Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230691/8/Br

Linz, 15.12.1998

VwSen - 230691/8/Br Linz, am 15. Dezember 1998

DVR.0690392

Erkenntnis

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn T gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz - Land, vom 7. Oktober 1998, Zl. Sich96-206-1997, nach den am 1. und 15. Dezember 1998 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlungen und der Verkündung am 15. Dezember 1998 zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 471/1995 - AVG iVm § 21, § 24, § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 620/1995 VStG.

II. Es entfallen daher sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage: § 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Linz - Land hat mit dem Straferkenntnis vom 7. Oktober 1998, Zl.: Sich96-206-1997, wider den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 15 Abs. 1 Z2 iVm § 82 Abs.1 Z4 FrG eine Geldstrafe von 2.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit 112 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er sich vom 5.2.1996 bis 31.3.1997 in , und damit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, da er nicht im Besitz eines von einer österr. Sicherheitsbehörde erteilten Sichervermerkes (gemeint wohl Sichtvermerkes) bzw. einer Bewilligung zur Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Österreich gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes gewesen sei.

1.1. Begründend führte die Erstbehörde im Ergebnis unter Verweis auf die einschlägigen - im Spruch zitierten - Rechtsvorschriften aus, daß der objektive Tatbestand als erwiesen anzusehen sei. Zum Verschulden, so Erstbehörde, genügte nach § 5 Abs.1 VStG zur Strafbarkeit bereits fahrlässiges Verhalten. Bei Ungehorsamsdelikten präsumiere bereits der objektive Tatbestand auch das Verschulden des Täters. Das Gegenteil habe der Berufungswerber nicht glaubhaft zu machen vermocht. Eine Notstandssituation, auf die sich der Berufungswerber beruft, vermochte die Erstbehörde nicht zu erblicken bzw. habe ein solcher durch die Vorlagen diverser Unterlagen von Amnesty International vom Berufungswerber nicht dargetan werden können. Die Erstbehörde vermeint schließlich weiter, daß ein Notstand nur gegeben wäre, wenn dem Täter ein rechtmäßiges Verhalten unzumutbar wäre und von einem maßstabsgerechten (rechtstreuen) Menschen ebenfalls kein anderes Verhalten, als das vom Täter gesetzte, erwartet werden hätte können. Diese Voraussetzungen lägen zum Beispiel dann nicht vor, wenn er aus "Unzufriedenheit" mit den Verhältnissen des Heimatlandes seine Heimat verlassen hat und unberechtigt einen Asylantrag gestellt hat. Hier habe der Berufungswerber durch einen solchen Asylantrag eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung bekommen, sei jedoch in der Folge weitere dreizehn Monate unberechtigt im Bundesgebiet aufhältig geblieben. Weiter vermeint die Behörde, daß die Einwendungen des Berufungswerbers im Hinblick auf die Situation in Vietnam i.S des Refoulment-Verbotes nach § 37 Abs.1 und 2 FrG 1993 bloß für die Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Administrativverfahren, nicht jedoch für das Verwaltungsstrafverfahren relevant seien. Es liege hier kein Sachverhalt vor, demzufolge die tatbildmäßige Verhaltensweise von der Rechtsordnung gebilligt angesehen werden könne. Bei der Strafzumessung ging die Erstbehörde von einem Monatseinkommen des Berufungswerbers in der Höhe von 20.000 S, keinem Vermögen und keinen Sorgepflichten aus.

2. In der fristgerecht dagegen erhobenen Berufung führt der Berufungswerber im Ergebnis aus, daß das Verfahren beim BMfI über die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung noch ausstehe. Ferner habe er bei der vietnamesischen Botschaft um die Ausstellung eines Reisepasses angesucht. Dieses Ansuchen sei negativ beantwortet worden. Da er somit aus Österreich nicht ausreisen könne um von dort um eine vorübergehende Aufenthaltsbewilligung anzusuchen, hoffe er, daß er vom BMfI eine solche Bewilligung bekomme.

Er sei ständig bemüht seine aufenthaltsrechtliche Angelegenheit so schnell es ihm ermöglicht werde zu erledigen. Er gehe täglich seiner Arbeit nach und habe sich nichts zu Schulden kommen lassen.

3. Da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Mitglied zu entscheiden. Da die Verantwortung des Berufungswerbers nur im Rahmen einer unmittelbaren Anhörung klärbar schien, war in Wahrung der gemäß Art. 6 EMRK intendierten Rechte eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen gewesen (§ 51e Abs.1 VStG). Daran nahm neben dem Berufungswerber jeweils auch eine Vertreterin der Erstbehörde teil.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme des von der Erstbehörde vorgelegten Verwaltungsaktes, Zl. Sich96-206-1997. Ferner wurde Beweis erhoben durch Anhörung des Berufungswerbers bei der Berufungsverhandlung und die Einbeziehung der anläßlich der Berufungsverhandlung vom Berufungswerber vorgelegten Schriften im Hinblick auf seine bisherigen Bemühungen betreffend die Erlangung des Aufenthaltsrechtes in Österreich. Ebenfalls wurde das am 1.12.1998 von der Volkshilfe - Landesgruppe Oö. - übermittelte Schreiben verlesen. Daraus ergibt sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt.

5. Nachfolgender Sachverhalt gilt als erwiesen:

5.1. Der Berufungswerber ist als vietnamesischer Staatsangehöriger bereits am 27. Mai 1991 über Gmünd illegal nach Österreich eingereist. In Tschechien war er vorher bereits drei Jahre im Rahmen eines Ausbildungsprogrammes aufhältig. Dort wurde seinen Angaben entsprechend der vietnamesische Reisepaß von Amts wegen einbehalten und ihm letztendlich nicht mehr ausgefolgt. Bereits mit Schreiben der vietnamesischen Botschaft in Österreich vom 21.2.1994 wurde ihm aus formalen Gründen die Ausstellung eines Reisepasses verweigert. Ebenfalls ergibt sich aus einem Schreiben dieser Botschaft vom 22.3.1996, No. 16/95-DSQA.TB, daß ihm kein neuer Paß ausgestellt werden könne, weil er den alten Paß nicht vorzuweisen vermochte. Im Falle eines Verlustes müsse hiefür eine entsprechende Bestätigung vorgewiesen werden. Der Berufungswerber wurde am 10. Jänner 1994 aus der Bundesbetreuung entlassen. Mit seinem Asylbegehren wurde er in allen Instanzen abgewiesen. Derzeit ist, wie glaubhaft dargetan wird, noch ein Verfahren über die Erteilung einer vorläufigen Aufenthaltsbewilligung beim BMfI bzw. ein Verfahren beim Integrationsbeirat anhängig. Mit einer Entscheidung dieses Gremiums ist zu Beginn des Jahres 1999 zu rechnen.

Der Berufungswerber besitzt seit 15. Dezember 1994 bis zum 15. Dezember 2000 durchgehend eine Arbeitserlaubnis für Österreich. Er ist als Koch berufstätig. Er ist aber offenkundig nicht im Besitz eines Reisedokumentes. Daher ist ihm eine Ausreise aus Österreich auf legaler Basis nicht möglich. Gegenteiliges kann weder aus dem erstbehördlichen Akt noch aus dem durchgeführten Beweisverfahren entnommen werden. Die Erstbehörde vermeinte im Gegensatz dazu, daß der Berufungswerber nicht alles ihm zumutbare getan habe in den Besitz eines Reisedokumentes zu gelangen. Dies sei insbesondere darin zu erblicken, weil der Berufungswerber sich keine Verlustbestätigung hinsichtlich seines Reisedokumentes zu beschaffen vermochte um so bzw. mit dieser Bestätigung letztlich einen neuen Reisepaß von der vietnamesischen Botschaft zu bekommen. 5.1.1. Dieses Beweisergebnis stützt sich neben dem Vorbringen des Berufungswerbers auch auf, durch Vorlage von Dokumenten aktenkundige Tatsachen. Der Berufungswerber hat glaubhaft dargetan, daß es ihm objektiv nicht möglich gewesen ist die Ausstellung eines Reisedokumentes zu erwirken. Das angebliche Verbleiben seines Reisedokumentes in der Sphäre einer Behörde in Tschechien kann nicht als Verlust qualifiziert werden. Die Schwierigkeiten der Erlangung einer Bestätigung von tschechischer Seite können bei realistischer Betrachtung dem Berufungswerber nicht als schuldhafte Unterlassung zugeordnet werden. Vielmehr ist es gut nachvollziehbar, daß jemand der einerseits sich mangels eines Reisedokumentes nicht in dieses Land begeben kann und die Behördenstrukturen dort auch nicht kennt, hinsichtlich der Ausstellung einer Verlustbestätigung, abgesehen von der fehlenden Sprachkenntnis, schlechthin überfordert wäre. Vielmehr kann ein solches Ansinnen in den Bereich der Unmöglichkeit verwiesen werden. Der Berufungswerber machte auch anläßlich der Berufungsverhandlung einen soliden Eindruck und er legte sein redliches Bemühen, legal in Österreich sein zu wollen, glaubwürdig dar. Er hat sich in den Jahren seines Aufenthaltes offenbar nie etwas zu Schulden kommen lassen.

5.2. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat wie folgt erwogen:

5.2.1. Gegenstand der Beurteilung ist hier demnach, ob dem Berufungswerber im Sinne des wider ihn erhobenen Tatvorwurfes ein Verschulden trifft. Der § 5 Abs.1 VStG normiert, daß, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn - so wie hier - zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört (den sog. Ungehorsamsdelikten) und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. 5.2.2. Der unabhängige Verwaltungssenat vermag sich inhaltlich der in diesem Punkt von der Erstbehörde vorgenommenen umfassenden rechtlichen Beurteilung nicht anzuschließen. Die Erstbehörde scheint selbst davon ausgegangen zu sein, daß administrativrechtlich eine den Aufenthalt beendende Maßnahme gegen den Berufungswerber im gegenständlichen Fall nicht möglich ist. Schon daraus wird erhellt, daß dem Berufungswerber, der nicht im Besitz eines Reisedokumentes ist, eine 'legale' Ausreise aus dem Bundesgebiet daher nicht möglich ist. Schon aus diesem Grund ermangelt es ihm an einem rechtmäßigen Alternativverhalten, so daß ihm daher sein formal auf keiner gesetzlichen Grundlage fußender Aufenthalt auch nicht als (verwaltungs-)strafrechtliches Verschulden zur Last gelegt werden kann. 5.2.3. Auch den durchaus belegten Bemühungen des Berufungswerbers, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet einerseits mit seinen noch anhängigen Begehren und den mehrmaligen Interventionen bei der vietnamesischen Botschaft, um in den Besitz eines Reisepasses zu gelangen auf eine legale Basis zu stellen, kommt in diesem Zusammenhang eine rechtsrelevante Bedeutung zu. Auch sein offenkundiges Wohlverhalten und die bereits mehrjährige legale Beschäftigungsausübung kommt in diesem Kontext Bedeutung zu. Der auf die gesamte Rechtsordnung anzuwendende Grundsatz der Effektivität zur Rechtsdurchsetzung darf daher nicht in die Sphäre der bloßen Fiktion entrückt sein (vgl. VfGH 23.6.1992, G330 bis G333/91, Slg.Nr. 13.120 sinngem.). Vom Berufungswerber zu erwarten, den Ausgang seines Verfahrens im Ausland abzuwarten würde in seiner spezifischen Situation nach h. Auffassung die Erwartungen an Zumutbares bereits überspannen. Ganz abgesehen davon, daß er dies wohl wiederum nur mit einer illegalen Einreise in ein Drittland bewerkstelligen könnte.

5.3. Nach § 6 VStG ist ferner eine Tat dann nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist. Auch im Verwaltungsstrafrecht ist nur ein schuldhaftes Verhalten strafbar (VwGH 13.5.1987, 85/18/0067; SCHULDAUSSCHLIESZUNGSGRÜNDE [vgl Leukauf - Steininger 4 StGB RN 6]) bewirken, daß die tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung im konkreten Fall im Rahmen des Strafverfahrens nicht vorwerfbar ist; geht man nun davon aus, daß dem Berufungswerber nur unter Begehung eines strafbaren Verhaltens eine Ausreise offen steht - nämlich die Ausreise ohne Reisedokument - so befindet er sich in einem unlösbaren Konflikt, den er selbst gegenwärtig nicht zu lösen vermag. Bei gegenständlichem Sachverhalt vermögen aus diesem Blickwinkel die umfangreichen und an sich durchaus vertretbaren rechtlichen Ausführungen der Erstbehörde für die Aufrechterhaltung des Strafausspruches jedoch nicht überzeugen.

5.3.1. Im Rahmen der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit ist zu fragen, ob der Handelnde zu einem objektiv sorgfaltsgemäßen Verhalten überhaupt fähig ist;das Erfordernis der Zumutbarkeit hat dagegen sicherzustellen, daß Fahrlässigkeitsschuld auch dann entfällt, wenn dem Täter die Erfüllung der objektiven Sorgfaltspflicht zwar an sich möglich gewesen wäre, aber infolge der besonderen Tatumstände an ihn derart hohe Anforderungen stellen würde, daß das Recht ihre Verfehlung nicht mehr vorwerfen kann. Das bedeutet, daß in Verallgemeinerung des Grundgedankens von § 10 StGB zu fragen ist, ob von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen, der mit den konkreten körperlichen und geistigen Ausstattungen des Täters - hier in seiner spezifischen Situation - zu denken ist, in der speziellen Tatsituation die Einhaltung der objektiven Sorgfaltspflichten realistischerweise zu erwarten war. Ist dies zu bejahen oder zu verneinen? Dies ist eine Wertentscheidung. Für eine entsprechende Auslegung des Schuldelementes der Zumutbarkeit ist auf Grundlage des "neuen" StGB durchaus Raum. Von dieser Möglichkeit sollte (muß) Gebrauch gemacht werden (Burgstaller, Fahrlässigkeit im Strafrecht, Wien 1974, Seite 200). 5.3.2. Da hier objektiv besehen vom Fehlen der für eine Bestrafung erforderlichen entscheidenden subjektiven Tatelemente ausgegangen werden muß, genügt hier das Vorliegen des bloß objektiven Tatbestandes nicht. Hier hat vielmehr der Berufungswerber - im Gegensatz zur Wertung durch die Erstbehörde - im Sinne des § 5 Abs.1 VStG sehr wohl darzutun vermocht, daß ihn an der Erfüllung des Tatbestandes des illegalen Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verschulden nicht trifft. Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2500 S zu entrichten. Dr. B l e i e r Beschlagwortung: Alternativverhalten, Unmöglichkeit, Sorgfaltspflicht

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