon deshalb, weil ein solches Verfahren formell eingeleitet wurde, angenommen werden, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Notwendigkeit der Sicherung eines derartigen Verfahrens durch eine freiheitsentziehende Maßnahme umso größer ist, je näher sich dieses einem negativen Abschluss nähert bzw. umgekehrt aus grundrechtlicher Sicht umso weniger gerechtfertigt erscheint, je weiter es von einem derartigen Ergebnis noch entfernt bzw. dessen Ausgang überhaupt offen ist.

 

Im gegenständlichen Fall spricht gleichsam alles für einen negativen Ausgang des Verfahrens, und zwar in der Form, dass nicht eine inhaltliche Abweisung seines Asylantrages erfolgt, aber die Feststellung der Unzuständigkeit Österreichs zur Entscheidung darüber zu treffen ist. Diese ist gemäß § 5 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG ex lege mit einer Ausweisung zu verbinden. In diesem Zusammenhang wurde dem Beschwerdeführer seitens des Bundesasylamtes im Wege einer Mitteilung vom 11. Dezember 2007, Zl. 0711-346 zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt ist, dass sein Asylantrag zurückzuweisen ist, dass Konsultationen mit Polen geführt werden und diese Mitteilung als eingeleitetes Ausweisungsverfahren gilt (seitens des Fremdenbüros der Republik Polen wurde der Rückübernahme übrigens mit Schreiben vom 12. Dezember 2007, Zl. DPU-WPD-824/07-JK, dem Grunde nach zugestimmt). Weiters wurde er mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 16. Jänner 2008 zu einer ergänzenden Einvernahme zu seinem Asylantrag für den 25. Jänner 2008 vorgeladen.

 

Insgesamt besehen stellte sich daher die Situation für den Rechtsmittelwerber bis dato nicht so dar, dass er in Kürze mit einer faktischen und allenfalls auch zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen hätte. Damit besteht aber aus dessen subjektiver Sicht offenbar auch kein Grund dafür, sich dem behördlichen Zugriff zu entziehen.

 

Objektiv betrachtet liegt seit über einem Monat die Zustimmung Polens zur Rückübernahme vor. Ob sich nun faktisch dadurch Schwierigkeiten ergeben haben, dass dessen Abschiebung für den Fall, dass diese auf dem Landweg erfolgen soll, der Zustimmung eines oder mehrerer weiterer Staaten bedarf oder dass die erforderlichen Reisedokumente noch nicht vorliegen, etc. (d.h. generell gesprochen: durch die Verwaltung bedingte Schwierigkeiten) kann ihm aber ebenso wenig zum Nachteil gereichen wie der Umstand, dass möglicherweise gerade durch den Umstand seiner (ex post betrachtet: voreiligen) Inschubhaftnahme möglicherweise in der Person des Rechtsmittelwerbers eine besondere Sensibilisierung dahin eingetreten ist, dass ihm die österreichischen ebenso wie die polnischen Behörden nicht seinen Wünschen entsprechend gesonnen sind und er sich deshalb ihrem Zugriff tunlichst zu entziehen versuchen wird – ein solcherart rechtswidrigerweise begründeter Sicherungsbedarf wäre jedenfalls in gleicher Weise unbeachtlich wie die zuvor angesprochenen „Verwaltungsschwierigkeiten“.

 

In objektiver Hinsicht wurden von der Fremdenpolizeibehörde weiters die illegale Einreise, die Verschleierung des tatsächlichen Aufenthaltszwecks, die Mittellosigkeit, die in Bezug auf das polnische Asylverfahren bereits dokumentierte Flucht sowie die Absicht, sich einer Abschiebung nach Polen zu entziehen, als einen Sicherungsbedarf begründende Argumente ins Treffen geführt. Hiezu ergibt sich aus den – auch von der belangten Behörde unbestritten gebliebenen – Angaben des Beschwerdeführers im Zuge seiner asylrechtlichen Ersteinvernahme durch die Polizeiinspektion Traiskirchen (vgl. die dementsprechende Niederschrift vom 5. Dezember 2007, Zl. E1/47851/2007), dass er deshalb aus seiner Heimatstadt G in Tschetschenien geflohen sei, weil er dort Augenzeuge des Mordes an seinem Vater durch russische Besatzungssoldaten geworden sei und man deshalb seither versucht hätte, auch ihn zu beseitigen; dass er sich in der Folge auch ihn Polen nicht sicher gefühlt habe, weshalb er schließlich über Vermittlung eines Schleppers im Flüchtlingslager D für einen Betrag von 1.500 $ nach Österreich weiterreiste; dabei habe er seinen und die Reisepässe seiner Gattin und seines Sohnes bei der polnischen Asylbehörde zurücklassen müssen; außerdem gab er den Namen und die Handy-Nummer seiner in Wien wohnhaften Tante (sowie die Namen der ebendort wohnhaften Großmutter, einer weiteren Tante und eines Onkels) an, die ihn an das Flüchtlingslager Traiskirchen verwiesen habe, wo er aus eigenem vorstellig geworden sei; zu diesem Zeitpunkt verfügte er über 40 Euro Bargeld. Es trifft daher zunächst zu, dass er illegal nach Österreich eingereist ist. Er hat sich jedoch hier nicht im Untergrund verborgen gehalten, sondern noch am selben Tag im Flüchtlingslager gemeldet und zum Nachweis seiner Identität immerhin seine Geburts- und seine Heiratsurkunde vorgelegt. Ihm kann daher konkret keineswegs eine völlig ablehnende Haltung oder Gleichgültigkeit gegenüber den österreichischen Ordnungsvorschriften unterstellt werden. Auch Mittellosigkeit und fehlende Unterkunftsmöglichkeit könnten nur dann angenommen werden, wenn der Beschwerdeführer seitens der von ihm bekannt gegeben, in Wien lebenden Verwandten keinerlei finanzielle oder soziale Unterstützungsleistungen erhalten würde. Diesbezüglich oder im Hinblick darauf, ob er und seine Familie seitens öffentlicher Institutionen eine entsprechende Hilfestellung erfahren würde, hat die Behörde jedoch keine im Akt dokumentierten Ermittlungen durchgeführt. Weiters trifft zwar offenkundig zu, dass er den Ausgang des polnischen Asylverfahrens nicht abgewartet hat. Dazu ist er jedoch rechtlich ebenso wenig verpflichtet wie ihm das bereits zuvor ausführlich dargestellte Fehlen von Rechtsvorschriften zur Behandlung von Wirtschaftsflüchtlingen nicht dahin angelastet werden darf, dass er das Asylrechts missbraucht hätte – ganz abgesehen davon, dass ein derartiges Verhalten weder einen expliziten Haftgrund bildet noch dazu geeignet ist, ein Sicherungsbedürfnis zu dokumentieren.

 

Somit verbleibt als einziger Grund, der die Notwendigkeit der Anhaltung des Rechtsmittelwerbers begründen könnte, nur dessen allfällige Weigerung, einer Ausweisung nach Polen freiwillig Folge zu leisten, sodass er sich einer zwangsweisen Abschiebung dadurch zu entziehen versuchen könnte, dass er zum fälligen Zeitpunkt einen behördlichen Zugriff auf seine Person vereitelt.

 

Dafür gibt es jedoch im gegenwärtigen frühen Stadium des Ausweisungsverfahrens – wie bereits zuvor ausgeführt – weder aus subjektiver noch aus objektiver Sicht entsprechend stichhaltige Anhaltspunkte.

 

3.5. Die Schubhaftverhängung erweist sich im gegenständlichen Fall aber auch deshalb als rechtswidrig, weil sie einen Verstoß gegen Art. 8 MRK darstellt. Denn die Inschubhaftnahme bloß eines von mehreren Familienmitgliedern könnte für die übrigen nur dann eine Besserstellung bewirken, wenn dessen Anhaltung – und damit auch deren eigene – rechtmäßig ist (wäre). Selbst in diesem Fall wäre aber die Belassung der übrigen Familienmitglieder in Freiheit – weil der Behörde insoweit kein Ermessen zukommt – nicht nur rechtswidrig, sondern sie würde auch faktisch einerseits eine Trennung der Familie sowie die Herstellung einer Abhängigkeit dieser Personen von der Behörde bewirken, die in ihrer Intensität den mit einer Anhaltung verbundenen Unbillen nicht wesentlich nachsteht, weil deren Schicksal mit jenem des inhaftierten Familienmitgliedes i.d.R. ja untrennbar verbunden ist.

 

Unter dem Aspekt des Art. 8 MRK und des Art. 5 MRK – der eine explizite Anhaltung von Minderjährigen nur für Zwecke einer überwachten Erziehung zulässt (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. d MRK; s.a. Art. 2 Abs. 1 Z. 6 PersFrSchG), während sich eine implizite Anhaltung Minderjähriger allenfalls nur auf Art. 5 Abs. 1 lit. f MRK (bzw. auf Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG) stützen ließe – hat daher die Fremdenbehörde richtigerweise zunächst zu prüfen, ob gelindere Mittel zur Zweckerreichung zur Verfügung stehen, wobei ihr insofern entgegen der Ansicht der hier konkret belangten Behörde kein Ermessen zukommt, sondern dies (weil der Begriff „kann“ in § 77 Abs. 1 FPG bloß eine Zuständigkeit ausdrückt) eine Rechtsentscheidung darstellt. Sollte danach eine Anhaltung noch immer unumgänglich sein, sieht § 79 Abs. 2 und 3 FPG in diesem Zusammenhang vor, dass Minderjährige nur dann in Schubhaft angehalten werden dürfen, wenn eine ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechende Unterbringung und Pflege gewährleistet ist und dass diese i.d.R. gemeinsam mit ihren Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten anzuhalten sind. Schubhaft kann daher gegen Minderjährige und deren Eltern nur dann angeordnet werden, wenn diese eben erwähnten Voraussetzungen auch tatsächlich gegeben sind und gemäß Art. 8 MRK gleichzeitig gewährleistet ist, dass die Familienbande gewahrt bleibt, also allen – und nicht nur einzelnen oder mehreren – Familienangehörigen ein gemeinsamer und alters- sowie entwicklungsadäquater Aufenthalt in den Hafträumen gewährleistet ist. Letzteres wird dann, wenn eine Familie – wie im vorliegenden Fall, wo der Sohn des Rechtsmittelwerbers derzeit knapp 12½ Monate alt ist – auch aus Kindern (§ 21 Abs. 2 ABGB) besteht, regelmäßig nicht der Fall sein.

 

3.6. Aus allen diesen Gründen hatte daher der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG festzustellen, dass die bisherige Anhaltung des Beschwerdeführer rechtswidrig war und zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine für eine weitere Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft maßgeblichen Gründe vorliegen.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis waren dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1 und 4 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der Aufwandsersatzverordnung UVS, BGBl.Nr. II 334/2003, Kosten in Höhe von 660,80 Euro (Schriftsatzaufwand) zuzusprechen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

1.              Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

2.              Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Dr.  G r o f

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

VwGH vom 31.03.2008, Zl.: 2008/21/0179-3

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