Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-105874/9/Br

Linz, 25.11.1998

VwSen - 105874/9/Br Linz, am 25. November 1998

DVR.0690392

Erkenntnis

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn Dr. C, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 7. September 1998, Zl.: VerkR96-10573-1998, wegen Übertretungen der StVO, nach der am 25. November 1998 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 471/1995 - AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1, Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG.

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.1 VStG Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem Straferkenntnis vom 7. September 1998, Zl. VerkR96-10573-1998, über den Berufungswerber zwei Geldstrafen im Ausmaß von 2.000 S u. 1.000 S (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 72 u. 48 Stunden) verhängt, weil er am 6.6.1998 gegen 09.20 Uhr den Pkw auf der S-Bundesstraße aus Richtung W kommend in Richtung S. gelenkt und dabei 1. auf Höhe des Hauses K, den vor ihm fahrenden Pkw trotz Gegenverkehrs überholt habe; 2. während des Überholvorganges die im Ortsgebiet erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten habe. 1.1. Begründend verweist die Erstbehörde sinngemäß auf die Anzeigeangaben der Zeugin F. Unzutreffend führt die Erstbehörde aus, daß der Berufungswerber sich zum Tatvorwurf trotz der ihm eröffneten Gelegenheit nicht gerechtfertigt habe. Im übrigen erschöpft sich die erstbehördliche Begründung auf Zitierung der bezogenen Rechtsvorschriften, wobei in der Begründung entgegen dem im Spruch formulierten Tatvorwurf im Punkt 1. vom bloßen Überholversuch ausgegangen zu werden scheint. Zur Strafzumessung führte die Erstbehörde noch aus, daß angesichts der einschlägigen Vormerkungen und bei einem mit 40.000 S anzunehmenden Monatseinkommen des Berufungswerbers, keinen Sorgepflichten und keinem Vermögen(!) das Strafausmaß angemessen sei. Abschließend vermeinte die Erstbehörde noch, daß die Mißachtung von Überholverboten einer konsequenten Bestrafung bedürften.

2. Dagegen wendet sich der Berufungswerber mit seiner innerhalb der offenen Frist bei der Erstbehörde eingebrachten Berufung. Er rügt die Mangelhaftigkeit des Verfahrens, indem von seiner unterbliebenen Rechtfertigung ausgegangen worden sei, obwohl er eine solche am 20.8.1998 der Erstbehörde übermittelt habe. Ferner rügt er eine unrichtige Tatsachenfeststellung und eine unrichtige rechtliche Beurteilung. Diesbezüglich wird ausgeführt, es sei nicht richtig, daß er sich im Zuge des unterbrochenen Überholvorganges bereits auf Höhe des zu überholen beabsichtigten Fahrzeuges befunden habe. Er sei nach Abbruch des Überholvorganges wieder ca. 200 m hinter dem Fahrzeug der Anzeigerin nachgefahren. Völlig unrichtig sei auch, daß er 50 km/h überschritten und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet hätte. Die Anzeigerin sei vielmehr nur mit einer Fahrgeschwindigkeit von 25 km/h unterwegs gewesen. Die widersprüchlichen Angaben der Anzeigerin hätte die Erstbehörde daher zu überprüfen gehabt. Mit diesem Vorbringen ist der Berufungswerber aus verfahrensrechtlicher Sicht grundsätzlich im Recht, wenngleich eine behauptete Fahrgeschwindigkeit des überholten Fahrzeuges von bloß 25 km/h wenig wahrscheinlich ist. 3. Da eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Weil ferner die Tatbegehung konkret bestritten wurde, war in Wahrung der gemäß Art. 6 EMRK intendierten Rechte eine öffentliche mündliche Verhandlung und die Abhaltung eines Ortsaugenscheines erforderlich (§ 51e Abs.1 VStG).

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der Erstbehörde. Ferner durch Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rahmen eines Ortsaugenscheines im Zuge derer die Anzeigerin, Frau S, als Zeugin und der Berufungswerber als Beschuldigter einvernommen wurden. Ebenfalls wurde die Straßenbreite und die Gefahrensichtweite vom Punkt, von wo aus der Überholentschluß getroffen wurde, mittels Meßrades vermessen und hievon auch ein Foto angefertigt.

5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Die Vorfallsörtlichkeit liegt etwa 700 m nach der südlichen Ortseinfahrt von der Ortschaft K. Im Bereich des Hauses S Nr. 4 ist die Straße knappe sieben m breit und weist zwei durch Leitlinie getrennte Fahrstreifen auf. Beidseitig ist ein etwa 50 cm breites Bankett vorgelagert, wobei sich gegenüber der südlichen Front des Hauses S Nr. 4 rechtsseitig eine etwa zehn Meter breite Ausweichbucht oder Grundstückseinfahrt und sich vor dem Haus Nr. 4 ein etwa acht Meter tiefer Vorplatz befindet. Das Fahrzeug des Berufungswerbers verfügt über eine Motorleistung von 300 PS. Aus dem Stand heraus ist laut Handbuch dieses Fahrzeuges eine Beschleunigung auf 100 km/h in nur 5,5 Sekunden möglich. Dies entspricht einer mittleren Beschleunigung von 5,1 m/sek/2. Die Gefahrensichtweite beträgt in Fahrtrichtung des Berufungswerbers vom übereinstimmend von ihm und der Zeugin angegebenen Punkt des Überhol-beginns - zehn bis fünfzehn Meter vor dem Anwesen S 4 - 237 m.

Die Zeugin lenkte zum Vorfallszeitpunkt ihr Fahrzeug mit 40 bis 45 km/h von Weyregg kommend im Ortsgebiet von Kammer. Sie beobachtete dabei bereits, als einige 100 m vorher das Fahrzeug des Berufungswerbers hinter ihr fuhr und offensichtlich überholen wollte. Etwa im Bereich der Verbotszeichen "Überholverbot/Ende" (zehn bis fünfzehn Meter vor dem Haus S 4) setzte der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug zum Überholen an. Dabei gelangte er auf ihre Höhe, als er wegen eines Gegenverkehrs den Überholvorgang abbrechen mußte und sich wieder hinter ihr Fahrzeug einreihte. Das im Gegenverkehr befindliche Fahrzeug gab sowohl Hup- als auch Lichtzeichen ab. Ebenfalls sei es laut Erinnerung der Zeugin auch abgebremst worden. Die maximal erreichte Fahrgeschwindigkeit des überholenden Fahrzeuges bezeichnet die Zeugin mit 60 km/h. Ebenfalls legte die Zeugin dar, daß sich der Berufungswerber bereits 20 Meter nach dem Ausscherren - also auf Höhe der Mitte des Anwesens S 4 - auf ihrer Höhe befunden habe und sie dabei erkennen habe können, daß auch andere Personen im Fahrzeug mitfuhren. Die Zeugin schilderte an sich überzeugend und glaubhaft, daß sie hiedurch sehr erschrocken sei. Eine konkrete Gefahr vermochte sie jedoch nicht aufzuzeigen. Eine Gefahr wäre wohl gegeben gewesen, wäre der Überholvorgang nicht abgebrochen worden. Das Erschrecken der Zeugin ist jedoch durchaus nachvollziehbar, weil sie während des begonnenen Überholvorganges nicht wissen konnte, daß diese offenkundige Fehlentscheidung wieder korrigiert werden würde. In der Folge hielt sie nach dem am Ende des Gefahrensichtpunktes anschließenden Berges ihr Fahrzeug an und erwartete eine Reaktion des Berufungswerbers in Form einer Entschuldigung. Dieser grinste jedoch nur aus dem Fahrzeug und fuhr ohne anzuhalten an ihr vorbei. Aus diesem Grund entschloß sie sich zur Anzeige. 5.2. Im Ergebnis ergeben sich aus den Angaben der Zeugin und der Verantwortung des Berufungswerbers keine inhaltlichen Widersprüche. Lediglich in der Einschätzung dieses Verhaltens und die Fahrgeschwindigkeit des überholten Fahrzeuges bestehen verschiedene Betrachtungen. Diesgezüglich scheinen die Angaben der Zeugin logischer und somit glaubwürig. Unter Zugrundelegung der sich aus technischer Sicht ergebenden Schlußfolgerungen, kann aber trotzdem auf Grund der dort herrschenden Gefahrensichtweite von 237 m und den Leistungen des Fahrzeuges des Berufungswerbers ein sicherer Überholvorgang eines mit 40 bis 45 km/h fahrenden Fahrzeuges und unter der Annahme, sich eines mit maximal 50 km/h annähernden Gegenverkehrs, ein Überholvorgang von der Position des Berufungswerbers sicher durchgeführt werden. Der Überholweg beträgt ausgehend von den Leistungsdaten des Fahrzeuges 106 m, während in dieser Phase ein Gegenverkehr knapp 91 m zurücklegt. Die gesamte einsehbare Wegstrecke hat demnach zumindest 197 m zu betragen (Berechnung mittels dem PC-Programm, Analyzer Pro, Version 3,9, von Mag. Dr. Gratzer, SV für Verkehrswesen).

Offenbar befand sich zum Zeitpunkt des Überholentschlusses jedoch bereits ein Gegenverkehr innerhalb dieser Wegstrecke, welcher vom Berufungswerber aus nicht feststellbaren Gründen vorerst nicht beachtet bzw. übersehen worden sein dürfte. Jedoch wurde die Überholentscheidung innerhalb kürzester Zeit unterbrochen und somit korrigiert. Eine tatsächliche Gefährdung vermochte diesbezüglich anläßlich des Beweisverfahrens nicht festgestellt werden, ebenfalls gab die Zeugin selbst an, daß die Geschwindigkeitsdifferenz zu ihrem Fahrzeug - welche zw. 40 und 45 km/h betrug - nicht groß war. Auch die Wegstrecke vom Ausscheren bis zum Wiedereinscheren wurde als nur kurz beschrieben, wobei diese durch das ungefähre Bezeichnen der Zeugin bei der Verhandlung im Bereich von etwa 30 bis 40 m angenommen werden kann. Ein Erschrecken läßt sich anläßlich eines solchen Verkehrsgeschehens jedoch sehr wohl zurückführen. Auch die Motivlage für eine Anzeigeerstattung mag darin noch erklärbar sein. Dennoch vermag das als erwiesen geltende Verhalten weder den Tatvorwurf des § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 - welcher ohnedies bloß im Versuchsstadium verblieben ist - noch den einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung während des eingeleiteten Überholvorganges stützen. 6. Nach § 16 Abs.1 lit.a StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht Überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist, .... Das Tatbild besteht darin, daß der Lenker eines Fahrzeuges einen Überholvorgang ungeachtet dessen, daß andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten, durchführt, indem er mit dem Überholen beginnt oder den Überholvorgang nicht abbricht, solange dies noch möglich ist (VwGH 10.5.1993, 93/02/0003 mit weiteren Judikaturhinweisen). Die hier bereits nach kurzer Zeit, nach Gefahrenerkennung, vorgenommene Korrektur in Form des Abbruches des Überholvorganges, läßt daher das Verhalten nicht unter diesem Tatbild subsumieren. Auch aus der täglichen Fahrpraxis kann es nicht als strafwürdiges Verschulden erblickt werden, daß ein in der Vielfalt der Unwägbarkeiten im Straßenverkehr sich als verfehlt herausstellender und daher unverzüglich unterbrochener Überholentschluß, mit dem Überholen gleichzusetzen und strafbar sein sollte. Hinsichtlich der hier jedenfalls verfehlten Umschreibung der Tat iSd § 44a Z1 VStG und der Problematik der Strafbarkeit des Versuches, sowie einer allfälligen Sanierbarkeit des Spruches bedarf es hier keiner weiteren Erörterung mehr. Ebenfalls können Ausführungen dahingestellt bleiben, daß die Erstbehörde keinerlei Beweisverfahren durchgeführt und ihre Entscheidung bloß auf die von einer Privatperson gemachten Anzeigeangaben gestützt hat. Der Vorwurf, der Beschuldigte habe trotz Gegenverkehr den vor ihm fahrenden PKW überholt, ist einerseits bereits von der Anzeige nicht gedeckt, weil schon daraus hervorgeht, daß es bloß beim Versuch des Überholens geblieben ist, andererseits läßt er ein wesentliches Tatbestandsmerkmal vermissen (VwGH 25. 3. 1992, 91/03/ 0044).

Auch hinsichtlich der zur Last gelegten "wesentlichen" Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit ermangelt es eines für eine diesbezügliche Bestrafung hinreichenden Beweises. Es besteht lediglich eine als vage zu bezeichnende Möglichkeit, daß die Fahrgeschwindigkeit während des eingeleiteten Überholvorganges 60 km/h betragen haben könnte. Dies bildet in diesem Zusammenhang keine für eine Bestrafung ausreichende Grundlage.

Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S zu entrichten.

Dr. B l e i e r Beschlagwortung: Versuch, Überholvorgang, Abbruch

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