Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-400851/24/Gf/Ga

Linz, 22.04.2008

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof aus Anlass der Beschwerde des M K (alias H K), dzt. PAZ Salzburg, vertreten durch die D F GmbH, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck vom 3. bis zum 11. Oktober 2006 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als die Anhaltung des Beschwerdeführers vom 3. Oktober 2006 bis zum 11. Oktober 2006 als rechtswidrig festgestellt wird.

Rechtsgrundlage:

§ 67c Abs. 3 AVG; § 83 FPG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Nach seinem eigenen Vorbringen ist der Beschwerdeführer − entweder ein m oder ein a Staatsbürger − im Jahr 2000 von Afrika aus illegal nach Italien eingereist. Am 17. Juni 2003 habe er in Brüssel einen Asylantrag eingebracht. In Italien sei gegen ihn ein dreijähriges, bis zum 9. August 2009 gültiges Aufenthaltsverbot verhängt worden.

1.2. Am 28. September 2006 reiste er von Italien kommend und unter der Identität "M K, geboren am …, m Staatsangehöriger" illegal nach Österreich ein; er wurde unmittelbar nach seinem Grenzübertritt aufgegriffen und nach Italien zurückgeschoben. Dessen unge­achtet betrat er am 2. Oktober 2006 neuerlich von Italien aus das Bundesgebiet und stellte nunmehr unter der Identität "H K, geboren am …, a Staatsangehöriger" in Österreich einen Asylantrag.

1.3. Am 3. Oktober 2006 gab er bei seiner Einvernahme durch die belangte Behörde niederschriftlich an, dass sein zuletzt (= am Vortag) angegebenes Geburtsdatum stimme, er aber auch älter sein könne. Das italienische Aufent­haltsverbot sei gegen ihn wohl wegen seines illegalen Aufenthalts erlassen worden und er wolle in keinem Fall dorthin zurückkehren.

1.4. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck vom 3. Oktober 2006, Zl. Sich 40, wurde über den Rechtsmittelwerber gemäß § 76 Abs. 2 Z. 3 iVm § 80 Abs. 5 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. I 99/2006 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das PAZ Salzburg noch am selben Tag vollzogen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das in Italien erlassene Aufenthaltsverbot nach den Bestimmungen des FPG als eine durchsetz­bare Ausweisung gelte. Zudem verfüge der Rechtsmittelwerber in Österreich weder über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz noch über einen gültigen Aufenthaltstitel. Weiters sei er mittellos und könne er einen alle Risiken ab­deckenden Krankenversicherungsschutz nicht nachweisen. Schließlich stehe seine wahre Identität nicht fest; insbesondere könne er nach eigenen Angaben kein Personaldokument vorweisen und habe er auch noch nie über ein nationales Reisedokument verfügt. Hinsichtlich seines Geburtsdatums habe er widersprüch­liche Angaben gemacht. Auf Grund der abgenommenen Fingerabdrücke stehe jedenfalls fest, dass in Italien gegen ihn ein Einreise- bzw. Aufenthaltsverbot bestehe.

Daher und auf Grund des bisher gezeigten Verhaltens sei insgesamt zweifelsfrei zu befürchten, dass sich der Beschwerdeführer – auf freiem Fuß belassen – dem weiteren Zugriff der Behörde entziehen würde, weshalb die Anhaltung in Schub­haft zur Sicherung der Abschiebung erforderlich sei. Auch eine Anwendung gelinderer Mittel komme nicht in Betracht, weil jedenfalls angenommen werden müsse, dass er noch vor Abschluss des Asylverfahrens in die Illegalität ab­tauchen und dadurch dem österreichischen Staat weiterhin finanziell zur Last fallen werde. Zudem versuche er seine Identität vor den österreichischen Behörden zu verschleiern. Da er auch seinen Lebensunterhalt bestreiten müsse, sei die Gefahr sehr groß, dass er dies auf illegale Art und Weise bewerkstelligen werde. Diese Fakten würden insgesamt jedenfalls eine Ermessensentscheidung dahingehend rechtfertigen, die Schubhaft anstelle gelinderer Mittel zu ver­hängen.

1.5. Mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 4. Oktober 2006, Zl. 610456, wurde dem Rechtsmittelwerber am 11. Oktober 2006 gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag zurückzuweisen.

1.6. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtete sich die am 6. November 2006 per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingebrachte Beschwerde.

Darin wurde vorgebracht, dass die Verhängung der Schubhaft gegenüber Minder­jährigen nur ausnahmsweise zulässig sei und im Falle des Rechtsmittelwerbers in jedem Fall gelindere Mittel gemäß § 77 FPG anzuwenden gewesen wären.

Nach einer eventuellen Zurückschiebung nach Italien würde ihm, da dort gegen ihn ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot (gültig bis 2009) bestehe, eine weitere Abschiebung in seinen Heimatstaat drohen. Außerdem sei beim Bundesasylamt ein Asylverfahren anhängig, das bisher noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Ein Asylverfahren in Italien sei daher nicht möglich, weshalb auf ihn als unbegleiteten Minderjährigen der Dublin-II-Mechanismus nicht anwendbar sei.

Aus diesen Gründen wurde die Aufhebung der Schubhaft, in eventu die bloße Anwendung gelinderer Mittel beantragt.

1.7. Die belangte Behörde hat den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Ergänzend wurde darin u.a. darauf hingewiesen, dass der Einwand der befürch­teten "Kettenabschiebung" unbegründet sei, weil Italien bei seiner Zustimmung zur Zurücknahme die Verpflichtung habe, auch das in Österreich eingebrachte Asylbegehren zu prüfen, zumal er in Italien zuvor noch keinen Asylantrag gestellt habe.

Unzutreffend sei auch, dass bei Minderjährigen kein Konsultationsverfahren geführt werden dürfe, wenn der Antragsteller in jenem Land zuvor keinen Asylantrag eingebracht hat. Diese Vorgabe sei zum einen lediglich per Erlass geregelt; zum anderen lasse das Konsultationsverfahren des Bundesasylamtes-EAST-West (eingeleitet bereits zwei Tage nach Asylantragsstellung) erkennen, dass selbst für die Asylbehörde die Volljährigkeit des Rechtsmittelwerbers außer Zweifel stehe, weil den Angaben bei seiner erstmaligen Einreise eine größere Glaubwürdigkeit zukomme.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu Zl. Sich40, aus dem in Verbindung mit dem Parteienvorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt insoweit ermittelt werden konnte, dass aus diesem Grund sowie auch deshalb, weil ein entspre­chender Parteienantrag nicht gestellt worden war, von der gesonderten Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

Hinsichtlich der allein strittigen Frage des Alters des Beschwerdeführers ging der Oö. Verwaltungssenat wie die belangte Behörde und die Asylbehörde davon aus, dass die diesbezüglichen Angaben des Rechtsmittelwerbers bei seiner ersten Einreise nach Österreich der Wahrheit entsprachen und daher Volljährigkeit anzunehmen sei. Dafür streite nicht nur die allgemeine Erfahrungstatsache, dass die bei einer ersten Einvernahme abgegebene Äußerung in der Regel frei und unbelastet, damit aber auch jedenfalls wahrheitsgetreuer ist als eine solche, die nach Beeinflussung durch eine nachträglich erfolgte rechtliche Beratung getätigt, nämlich i.d.R. derart vorgenommen wird, dass mit einer dementsprechenden Aussage dann jedenfalls ein bestimmtes Ziel verfolgt wird. Auf Grund der widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers selbst sowie des Umstandes, dass er – würde man bei einem Geburtsdatum dessen weiterhin vorliegende Minderjährigkeit annehmen – dann bei seiner illegalen Einreise nach Italien im Jahr 2000 zwischen acht und neun Jahren und bei seiner Asylantragstellung in Brüssel elf Jahre alt gewesen wäre, könne hingegen von dem bei seiner zweiten Einreise nach Österreich angegebenen Geburtsdatum auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil in Italien dann über ihn als Minderjährigen nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot verhängt worden wäre. Überdies habe der Rechtsmittelwerber nach seiner zweiten Einreise selbst ange­geben, oder doch früher" geboren zu sein, weshalb sein erstmals anlässlich seines nunmehrigen zweiten Aufenthalts in Österreich releviertes Vor­bringen der Minderjährigkeit insgesamt als eine bloße Schutzbehauptung anzusehen sei, auf Grund der sich der Beschwerdeführer entsprechende Vorteile im Asylverfahren erwarte.

Die hinsichtlich seiner Personaldaten grundsätzliche Unglaubwürdigkeit des Rechtsmittelwerbers werde schließlich auch daran deutlich, dass er in der vorliegenden Beschwerde angebe, m Staatsbürger zu sein, die Prozessvollmacht für seinen Vertreter jedoch als a Staatsbürger unterfertigt habe.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen, dass gegen den Beschwerdeführer noch vor seiner Asylantragsstellung in Österreich gegen ihn in Italien ein bis zum Jahr 2009 gültiges Aufenthaltsverbot verhängt worden sei, weshalb die belangte Behörde in concreto von der Heranziehbarkeit des § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG ausgegangen sei.

Diese Rechtsansicht sei jedoch verfehlt gewesen, weil diese Bestimmung dezidiert auf § 60 FPG verweise und damit ausschließlich ein von österreichischen Behörden verhängtes Aufenthaltsverbot im Blick habe.

Mangels einer vollstreckbaren inländischen aufenthaltsbeendenden Maßnahme wurde daher im Spruchpunkt I des h. Erkenntnisses vom 8. November 2006, Zl. VwSen-400851/5/Gf/BP/CR, die Anhaltung des Beschwerdeführers vom 3. bis zum 11. Oktober 2006 als rechtswidrig festgestellt.

4. Gegen diesen – stattgebenden – Teil der Entscheidung erhob die Sicherheits­direktion Oberösterreich eine Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof; dieser gab der Beschwerde mit Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0389-11, statt und hob Spruchpunkt I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

Begründend führte der VwGH dazu im Wesentlichen aus, dass § 71 Abs. 1 FPG in Umsetzung der RL 2001/40/EG vom 28. Mai 2001 die von einem EWR-Staat erlassenen Rückführungsentscheidungen – worunter im gegenständlichen Fall auch das italienische Aufenthaltsverbot zu verstehen sei – in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise einer von einer österreichischen Behörde verfügten Aus­weisung gleichsetze, sodass sich der in § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG enthaltene Verweis explizit auf die §§ 53 und 54 FPG, implizit in gleicher Weise aber auch auf § 71 Abs. 1 FPG beziehe. Liegt daher ein einer durchsetzbaren innerstaatlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahme gleichartiges Aufenthaltsverbot eines EWR-Staates vor – wobei die Gleichartigkeit im Kooperationsweg von der Fremden­polizeibehörde bei der Schubhaftanordnung zu prüfen ist –, erweist sich damit die Schubhaftverhängung gegen einen Asylwerber ebenso zulässig, wie wenn eine inländische Behörde dessen Ausweisung verfügt hätte.

An diese Rechtsauffassung ist der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 63 Abs. 1 VwGG gebunden.

5.1. Im vorstehend zitierten Erkenntnis geht der VwGH explizit davon aus, dass die Fremdenpolizeibehörde die Prüfung, ob die ausländische Rückführungs­entscheidung einer innerstaatlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahme, konkret: einer durchsetzbaren Ausweisung, gleichzustellen ist, "bei der Schubhaft­anordnung" vorzunehmen hat und in diesem Zusammenhang zwecks der erforderlichen Kenntnis der Begründung der ausländischen Rückführungs­entscheidung "einer entsprechenden Kooperation mit dem anderen Mitglieds­staat" bedarf.

Insoweit findet sich jedoch in dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt kein Hinweis darauf, dass diese überhaupt eine eigenständige Kenntnis von der ausländischen Rückführungsentscheidung gehabt oder entsprechende Kooper­ationsmaßnahmen mit Italien gesetzt hätte (z.B. in dem Sinne, dass sie eine Kopie des italienischen Aufenthaltsverbots angefordert und von dieser eine Übersetzung durch einen Dolmetscher hätte anfertigen lassen). Vielmehr vermutete sie lediglich auf Grund der Angaben des Rechtsmittelwerbers, dass das Aufenthaltsverbot über diesen wegen illegaler Einreise verhängt worden sein dürfte; ob es im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft auch tatsächlich durchsetzbar (vollstreckbar) war, blieb jedenfalls überhaupt offen.

Unter derartigen Umständen konnte aber offenkundig zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft nicht mit der für einen Freiheitseingriff erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das italienische Aufenthaltsverbot effektiv einer inländischen vollstreckbaren Ausweisung gleichzusetzen war.

5.2. Aus diesen Gründen ist daher gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG festzustellen, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 3. Oktober bis zum 11. Oktober 2006 rechtswidrig war.

6. Eine allfällige Kostenentscheidung zu Gunsten des Beschwerdeführers als (teilweise) obsiegender Partei (§ 79a Abs. 2 AVG; § 50 VwGG analog) war hingegen schon mangels eines darauf gerichteten Antrages nicht zu treffen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1.      Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwer­de an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unter­schrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

Dr.  G r o f

 

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