Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420530/26/WEI/Ga

Linz, 06.08.2008

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde der mj. S K, vertreten durch den Vater und gesetzlichen Vertreter A K, beide wohnhaft L, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 18. November 2007 ab 3:30 Uhr in Haslach und Rohrbach durch die Bezirkshauptfrau von Rohrbach zurechenbare Organe der Bundespolizei nach Durchführung der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2008 zu Recht erkannt:

 

 

I.            Die Beschwerde gegen die Aufforderung zum Alkotest auf der Polizeiinspektion Rohrbach wird mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes als unzulässig zurückgewiesen.

 

II.        Der Beschwerde gegen die Festnahme der Beschwerdeführerin am Marktplatz in Haslach und die anschließende Verbringung auf die Polizeiinspektion Rohrbach wird Folge gegeben und diese freiheits­entziehende Maßnahme für rechtswidrig erklärt.

 

III.    Im Verfahren zu Punkt I hat die Beschwerdeführerin dem Land Oberösterreich den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 547,10 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

IV.      Im Verfahren zu Punkt II hat das Land Oberösterreich der Beschwerdeführerin den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 1.524 Euro (darin enthalten 37,20 Euro Stempelgebühren) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs 1 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) iVm § 67 Abs 1 Z 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG); §§ 67c und 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit der am 13. Dezember 2007 beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eingelangten Eingabe vom 6. Dezember 2007 hat die mj. Beschwerdeführerin (im Folgenden Bfin) gemäß § 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm §§ 67a ff AVG rechtzeitig Maßnahmenbeschwerde wegen

 

"Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane des Landespolizeikommandos für Oberösterreich am 18.11.2007 um ca. 03.30 Uhr in 4170 Haslach auf dem Marktplatz durch die rechtswidrige Festnahme und Verbringung auf die Polizeiinspektion Rohrbach im Mühlkreis sowie durch die an­schließend gesetzwidrige Aufforderung zur Untersuchung der Atemluft mit einem Alkohol­vortestgerät zur Feststellung einer Alkoholbeeinträchtigung nach § 8 Jugend­schutz­gesetz"

 

erhoben. Nach schriftlicher Belehrung durch den Oö. Verwaltungssenat vom 28. Dezember 2007 über die beschränkte Geschäftsfähigkeit der Bfin wurde der Schriftsatz mit Unterschrift des Vaters und gesetzlichen Vertreters am 8. Jänner 2008 neuerlich eingebracht, was als Genehmigung der ursprünglichen Eingabe gemäß § 865 ABGB zu werten ist.

 

Im Punkt I. der Beschwerde hat die Bfin folgenden Sachverhalt vorgebracht:

 

"Am 18.11.2007 um 03.30 Uhr wurde ich in 4070 Haslach von zwei Polizeibeamten angehalten und zur Bekanntgabe des Nationale bzw. Aushändigen eines amtlichen Lichtbildausweises aufgefordert. Zuerst wollte ich meinen Namen nicht nennen, nach einer weiteren Aufforderung der Polizeibeamten habe ich angegeben, wie ich heiße und wo ich wohne. Nun wurde mir von einem Polizeibeamten unmissverständlich mitgeteilt, 'dass das nun zu spät sei' und ich nun auf die Polizeidienststelle mitfahren muss. Die Überprüfung wurde dem Grunde nach im Sinne des OÖ. Jugendschutzgesetzes durchgeführt, weil ich nach meinem Alter befragt wurde und was ich um diese Zeit auf dem Marktplatz in Haslach noch machen würde. Ich befand mich zu Fuß an der Örtlichkeit.

 

Ich wurde anschließend mit dem Zivilwagen von Haslach nach 4150 Rohrbach zur dortigen Polizeidienststelle gebracht.

 

Auf der Dienststelle wurde ich aufgefordert, einen Alkotest durchzuführen. Der Überprüfung der Atemluft auf Alkoholgehalt wurde mit einem Vortestgerät vorgenommen."

 

1.2. Die Bfin beantragte im Beschwerdepunkt II. wie folgt:

 

"Da mich die beschriebene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die bezeichneten Organe in meinem Recht auf persönliche Freiheit und dem einfach gesetzlich gewährleisteten Recht, eine Untersuchung der Atemluft mit einem Vortestgerät nicht entgegen der Verordnung (Alkotestgeräteverordnung BGBL. II Nr. 404/2005) durchführen zu müssen, verletzt, erhebe ich binnen offener Frist gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 und §§ 67c ff AVG

 

 

B e s c h w e r d e

 

an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich und stelle die

 

 

A n t r ä g e,

 

der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge

 

a.      feststellen, dass ich durch die Verbringung auf die Polizeidienststelle von 4170 Haslach nach 4150 Rohrbach zur dortigen Polizeidienststelle am Recht der persönlichen Freiheit verletzt wurde;

 

b.      gemäß § 67c Abs 3 AVG den vorgenommenen Verwaltungsakt für bzw. die vorgenommene  Untersuchung der Atemluft für rechtswidrig erklären; sowie

 

c.               gemäß § 79a AVG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl II 2003/334 erkennen, das Land Oberösterreich ist schuldig, die mir durch das Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich entstandenen Kosten im gesetzlichen Ausmaß zu meinen Handen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen."

 

1.3. Zur Begründung der Anträge wird im Punkt III. der Beschwerde zum Festnahmegrund des § 35 Z 1 VStG ausgeführt, dass die Bfin ihren Namen und die Wohnanschrift nach der zweiten Aufforderung mitgeteilt hätte, worauf ihr gesagt worden wäre, dass es nun "zu spät dafür sei" und sie mitfahren müsste. Die Überprüfung ihrer Angaben hätte leicht an Ort und Stelle durchgeführt werden können, zumal die Polizeifahrzeuge mit der zuständigen Bezirksleitstelle rund um die Uhr im Funkverkehr stünden. Die Streifenbesatzungen seinen erfahrungsgemäß auch mit Mobiltelefonen ausgestattet, sollte im Falle eines Funkschattens keine Verbindungsmöglichkeit bestehen.

 

Die Angaben der Bfin hätten durch Anfrage im zentralen Melderegister überprüft werden können. Außerdem hätte die Bfin den Wohnungsschlüssel vorgezeigt, weil sie in dieser Nacht bei einer Schulfreundin am Marktplatz in Haslach nächtigte. Eine Überprüfung hätte auch erfolgen können, weil sich das Haus in einer Entfernung von ca. 200 m vom Anhalteort befunden hätte. Es wäre der Bfin nicht die Möglichkeit eingeräumt worden, sich in die Wohnung zu ihrer Freundin zu begeben. Sie wäre vielmehr aufgefordert worden, auf die Polizeidienststelle mitzufahren. Dies habe dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Hinblick auf die Übertretung nach dem Jugendschutzgesetz widersprochen. Das Fehlverhalten der Bfin hätte mit Organmandat geahndet werden oder einfach nur der Behörde angezeigt werden können.

 

Auch auf das Sicherheitspolizeigesetz könne der Eingriff in die persönliche Freiheit nicht gestützt werden. § 45 Abs 2 Z 2 SPG ermächtige zur Festnahme von Unmündigen, die in der Zeit zwischen 00:00 und 05:00 Uhr ohne Aufsicht an einem öffentlichen Ort angetroffen werden und gefährlichen Angriffen ausgesetzt wären. Die Bfin sei nicht unmündig gewesen und am Anhalteort auch keinen gefährlichen Angriffen iSd § 16 SPG ausgesetzt gewesen.

 

Die Verbringung zur Polizeidienststelle Rohrbach sei daher rechtswidrig gewesen.

 

Nach der Alkovortestgeräteverordnung BGBl II Nr. 405/2005 werden besonders geschulte Organe der Straßenaufsicht zur Überprüfung der Atemluft gemäß § 5 Abs 2a StVO ermächtigt. Da die Bfin kein Fahrzeug lenkte, sondern zu Fuß unterwegs war, wären die Voraussetzungen zur Untersuchung der Atemluft mit dem Vortestgerät grundsätzlich nicht vorgelegen. Die Bfin wäre auf der Polizeiinspektion Rohrbach unmissverständlich zur Durchführung des Alkotests aufgefordert worden. Eine Wahlmöglichkeit wäre ihr nicht eingeräumt worden. Die Anordnung des Alkotests wäre daher mit Befehlsgewalt ausgesprochen worden. Die Aufforderung zum Alkotest wäre auf Grund der Gesetzeslage rechtswidrig gewesen. Sie diente der Feststellung, ob die Bfin als Jugendliche gemäß § 8 Oö. Jugendschutzgesetz verbotener Weise Alkohol konsumierte. Dieses Gesetz sehe eine Überprüfung der Atemluft mit einem Alkovortestgerät nicht vor. Deshalb liege Rechtswidrigkeit der Aufforderung vor.

 

Der Beschwerde angeschlossen wurden Ablichtungen von Ausdrucken aus dem RIS betreffend die einschlägigen Rechtsvorschriften und eines Schreibens der belangten Behörde vom 26. November 2007, Pol96-129-2007, betreffend eine Einladung zur Aussprache bei der Jugendberatung wegen der gegenständlichen Übertretungen des Oö. Jugendschutzgesetzes 2001.

 

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat die Beschwerde der belangte Behörde zur Kenntnis gebracht und zur Aktenvorlage und Gegenschrift aufgefordert. Mit Schreiben vom 15. Februar 2008, eingelangt am 26. Februar 2008, erstattete die belangte Behörde eine Gegenschrift und legte ihre Verwaltungsakten vor.

 

2.1. Zum Sachverhalt verweist die belangte Behörde auf die Sachverhalts­darstellung des Bezirkspolizeikommandos Rohrbach mit Aktenver­merken über die Befragung der beteiligten Polizeibeamten durch den Bezirkspolizeikomman­danten.

 

Nach dieser Sachverhaltsdarstellung des Bezirkspolizeikommandos bemerkten die Beamten der Polizeistreife Rohrbach Verkehr 1 zwei Burschen und zwei Mädchen am Marktplatz Haslach. Da die Mädchen noch nicht 16 Jahre alt und alkoholisiert schienen, wären sie genauer kontrolliert worden. Obwohl die Voraussetzungen für eine Festnahme nach dem § 35 VStG vorgelegen wären, wäre diese nicht erforderlich gewesen, weil die Mädchen das Angebot, die Sache auf der Polizeiinspektion Rohrbach zu klären, angenommen hätten. Dort hätte die Identität der Mädchen S K und S B festgestellt werden können und wären diese mit ihrem Alkoholkonsum konfrontiert worden. Sie hätten freiwillig einen Alkomattest gemacht, um zu beweisen, dass ihre Angaben betreffend wenig Alkoholkonsum richtig sind. Der Alkomattest habe bei der Bfin einen Wert von umgerechnet 0,40 Promille und bei S B von 0,78 Promille Blutalkoholgehalt ergeben.

 

Mit Schreiben der Polizeiinspektion (PI) Rohrbach vom 25. November 2007, Zl. A2/9423/07-MitE, wurde die Bfin wegen des Verdachts der Übertretung des Oö. Jugendschutzgesetz 2001 der belangten Behörde angezeigt.

 

2.2. In ihrer rechtlichen Beurteilung verweist die belangte Behörde auf die sog. "Ex-ante Betrachtung" und den Grundsatz der Vertretbarkeit für die Beurteilung des Sachverhalts durch das Organ. Die einschreitenden Polizeiorgane hätten zum Zeitpunkt ihres Einschreitens vertretbar annehmen können, dass zwei Mädchen unter 16 Jahren die Übertretungen nach § 5 Abs 1 Z 1 lit b) (unerlaubter Auf­enthalt zwischen 24:00 und 05:00 Uhr) und nach § 8 Abs 1 Oö. Jugend­schutz­gesetz 2001 (Alkoholkonsum vor dem vollendeten 16. Lebensjahr) begangen hatten.

 

Zur "Verbringung" mit dem Dienstwagen zur PI Rohrbach hätten die Bfin und ihre Begleiterin den Vorschlag angenommen, zur PI mitzukommen, um dort zweifelsfrei die Identität zu klären. Alternativ wäre an die Feststellung über Funk und erst bei deren Unmöglichkeit an Maßnahmen im Sinne des § 35 VStG gedacht worden. Die Bfin wäre freiwillig dem Vorschlag der Polizeibeamten gefolgt, weshalb keine Festnahme vorliegen könnte. Beide Mädchen wurden auch heimgebracht, was Freiwilligkeit nahe lege. Dem Beschwerdeschriftsatz sei keine Notiz zu entnehmen, dass das "Heimbringen" unfreiwillig passiert wäre.

 

In eventu bringt die belangte Behörde vor, dass durchaus Festnahmegründe im Sinne des § 35 VStG vorgelegen wären. Die Bfin sei auf frischer Tat betreten worden, den Organen unbekannt gewesen, hatte sich nicht ausgewiesen und wäre auch die Identität sonst nicht sofort feststellbar gewesen. Daher wäre der Festnahmegrund des § 35 Z 1 VStG vorgelegen. Eventuelle wäre auch an § 35 Z 3 VStG zu denken gewesen, wenn die Bfin weiterhin spazieren gehen oder Alkohol konsumieren hätte wollen.

 

In Bezug auf die Atemluftuntersuchung wäre der Bfin ebenfalls nur die Möglichkeit geboten worden, durch einen freiwilligen Alkomattest den Beweis anzutreten, dass sie nicht oder nicht erheblich alkoholisiert war. Die belangte Behörde schenke den einschreitenden Polizeibeamten Glauben, weil es sich um äußerst zuverlässig und besonnene Beamte handelte. Ein Befehl zum Alkotest wäre im Übrigen völlig sinnlos gewesen, weil eine Verweigerung keinerlei Folgen gehabt hätte, was den Beamten auch bewusst gewesen wäre. Die Sachkunde von Polizeibeamten reiche nach ständiger Judikatur für die Feststellung von Alkoholisierungssymptomen aus.

 

Die fünfzehnjährigen Mädchen hätten beteuert, nur ganz wenig Alkohol getrunken zu haben. Damit legten sie bereits ein Geständnis ab, weil Fünfzehn­jährige gar keinen Alkohol trinken dürften. Es hätte aus Sicht der Polizei keines weiteren Beweises bedurft und auch kein Grund bestanden, einen Alkomattest anzuordnen. Somit sei die Einladung zum Entlastungsbeweis durchaus schlüssig nachvollziehbar gewesen. Der Verweis auf die Alkovortestgeräteverordnung und StVO sei völlig aus der Luft gegriffen. Der Bfin musste bewusst sein, dass keine Amtshandlung nach der StVO, sondern nach dem Jugendschutzgesetz vorliegt.

 

Im Ergebnis vertritt die belangte Behörde die Ansicht, dass die Bfin freiwillig auf die PI Rohrbach mitfuhr und dort freiwillig einen Alkomattest durchführte, weshalb keine Maßnahmen gesetzt worden wären. Die Beschwerde sei daher unzulässig und kostenpflichtig zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

 

2.3. Mit Stellungnahme vom 15. März 2008 hat sich die Bfin durch ihren Vater und gesetzlichen Vertreter zur Gegenschrift der belangten Behörde geäußert und ihre Beschwerde vollinhaltlich aufrechterhalten. Im Wesentlichen wird der behaupteten Freiwilligkeit entgegen getreten und die Möglichkeit der Über­prüfung des "Nationale" an Ort und Stelle in Haslach betont. Die angegebene Übernachtung bei einer Freundin am Haslacher Marktplatz sei von den Polizeibeamten ignoriert worden. Ein besonnener Beamter hätte diese Angabe überprüft und nicht den Beschluss gefasst, auf die Polizeidienststelle zu fahren. Die Aufforderung zum Mitkommen wäre klar, deutlich und unmissverständlich als Befehl zu verstehen gewesen. Auf Grund der dargelegten Umstände wären die Voraussetzungen für eine Festnahme nicht vorgelegen. Auch nach dem sonstigen Umständen sei die bekämpfte Maßnahme außer Verhältnis zur Übertretung gestanden.

 

Die Aufforderung zum Alkotest wäre ebenfalls im Befehlston erfolgt. Die Bfin hätte an ihrem Geburtstag um Mitternacht 2 Gläser Sekt Orange getrunken. Sie wäre der Meinung gewesen, der Aufforderung des Polizeibeamten Folge leisten zu müssen. Freiwillig hätte sie sich dem Alkotest nicht unterworfen, weil sie wusste, etwas getrunken zu haben, was unter 16 Jahren verboten war. Die Bfin habe nicht gewusst, dass die Weigerung ohne rechtliche Folgen gewesen wäre. Das Messergebnis wurde im Wege der Anzeige übermittelt. Die belangte Behörde versuche auf Basis der Freiwilligkeit das polizeiliche Handeln zu rechtfertigen, für das es keine Rechtsgrundlage gegeben hätte.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat am 17. Juni 2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung in Gegenwart der Bfin und ihres Vaters und gesetzlichen Vertreters sowie des Mag. J H  als Vertreter der belangten Behörde durchgeführt. Beweis wurde aufgenommen durch Erörterung der Aktenlage und Einvernahme der mj. Bfin als Partei sowie durch Einvernahme der Zeugen mj. S B , des RI E M und GI G J.

 

Auf Grund der Ergebnisse der durchgeführten Verhandlung und der Aktenlage geht das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenats vom folgenden wesent­lichen S a c h v e r h a l t aus:

 

3.1. Am 18. November 2007 zwischen 03:00 und 03:30 Uhr fuhren die Polizeibeamten GI G J und RI E M zunächst mit dem Zivilstreifenwagen im Rahmen ihrer Überwachungstätigkeit durch Haslach im Mühlkreis, wobei ihnen schon vier Jugendliche auffielen. Als die Polizeibeamten in der Folge gegen 03:30 Uhr den Haslacher Marktplatz abermals passierten, hielten sie im Bereich der Kreuzung Sternwaldstraße/Haslacher Straße das Dienstfahrzeug an, um die Personen zu kontrollieren. Die beiden Mädchen, S B und die Bfin, kamen den Beamten noch sehr jung vor. Die Polizeibeamten dachten zwar eher nicht an unmündige Personen, gingen aber davon aus, dass die Mädchen im Alter unter 16 Jahren waren (Zeuge RI M, Verhandlungsprotokoll- VP, Seite 11 f, Zeuge GI J, VP, Seite 15). Die Burschen, die Ausweise vorwiesen, waren schon über 16 Jahre alt. Sie durften sich daher in der Folge entfernen. Die beiden Mädchen konnten keine Ausweise vorweisen. Sie wurden nach ihrem Namen, Alter und Wohnorten gefragt, machten dazu aber vorerst keine Angaben und begründeten diese damit, dass sie nur spazieren gingen, um frische Luft zu schnappen, und in der Nähe bei einer Freundin schlafen und gleich wieder nach Hause gehen wollten (Bfin, VP, Seite 4; Zeuge RI M, VP, Seiten 10 und 12; Zeugin S B , VP, Seite 7). Die Mädchen wollten in einem nahe gelegenen Haus am Marktplatz bei ihrer Schulfreundin K T übernachten, wo sie den 15. Geburtstag der Bfin gefeiert und zu Dritt eine Flasche Sekt getrunken hatten (Zeugin S B , VP, Seite 7). Sie zeigten auch auf das etwa in der Mitte des Marktplatzes in Haslach gelegene Haus in einer Entfernung zwischen 100 bis 200 m (Bfin, VP, Seite 3 f). Den mitgeführten Wohnungsschlüssel wies S B aber aus Nervosität nicht vor (S B , VP, Seite 7).

 

Die Beamten, die im Zuge der Amtshandlung auch Alkoholgeruch wahrnahmen, bestanden darauf, von den noch zögernden Mädchen die Identität zu erfahren. Dabei wurde den Mädchen auch in Aussicht gestellt, die Sache ansonsten am Posten abzuklären, was die Bfin aber zunächst ausdrücklich verweigerte. GI G J redete dann minutenlang auf die Bfin ein, um ihr klar zu machen, dass sie ihre Identität nicht einfach verschweigen könnte. Sie müsste sich kooperativ zeigen, sonst werde sie festgenommen. Dabei sagte GI J auch zur Bfin: Das geht doch nicht, sie werde doch nicht wollen, dass wir sie festnehmen und mitnehmen (Zeuge J, VP, Seiten 14 f).

 

3.2. Die Bfin gab weiterhin keine Auskunft und versuchte vergeblich mit dem Handy jemanden zu erreichen. Der Polizeibeamte sagte schließlich: "So, jetzt fahren wir auf den Posten". Daraufhin gaben die Mädchen ihre Namen an und erklärten auch, dass sie 15 Jahre alt wären. "Jetzt ist es zu spät", sagte einer der Beamten und die Mädchen wurden im Befehlston aufgefordert, ins Dienstfahrzeug einzusteigen und mitzukommen. Die Mädchen sahen sich gezwungen dem Befehl nachzukommen und stiegen hinten ins Polizeifahrzeug, an dem schon die Türe zum Einsteigen geöffnet worden war.

 

Die Fahrt zu dem nur wenige Kilometer entfernten Polizeiposten Rohrbach dauerte etwa 10 Minuten, wobei schon auf der Fahrt im Hinblick auf den vermuteten Alkoholkonsum der Mädchen von der Durchführung eines Alkotests die Rede war. Auf der Polizeiinspektion Rohrbach überprüfte RI M die Identitäts­angaben der Mädchen durch EDV-Anfrage an das zentrale Melderegister (ZMR). Der vorgefundene Eintrag bestätigte die gemachten Angaben.

 

Der Zeuge RI M packte dann ein Alkovortestgerät aus und hielt es der Bfin und der Zeugin S B mit der Aufforderung vor, in das Rohr hineinzublasen bis man einen Widerstand spürt und er "halt" sage. Der Vorgang verlief routinemäßig und ohne Protest der Mädchen (Zeuge M, VP, Seite 11; Bfin, VP, Seiten 4 f; Zeugin S B , VP, Seite 9). Die Mädchen widersetzten sich der Aufforderung des Polizeibeamten nicht, weil sie glaubten, den Alkotest durchführen zu müssen (Zeugin B, VP, Seiten 8 und 9). Sie hatten keine genaue Vorstellung über die Konsequenzen einer Verweigerung und dachten an eine höhere Strafe oder sonstige Unannehmlichkeiten (Zeugin B, VP, Seite 8, Bfin, VP, Seite 17). Die Atemluftuntersuchung mit dem Alkovor­testgerät ergab einen Atemluftalkohol­gehalt von 0,2 mg/l (entspricht 0,4 Promille) bei der Bfin und von 0,39 mg/l (entspricht 0,78 Promille) bei ihrer Freundin S B . RI M informierte beide über die bevorstehende Anzeige nach dem Oö. Jugendschutzgesetz und telefonierte dann mit der Mutter der S B , um ihr die Heimkehr ihrer Tochter anzukündigen. Die Eltern der Bfin waren nicht erreichbar. In der Folge brachten die Beamten mit dem Dienstwagen S B in Rohrbach und danach die Bfin in L nach Hause.

 

Die Angaben der beiden Mädchen zu ihrer Identität hätten auch noch am Marktplatz Haslach durch ZMR-Anfrage im Wege der Bezirksleitzentrale per Funk oder mit dem Diensthandy überprüft werden können (RI M, VP, Seiten 10 und 12 , GI J, VP, Seite 16).

 

3.3. Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Angaben der in der öffentlichen Verhandlung einvernommenen Personen, die nicht in allen Belangen miteinander vereinbar waren. Zur Würdigung der Aussagen wird zunächst auf die oben zitierten Belegstellen verwiesen. Die jugendliche Bfin und ihre Freundin S Zeugin B hinterließen beim erkennenden Mitglied einen glaub­würdigen Eindruck, auch wenn mitunter Erinnerungslücken vorhanden waren. Deutlichere Lücken noch zeigten sich auch bei der Vernehmung der beiden Polizeibeamten (vgl VP, Seiten 12, 14 und 16), die an sich von Berufs wegen damit rechnen müssten, als zuverlässige Zeugen über geführte Amtshandlungen zur Verfügung zu stehen. Ein polizeilicher Dienstbericht über die Amtshandlung ist leider ebenso wenig vorhanden wie polizeiliche Vernehmungsprotokolle. Lediglich Aktenvermerke des Bezirkspolizeikommandanten über die Befragung der Polizeibeamten sind aktenkundig. Die Angaben der befragten Polizeibeamten im gegenständlichen Verfahren konnten nur mit gewissen Einschränkungen für die Wahrheitsfindung verwertet werden, haben sich doch nicht unerhebliche Unsicherheiten und Widersprüche ergeben.

 

Den teilweise tendenziösen Ausführungen des Polizeibeamten RI M konnte nicht gefolgt werden. Soweit dieser Zeuge versuchte, die Folgeleistung der Mädchen als freiwilliges Verhalten darzustellen, welches nur auf Angebote der Polizisten einging, befand er sich nicht nur im deutlichen Widerspruch zur glaubhaften und übereinstimmenden Gegendarstellung der Bfin und ihrer Freundin S B , sondern auch zu den Angaben seines eigenen Kollegen GI J. Dieser schilderte in der Verhandlung unmissverständlich, dass er minutenlang auf die Bfin einredete und ihr für den Fall der weiter anhaltenden mangelnden Kooperationsbereitschaft auch die Festnahme in Aussicht stellte. Dabei erklärte er auch ausdrücklich: "Dann fahren wir auf den Posten, um die Sache abzuklären" (vgl VP, Seite 14 u 15). Somit besteht für das erkennende Mitglied keinerlei Zweifel, dass sich die Bfin und ihre Freundin in einer Situation befanden, in der sie mit unmittelbarem Zwang rechnen mussten, wenn sie der Aufforderung, ins Dienstfahrzeug einzusteigen und mitzukommen, nicht Folge geleistet hätten.

 

Dass die Mädchen, die die Nacht in einem nahe gelegenen Haus am Marktplatz in Haslach bei einer Schulfreundin verbringen wollten, freiwillig auf den Posten  Rohrbach mitgefahren wären, um dort einen Alkotest abzulegen, entspricht auch nicht der allgemeinen Lebenserfahrung. Die Bfin und S B wussten nämlich, dass sie mit ihrer Schulfreundin eine Flasche Sekt und damit Alkohol getrunken hatten. Es konnte ihnen daher nicht daran gelegen sein, mittels eines Alkotests am Posten in Rohrbach zu beweisen, nichts getrunken zu haben. Dies wäre aus ihrer Sicht unsinnig gewesen. Vielmehr ist anzunehmen, dass sie sich lieber unbehelligt wieder in das Haus mit der Wohnung der Schulfreundin begeben hätten.

 

Der Zeuge M hinterließ auf Grund der dargelegten Ungereimtheiten einen weniger glaubwürdigen Eindruck beim erkennenden Mitglied. Seine Angaben lassen sich wohl nur auf ein Wunschdenken zurückführen, den Zwangscharakter der durchgeführten Amtshandlung auf der Basis der Freiwilligkeit zu rechtfertigen. Möglicherweise hatte er auch falsche und nicht ganz authentische Eindrücke. Nach Angaben des GI J soll nämlich sein Kollege RI M mehr mit der kooperativeren S B gesprochen haben, während GI J in erster Linie das Gespräch mit der Bfin am Anhalteort geführt habe (vgl VP, Seiten 14 und 15).

 

4. In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanz­strafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist im Allgemeinen ein positives Tun begriffs­not­wendig (vgl VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungs­ge­richts­barkeit [1983], 74).

 

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (vgl mwN Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 Rz 610).

 

4.2. Die Beschwerde gegen die Verbringung der Bfin vom Markplatz in Haslach nach Rohrbach mit dem Dienstwagen zur Fortsetzung der Amtshandlung in der Polizeiinspektion Rohrbach richtet sich nach den oben getroffenen Tatsachen­fest­stellungen eindeutig gegen eine Maßnahme der unmittelbaren verwaltungs­behördlichen Befehls- und Zwangsgewalt. Sie ist in diesem Umfang zulässig. Soweit die Beschwerde darüber hinaus auch die Aufforderung zum Alkotest und dessen Durchführung mit dem Alkovortestgerät in der Polizeiinspektion Rohrbach als Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt bekämpft, ist sie hingegen unzulässig, weil es an begriffsnotwendigen Voraussetzungen fehlt.

 

Nach der ständigen Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts stellen bloße Aufforderungen oder Anordnungen noch keine Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar (vgl Beispiele bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] E 13, E 23 u E 24 zu § 67a AVG; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007] Rz 610, Seite 306). Erst wenn der Adressat bei Nichtbefolgung mit der zwangsweisen Realisierung zu rechnen hat, wobei eine unverzüglich einsetzende physische Sanktion bevorstehen muss, kann begrifflich von einem Akt der Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gesprochen werden (vgl dazu die Judikaturnachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 [1998], E 61 und E 80 zu § 67a AVG). Auch die Androhung einer Strafanzeige schafft noch keine entsprechende Situation (vgl VwGH 28.2.1997, 96/02/0299. Steht es dem Betroffenen frei, einer Anordnung keine Folge zu leisten und die Frage ihrer Rechtmäßigkeit im Verwaltungsstrafverfahren auszutragen, so liegt keine "faktische Amtshandlung" vor (vgl etwa zur Aufforderung zum Alkoholtest oder Blutabnahme u.a. VwGH 25.3.1992; 91/02/0150; VwGH 25.3.1992, 91/03/0253; VwGH 19.1.1994, 93/03/0251; VwGH 22.4.1994, 94/02/0020; VfSlg 7.509/1975).

 

Die Atemluftuntersuchung mit dem Alkovortestgerät wird wohl ohne rechtswirksame Einwilligung der Bfin erfolgt sein, die sich mangels Belehrung dazu rechtsirrtümlich für verpflichtet hielt und im Verweigerungsfall mit einer höheren Strafe oder mit sonstigen Nachteilen rechnete. Mit einer unverzüglich einsetzenden physischen Sanktion musste sie aber nicht rechnen. Sie hätte daher auch nach ihrer Vorstellung den Alkotest ohne unmittelbare Zwangsfolge verweigern können. Eine solche Situation genügt nach der oben zitierten Rechtsprechung noch nicht, um die begrifflichen Voraussetzungen einer "faktischen Amtshandlung" erfüllen. Die Beschwerde war insoweit mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes als unzulässig iSd § 67c Abs 3 AVG zurückzuweisen (vgl Bsp VfSlg 11.650/1988).

 

4.3. Nach Art 5 Abs 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Absatz 1 lit a) bis f) und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

 

Art 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG), BGBl Nr. 684/1988, gewährleistet dieses Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls. Nach Art 1 Abs 2 PersFrSchG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nach Art 1 Abs 3 PersFrSchG nur vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Er ist nur zulässig, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Die Freiheitsentziehung im Sinne des PersFrSchG und der EMRK umfasst sowohl die Verhaftung (Festnahme) als auch die Anhaltung. Die Verhaftung (Festnahme) ist ein einmaliges Ereignis, sozusagen der Eintritt einer Freiheitsbeschränkung, der vom Willensakt eines Organs (Menschen) getragen wird. Dagegen stellt die Anhaltung die Fortdauer, die Aufrechterhaltung des einmal eingetretenen Zustands der Festgenommenheit dar (vgl Ermacora, Grundriss der Menschen­rechte in Österreich [1988] Rz 364 ff). Auch dieses Verhalten eines Organs muss von dessen Willen getragen sein. Damit müssen jeweils zwei Elemente vorliegen, nämlich ein tatsächliches Verhalten und der Wille zur Freiheitsbeschränkung. Dieser Wille, durch den das bloße Verhalten erst zum normativen Akt - hier: zum Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt - wird, kann etwa dadurch ausdrücklich erklärt werden, dass jemand durch ein Organ "für verhaftet erklärt" wird. Andererseits kann ein Organverhalten auch dann eine Freiheitsentziehung bedeuten, wenn das Organ den Willen nicht aus­drück­lich erklärt hat, dieser aber aus seinem Verhalten erschlossen werden muss.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann von einem Eingriff in die persönliche Freiheit nur gesprochen werden, wenn der behördliche Wille primär auf eine Freiheitsbeschränkung gerichtet war, diese sich also nicht bloß als sekundäre Folge anderer Maßnahmen, mit denen Bewegungs­behinderungen verbunden sind, darstellt (vgl etwa VfSlg 5280/1966, 5570/1967, 8327/1978, 7298/1974, 12.017/1989, 12.792/1991). Im Erkenntnis des Verfassungs­gerichtshofes vom 12. Dezember 1998, B 1341/97, wurde in diesem Zusammenhang aber auch zum Ausdruck gebracht, dass eine nach Art und Umfang überschießende Amtshandlung eine einer Festnahme gleichkommende Beschränkung der persönlichen Freiheit darstellen kann.

 

4.4. Nach dem gegebenen Sachverhalt wurde die Bfin am 18. November 2007 nach 3:30 Uhr am Markplatz in Haslach nach vorangegangener Androhung der Festnahme bei unkooperativem Verhalten durch GI J im Befehlston aufgefordert, ins Polizeifahrzeug zu steigen und zur Polizeiinspektion zwecks Fortführung der Amtshandlung mitzufahren. Dass sie ihren Namen schließlich doch nannte und erklärte bei einer Freundin in unmittelbarer Nähe zu über­nachten, nützte ihr nichts mehr. Die Beamten ignorierten diese Informationen und bestanden auf der schon angekündigten Fahrt nach Rohrbach. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt keine förmliche Festnahme ausgesprochen wurde, kann in der geschilderten Situation nach der Art und Intensität des Organverhaltens kein Zweifel an einer faktischen Festnahme und vorübergehenden Freiheitsentziehung durch Verbringung auf den Polizeiposten in Rohrbach bestehen.

 

Fraglich ist, ob die Freiheitsentziehung durch Festnahmegründe gerechtfertigt werden kann. An einen zulässigen Eingriff in die persönliche Freiheit von Unmündigen nach § 45 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 2 Sicherheitspolizeigesetz ist nach dem festgestellten Sachverhalt entgegen den Andeutungen des Vertreters der belangten Behörde (vgl VP, Seite 16) von vornherein nicht zu denken. Damit bleibt noch die Prüfung der Festnahmebefugnisse nach dem § 35 Verwaltungs­strafgesetz 1991 (VStG).

 

Gemäß § 35 VStG dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn

 

1.     der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist oder

2.     begründeter Verdacht besteht, dass er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, oder

3.     der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

 

Die Polizeibeamten durften nach den gegebenen Umständen davon ausgehen, dass es sich bei der Bfin und ihrer Freundin um Personen unter 16 Jahren handelte, die sich unerlaubt um 3:30 Uhr am Marktplatz, einem allgemein zugänglichen Ort, aufhielten, was nach § 5 Abs 1 Z 1 lit b) iVm § 13 Abs 1 Z 1 Oö. Jugendschutzgesetz 2001 (LGBl Nr. 93/2001 idF LGBl Nr. 90/2005) verboten ist. Außerdem konnten die Polizeibeamten bei den Mädchen Alkoholgeruch wahrnehmen und damit von einen Verstoß gegen das absolute Alkoholverbot des § 8 Abs 1 Satz 1 leg.cit. für Jugendliche unter 16. Jahren ausgehen, was nach § 13 Abs 1 Z 5 leg.cit. eine Verwaltungsübertretung der Jugendlichen darstellt. Hinsichtlich dieser Verwaltungsübertretungen ist in zeitlicher Hinsicht am vorausgesetzten Betreten auf frischer Tat nicht zu zweifeln.

 

Der Festnahmegrund der mangelnden Identifizierbarkeit nach § 35 Z 1 VStG setzt voraus, dass ungeachtet einer fehlenden Ausweisleistung die Identität des Betretenen auch sonst nicht sofort feststellbar ist. Die Alternativen zur Ausweisleistung müssen einerseits ausreichend verlässlich sein, andererseits dürfen im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsgebot des Art 1 Abs 3 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit auch nicht zu strenge Anforderungen gestellt werden, weil sonst kaum Möglichkeiten der Identitätsfeststellung ohne Ausweisleistung bestünden. Dabei kommt vor allem eine Identitätsbezeugung durch unbedenkliche dritte Personen in Betracht (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] E 2a zu § 35 VStG). Nach dem Normzweck der Identitätsfeststellung zur Sicherung der Strafverfolgung und mit Rücksicht auf das Verhältnismäßigkeitsgebot ist es einem Polizeiorgan nach Ansicht des Verwaltungsgerichthofs etwa zumutbar, eine geringe Wegstrecke zwischen Tatort und geparktem PKW zurückzulegen, um dort mit Hilfe eines Reisepasses die Identität festzustellen (vgl VwGH 06.12.2007, Zl. 2004/01/0409).

 

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass in Wahrheit noch kein Festnahmegrund vorlag. Wie beide einvernommenen Polizeibeamten zuge­stan­den, hätten die noch am Marktplatz gemachten Angaben der Bfin auch vor Ort per Funk oder mit Hilfe des Diensthandys im Wege der Bezirksleitzentrale durch Abgleich mit den ZMR-Eintragungen überprüft werden können. Nichts anderes hat RI M auf der Polizeiinspektion Rohrbach gemacht und sich damit auch zufrieden gegeben. Außerdem wäre es den Polizeibeamten nach Ansicht des erkennenden Verwaltungssenats auch zumutbar gewesen, die geringe Weg­strecke zu dem am Haslacher Marktplatz gelegenen Haus mitzugehen, um die von den Mädchen angegebene Unterkunfts- und Nächtigungsmöglichkeit zu überprüfen und allenfalls eine anwesende Person zur Identität zu befragen. GI J will davon nicht einmal etwas gewusst haben (VP, Seite 16) und RI M wusste zwar davon, meinte aber, den Einwand der Mädchen, dass sie in der Nähe schlafen würden, hätte man nicht überprüfen können, weil keine (genaue) Adresse angegeben wurde (VP, Seite 12). Es bedarf wohl keiner weiteren Erörterung, dass diese unzutreffende Behauptung nur eine irrelevante Ausrede darstellt. Offenbar fehlte den Beamten die Bereitschaft, der zuvor noch renitenten Bfin die Unannehmlichkeit der Identitätsfeststellung am Posten Rohrbach zu ersparen. Außerdem wollte man dort auch eine Alkotest für die Anzeige nach Oö. Jugendschutzgesetz 2001 durchführen.

 

Auf die von der belangten Behörde angezogene Festnahmebefugnis gemäß § 35 Z 3 VStG, welche voraussetzt, dass der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht, haben sich nicht einmal die einvernommenen Polizeibeamten berufen. Abgesehen davon, dass die Voraussetzungen ohnehin nicht vorlagen, weil die Mädchen bekanntlich einwendeten, in unmittelbarer Nähe bei einer Freundin zu schlafen und nur wieder in diese Wohnung zurückkehren zu wollen, ist es nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs unzulässig, den ursprünglich herange­zogenen Festnahmegrund, der sich als unzureichend erwiesen hat, nachträglich auszuwechseln, weil es nicht um die abstrakte Zulässigkeit einer Maßnahme, sondern darum geht, ob die konkret vorgenommene Festnahme rechtmäßig war (näher Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] E 2b zu § 35 VStG).

 

Im Ergebnis ist daher von einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch die Polizeiorgane auszugehen, zumal auch nach den festgestellten Umständen von einer freiwilligen Einlassung der Bfin auf bloße "Angebote" der Polizisten keine Rede sein konnte. Hinsichtlich der als rechtswidrig bekämpften Festnahme der Bfin und Verbringung auf die Polizeiinspektion Rohrbach war der Beschwerde demnach Folge zu geben.

 

5.1. Gemäß § 79a Abs 1 AVG hat die im Verfahren nach § 67c obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß § 79a Abs 2 AVG der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen oder zurückgezogen, dann ist gemäß dem § 79a Abs 3 AVG die belangte Behörde die obsiegende Partei und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

 

Nach § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat, vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festge­setzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlage­aufwand.

 

Nach § 79a Abs 6 AVG ist Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Ein allgemeiner Antrag wurde von den Parteien des Verfahrens jeweils gestellt.

 

Gemäß § 79a Abs 7 AVG gelten die §§ 52 bis 54 VwGG auch für den Aufwand­ersatz im Maßnahmenbeschwerdeverfahren nach § 79a Abs 1 AVG.

 

5.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem Zweck der behördlichen Akte trennbare Anfechtungsgegenstände zu unter­scheiden, hinsichtlich derer jeweils eine gesonderte Kostenentscheidung zu ergehen hat (vgl dazu etwa VwGH 22.10.1999, 98/02/0142, 0143; VwGH 28.2.1997, 96/02/0481; VwGH 17.12.1996, 94/01/0714; VwGH 6.5.1992, 91/01/0200).

 

Nach § 52 Abs 1 VwGG ist im Fall der Anfechtung mehrerer Verwaltungsakte durch einen oder mehrere Beschwerdeführer in einer Beschwerde die Frage des Anspruchs auf Aufwandersatz so zu beurteilen, wie wenn jeder der Verwaltungs­akte in einer gesonderten Beschwerde angefochten worden wäre.

 

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren sind zwei verschiedene in Beschwerde gezogene Verwaltungsakte zu unterscheiden. Hinsichtlich der bekämpften Aufforderung zum Alkotest fehlt es an den begrifflichen Voraus­setzungen einer vor dem unabhängigen Verwaltungssenat anfechtbaren Aus­übung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Der Beschwerde gegen die Festnahme und Verbringung auf die Polizeiinspektion Rohrbach war hingegen zulässig und berechtigt. Es sind daher gesonderte Kostenentscheidungen bezüglich der beiden Verwaltungsakte nach den Ansätzen und Pauschalbeträgen der geltenden UVS-Aufwandersatzverordnung 2003 (BGBl II Nr. 334/2003) zu treffen.

 

Im Beschwerdeverfahren wegen Aufforderung zum Alkotest hat die Bfin dem Rechtsträger der belangten Behörde den pauschalierten Verfahrensaufwand für Aktenvorlage (51,50), Schriftsatzaufwand (220,30) und Verhandlungsaufwand (275,30), insgesamt daher 547,10 Euro zu ersetzen.

 

Im Beschwerdeverfahren wegen Freiheitsentziehung hat der Rechtsträger der belangten Behörde den pauschalierten Verfahrenaufwand für Schriftsatzaufwand (660,80) und Verhandlungsaufwand (826,00), in Summe daher 1.486,80 Euro sowie die Stempelgebühren, für die die Bfin aufzukommen hat, zu ersetzen. Eingabengebühren von insgesamt 37,20 Euro fallen an für die Beschwerde (13,20) samt Beilage "Rechtsvorschriften" 2 Bögen (2 x 3,60 = 7,20) sowie Beilage "Schreiben BH Rohrbach v 26.11.2007" 1 Bogen (3,60) und die Stellungnahme vom 15. März 2008 (13,20).

 

Als Rechtsträger, für den die belangten Behörde funktionell tätig wurde, kommt jeweils das Land Oberösterreich in Betracht, weil es bei beiden Verwaltungsakten um eine Angelegenheit des Oö. Jugendschutzgesetzes 2001 ging. Dement­sprechend waren einerseits die Bfin zum Ersatz von 547,10 Euro an das Land Oberösterreich und andererseits das Land Oberösterreich zum Ersatz von 1.524 Euro (darin 37,20 Stempelgebühren) an die Bfin gemäß § 79a AVG iVm der UVS-Aufwandersatzverordnung 2003 zu verpflichten.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 Blg NR 19. GP, 14 f).

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Bundesstempelgebühren von 37,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

 

Dr. W e i ß

 

 

 

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