Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-281046/5/Kl/Sta

Linz, 13.03.2008

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Ilse Klempt über die Berufung des Herrn F L, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. H, Dr. U, Mag. M, Mag. L, Dr. G, F, V, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 8. Oktober 2007, Ge96, wegen einer  Verwaltungsübertretung nach der Bauarbeiterschutzverordnung, zu Recht erkannt:

 

 

I.    Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II.   Es entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu  I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 22, 30, 45 Abs.1 Z1 und 51 VStG.

zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 8. Oktober 2007, Ge96, wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von 720 Euro, Ersatzfreiheitsstrafe von 216 Stunden, wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 130 Abs.5 Z1 und § 118 Abs.3 ASchG iVm § 90 Abs.5 BauV verhängt, weil er es als das zur Vertretung nach außen berufene Organ und damit gemäß § 9 Verwaltungsstrafgesetz verantwortlich Beauftragter der S I Gesellschaft m.b.H. mit Sitz in V zu verantworten hat, dass bei einer am 13.07.2005, vom Arbeitsinspektorat Wels auf der Baustelle der Fa. P in G, I, Umbau und Sanierung bestehender Hallen, durchgeführten Unfallerhebung festgestellt wurde, dass Arbeiten am Dach der
Halle 2 durchgeführt wurden und, obwohl die bestehenden Lichtkuppeln nicht durchtrittsicher waren, keine Sicherungsmaßnahmen gegen Absturz durch eine Lichtkuppel in das Halleninnere getroffen wurden. Die Absturzhöhe ins Halleninnere betrug mehr als 5 Meter.

Im Zuge der Arbeiten stürzte Herr D R durch eine der Lichtkuppel ca. 8,5 m ins Halleninnere und verletzte sich dabei schwer.

 

2. Dagegen wurde fristgerecht Berufung eingebracht und im Wesentlichen ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung geltend gemacht. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren eingestellt hat und daher die Tat nicht noch einmal vor der Verwaltungsbehörde verfolgt werden darf. Die Bestrafung verstoße gegen Artikel 4, 7. Zusatzprotokoll EMRK. Darüber hinaus wurde eingewendet, dass § 90 Bauarbeiterschutzverordnung auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, zumal die Dachfläche an sich absolut durchbruchsicher sei, die davon abgegrenzten Lichtkuppeln niemals aber hätten betreten werden dürfen und müssen. Es wäre auch unmöglich, hier Absturzsicherungen anzubringen. Es wurde daher die Einstellung des Strafverfahrens beantragt.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden als belangte Behörde hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Akteneinsichtnahme. Weiters wurde beim Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Grieskirchen um Mitteilung ersucht, ob und wann eine Verfahrenseinstellung gemäß § 90 StVO gegen den Berufungswerber verfügt wurde und ob die mangelnden Sicherungsmaßnahmen gegen Absturz durch eine Lichtkuppel in das Halleninnere als verletzte Schutznorm Gegenstand der Strafverfolgung waren. Die Staatsanwaltschaft Wels hat mit Schreiben vom 5.2.2008, 24 BAZ 732/05 m, mitgeteilt, "dass die Anzeige der Polizeiinspektion G, GZ., wegen § 88 Abs.1 und 4, erster Fall, StGB (Verletzter: D R) am 27.9.2005 gemäß § 90 Abs.1 StPO zurückgelegt wurde; es wurde auf Grund der Stellungnahme des Arbeitsinspektorates von einem Eigenverschulden des D R ausgegangen."

 

Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass das mit Berufung angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist, entfällt eine öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 51e Abs.2 Z1 VStG.

 

 

5. Hierüber hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1. Gemäß § 130 Abs.5 Z1 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 Euro bis 7.260 Euro zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in den nach dem 9. Abschnitt weiter geltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

 

Gemäß § 118 Abs.3 ASchG gilt die Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen als Verordnung nach diesem Bundesgesetz. Gemäß § 90 Abs.5 BauV ist, wenn die Absturzhöhe ins Innere des Bauwerkes mehr als 5 m beträgt, eine der folgenden Schutzmaßnahmen gegen Absturz zu treffen:

1. Unterdachkonstruktionen nach Abs.2 Z1,

2. Fanggerüste nach § 59 Abs.2 bis 5,

3. Auffangnetze nach § 10 Abs.2,

4. die Sicherung der Arbeitnehmer durch Anseilen, wenn geeignete Anschlagpunkte zur Verfügung stehen.

 

§ 22 VStG bestimmt, dass wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt, die Strafen nebeneinander zu verhängen sind. Das selbe gilt bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlungen.

 

Gemäß der Anordnung nach § 30 VStG sind strafbare Handlungen unabhängig von einander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und die selbe Tat begangen worden sind, wenn einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last liegen. Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

 

Dazu wird in Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren, Manz, 2. Auflage, S. 415ff, unter Hinweis auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 14696/1996) ausgeführt, dass die Vorschriften des § 22 und § 30 VStG deswegen dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 4 Abs.1 7. ZPMRK nicht widersprechen, weil § 22 VStG lediglich die Strafbemessung im Sinn des Kumulationsprinzips regelt, wenn jemand mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat, und weil § 30 Abs.1 VStG für diesen Fall die verwaltungsstrafrechtliche Regel aufstellt, dass die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen sind. Ob bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer Delikte diese insgesamt zu verfolgen sind, oder die Bestrafung nach einem Straftatbestand bei Bestrafung nach einem anderen ausschließt, ist den gesetzlichen Regelungen der materiellen Strafbestimmungen zu entnehmen, nicht jedoch § 22 und § 30 Abs.1 VStG. Diese setzen vielmehr die gesetzliche Anordnung miteinander konkurrierender und daher nebeneinander zu ahndender Strafbestände schon voraus und ordnen als Konsequenz die kumulative Verfolgung sowie die kumulative Bestrafung der mehreren Straftaten an. "Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art. 4 Abs.1 7. ZPMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann nur darin liegen, dass eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie  bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mit umfasst. Strafverfolgung bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein – und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird."

"In Fällen, in denen wie hier eine Handlung gesetzt wird, die sowohl unter die Strafdrohung des § 130 Abs.5 Z1 bzw. Abs.1 Z15 oder Z16 ASchG als auch unter die des § 80 bzw. § 88 StGB fällt, wird zwar in der Regel davon auszugehen sein, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung bzw. Tötung gemäß § 80 bzw.
§ 88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des § 130 Abs.5 Z1 bzw. Abs.1 Z15 oder Z16 ASchG vollständig erschöpft. Weder aus dem Wortlaut des
§ 130 ASchG noch aus dem Wortlaut der übrigen Bestimmungen des ASchG ergibt sich aber, dass bei der Ahndung der Delikte gemäß § 130 ASchG die Annahme einer  Scheinkonkurrenz vom Gesetzgeber ausgeschlossen wäre; diese ist vielmehr  gegebenenfalls aus dem Erfordernis, eine Gesetzesbestimmung einer – soweit möglich – verfassungskonformen Auslegung zuzuführen, geboten. Weder der bloße Wegfall der Subsidiaritätsklausel noch die von den UVS ins Treffen geführte offenbar bewusste Bedachtnahme auf mit der Verwaltungsübertretung zugleich auftretende Arbeitsunfälle oder Gesundheitsschäden in den Materialien zum ASchG lassen eindeutig darauf schließen, dass der Gesetzgeber eine Doppelbestrafung normieren wollte (VfGH 7.10.1998, G51/97. G26/98)."

 

5.2. Im Hinblick auf das gegen den Berufungswerber angestrengte Strafverfahren vor dem Bezirksgericht Grieskirchen zu 24 BAZ 732/05, wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 und 4 erster Fall, StGB, wurde dem Berufungswerber genau jenes Tatverhalten angelastet, welches auch dem Tatvorwurf des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens zu Grunde liegt. Sowohl das Verfahren vor der Staatsanwaltschaft Wels als auch das nunmehrige Verwaltungsstrafverfahren stellen auf die mit dem Arbeitsunfall des D R in direktem Zusammenhang stehende Verletzung des § 90 Abs.5 BauV ab. Es ist daher nach der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes davon auszugehen, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung den Unrechts- und Schuldgehalt des Deliktes des § 130 Abs.5 Z1 ASchG iVm § 90 Abs.5 BauV vollständig erschöpft. Mangels eines Verschuldens durch den Berufungswerber wurde aber durch die Anwaltschaft Wels von einer weiteren Strafverfolgung abgesehen. Es darf daher wegen der gegenständlich vorgeworfenen strafbaren Handlung, die bereits Gegenstand einer Strafverfolgung war, gemäß Art. 4 Abs.1 7. ZPMRK keine weitere Strafverfolgung mehr erfolgen. Ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, zumal das eine Delikt der Köperverletzung den Unrechtsgehalt des anderen Deliktes in jeder Beziehung mit umfasst.

 

Es war daher von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen, das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen.

 

6. Weil die Berufung Erfolg hatte, entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge gemäß § 66 Abs.1 VStG.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. Klempt

 

 

Beschlagwortung:

gerichtliche Strafverfolgung, Subsidiarität, Doppelbestrafung

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum