Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-400944/5/SR/Ri

Linz, 30.04.2008

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Beschwerde des M K, geb. am, türkischer Staatsangehöriger, vertreten durch Dr. A S, Dr. N S, Mag. N S, Mag. A D, Rechtsanwälte in B, Kstraße, wegen Rechtswidrigkeit der Anhaltung in Schubhaft durch den Polizeidirektor von Wels zu Recht erkannt:

 

 

I.       Der Beschwerde wird Folge gegeben und es wird die bisherige Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft für rechtswidrig erklärt. Weiters wird festgestellt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine maßgeblichen Gründe für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vorliegen.   

II.     Der Bund (Verfahrenspartei: Polizeidirektor von Wels) hat dem Beschwerdeführer den notwendigen Verfahrensaufwand in der Höhe von 674 Euro (darin enthalten 13,20 Euro Stempelgebühr) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 Abs. 1 und 83 Abs. 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 4/2008) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG und der UVS-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 334/2003.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf), ein türkischer Staatsangehöriger, ist am 19. Mai 1987 in Bregenz geboren und hielt sich seit seiner Geburt bis zur Durchsetzbarkeit des Bescheides des Bezirkshauptmannes von Bregenz vom 16. Februar 2007, BHBR-III-3502-1978/38707 (unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich; rechtskräftig seit dem 8. März 2007) rechtmäßig in Österreich auf.

 

Die Eltern des Bw halten sich seit ca. 25 Jahren durchgehend und legal in Österreich auf. Seine Geschwister sind in Österreich geboren.

 

1.2. Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 10. August 2006, 39Hv 183/05w wurde der Bw für schuldig erkannt, am 30. September 2005 in Bregenz einer namentlich bekannten Person nach Aufbrechen eines Kettenschlosses ein Moped (Wert unter 3.000 Euro) weggenommen zu haben, um sich oder einen Dritten durch Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Er hat somit das Verbrechen des Diebstahles durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z. 3 StGB begangen und wurde hiefür zu einer Geldstrafe in der Höhe von 180 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. 

 

Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 19. Jänner 2007, 20Hv 152/06y wurde der Bw für schuldig erkannt, am 20. September 2006 in Bregenz mehrere namentlich bekannte Personen durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§89 StGB) unter Verwendung einer Waffe eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bargeld in der Höhe von 30 Euro mit dem Vorsatz abgenötigt zu haben, um sich zu bereichern. Die beiden namentlich bekannten Personen wurden vom Bf unter Vorhalt eines geöffneten Klappmessers zur Herausgabe von 120 Euro aufgefordert. Der Bf hat hiedurch das Verbrechen des Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB begangen und wurde hiefür zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.

 

Beide Urteile sind in Rechtskraft erwachsen.

 

1.3. Im Verfahren zur Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes für das österreichische Bundesgebiet hat sich der Bf dahingehend gerechtfertigt, dass er unter normalen Umständen zu keinem Raub fähig wäre. Vor der Tatbegehung habe er unter einem starken Entzug gelitten und Geld für Heroin auftreiben wollen. Er werde sich um eine bedingte Entlassung bemühen und im Anschluss an seine Strafhaft eine Therapie in Lukasfeld machen. Seine Eltern würden seit 25 Jahren in Österreich leben und wie er, seien alle Geschwister in Österreich geboren. Er habe zwar noch Kontakt zu einigen Verwandten in der Türkei, sein Lebensmittelpunkt sei aber Österreich, er sei hier aufgewachsen und habe hier seine Ausbildung gemacht.    

 

Wie unter Punkt 1.1. ausgeführt hat die zuständige Fremdenbehörde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen, das am 8. März 2007 in Rechtskraft erwachsen ist.

 

1.4. Mit Bescheid des Polizeipräsidenten der Bundeshauptstadt Wien vom 6. September 2007, III-1242512/FrB/07, wurde über den Bf die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 FPG angeordnet. Die Rechtfolgen des Bescheides sollten nach der Entlassung des Bf aus der Gerichtshaft eintreten. Der Bescheid wurde dem Bf am 14. September 2007 zu eigenen Handen zugestellt und ihm in der Justizanstalt Favoriten übergeben. Die Bestätigung der Übernahme wurde vom Bf verweigert.  

 

In der Begründung hat die genannte Behörde eine kurze Sachverhaltsfeststellung vorgenommen, auf die gerichtlichen Verurteilungen hingewiesen, ohne nähere Erörterung daraus geschlossen, dass das Verhalten des Bf klar erkennen lasse, dass er nicht gewillt sei die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten, wiederholt schwerwiegende Rechtsverletzungen begangen habe, er keinerlei private oder persönliche Bindungen zum Bundesgebiet habe und daher von der Anordnung gelinderer Mittel Abstand genommen werden musste.

 

1.5. Am 12. Dezember 2007 wurde der Bf in die Justizanstalt Wels eingeliefert.

 

1.6. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 17. April 2008, Zl. 1-1024762/FP/08, wurde über den Bf die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 1 iVm § 57 Abs. 1 AVG angeordnet. Der Bescheid wurde dem Bf am 18. April 2008 zu eigenen Handen zugestellt und ihm in der Justizanstalt Wels übergeben. Die Bestätigung der Übernahme wurde vom Bf verweigert. Im Anschluss an die Bescheidausfolgung wurde über den Bf am 18. April 2008 um 08.00 Uhr die Schubhaft verhängt. Seit diesem Zeitpunkt wird der Bf in Schubhaft angehalten.

 

In der Begründung hat die genannte Behörde eine kurze Sachverhaltsfeststellung vorgenommen und auf die gerichtlichen Verurteilungen hingewiesen. Ohne nähere Ausführungen wurde die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der fremdenpolizeilichen Verfahren für notwendig erachtet, da zu befürchten sei, dass sich der Bf den weiteren fremdenpolizeilichen Verfahrenen bzw. Maßnahmen zu entziehen trachten werde. Ebenso wurde begründungslos von der Verhältnismäßigkeit  der Maßnahme ausgegangen und nach Wiedergabe des § 77 FPG von der Anordnung gelinderer Mittel Abstand genommen.

Abschließend nahm die belangte Behörde an, dass sich der Bf "in Zukunft nicht an die österreichische Rechtsordnung halten und das Bundesgebiet nicht freiwillig verlassen" werde.

 

1.7. Am 22. April 2008 wurde der Bf von der belangten Behörde niederschriftlich befragt und ihm dabei vorgehalten, dass über ihn "die Schubhaft verhängt" worden sei, "da die BH Bregenz ein unbefristetes Aufenthaltsverbot, rk. mit 08.03.2007 verhängt" habe und die BPD Wels beabsichtige, ihn in seine Heimat abzuschieben.

 

Zu den geplanten Maßnahmen der belangten Behörde brachte der Bf vor, dass er nicht in die Türkei abgeschoben werden wolle, sich seine Freundin, seine Geschwister und Eltern in Österreich aufhalten würden und er die Türkei nur vom Urlaub kenne. Er sei mit den geplanten Maßnahmen daher nicht einverstanden und ersuche von der Abschiebung Abstand zu nehmen.  

 

2. Mit Schriftsatz vom 24. April 2008 (übermittelt per Fax, Faxkennung: 24/04/2008 17:50), eingelangt am 25. April 2008, erhob der Bf durch seine rechtsfreundlichen Vertreter "Schubhaftbeschwerde gemäß § 82 FPG" an den Unabhängigen Verwaltungssenat für Oberösterreich und stellte die Anträge, der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge

"1) den angefochtenen Bescheid der BPD Wels vom 17.04.2008, Zl. 1-1024762/FP/08, wegen Rechtswidrigkeit aufheben und den Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen; in eventu

2) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben und

3) gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG feststellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen; und

4) erkennen, das Bundesland Oberösterreich sei schuldig, die vom Beschwerdeführer durch das Verfahren entstandenen Aufwendungen (Schriftsatz, Aufwand und Stempelmarken) gemäß § 79a AVG im verzeichneten Ausmaß zu Handen des ausgewiesenen Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzten;

5) eine mündliche Verhandlung vor dem UVS durchführen."

 

An Kosten wurden insgesamt 805,96 Euro (Schriftsatzaufwand: 660,80 Euro; 20% USt: 132,16 Euro; Stempelgebühren: 13,00 Euro) beantragt.

 

In der Begründung hat der Bf darüber hinaus beantragt, dass auch die Anhaltung und die Aufrechterhaltung als rechtwidrig festgestellt werden mögen und hat den "angefochtenen Schubhaftbescheid" u.a. für deswegen inhaltlich rechtswidrig erachtet, da die fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen könne. Im Falle einer Ausreiseunwilligkeit seien höchstens die Voraussetzungen für eine Abschiebung gemäß § 46 Abs. 1 Z. 2 FPG erfüllt und keinesfalls jene für eine Schubhaftverhängung. Weiters müsse ein begründetes Sicherungserfordernis gegeben sein. Eine präventive Schubhaftverhängung sei jedenfalls unzulässig.

 

Ein Sicherungsbedarf liege nicht vor. Der Bf sei am 19. Mai 1987 in Österreich geboren worden und verfüge seither über einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Seine Eltern würden sich seit ca. 20 Jahren in Österreich legal aufhalten, seine vier Geschwister seien in Österreich geboren, eine Schwester habe die österreichische Staatsbürgerschaft, alle Geschwister seien volljährig und hätten einen verfestigten Aufenthalt. Nach der Haftentlassung könne der Bf wie bisher bei seinem Vater wohnen und durch die Familie sei der Lebensunterhalt gesichert. In Österreich habe der Bf nunmehr eine Lebensgefährtin, welche in Wien wohne und österreichische Staatsangehörige sei. Der Bf habe jahrelang bei der Firma B in Höchst gearbeitet, sei vollständig in Österreich integriert und abgesehen von der Staatsbürgerschaft verbinde ihn nichts mit der Türkei. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, dass die Ausweisung des Bf gesichert werden müsse und der Verdacht bestünde, dass sich der Bf den fremdenpolizeilichen Maßnahmen entziehen werde. Der Bf sei immer ordnungsgemäß gemeldet, sein Aufenthaltsort und seine Arbeitsstelle seien der Behörde bekannt und der Bf dort für diese "jederzeit greifbar" gewesen. Nach Ausführungen zu § 77 FPG, dem Ermessen gemäß Art. 130 Abs. 2 B-VG und der behördlichen Verpflichtung zur Begründung von Bescheiden kommt der Bf zum Ergebnis, dass auch diese Rechtswidrigkeiten zur Aufhebung des Bescheides bzw. der Entscheidung führen müssten.

 

3.1. Mit Schreiben vom 25. April 2008 hat die belangte Behörde Teile des Verwaltungsaktes per Fax (Fax-Kennung: 25/04/2008 12:31) übermittelt. Von der Erstattung einer Gegenschrift hat sie Abstand genommen.

 

Ebenfalls mit Fax vom 25. April 2008 (Fax-Kennung: 25/04/2008 14:21) eingelangt am 28. April 2008, hat die belangte Behörde weitere Aktenteile ("Schubhaftbescheid", Niederschrift vom 17. April 2008 und einen Protokollauszug) ohne Kommentar übermittelt.    

Ob der vollständige Fremdenakt oder nur Auszüge davon übermittelt worden sind, kann nicht festgestellt werden.

 

3.2.  Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, dass bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde der Sachverhalt hinlänglich geklärt ist. Da im Wesentlichen Rechtsfragen zu klären waren, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1.1. Nach § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008 (im Folgenden: FPG), hat der Fremde das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er

1. nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2. unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde oder

3. gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs. 1 FPG ist der unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde. Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden (vgl. § 83 Abs. 4 FPG).

 

4.1.2. Der Bf wurde in Oberösterreich festgenommen und wird seit dem 18. April 2008 für die belangte Behörde im PAZ Wels in Schubhaft angehalten. 

 

Die Beschwerde ist zulässig.   

 

4.2. Gemäß § 76 Abs. 1 FPG 2005 können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Die Schubhaft ist nach dem § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

 

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in diesem Sinne gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei einer bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizeiinspektion zu melden.

 

4.3.1. Grundsätzlich hätte sich die belangte Behörde bei Vorliegen sämtlicher formeller Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene aufenthaltsbeendende Maßnahme die Schubhaft auf § 76 Abs. 1 FPG stützen können. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0239, ausgeführt, dass sämtliche Schubhafttatbestände final determiniert sind und diese nur aus den in § 76 Abs. 1 und 2 FPG genannten Gründen verhängt werden darf (vgl. auch VwGH vom 20. Dezember 2007, 2006/21/359 und vom 24.Oktober 2007, 2006/21/0067).

 

Darüber hinaus hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Juni 2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden  in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. In der Folge kommt der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf (siehe auch Erkenntnisse des VwGH vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, mwN und vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0261). Daraus folgt, dass eine alternative Heranziehung gelinderer Mittel nur dann nicht zum Tragen kommt, wenn das Sicherungsbedürfnis anders nicht erreichbar ist (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, 2007/21/0370). 

 

Im Erkenntnis vom 29. Februar 2008, VwSen-400936/4/GF/Mu/Se, hat der Oö. Verwaltungssenat auf die geänderte Rechtsprechung des Verwaltungs­gerichtshofes Bezug genommen und wie folgt ausgeführt:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat z.B. in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007,        Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Rechtsprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verurteilungen (weil die Inschubhaftnahme nicht der Aufdeckung, Verhinderung oder Sanktionierung von Straftaten dienen darf; vg. VfSlg 13715/1994 und VwGH vom 22. November 2007, Zl. 2006/21/0189) und einer fehlenden Ausreisewilligkeit (insbesondere, solange noch nicht feststeht, ob die Abschiebung zulässig und die Ausreise zu überwachen ist sowie ein konkreter Sicherungsbedarf besteht) für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattgegeben." 

 

Zur fehlenden Ausreisewilligkeit eines Fremden führt der Verwaltungsgerichtshof nunmehr in ständiger Rechtsprechung aus, dass diese für sich allein nicht die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung rechtfertigt. Es ist nämlich in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen (vgl ua. VwGH 8.9.2005, Zl. 2005/21/0301; VwGH 22.6.2006, Zl. 2006/21/0081; VwGH 27.3.2007, Zl. 2005/21/0381; VwGH 28.6.2007, Zl. 2005/21/0288; VwGH 30.8.2007, Zl. 2006/21/0107).

 

Ebenso darf die Schubhaft nicht als eine präventive Vorbereitungshandlung zu einer erfolgreichen Durchführung der Abschiebung (siehe VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150) zum Einsatz gebracht werden. 

 

Darüber hinaus ist eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig. Beispielsweise darf aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht schon "unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze" (siehe VwGH vom 24. 10.2007, 2006/21/0067) a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen Mittel durch illegale Arbeit beschaffen wird.

 

4.3.2.  Generell und somit auch im vorliegenden Fall wäre die belangte Behörde gehalten gewesen, einzelfallbezogen das Vorliegen der Voraussetzungen für die aufenthaltsbeendende Maßnahme und den aktuellen Sicherungsbedarf zu prüfen und konkret zu begründen, weshalb keine gelinderen Mittel in gleicher Weise zur Zielerreichung zum Tragen kommen können.

 

Im "Vorlageakt" befinden sich zwei (!!) Schubhaftbescheide, denen ein übereinstimmender Sachverhalt zugrunde liegt und die beide zur Sicherung der Abschiebung des Bf "erlassen" wurden. In beiden Bescheiden erschöpft sich die Begründung des Sicherungsbedürfnisses darin, dass ein rechtskräftiges Aufenthaltverbot vorgelegen und – ohne auch nur ansatzweise Überlegungen anzustellen – zu befürchten ist, dass sich der Bf fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen trachten werde.

 

Ein Blick in die Niederschrift vom 22. April 2008 zeigt, dass die Schubhaft ausschließlich deswegen verhängt wurde, weil ein rechtskräftiges unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Bf vorgelegen ist, das aufgrund strafrechtlicher Verfehlungen (Verbrechen des Diebstahles durch Einbruch, Verbrechen des Raubes) erlassen wurde.

 

Wie bereits oben dargelegt hat der Verwaltungsgerichtshof nunmehr in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass die Inschubhaftnahme weder der Verhinderung noch der Sanktionierung von Straftaten dienen darf. Somit kann das strafrechtlich relevante Verhalten auch nicht zur Begründung des Ausschlusses gelinderer Mittel herangezogen werden.  

 

Die vorgenommene Maßnahme zur Sicherung der Abschiebung setzt jedenfalls einen konkreten Sicherungsbedarf voraus und darf nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme zum Einsatz gebracht werden.

 

Aus dem Vorlageakt kann ein konkreter Sicherungsbedarf nicht abgeleitet werden. Ein solcher wurde von der belangten Behörde auch nicht ansatzweise dargelegt. Folgt man den – unwidersprochen gebliebenen Beschwerdeausführungen (familiäres Umfeld, seit Geburt in Österreich, langjähriger und ständiger Wohnsitz in Österreich, bisheriges Verhalten, ...)  – lässt sich gerade Gegenteiliges erkennen.  Zu beachten ist auch, dass sowohl das Aufenthaltsverbot als auch die beiden "Schubhaftbescheide" zu einem Zeitpunkt ergangen sind, als sich der Bf bereits bzw. noch in Strafhaft befunden hat.

 

4.3.3. Gemäß § 77 Abs 1 FPG kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Auch vor Anordnung der Schubhaft gemäß § 76 Abs 1 FPG hat die Fremdenbehörde auf    § 77 Abs 5 FPG Bedacht zu nehmen und darf die Schubhaft nur bei konkretem Sicherungsbedarf anordnen.

 

Aus der Begründung der Bescheide und der Aktenlage erscheint es für den Oö. Verwaltungssenat nicht nachvollziehbar, wieso die belangte Behörde nicht zumindest mit der Anwendung eines gelinderen Mittels iSd § 77 Abs 3 FPG das Auslangen gefunden hat.

 

Unter den gegebenen Umständen, die der belangten Behörde bekannt sein mussten und die in der Beschwerdeschrift anschaulich dargestellt wurden, hätte sich die belangte Behörde allenfalls mit der Anordnung gelinderer Mittel begnügen müssen. Da die Verhängung der Schubhaft jedenfalls als nicht zwingend erforderlich angesehen werden konnte, war auch die Ermessensentscheidung der belangten Behörde, von gelinderen Mitteln abzusehen, unvertretbar.

 

4.4. Im Ergebnis war daher der vorliegenden Schubhaftbeschwerde Folge zu geben und die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären. Gleichzeitig war aufgrund des Vorlageaktes und des unwidersprochen gebliebenen Beschwerdevorbringen festzustellen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine maßgeblichen Gründe für die weitere Anhaltung des Bf in Schubhaft vorliegen.   

 

4.5. Auf die weitergehenden Anträge war nicht mehr einzugehen. Im Hinblick auf einzelne Anträge des Bf ist anzumerken, dass der unabhängige Verwaltungssenat lediglich die Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme und der Anhaltung feststellen kann. Eine Bescheidaufhebung ist ihm ex lege verwehrt. Stellt der unabhängige Verwaltungssenat fest, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen, so ist die Schubhaft formlos aufzuheben (siehe § 81 FPG). Ist eine Schubhaft gemäß § 81 Abs. 1 FPG formlos aufgehoben worden, dann gilt der ihr zugrundeliegende Bescheid als widerrufen.

  

5. Bei diesem Verfahrensergebnis waren dem Bf nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z 1 und 3 AVG iVm. § 1 Z 1 der UVS-Aufwandsersatzverordnung 2003 Kosten in Höhe von insgesamt 674,-- Euro (Gebühren: 13,20 Euro; Schriftsatzaufwand: 660,80 Euro) zuzusprechen. 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unter­schrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 [ab 1. Juli 2008: 220] Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

 

 

 

 

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