Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-163476/3/Br/RSt

Linz, 04.09.2008

 

Mitglied, Berichter/in, Bearbeiter/in:                                                                                                             Zimmer, Rückfragen:

Hermann Bleier, Mag. Dr.                                                                                   3B09, Tel. Kl. 15695

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn K K, A, 42 B, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Freistadt, Zl. VerkR96-1348-2008, vom 19. Juni 2006, nach der am 12. September 2006 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:

 

I.       Der (Straf-)Berufung wird mit der Maßgabe Folge gegeben, dass unter Anwendung des § 21 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird;

 

II.     Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

Rechtsgrundlagen:

Zu I. § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 5/2008 - AVG iVm, § 21, § 24, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.3 Z2 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 5/2008 - VStG.

Zu II.§ 66 Abs.1 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem Strafausspruch des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Freistadt wurde die mit Strafverfügung  über den Berufungswerber ausgesprochene Geldstrafe in Höhe von 160 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 53 Stunden bestätigt.

 

 

2. Die Behörde erster Instanz begründete den Strafausspruch wohl in Berücksichtung des Milderungsgrundes der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit, erachtete jedoch eine Bestrafung in der gegenständlichen Höhe als geboten, um dem Unrechts- und Schuldgehalt der Übertretung hinreichend Rechnung zu tragen und ihn künftig von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten. Auf die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse wurde insofern Bedacht genommen, als der  Berufungswerber trotz Aufforderung durch die Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 08.07.2008 diesbezüglich  nichts bekannt gegeben habe. Bei der Strafbemessung wurde daher von einem geschätzten durchschnittlichen Monatseinkommen von 1.500,00 Euro und keinem Vermögen ausgegangen. Sorgepflichten wurden mangels Bekanntgabe nicht berücksichtigt. Die verhängte Geldstrafe erscheine nicht als überhöht, zumal der gesetzliche Strafrahmen zu lediglich ca. 22 % ausgeschöpft worden sei, so die Behörde erster Instanz abschließend.

 

 

3. Dem tritt der Berufungswerber mit seiner fristgerecht erhobenen Berufung entgegen, wobei er zur Strafzumessung folgendes ausführt:

"Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Ich erhebe gegen das Straferkenntnis der BH Freistadt vom 11.8.2008, Zl.VerkR96-1348-2008, das Rechtsmittel der Berufung.

 

Wie im Einspruch gegen die Strafverfügung bereits ausführlich dargelegt, lenkte ich am 4.4.2008 meinen Pkw um 11:46 auf der Landesstraße 1424, ich kam von der Dienststelle und wollte Mittagessen fahren. Während der Fahrt wurde ich über Pager zur Dienststelle zurückgerufen, weshalb ich auch schnell reagierte, umdrehte und zurückfuhr. Das Ganze habe ich im Einspruch vom 25.6.2008 ausführlich geschildert und möchte diese Angaben auch hier einbeziehen. Ich bin freiwilliger Sanitäter und stelle der Allgemeinheit den größten Teil meiner Freizeit zur Verfügung; an diesem Tage hatte ich sogar Urlaub und sprang beim Roten Kreuz ein. Ich erinnere mich noch gut an die Worte des Herrn Landeshauptmannes, als er im Zusammentreffen mit den freiwilligen Helfern des Roten Kreuzes eindeutig zum Ausdruck brachte, dass der Rettungsdienst ohne die „Freiwilligen" nicht zu finanzieren wäre und er die Freiwilligkeit bei den Einsatzorganisationen besonders zu schätzen wisse. Er sicherte zu, sich auch für diese Leute besonders einzusetzen. Vielleicht sollte er sogar von der Uneinsichtigkeit der Behördenorgane der BH Freistadt wissen! Der Landeshauptmann hat, um ehrenamtliche Mitarbeiter für die Einsatzorganisationen zu bekommen, die Börse Ehrenamt ins Leben gerufen.

 

Bei den Sachbearbeitern der Bezirkshauptmannschaft Freistadt hat, wie sich aus diesem Verfahren unschwer erkennen lässt, die Freiwilligkeit und der Einsatz für den Mitmenschen kein Gewicht und wird eigentlich mit 16,00 Euro zusätzlichen Verfahrenskosten besonders honoriert. Im Wissen, dass meine Verwaltungsübertretung im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit im Roten Kreuz steht konnte sich der Bearbeiter nicht dazu verleiten lassen, den Strafbetrag zu reduzieren. Wenngleich von einer Ermahnung nie die Rede war, hätte ich von der BH Freistadt erwartet, dass die Strafe zumindest auf die Hälfte herabgesetzt wird. Die Strafe von 160,00 Euro bedeutet mehr als 10% meines monatlichen Einkommens und für meine Begriffe einfach zu hoch bemessen, stellt man die Lebenshaltungskosten und die enormen Preise der letzten Zeit gegenüber.

Ich bitte nun den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich meine Ausführungen der Entscheidung zu Grunde zu legen und mir nicht das Gefühl zu geben, dass eine ehrenamtliche Tätigkeit bei den Behörden keinen Wert hat. Wir sind in der Dienststelle Bad Zell an die hundert freiwillige Mitarbeiter, alle verfolgen diese Angelegenheit mit besonderem Interesse.

 

Sollte der unabhängige Verwaltungssenat jedoch zur Ansicht kommen die Strafhöhe von 160,00 Euro zu bestätigen, bitte ich höflich mich zu verständigen, in diesem Fall würde ich die Berufung zurückziehen damit nicht noch weitere Verfahrenskosten entstehen.

 

Ich bitte höflich meiner Berufung stattzugeben.

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen!                                                          K K"

 

 

 

4. Die Behörde erster Instanz hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser ist, da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war hier ungeachtet der unter 500 Euro liegenden Geldstrafe in Wahrung der nach Art. 6 EMRK zu garantierenden Rechte geboten (§ 51e Abs.1 VStG).

 

 

5. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Beischaffung von Urkunden über den behaupteten Fahrtzweck im Zusammenhang mit dem Rettungsdienst, die Beischaffung eines Luftbildes zur ergänzenden Beurteilung des Straßenverlaufes in Verbindung mit der dieser Geschwindigkeitsüberschreitung zu Grund zu legenden objektiven Rechtsbegriff beeinträchtigt. Ebenfalls wurde vom Berufungswerber eine Lohn/Gehaltsabrechnung vorgelegt.

 

 

5.1. Vorweg gilt es festzustellen, dass hier der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen ist, weil sich der Berufungswerber bereits im Einspruch ausdrücklich nur gegen das ausgesprochene Straufausmaß wendete. Im ordentlichen Verfahren wurde sodann seiner Strafberufung ebenfalls nicht Folge gegeben. Der Berufungswerber wendet sich mit dieser Berufung abermals gegen den Strafausspruch.

Der Bestrafung liegt eine Geschwindigkeitsmessung mittels einem an einem offenbar knapp hinter der Ortseinfahrt "B" aufgestellten sogenannten mobilen Radar zu Grunde. Der Berufungswerber passierte die Messstelle im Ortsgebiet mit 88 km/h

Wie sich aus dem vom Berufungswerber übermittelten, in seiner Fahrtrichtung aufgenommenen Foto und dem beigeschafften Luftbild nachvollziehen lässt, verläuft der Straßenzug in einer flachen S-Kurve auf etwa 300 m gut übersichtlich, wobei unmittelbar im Messbereich zwei Objekte etwa 20 bis 30 m abseits der Straße vorhanden sind. Aus 88 km/h ergibt sich laut Berechnung [Analyzer Pro 32, Version 6] ein Anhalteweg von knapp 60 m (Reaktionszeit 0,8 Sekunden u. Bremsverzögerung 0,8 m(sek2). Am rechten Straßenrand sind der Fahrbahn vermutlich zwei hangwärts angelegte Hausgärten vorgelagert. Die Berufungsbehörde hat Grund zur Annahme, dass auf diesem Straßenzug eher  nur geringes Verkehrsaufkommen herrschte und der mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung in aller Regel einhergehende Tatunwert hinter dem üblich zu erwartenden Ausmaß deutlich zurückblieb.

Aus dem vom Berufungswerber vorgelegten Einsatzprotokoll des Roten Kreuzes, Nr. 4.0252, welches ihn namentlich als Einsatzfahrer ausweist, ergibt sich die Einsatzanforderung mit 11.43 Uhr. Dies dürfte auch der Zeitpunkt der dem Berufungswerber via Pager zugegangenen Nachricht sein. Die Abfahrt zu einer sogenannten Rufhilfepatientin namens H. G. in S ist mit 11:52 Uhr und das Einsatzende mit 12:11 Uhr verzeichnet.

Demnach ist die Verantwortung des Berufungswerbers auf die Tatzeit 11:46 Uhr glaubwürdig nachvollziehbar.

Wie aus dem Akt ersichtlich argumentierte der Berufungswerber bereits im Zuge seiner nur gegen das Strafausmaß vorgetragenen Einspruchsbegründung mit dem Fahrtzweck  und der Übersichtlichkeit dieser Straßenstelle an welcher häufig Radarkontrollen erfolgten. Aus dem Akt lassen sich auch zwei durch Aktenvermerkte dokumentierte einschlägige Telefonate erkennen, welche diese Fahrt im Zusammenhang mit dem Rettungsdienst belegen, wobei der Sachbearbeiter und dessen Abteilungsleiter die Bestätigung dieses Strafausmaßes wegen dem Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung befürwortet haben soll.

Offenbar war die Behörde nicht geneigt bei der Beurteilung der Schuldfrage eine Rechtsgüterabwägung in Erwägung zu ziehen, wobei subjektiv Tatseitig der Berufungswerber diese Abwägung zu Gunsten seines Rettungseinsatzziels tätigte.

 

 

6. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

 

Gemäß § 19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

 

 

6.1. Sofern die Behörde nicht eine geringere Höchstgeschwindigkeit erlässt oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt, darf der Lenker eines Fahrzeuges im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h fahren (§ 20 Abs.2 StVO).

Nach § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 begeht u.a. eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges, gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs.1, Abs.1a, 1b, 2, 2a, 2b oder 4 zu bestrafen ist.......

 

 

6.2. Hier gilt es jedoch die nachweislich vorliegenden spezifischen Umstände mit Blick auf § 6 VSTG zu beurteilen. Unter Notstand ist ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten zu begreifen, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann (hier ex ante betrachtet zu retten hat und retten zu können glaubt), dass er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht (VwGH.24.4.1974, 1999/73, 27.10.1977, 1967/76, 11.9.1979, 2218/79, 13.11.1981, 81/02/0252 uva);

Hätte der Berufungswerber etwa bereits beim Eingang dieser Nachricht ein Einsatzfahrzeugsfahrzeug gelenkt, wäre wohl zweifelsfrei ab diesem Zeitpunkt eine einsatzmäßige Fahrt gerechtfertigt gewesen.

Nach  § 26 Abs.1 u. 2 StVO 1960 dürfen die Lenker von Fahrzeugen, die nach den kraftfahrrechtlichen Vorschriften mit Leuchten mit blauem Licht oder blauem Drehlicht und mit Vorrichtungen zum Abgeben von Warnzeichen mit aufeinanderfolgenden verschieden hohen Tönen ausgestattet sind, Signale "wohl nur" bei Gefahr im Verzuge, zum Beispiel bei Fahrten zum und vom Ort der dringenden Hilfeleistung oder zum Ort des sonstigen dringenden Einsatzes verwenden. ….

Außer in den in Abs. 3 angeführten Fällen ist der Lenker eines Einsatzfahrzeuges bei seiner Fahrt an Verkehrsverbote oder an Verkehrsbeschränkungen nicht gebunden. Er darf jedoch hiebei nicht Personen gefährden oder Sachen beschädigen.

Nachdem hier jedoch der Berufungswerber beim Eingang des Einsatzbefehls über kein Blaulicht verfügte, weil er noch mit dem Privatfahrzeug unterwegs war, kam ihm der Status des "bevorzugten Straßenbenützers" natürlich nicht zu. Er war daher grundsätzlich an die gesetzlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen gebunden.

Seiner Rechtfertigung kommt aber trotzdem Berechtigung zu!

Da er hier erwiesener Maßen nicht im privaten Interesse, sondern durch den Einsatzbefehl im öffentlichen Interesse und spezifisch im Sinne des Schutzes von Leben und Gesundheit eines Menschen agierte, hatte er unweigerlich eine Abwägung zwischen zwei Rechtsgütern vorzunehmen. Einerseits jenem der Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen, andererseits musste er - ex ante besehen – wohl ein seiner Rettungspflicht obliegendes Rechtsgut schützen. Die hier vorliegende Situation in Form  des Hilfeeinsatzes für einen offenbar in der Gesundheit gefährdeten Menschen. Dies indiziert objektiv besehen, eine Situation welche die Verletzung eines anderen (im Ergebnis niederwertigeren) Rechtsgutes  (hier die Missachtung von Verkehrsvorschriften), indiziert. Diese Situation stellt den Betroffenen vor einem Wertungskonflikt und ist einer Notstandssituation im Ergebnis zumindest sehr nahe kommend.

Zur Notstandsproblematik ist die Rechtfertigung einer an sich gesetzwidrigen Verhaltensweise vorauszusetzen, wobei der Eingriff in das fremde Rechtsgut (hier die Verletzung von Verkehrsvorschriften) das einzige Mittel zur Abwehr des drohenden Nachteils ist, dieser mithin nicht anders abgewendet werden kann; in der aus der ex-ante-Sicht zur beurteilenden Situation war ein möglichst schnelles Eintreffen beim Rettungsstützpunkt durchaus indiziert. Nicht der 'nächstmögliche Ausweg ist zu wählen, sondern der einzig mögliche'. Es darf somit kein anderer, schonenderer Weg zur Rettung des bedrohten Guts offenstehen (ÖJZ-LSK 1975/198).

Rechtfertigung setzt aber weiters (und vor allem) voraus, dass das gerettete Rechtsgut gegenüber dem beeinträchtigten höherwertig ist; ist es dem beeinträchtigten gleichwertig oder gar geringerwertig, scheidet rechtfertigender Notstand aus. Die Höherwertigkeit muss eindeutig und zweifellos sein.

Da hier ob des übersichtlichen Straßenverlaufes ein sich bloß auf die Verletzung der Schutznorm reduzierender Unwert und keine darüber hinaus objektivierbare Schädigung gesetzlich geschützter Interessen (nämlich eine konkrete Verkehrsgefährdung) feststellbar ist, war das rasche Erreichen des Einsatzziels hier durchaus als geboten zu erachten und das möglichst rasche Erreichen des Einsatzortes deutlich höher zu werten.

Unter dieser, aber auch nur unter dieser Voraussetzung kann (rechtlich besehen) davon gesprochen werden, dass die Rechtsordnung den eigenmächtigen Eingriff in weniger hochwertige Rechtsinteressen sogar billigt, mithin für rechtmäßig hält; andernfalls kann sie "den Straftäter" zwar uU (nur) für entschuldigt ansehen, sein Verhalten aber nicht für rechtmäßig erklären (Leukauf-Steininger, Das österreichische Strafgesetzbuch, 3. Aufl., Seite 138 ff).

Schließlich wird gefordert, dass die Rettungshandlung das angemessene Mittel zur Rettung des bedrohten Rechtsguts ist (vgl Burgstaller 154; Kienapfel 165 und ÖJZ 1975, 429 und AT 212 Rz 24; Triffterer AT 233). Durch dieses Angemessenheitskorrektiv sollen bei bestimmten Fallgruppen notwendige Korrekturen anhand oberster Wertmaßstäbe ermöglicht werden; rechtfertigender Notstand kommt danach nicht in Betracht, wenn die Tat, bezogen auf die obersten Prinzipien und Wertbegriffe der Rechtsordnung, nicht als das angemessene Mittel erscheint (s. Kienapfel ÖJZ 1975, 431, 429), oder ein rechtfertigender Notstand setzt voraus, dass es sachgemäß, billigenswert und im Interesse der Gerechtigkeit erlaubt ist, die Notstandslage durch "Beeinträchtigung des kollidierenden Interesses zu überwinden." Derselbe Grundgedanke liegt schließlich auch bei derartigen Fallgestaltungen in Betracht zu ziehenden "sozialen Adäquanz" zugrunde, dem sog. sozialadäquaten Verhalten. Auch dabei wird davon ausgegangen, dass ein gesetzliches Gebot zu einem bestimmten Handeln, welches jedoch aus widrigen Umständen (dem Berufungswerber kam mangels der Verfügbarkeit des Blaulichtes nicht der Status nach § 26 StVO zu) nicht in einer vorgeschriebenen Form bewirkt werden konnte, sein Fahrverhalten aber trotzdem geboten schien.

 

6.2.1. Zur rechtfertigenden Pflichtenkollision kann auf die herrschende Lehrauffassung verwiesen werden, wonach eine Kollision von zwei oder mehreren rechtlich bedeutsamen Pflichten vorliegt, wenn die betreffende Person nach den konkreten Umständen nur eine dieser Pflichten erfüllen kann. Häufig sind derartige Konfliktssituationen über den rechtfertigenden Notstand zu lösen. Soweit dies nicht möglich ist, muss es aber über eine andere dogmatische Konstruktion erlaubt (dh rechtmäßig) sein, eine dieser Pflichten zu verletzen, weil die betreffende Person sich sonst überhaupt nicht rechtmäßig verhalten könnte (s. Triffterer, Österreichisches Strafrecht, Seite 237 ff mwN (vgl. dazu auch h. Erk. v. 5.12.1996, VwSen-104178/2/Br).

Gemäß § 21 VStG kann (und hat) aber die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.  Dies trifft in objektiver Beurteilung der Ausgangslage und der oben dargelegten in der Sphäre des Handelnden vorzunehmenden Güterabwägung zu.

Da der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen ist kann darüber nicht mehr abgesprochen werden. Wenn sich demnach hier das Verhalten des Berufungswerbers als gerechtfertigt erwiesen hätte, dann besteht jedenfalls auch ein Rechtsanspruch auf die Anwendung des § 21 VStG (vgl. VwGH 3.8.1995, 95/10/0056, sowie auch Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens6, S. 1369, insb. unter Nr.6 und 7 angeführte Rechtsprechung).

Mit der obigen Beurteilung muss neben der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter, insbesondere der Rettungsdienst als Aspekt der öffentlichen Interessensphäre an sich und die dort in aller Regel ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter in deren Verhaltenserwartung im Besonderen auch in der Lebenspraxis entsprechend zum Ausdruck gelangen. Dies rechtfertigt in diesem Fall ein Absehen von der Bestrafung.

Es darf aus unerfindlich bemerkt werden, warum sich hier die Behörde erster Instanz mit dem Vorbringen des Berufungswerbers nicht im angefochtenen Bescheid auseinandergesetzt hat. Jedenfalls verkannte sie die Rechtslage, wenn dieser als Notfall zu wertende Alarm unbeachtet blieb.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. B l e i e r

 

 

 

Beschlagwortung:

Pflichtkollission, Notstand, Güterabwägung

 

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