Linz, 17.06.2008
E r k e n n t n i s
I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 5/2008 – AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Z1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 5/2008 – VStG.
Zu II.: § 66 Abs.1 VStG.
Entscheidungsgründe:
1.1. Begründend führte die Behörde erster Instanz Folgendes aus:
2. Dagegen wendet sich der Berufungswerber mit seiner fristgerecht durch seine ausgewiesenen Rechtsvertreter erhobenen Berufung mit folgenden Ausführungen:
3. Der Verfahrensakt wurde dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Dieser ist, da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Mitglied zur Entscheidung berufen. Eine öffentliche mündliche Verhandlung war gemäß § 51e Abs.1 Z1 VStG durchzuführen.
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den erstbehördlichen Verfahrensakt. Anlässlich der Berufungsverhandlung wurden als Zeuginnen die Unfallbeteiligte und deren Begleiterin sowie der Berufungswerber als Beschuldigter einvernommen. Ein Vertreter der Behörde erster Instanz nahm an der Berufungsverhandlung ohne Bekanntgabe von Gründen nicht teil.
4. Zum Sachverhalt:
4.1. Der Berufungswerber lenkte an der im Spruch genannten Zeit u. Örtlichkeit sein Fahrzeug im Retourgang aus einer Parklücke. Offenbar bemerkte er dabei die kurz vorher am Fahrzeugheck vorbeigegangenen Zeuginnen nicht. Die Fußgängerinnen waren wegen der Verparkung des Gehsteiges verhalten, die Fahrbahn zu benützen und hinter den dort etwa im rechten Winkel zur Fahrbahn abgestellten Fahrzeugen vorbeizugehen. Während die Fußgängerin G. H dem zurückschiebenden Fahrzeug gerade noch ausweichen konnte, geriet Frau S an deren linken Körperseite mit dem Fahrzeug des Berufungswerbers in Kontakt. Gemäß der vom Berufungswerber vorgelegten von den Zeugen bei der Berufungsverhandlung illustrierten Handskizze dürfte sich der Vorfall jedoch nicht auf Höhe des Hauses Nr., sondern eher wohl auf Höhe der Nr. ereignet haben (siehe Bild aus dem System DORIS des Landes Oö). Dies kann hier aber ebenfalls auf sich bewenden wie die exakte Tatortbezeichnung, ob Parkplatz oder Straße.
Dem Berufungswerber, welcher der Zweitbeteiligten S als ehemaliger Postzusteller persönlich bekannt war, wurde der stattgefundene Anstoß am linken Unterarm unmittelbar nach dem Vorfall verbal zur Kenntnis gebracht, wobei seitens der Zeugin im Ergebnis vermeint wurde, sie hoffe die sogleich vorhandenen Schmerzen durch Auflegen von Eisbeuteln wieder los zu bekommen. Eine Verletzung am Arm und die nachfolgend offenbar auch am Fuß festgestellten angeblich unfallbedingten Verletzungen wurden gegenüber dem Berufungswerber nicht unverzüglich artikuliert. Auch von der Beiziehung der Polizei war vor Ort nicht die Rede. Dies wurde im Rahmen der Berufungsverhandlung auch von der Zeugin G. H bestätigt.
Die polizeiliche Meldung seitens des Berufungswerbers unterblieb demnach vor dem Hintergrund dieses Informationsstandes, mit welchem sich die Unfallbeteiligten voneinander treten.
Erst tags darauf erfolgte über einen Arztbesuch der Zeugin S die Anzeigeerstattung.
Das gerichtliche Verfahren wurde zurückgelegt, wobei seitens der Zeugin auch gegen diese Verfügung der Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel ergriffen wurde.
Mit Blick darauf konnte der Verantwortung des Berufungswerbers dahingehend gefolgt werden, dass er sich im guten Glauben befunden hat, dass eine unverzügliche polizeiliche Meldung nicht notwendig wäre.
Kein Zweifel besteht jedoch an der Zuordnung der genannten Verkehrsfläche iSd § 1 StVO.
Festzustellen gilt es zuletzt, dass die Bundespolizeidirektion Linz am 20.2.2008 das Verfahren (den Akt) nach § 27 VStG an die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgegbung mit dem Hinweis übermittelte, dass ein Verfahren gg. den Berufungswerber unter Hinweis auf § 42 StGB nach § 99 Abs.6 lit.c StVO nicht mehr durchzuführen sei.
Dieses Schreiben findet sich aus unerfindlichen Gründen nicht im vorgelegten Behördenakt. Dieses wurde anlässlich der Berufungsverhandlung vom Rechtsvertreter des Berufungswerbers vorglegt.
5. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat wie folgt erwogen:
Gemäß § 4 Abs.2 StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn hiebei Personen verletzt worden sind, die nächste Polizeidienststelle sofort zu verständigen.
Da hier – wie im Rahmen der obigen Feststellungen ausführlich würdigend dargelegt – der Berufungswerber mit der Fußgängerin nachweislich Kontakt aufgenommen hatte und diese eine Verletzung gerade nicht behauptete, sondern eine solche vielmehr de facto nicht bestätigte, kann es dem Berufungswerber letztlich nicht zum Vorwurf gereichen, nicht dennoch eine Meldung bei der Polizei gemacht zu haben.
5.1. Gemäß § 4 Abs.2 2. Satz StVO 1960 haben die im Abs.1 genannten Personen – das sind alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht – die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen, wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden sind bzw. mit einer Verletzung gerechnet werden muss. Wird eine Verletzung von der betreffenden Person jedoch im Ergebnis verneint, kann eine solche Verpflichtung wohl nicht bestehen (vgl. VwGH 13.12.2000, 2000/03/0270 mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. VwGH 15.12.1999, 99/03/0406) ist wohl aus § 4 Abs. 2 StVO 1960 für die im Abs.1 dieser Gesetzesstelle genannten Personen die Verpflichtung abzuleiten, sich bei einem Verkehrsunfall, der zwar keine äußerlich feststellbaren Verletzungen zur Folge hat, dessen Verlauf aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Eintritt äußerlich nicht erkennbarer Verletzungen erwarten lässt, durch Befragung der in Betracht kommenden Personen nach einer allfälligen Verletzung eine diesbezügliche Gewissheit zu verschaffen. Sind keine Verletzungen erkennbar oder entfernt sich die nach einer Verletzung befragte Person von der "Unfallstelle" bzw. beantwortet sie die Frage nach einer Verletzung verneinend, so besteht keine Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs.2 StVO 1960, sofern die Frage nicht an Personen gerichtet wird, von denen schon nach dem äußeren Anschein angenommen werden muss, dass sie nicht in der Lage sind, den Inhalt oder die Tragweite ihrer Erklärung zu erkennen (z.B. Betrunkene oder Kinder; Hinweis auf VwGH 11.5.1984, 83/02/0515, VwSlg 11432 A/1984, 20.9.1989, 89/03/0021).
Mit Blick auf die Erklärung des Berufungswerbers hätte sich jedoch auch jede andere Person in der damaligen Lage des Berufungswerbers nicht anders zu verhalten vermocht (vgl. h. Erk. 11.4.2007, VwSen-162107/9/Br/Ps).
Ungeachtet der offenbar seitens der Behörde erster Instanz vertretenen Auffassung des iSd § 99 Abs.6 lit.c StVO einzustellenden Verfahrens, ist unter Hinweis auf das nach Art. 4 des 7. ZPEMRK verankerte Doppelbestrafungsverbot zu bemerken, dass dem eine gesetzliche Strafdrohung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 5.12.1996, G9/96 und andere) dann nicht widerspricht, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde unterworfen wurde. Im Falle des Berufungswerbers bezog sich die letztlich eingestellte strafgerichtliche Verfolgung auf die fahrlässige Körperverletzung ebenfalls auf § 88 Abs.1 StGB; dem gegenüber betrifft der gerichtliche Tatbestand jenen der dem Berufungswerber hier im Verwaltungsstrafverfahren angelasteten Übertretung, die Verletzung der Verpflichtung zur sofortigen Verständigung der nächsten Polizeidienststelle im Zusammenhang mit der Sperrwirkung "nebis in idem" nicht.
Dieser Straftatbestand bildet kein Element des strafgerichtlich zu ahndenden Straftatbestandes und unterliegt daher auch nicht dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 4 des 7. ZPEMRK (VwGH 13.12.2000, 2000/03/0270).
Dennoch kommt der Berufung jedoch Berechtigung unter Hinweis auf das eingangs unter 5.2. Ausgeführte zu!
5.2. Auch der Verfassungsgerichtshof geht unter Hinweis auf eine verfassungskonforme Interpretation von Rechtsnormen davon aus, dass der § 5 Abs.1 zweiter Satz VStG nicht etwa bewirkt, dass ein Verdächtiger seine Unschuld nachzuweisen hat (VfSlg. 11195/1986). Demnach hat die Behörde die Verwirklichung des (objektiven) Tatbestandes durch den Beschuldigten nachzuweisen und bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die an seinem Verschulden zweifeln lassen, auch die Verschuldensfrage von Amts wegen zu klären. Das Gesetz befreit die Behörde in Anbetracht der regelmäßigen Sachlage nur insoweit von weiteren Nachforschungen über die subjektive Tatseite (insbesondere einen Irrtum über den Sachverhalt oder die allfällige Unmöglichkeit, das Verbot zu beachten), als das entgegen dem Anschein behauptete Fehlen des Verschuldens nicht glaubhaft ist.
Angesichts des hier unstrittigen Sachverhaltes kann jedenfalls von einem erwiesenen Fehlverhalten des Berufungswerbers iSd § 4 Abs.2 StVO 1960 nicht ausgegangen werden. Daher war das angefochtene Straferkenntnis nach § 45 Abs.1 Z1 VStG zu beheben und das Verfahren einzustellen (Hinweis auf VwGH 12.3.1986, 84/03/0251; ZfVB 1991/3/1122).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 [ab 1. Juli 2008: 220] Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r