Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720206/2/SR/Ba

Linz, 24.09.2008

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des R T, geb. , derzeit Justizanstalt Garsten, vertreten durch  Rechtsanwalt Dr. O T, R,  W gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 17. März 2008, Zl. 1-1010233/FP/08, betreffend die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zu Recht erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid im Spruchteil 1 mit der Maßgabe bestätigt, dass das unbefristete Aufenthaltsverbot erst im Anschluss an Entlassung aus der inländischen Strafhaft wirksam wird und die Rechtsgrundlage zu lauten hat: § 86 Abs. 1 iVm. §§ 60 ff Fremdenpolizeigesetz 2005 (BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 4/2008).

 

Soweit die Berufung den Ausschluss ihrer aufschiebenden Wirkung bekämpft wird ihr Folge gegeben und dieser Ausspruch im Spruchteil 2 für rechtswidrig erklärt.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 17. März 2008, Zl. 1-1010233/FP/08, wurde im Spruchteil 1 über den Berufungswerber R T, geboren am , türkischer Staatsangehöriger (im Folgenden: Bw), ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Gebiet der Republik Österreich erlassen und im Spruchteil 2 einer Berufung dagegen die aufschiebende Wirkung aberkannt.

 

In der Begründung legte die Behörde erster Instanz klar und übersichtlich den bisherigen Werdegang des Bw, seine gerichtliche Verurteilung und das familiäre und soziale Umfeld dar. Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes und der Verurteilung zog die belangte Behörde den Schluss, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden könnte. Zum Schutze des öffentlichen Wohles der Republik Österreich und zur Verhinderung strafbarer Handlungen sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend geboten.  

 

Entgegen den zutreffenden Sachverhaltsfeststellungen ging die belangte Behörde davon aus, dass sich der Bw erst kurz im Bundesgebiet aufhalte und in Österreich über keine familiären Bindungen verfüge. Nach Abwägung sämtlicher Umstände gelangte die belangte Behörde zu einer negativen Zukunftsprognose und erachtete die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes als schwerwiegender als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Bw.

 

Den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Berufung begründete die belangte Behörde mit dem strafbaren Verhalten des Bw und der Gefahr der Vereitelung weiterer fremdenpolizeilicher Maßnahmen.

 

2. Gegen diesen Bescheid, der dem Bw am 20. März 2008 zu eigenen Handen zugestellt worden war, erhob der Bw durch rechtsfreundliche Vertretung innerhalb offener Frist Berufung. Darin wurde ua der Antrag gestellt, den gegenständlichen Bescheid und das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot aufzuheben und der Berufung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

 

Die im angefochtenen Bescheid angeführte rechtskräftige Verurteilung wurde nicht bestritten. Erläuternd gab der Bw dazu an, dass er die Tat aufgrund einer Provokation des Opfers begangen habe. Dieses sei nach mehrwöchigem Krankenhausaufenthalt als geheilt und völlig wiederhergestellt entlassen worden. 

 

Derzeit verbüße er die Strafhaft, die er ohne Beanstandung absolviere und Chance auf eine bedingte Entlassung habe.

 

Entgegen den behördlichen Ausführungen sei er im Falle eines Aufenthaltsverbotes und einer Abschiebung in die Türkei mit unvorstellbaren Folgen konfrontiert. Er habe weder familiäre noch sonstige Bindungen zur Türkei. Seine gesamte Familie halte sich bereits seit 40 Jahren in Österreich auf. Er selbst sei 1972 von seinen Eltern im Alter von 15 Jahren nach Österreich geholt worden und habe in der Folge seine Berufsausbildung mit der Meisterprüfung als Schweißer abgeschlossen. Seit diesem Zeitpunkt halte er sich durchgehend in Österreich auf und sei bis unmittelbar vor die Tat ohne Unterbrechung berufstätig und sozialversichert gewesen.

 

Die Mutter, alle Geschwister, die Ehegattin und seine 5 Kinder seien wie er voll integriert, hätten keinerlei Bindung mehr an die frühere Heimat Türkei und würden auch nicht mehr zurückkehren wollen. Seine Kinder seien selbsterwerbsfähig, hätten ihre eigene Wohnung und Familie. Für den Fall der Abschiebung wäre er in der Türkei ohne jegliche Wohnmöglichkeit, Versorgung, soziale Bindung, Einkommen oder Familienanschluss.

 

Abgesehen von der einbekannten schweren Straftat würde er alle Voraussetzungen für ein Bleiben in Österreich erfüllen.  

 

3. Mit Schreiben vom 10. April 2008, Zl. St 82/08 legte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich den Verwaltungsakt der belangten Behörde vor.  

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Wels zu Zl. 1-1010233/FP/08.  Daraus ergab sich in Verbindung mit der Berufung der nachfolgend geschilderte, im Wesentlichen unstrittige Sachverhalt.

 

3.1.1. Der aus der Türkei stammende Bw wurde laut eigenen Angaben 1972 als Fünfzehnjähriger von seinen Eltern nach Österreich geholt. Seit diesem Zeitpunkt hält sich der Bw durchgehend rechtmäßig in Österreich auf.

 

3.1.2. Die erste Einlage im fremdenpolizeilichen Verwaltungsakt stammt aus dem Jahr 1981 und behandelt eine Überprüfung des Wiedereinreisesichtvermerkes.

 

Im Antrag auf Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung vom 11. Dezember 1981 wurde der Beginn des Aufenthaltes in Österreich mit 5. November 1981 angegeben.

 

3.1.3. Mit Schreiben vom 31. März 1982, Zl. 421/82-Za teilte die Kriminalpolizeiliche Abteilung der BPD Wels der "Abt. I" mit, dass der Bw wegen des Verdachtes der Körperverletzung dem BG Wels angezeigt worden ist.

 

Im September 1982 ersuchte der Bw um Einreisebewilligung für seine Ehegattin und seine beiden Kinder.

 

Am 21. März 1986 teilte die BPD Wels der BH Gmunden mit, dass der Bw, seine Ehegattin und 5 Kinder zugezogen sind.

 

3.1.4. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1986 erstattete der Gendarmerieposten Vorchdorf ua gegen den Bw Strafanzeige an das Bezirksgericht Gmunden wegen des Verdachtes der Körperverletzung und Sachbeschädigung. Dem Bw wurde dabei vorgeworfen, dass er am 4. November 1986 mit einer Person (Name im Akt) nach einem Streit in eine tätliche Auseinandersetzung geraten sei und er diese Person mit den Fäusten so ins Gesicht  geschlagen habe, dass dieser zu Boden stürzte. Das Opfer habe dabei eine Schwellung an der Stirn, an der Schläfengegend links und in der linken Jochgegend erlitten. Weiters seien diesem die Eckzähne links und rechts oben abgebrochen.

 

3.1.5. Am 29. Dezember 1987 brachte der Gendarmerieposten Vorchdorf Strafanzeige an das Bezirksgericht Gmunden gegen den Bw wegen des Verdachtes der Sachbeschädigung und der Körperverletzung ein. Dabei wurde dem Bw vorgeworfen, dass er am 7. November 1987 in einem stark alkoholisiertem Zustand ein Lokal betreten, dort ohne ersichtlichen Grund plötzlich Gläser von den Tischen gestoßen und Sessel auf den Tischen zerschlagen habe. Der Kellner, der den Bw zu beruhigen versuchte, sei daraufhin vom Bw mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen und durch Fußtritte in den Rücken misshandelt und leicht verletzt worden. In der Folge habe der Bw auch noch auf weitere Gäste eingeschlagen, diese aber nicht verletzt.

 

Mit Urteil vom 7. April 1988, 4 U, wurde über den Bw wegen des Vergehens der Körperverletzung und der Sachbeschädigung nach den §§ 83 Abs.1 und 125 StGB eine Geldstrafe von 1.800 Schilling verhängt. Erschwerend wurde eine einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen von zwei strafbaren Handlungen gewertet.

 

3.1.6. Am 8. Juli 1993 erstattete der Gendarmerieposten Vorchdorf Strafanzeige an das Bezirksgericht Gmunden gegen den Bw wegen des Verdachtes der Körperverletzung. Dem Bw wurde dabei vorgeworfen, dass er am 6. Juni 1993 der Schwägerin in deren Wohnung mehrere Fausthiebe versetzt, angeblich am Hals gepackt und anschließend gegen den Heizkörper gestoßen habe. Die Schwägerin habe dabei Verletzungen leichten Grades erlitten.   

 

Mit Urteil vom 18. November 1993, 4 U,  wurde über den Bw wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe von 3.000 Schilling verhängt.  

 

3.1.7. Aufgrund der Anzeige vom 16. April 2002 gegen den Bw wegen des Verdachtes der gefährlichen Drohung ersuchte die fremdenpolizeiliche Abteilung der BPD Wels die Staatsanwaltschaft Wels um Mitteilung des Verfahrensausganges.

 

3.1.8. Mit Schreiben vom 27. Juli 2004, 13 Hv,  teilte das Landesgericht Wels der BPD Wels mit, dass der Strafantrag gegen den Bw am 17. April 2003 wegen Aussageverweigerung sämtlicher Zeugen zurückgezogen worden sei.

 

3.1.9. Am 21. November 2005 wurde der Bw unter der Zahl 12 Hv vom Geschworenengericht beim Landesgericht Wels wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach den §§ 15 Abs. 1 und 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Im angeführten Urteil wurde der Bw schuldig erkannt, am 3. Juni 2005 in Wels versucht zu haben das Opfer (Name im Akt) im Verlauf einer wörtlichen Auseinandersetzung durch Versetzten von insgesamt 8 Stichen in den Rücken, linken Oberarm, linkes Gesäß und rechtes Knie mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 12 cm vorsätzlich zu töten, wobei die Tat lediglich durch das Dazwischentreten einer dritten Person unterblieben ist.

 

Erschwerend wurden die mehrfachen Verletzungsfolgen beim Opfer sowie die heimtückische Handlungsweise des Angeklagten gewertet. Die bisherige Unbescholtenheit sowie der Umstand, dass die Tat beim Versuch geblieben ist, hat das Gericht als Milderungsgrund herangezogen. Obwohl die Tat beim Versuch geblieben ist, habe sie doch eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit beim Opfer zur Folge gehabt und war überdies an sich schwer, sogar potentiell lebensgefährlich. Im Tatzeitpunkt habe der Bw seinem Aggressionspotential freien Lauf gelassen und dabei – von hinten kommend – das Tatopfer mit einem Messer angegriffen. Für das Opfer, das die vorangegangene wörtliche Auseinandersetzung bereits als beendet angesehen hat, sei der Angriff des Bw völlig überraschend gekommen und habe ihm vorerst keine Chance auf entsprechende Gegenwehr gelassen. Nach dem Unrechtsgehalt der Straftat und dem Verschuldensgrad könne nicht von einem besonders gelagerten Fall gesprochen werden, der die Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes rechtfertigen würde. Daran könne auch die vom Bw behauptete Alkoholisierung nichts ändern, weil der Angeklagte nach den Verfahrensergebnissen in der letzten Zeit vor der Tat verstärkt Alkoholmissbrauch betrieben und in alkoholisiertem Zustand wiederholt gegenüber den im Lokal anwesenden Gästen ein unleidliches Verhalten an den Tag gelegt habe.  

 

3.1.10. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung am 15. Mai 2007 gab der Bw an, dass er seit 1972 in Österreich wohnhaft sei, zumindest seit 1983 als Schweißer durchgehend gearbeitet habe und sozialversichert sei. Er möchte bei seiner Gattin in Österreich bleiben, habe 7 Enkelkinder und zwei seiner Töchter seien mit österreichischen Staatsbürgern verheiratet. Verbindungen zur Türkei habe er keine, da er bis jetzt in Österreich gewohnt habe. Die vorliegende Straftat habe er in alkoholisiertem Zustand gesetzt und dazu sei er vom Opfer provoziert worden. Seine Angaben könnten im Gerichtsakt nachgelesen werden.

 

3.1.11. Der Bw befindet sich noch voraussichtlich bis 3. Juni 2015 in Strafhaft.

 

3.2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt  sich aus der Aktenlage und den Beschwerdeausführungen.

 

Der festgestellte Sachverhalt ist im Wesentlichen unbestritten.  

 

4. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

 

4.2. Beim Bw handelt es sich um einen nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB) begünstigten türkischen Staatsangehörigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen (z.B. 2006/18/0278 vom 11.12.2007, 2007/03/0221 vom 26.3.2008) festgehalten, dass der Unabhängige Verwaltungssenat in Berufungsverfahren von begünstigten türkischen Staatsangehörigen gemäß § 9 FPG als zuständige Berufungsbehörde anzusehen ist.  

 

§ 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsbe-rechtigung betreffend freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Z 1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs. 2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 13. Oktober 2000, 2000/18/0013).

 

Demgemäß sind auch die §§ 60 ff FPG als bloßer Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen. Die belangte Behörde hat sich bei der Verhängung des Aufenthaltsverbotes an § 60 Abs. 1 und Abs. 2 FPG orientiert. 

 

Gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet.

 

Als bestimmte Tatsache im Sinne des Absatz 1 gilt gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 leg. cit. insbesondere, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Nach § 60 Abs. 3 leg. cit.  liegt eine gemäß Abs. 2 maßgebliche Verurteilung nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. Eine solche Verurteilung liegt jedoch vor, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

 

§ 73 StGB bestimmt für den Fall, dass das Gesetz nicht ausdrücklich auf die Verurteilung durch ein inländisches Gericht abstellt, dass ausländische Verurteilungen inländischen gleichstehen, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig sprechen, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, und in einem den Grundsätzen des Art. VI der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entsprechenden Verfahren ergangen sind.

 

Würde nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 2 leg.cit. darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1.         die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden und  seiner Familienangehörigen

2.         die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.

 

4.3.1. Da dem Bw die von Art. 6 ARB geschützte Rechtsposition zukommt, war auf § 86 FPG abzustellen und zunächst zu prüfen, ob das persönliche Verhalten des Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Die Erläuterungen zu § 86 FPG (22 GP, RV 952, 106)  verweisen auf die Art. 27
Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 Z. a der Richtlinie 2004/38/EG und die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27.10.1977, Rs 30/77 - Fall Bouchereau).

 

Zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen  rechtfertigt, ist auf die demonstrative Aufzählung des     § 60 Abs. 2 FPG nur als "Orientierungshilfe" zurückzugreifen. Entgegenstehende europarechtliche Vorgaben sind dabei jedenfalls zu beachten.

 

Wie unter Punkt 3.1.9. ausführlich dargelegt, wurde der Bw wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach den §§ 15 Abs. 1 und 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt

 

Nach § 63 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zulässig.

 

4.3.2. Für den Oö. Verwaltungssenat steht zunächst zweifelsfrei fest, dass das Verhalten des Bw ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

4.3.2.1. Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, ausgeführt, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Neben dieser Störung der öffentlichen Ordnung muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände  ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahelegt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben.

 

Im konkreten Fall handelt es sich auch nicht um ein bloß sonstiges öffentliches Interesse, sondern tatsächlich um ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die Straftat des Bw wurde im Urteil des Geschworenengericht beim LG Wels als Verbrechen eingestuft und das Gericht hat die Handlungsweise des Bw als besonders heimtückisch angesehen. 

 

Auch wenn das Gericht im Hinblick auf die Tilgung zurückliegender Straftaten des Bw von seiner Unbescholtenheit auszugehen und diesen Umstand als mildernd zu werten hatte, sind entsprechend der Judikatur des EuGH zurückliegende strafrechtliche Verurteilungen "insoweit zu berücksichtigen, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände  ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt".  

 

Ein Blick in den vorliegenden Fremdenakt zeigt, dass der Bw bereits mehrmals im Zuge rein verbaler Auseinandersetzungen die Kontrolle über sich verloren und die verbalen Streitigkeiten ohne erkennbaren Grund gewaltsam zu beenden versucht hat. Wie den einzelnen Strafanzeigen zu entnehmen ist, hat sich der Bw nicht gescheut, unverhältnismäßigen Körpereinsatz auch gegen ungleich schwächere Gegenüber (beispielsweise die Schwägerin) einzusetzen.

 

In der Begründung der zuletzt erfolgten Verurteilung hat das Gericht anschaulich dargelegt, dass "der Bw seinem Aggressionspotential freien Lauf gelassen und dabei – von hinten kommend – das Tatopfer mit einem Messer angegriffen" und diesem insgesamt 8 Stiche mit einem Küchenmesser, das eine Klingenlänge von ca. 12 cm aufwies, versetzt hat. Das Gericht hat die Vorgangsweise des Bw als "heimtückisch" beurteilt, da das Opfer die vorangegangene wörtliche Auseinandersetzung bereits als beendet angesehen hat, sich umgedreht hatte und im Weggehen begriffen war. Der überraschende, massive und potentiell lebensgefährliche Waffeneinsatz gegen das abgewandte und vorerst völlig wehrlose Opfer weist auf eine äußerst niedrige Hemmschwelle des Bw und seine     besondere Gewaltbereitschaft hin. Diese Tathandlung lässt eindeutige Rückschlüsse auf seinen besonders verwerflichen Charakter zu und zeigt auf, dass er nicht geneigt ist, die Rechtsordnung seines Gastlandes zu respektieren.    

 

Bezeichnend für die Einstellung des Bw ist auch, wie er die Tat, die Tatumstände und die Folgen wahrnimmt, einstuft und verniedlicht. Folgt man seinem Vorbringen, reicht für ihn eine ausschließlich verbale Provokation aus, um gegen eine unvorbereitete Streitpartei bewaffnet und auf heimtückische Art und Weise, sogar mit einem Angriff von hinten, vorzugehen. Bedenklicherweise will der Bw mit der Provokation des Opfers seine gewaltsame "Antwort" (8 Stiche in den Rücken, linken Oberarm, linkes Gesäß und rechtes Knie) rechtfertigen. Ohne auch nur ansatzweise darauf einzugehen, dass der Tod oder eine noch schwerere Verletzung des Opfers nur durch das Dazwischentreten eines Dritten verhindert wurde, schiebt der Bw die schnelle Heilung und völlige Wiederherstellung des Opfers in den Vordergrund, um sein Aggressionspotential und die Folgen der Tat beschönigen zu können. Faktum bleibt jedoch, dass der Bw nach einer wörtlichen Auseinandersetzung versuchte, das Opfer vorsätzlich zu töten und die Vollendung der Tat nur durch das Dazwischentreten einer dritten Person unterblieben ist.

 

 

Zuletzt richtete sich die kriminelle Energie des Bw massiv gegen wesentliche Grundinteressen der Gesellschaft. Betrachtet man einen längeren Zeitraum, so zeigt sich, dass die kriminelle Energie des Bw immer schon vorhanden war, diese aber nicht im zuletzt gezeigten Ausmaß zu Tage getreten ist. Scheinbar hat sie sich zu Anfang des Betrachtungszeitraumes gegen eher schwächere Personen (z.B.: die Schwägerin) gerichtet und mangels entsprechender Gegenwehr dieser eingriffsintensivere Aggressionen des Bw verhindert. Jedenfalls ist eine deutliche Steigerung des Aggressionspotentials des Bw erkennbar.

 

Das vom Bw vorgebrachte allfällige Wohlverhalten in der Haft kann grundsätzlich nicht zur Begründung einer positiven Zukunftsprognose herangezogen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs sind nämlich in Haft verbrachte Zeiten bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Wohlverhaltens auch nicht zu berücksichtigen (vgl mwN VwGH 30.11.2005, Zl. 2005/18/0591).

 

Derzeit lässt das Persönlichkeitsbild des Bw keinesfalls den Schluss zu, dass er nunmehr - so wie in der Berufungsschrift dargestellt - als geläutert anzusehen ist.

 

Auf Grund der dargelegten Umstände, der Art und Schwere der vorliegenden Straftat und dem sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbild des Bw pflichtet der Oö. Verwaltungssenat der Auffassung der belangten Behörde bei, dass der weitere Aufenthalt des Bw in Österreich die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 60 Abs. 1 Z 1 FPG gefährden würde und dass sein bisheriges Gesamt-fehlverhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die das besondere Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung von Straftaten gegen Leib und Leben berührt. Dabei war das Tatbestandsmerkmal "gegenwärtig" in sinnvoller Weise auf den Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft (Gerichtshaft) zu beziehen und zu fragen, ob das prognostizierte Verhalten des Fremden für diesen Fall eine Gefahr iSd § 86 Abs 1 FPG darstellen würde (vgl. bereits VwSen-720109 vom 7.8.2006 und VwSen-720070 vom 2.3.2007).

 

4.3.2.2.1. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist, ferner eine Maßnahme darstellt, die einem oder mehreren der in Art. 8 Abs. 2 EMRK formulierten Ziele (die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, der Schutz der Gesundheit und der Moral und der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dient und hierfür in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.

 

Unstrittig liegt im vorliegenden Fall ein Eingriff vor. Der Eingriff verletzt den Schutzanspruch aus Art 8 Abs. 1 EMRK jedenfalls dann, wenn er zur Verfolgung der genannten Ziele in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig ist, d.h. wenn er nicht durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere nicht verhältnismäßig zum verfolgten legitimen Ziel ist.

 

Ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht ist nicht bereits dann notwendig, wenn die innerstaatliche Norm ihn gebieten oder erlauben und er einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK formulierten Ziel dient. Entscheidend ist, ob er auch verhältnismäßig zum verfolgten Eingriffsziel ist. Davon ist nur auszugehen, wenn Gewicht und Bedeutung des Eingriffziels Gewicht und Bedeutung des durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Schutzanspruchs überwiegt. Bei der Abwägung sind laut EGMR (Benhebba, Urteil vom 10.7.2003, Bsw.Nr. 53441/99; Üner, Urteil vom 5.7.2005, Bsw.Nr. 46410/99) jedenfalls folgende Aspekte zu berücksichtigen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen:

 

·                     Dauer des Aufenthaltes

·                    Beherrschung der Sprache des Aufenthaltsstaates in Wort und                       Schrift

·                     Wohnverhältnisse

·                     wirtschaftliche Integration

·                     soziale Kontakte und Bindungen, Alter der Kinder

·                     Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft

·                     Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes

·                     Bindungen an den Staat der eigenen Staatsangehörigkeit

·                     Straftaten

*       Natur und Schwere der Straftaten

*       Dauer des Zeitraums zwischen Begehung der Straftat und der          aufenthaltsbeendenden Maßnahme und das Verhalten des Fremden während dieser Zeit

*       Dauer des Aufenthaltes im Aufenthaltsstaat

*       Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen (Ehegatte, Kinder)

*       Schwierigkeiten, welche für den Ehepartner und/oder Kinder im Herkunftsstaat des Fremden zu erwarten sind

 

Ein wesentliches Element für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des zu erlassenden Aufenthaltsverbotes ist die Schwere des vom Bw begangenen heimtückischen Verbrechens.

 

Der EGMR hat sich in zahlreichen Urteilen (Boultif, Urteil vom 2.8.2001, Bsw.Nr. 54273/00; Baghli, Urteil vom 30.11.1999, Bsw.Nr. 34374/97) mit der Verhältnismäßigkeit derartiger Eingriffe auseinandergesetzt.

 

Im Urteil vom 6.2.2003, Bsw.Nr. 36757, Jakupovic, war der EGMR der Ansicht, dass "zwei Verurteilungen wegen Einbruchsdiebstahl nicht als besonders schwerwiegend beurteilt werden können, da die Straftaten keine gewaltsamen Elemente beinhalten" würden und er hat den Eingriff daher als nicht verhältnismäßig zum verfolgten Ziel beurteilt.

 

In der Beschwerde Keles (Urteil vom 27.10.2005, Bsw.Nr. 32.231/02) hat der Gerichtshof der Tatsache wesentliche Bedeutung beigemessen, dass die beiden einzigen verhängten Freiheitsstrafen nur fünf bzw. sechs Monate betragen hatten. Das Urteil gründete auf der Feststellung, dass der Beschwerdeführer in den zehn Jahren, die seiner Ausweisung vorangegangen sind, achtmal wegen Straftaten (davon viermal wegen Verkehrsdelikten) verurteilt worden war. Der Gerichtshof würdigt in diesem Zusammenhang das entschlossene Vorgehen der Behörde gegen Fremde, die sich bestimmter Delikte (wie etwa Drogenhandel) schuldigt gemacht haben.   

 

4.3.2.2.2. In Anbetracht der einschlägigen Judikatur des EGMR (neben den bereits zitierten Urteilen siehe auch: B, Urteil vom 21.6.1988, Bsw.Nr. 10730/84; M, Urteil vom 18.2.1991, Bsw.Nr. 12313/86; Y, Urteil vom 31.7.2002, Bsw.Nr. 37295/97; M, Urteil vom 15.7.2003, Bsw.Nr. 53306/99) greift das Aufenthaltsverbot intensiv in das Privatleben des Bw ein.

 

Für den Bw sprechen der lange rechtmäßige Aufenthalt, die wirtschaftliche Integration, Beherrschung der Sprache und die sozialen Kontakte zu einem Großteil seines familiären Umfeldes.

 

Gegen den Aufenthalt und für die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes wirken sich die ständig zunehmende Aggressionsbereitschaft des Bw, seine gewalttätige und heimtückische Handlungsweise, sein mangelndes Rechtsempfinden und sein starke Charakterdefizite erkennen lassendes Persönlichkeitsbild aus.  

 

Trotz der schwer wiegenden Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie stellen sich die nachteiligen Folgen von der Abstandnahme einer Erlassung als wesentlich nachteiliger dar.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die für seinen Verbleib in Österreich sprechende persönlichen Interessen jedenfalls das durch sein gravierendes Gesamtfehlverhalten nachhaltig beeinträchtigte Allgemeininteresse iSd Art 8 Abs 2 EMRK nicht zu überwiegt (vgl. idS zB VwGH 27.06.2006, Zl. 2006/18/0092).   

 

Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots für die öffentliche Ordnung und Sicherheit wiegen wesentlich schwerer als die Auswirkungen auf die persönliche Lebenssituation des Bw. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes war zur Erreichung von im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten.

 

4.5. Bei Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist nach § 63 Abs. 2 FPG auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit dem Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

 

Der erkennende Verwaltungssenat kann dem FPG keine ausdrückliche Bestimmung entnehmen, die die Durchsetzbarkeit eines Aufenthaltsverbotes davon abhängig macht, dass der Betroffene aus der inländischen Strafhaft entlassen wird.

 

Bereits im Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenat vom 2. März 2007, VwSen-720070/3/WEI/Ps, wurde hiezu wie folgt ausgeführt:

"Im § 1 Abs. 2 vorletzter Satz FPG wird lediglich ein Vorrang des Asylverfahrens geregelt, wonach die Durchsetzung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Asylwerber erst zulässig ist, wenn auch die asylrechtliche Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 durchgesetzt werden kann. Im Übrigen bestimmt § 67 Abs. 2 FPG ungeachtet einer Untersuchungs- oder Strafhaft des Fremden für den Fall des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung, dass damit der Ausspruch durchsetzbar und der Fremde unverzüglich auszureisen hätte. Solange die Fremdenpolizeibehörden bei der Durchsetzung untätig bleiben und der Gerichtshaft faktisch Vorrang einräumen, entstehen freilich in der Praxis keine Konflikte.

 

Zur Vermeidung eines zumindest theoretischen Bindungskonflikts sollte aber nach der Auffassung des erkennenden Verwaltungssenats bei einem Aufenthaltsverbot grundsätzlich schon im Spruch der Beginn seiner Gültigkeit in der Weise zum Ausdruck gebracht werden, dass es erst im Anschluss an die Entlassung aus der Gerichtshaft rechtswirksam wird."

 

Aus den genannten Gründen war eine entsprechende Modifikation des Spruches vorzunehmen. Für diese Vorgangsweise lässt sich sinngemäß wohl auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, wonach bei der Beurteilung des Wohlverhaltens im Strafvollzug verbrachte Zeiten ohnehin außer Betracht zu bleiben haben (vgl. z.B. VwGH 24.7.2002, Zl. 99/18/0260), ins Treffen führen.

 

Was die unbestimmte Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betrifft, teilt der unabhängige Verwaltungssenat die Ansicht der belangten Behörde. Von einer Befristung war angesichts der Art und Schwere des begangenen heimtückischen Verbrechens und des insgesamt negativen Persönlichkeitsbildes beim Bw, dessen künftige Entwicklung und Resozialisierung äußerst unsicher und unbestimmbar erscheint, Abstand zu nehmen.

 

4.6. In dem bereits oben angeführten Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0092, hat der Verwaltungsgerichtshof ein rechtliches Interesse des Beschwerdeführers daran bejaht, dass sich der Unabhängige Verwaltungssenat mit der Frage der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Berufung auseinandersetzt.

 

In der vorliegenden Berufung hat der Bw die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung in Frage gestellt.

 

Ein Rechtsmittel gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung soll die Überprüfung der dafür bestehenden Voraussetzungen durch die Berufungsbehörde ermöglichen. Bei der Berufungsentscheidung ist auf den Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides abzustellen und sind die Voraussetzungen für diesen Zeitpunkt zu beurteilen (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2003], E 13a, 13b und 13c zum vergleichbaren § 64 Abs. 2 AVG).

 

Die belangte Behörde hat sich auf den im Zeitpunkt ihrer Entscheidung geltenden § 64 FPG bezogen, wonach bei Fremden, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot nur ausgeschlossen werden darf, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich ist.

 

Begründend wurde lediglich pauschal auf die "oben angeführten Gründe" verwiesen, aus denen sich die Erfüllung der Voraussetzungen des § 64 FPG  ergeben soll. Diese Begründung kann der erkennende Verwaltungssenat nicht als stichhaltig erkennen. Im Gegenteil ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid, dass der Bw voraussichtlich noch bis 3. Juni 2015 in Strafhaft verbringen wird, wenn er nicht in den Genuss einer bedingten Entlassung nach § 46 StGB gelangt.

 

Es kann beim gegebenen Sachverhalt jedenfalls gerade nicht behauptet werden, dass die sofortige (!) Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung wäre. Vielmehr erforderte der ordnungsgemäße Vollzug der rechtskräftigen Freiheitsstrafe und damit auch die öffentliche Ordnung, dass der Bw noch einige Jahre in Strafhaft verbringen wird.

 

Schon aus diesem Grund war der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung im Spruchteil 2 als rechtswidrig festzustellen.

 

5. Im Ergebnis war das angefochtene Aufenthaltsverbot mit der Klarstellung des Beginnes seiner Rechtswirksamkeit ab Entlassung aus der inländischen Gerichtshaft zu bestätigen und im Übrigen der Berufung teilweise Folge zu geben und den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Berufung für rechtswidrig zu erklären.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unter­schrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 

 

 

 

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