Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720225/7/Fi/DR

Linz, 26.11.2008

 

 

 

E r k e n n t n i s

(Bescheid)

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Vizepräsident Mag. Dr. Johannes Fischer über die Berufung der B Ö, vertreten durch den Verein H, Herrn DDr. G G, W, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmanns des Bezirks Wels-Land vom 15. September 2008, GZ Sich40-19-2008, betreffend die Ausweisung aufgrund des Fehlens des Niederlassungsrechts für EWR-Bürger zu Recht erkannt:

Der Berufung wird stattgegeben und die mit dem bekämpften Bescheid verfügte Ausweisung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehoben.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns des Bezirks Wels-Land vom 15. September 2008, GZ: Sich40-19-2008, wurde die Berufungswerberin (im Folgenden Bwin) aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen. Als Rechtsgrundlage werden "§ 86 Abs. 2, § 54 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl.I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung in Zusammenhang mit § 51 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005 (NAG), BGBl.I Nr. 100/2005" genannt. Weiters wurde der Bwin gemäß "§ 86 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz (FPG) BGBl.Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung" von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

Begründend führt die belangte Behörde im Sachverhalt aus, dass die Bwin als deutsche Staatsangehörige seit 30. Oktober 2007 an der Adresse M, N Straße polizeilich gemeldet sei. Am 23. Jänner 2008 habe sie bei der Bezirksverwaltungsbehörde für sich und ihre minderjährigen Kinder – S C, geb. am   ; Ö A, geb. am    ; Ö J, geb. am    ; und Ö C W, geb. am    – Anträge  auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger eingereicht. Da die Antragsunterlagen nicht vollständig gewesen seien, sei der Bwin eine Fristerstreckung für die Nachreichung dieser Nachweise eingeräumt worden. Anlässlich der Vorlage der fehlenden Reisepässe am 11. März 2008 habe die Bwin bekannt gegeben, dass ihr Ehemann, Herr W Ö, wieder nach Deutschland zurückgekehrt sei und nicht mehr nach Österreich kommen werde. Niederschriftlich sei festgehalten worden, dass aufgrund dieses Umstandes das entsprechende Familieneinkommen nicht mehr gewährleistet sei, da Frau Ö zu diesem Zeitpunkt nur ein Beschäftigungsverhältnis mit lediglich drei Stunden täglich vorweisen könne. Aufgrund der von der Bwin getätigten Angabe, sie habe eine neue Beschäftigung in Aussicht, sei Ihr eine Fristerstreckung bis 15. April 2008 zwecks Vorlage der entsprechenden Einkommensnachweise eingeräumt worden. Auch sei die Bwin darüber belehrt worden, dass ein weiterer Aufenthalt in Österreich nur mit einem entsprechenden Einkommen gesichert sei.

Die Bwin sei mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 2. Mai 2008 darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass sich bei Fehlen der erforderlichen Nachweise die Fremdenpolizeibehörde zwecks Überprüfung und Einleitung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens befassen werde. Mit einer weitern Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom selben Tag sei die Bwin in Kenntnis gesetzt worden, dass gegen sie ein fremdenpolizeiliches Verfahren in Form einer Ausweisung aufgrund der Bestimmungen des § 86 FPG eingeleitet werde.

Der Aufforderung seitens der belangten Behörde zur Erstattung einer Stellungnahme sei die Bwin bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht nachgekommen.

Nach Mitteilung der Jugendwohlfahrt der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land sei diese Mitte März 2008 durch die Schulen der minderjährigen Kinder befasst worden, wonach auf eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls zu schließen sei. Erhebungen zufolge bewohne die Bwin eine 95 m2 große Mansardenwohnung und habe Mietkosten in Höhe von 670 Euro incl. Betriebskosten zu entrichten. Die Wohnung sei bei Hausbesuchen durch die Jugendwohlfahrt äußerst unaufgeräumt, verraucht und unsauber erschienen. Nach Angabe der Bwin sei in Deutschland eine Fremdunterbringung der Kinder durch die deutsche Jugendwohlfahrt angedroht worden. Eine finanzielle Unterstützung Ihres nach Deutschland zurückgekehrten Ehemanns sei aufgrund dessen Arbeitslosigkeit vorerst nicht möglich. Aufgrund von Lern- und Verhaltensproblemen von C S habe die Bwin bereits eine Fremdunterbringung durch die Jugendwohlfahrt in Österreich in Betracht gezogen. Nach Mitteilung der Jugendwohlfahrt der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land sei es als wahrscheinlich anzusehen, dass Leistungen des Sozialhilfeverbandes Wels-Land im Zusammenhang mit den zu gewährenden Erziehungsmaßnahmen für die minderjährigen Kinder in Anspruch genommen werden müssen.

Am 27. August 2008 habe die Bwin einen Antrag auf Sozialhilfe eingebracht.

Nach Darstellung der einschlägigen Rechtsgrundlagen führt die belangte Behörde in rechtlicher Beurteilung aus, dass es für sie erwiesen sei, dass die Bwin die erforderlichen Nachweise für sich und ihre Familienangehörigen - nämlich die ausreichenden Existenzmittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes - nicht nachweisen könne und sie während ihrer Niederlassung Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müsse. Von einer günstigen Prognose im Hinblick auf eine zukünftige anhaltende Existenzsicherung in Österreich könne daher aufgrund Ihres bisher gesetzten Verhaltens nicht ausgegangen werden.

Die belangte Behörde führt weiters aus, dass die Bwin mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei, der wieder nach Deutschland zurückgekehrt sei und somit eine weitere Lebensführung im Familienverbund in Deutschland auf alle Fälle ermöglicht sei. Bei der Abwägung seien die Dauer ihres Aufenthalts, das Ausmaß der Integration und die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen berücksichtigt worden.

Sowohl aufgrund Ihrer wirtschaftlichen als auch Ihrer persönlichen Verhältnisse gelange die Behörde zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet zweifellos vorliegen würden.

1.2. Gegen diesen Bescheid, der der Bwin am 29. September 2008 zugestellt worden ist, richtet sich die am 13. Oktober 2008 – und damit rechtzeitig – bei der belangten Behörde eingelangte Berufung.

Die Bwin führt insbesondere aus, dass die Berufung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften und des Fairness-Gebotes des Art. 6 EMRK erhoben werde. Obgleich behördenkundig, seien die Unterhaltsansprüche für die vier minderjährigen Kinder, die dieselbe Behörde betreibe sowie der Umstand, dass die Bwin wieder beschäftigt sei, völlig außer Acht gelassen worden. Sämtliche Unterhaltszahlungen würden noch im Oktober 2008 durch die Verpflichteten aufgenommen. Dieselbe Behörde habe bei der Unterbringung zweier Kinder in den Hort geholfen, sodass die teilzeitliche Berufstätigkeit der Bwin keinen Nachteil für die Kinder mehr bewirken könne. Es bleibe völlig unerklärlich, woraus "zweifellos" geschlossen werden könne, dass die Grundlagen für eine Ausweisung gegeben sein könnten.

Schließlich wird beantrag, die Akten der Jugendwohlfahrt für sämtliche Kinder beizuschaffen und die notwendigen Feststellungen zu treffen, sodann gemäß § 64a Abs. 2 AVG vorzugehen und den angefochtenen Bescheid aufzuheben sowie nach Vorhalt der – ergänzten – Ermittlungsergebnisse (§ 45 AVG), neuerlich zu entscheiden sonst aber den bekämpften Bescheid aufzuheben und das Verfahren einzustellen.

2.1. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2008 wurde der gegenständliche Verwaltungsakt samt Fremdenakte dem Oö. Verwaltungssenat von der belangten Behörde zur Berufungsentscheidung vorgelegt.

2.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt.

Weiters wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land, Jugendwohlfahrt, eingeholt, die mit Schreiben, das beim Oö. Verwaltungssenat am 6. November 2008 eingelangt ist, mitteilte, dass seitens des Sozialhilfeverbandes Wels-Land für die Familie Ö bisher folgende finanzielle Leistungen erbracht worden seien:

o        Barauszahlung an Frau Ö am 11.09.08 in der Höhe von 1.000 Euro

o        Kostenbeitrag zur Nachmittagsbetreuung der minderjährigen A, J  und C für die Monate September und Oktober 2008 in der Höhe von insgesamt 115, 60 Euro

Aus Sicht der Jugendwohlfahrt sei festzuhalten, dass Frau Ö als Alleinerzieherin offensichtlich mit der Betreuung und Versorgung ihrer Kinder teilweise überfordert sei.

Die Gewährung von außerschulischer Betreuung der Kinder an Nachmittagen stelle derzeit das gelindeste Mittel an Einschreitung durch den Jugendwohlfahrtsträger dar. Bei weiter steigenden Betreuungsdefiziten innerhalb der Familie würde die Gewährung einer Erziehungsmaßnahme seitens der Jugendwohlfahrt notwendig werden.

 

2.2.1. Mit Verbesserungsersuchen gemäß § 13 Abs. 3 AVG vom 30. Oktober 2008 wurde die Bwin seitens des Oö. Verwaltungssenats aufgefordert, bis längstens 14. November 2008 zum Nachweis der Stichhaltigkeit Ihrer Berufungsvorbringen den Arbeitsvertrag, den Nachweis für tatsächliche Unterhaltszahlungen und den Nachweis einer Krankenversicherung für sich und eine Bestätigung über die Mitversicherung der vier minderjährigen Kinder beizubringen.

2.2.2. Mit Schriftsatz vom 11. November 2008 kam die Bwin grundsätzlich diesem Verbesserungsauftrag nach und legte folgende Dokumente vor:

o        Eine Mitteilung der Jugendwohlfahrt der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 4. November 2008, JW10-246-2008/WL, gemäß § 212 Abs. 4 ABGB betreffend C S, in der Frau Ö informiert wird, dass ein Antrag bei Gericht auf Festsetzung der Unterhaltsleistung für Ihre Tochter gestellt wurde.

o        Mitteilung der Oö. Gebietskrankenkasse vom 10. November 2008 darüber, dass die Bwin für S C, Ö A, Ö J und Ö C W Leistungen aus der Krankenversicherung – vorerst befristet bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres – beanspruchen kann.

o        Kontoauszug vom 21. Oktober 2008 der eine Überweisung "Unterhalt" in der Höhe von 500 Euro dokumentiert; Auftraggeber: W und J Ö, B; Verwendungszweck: W und B Ö.

o        Auszug aus dem Elektronischen Datensammelsystem der Sozialversicherungsträger für OOEGKK, dem zu entnehmen ist, dass die Bwin als Hilfskraft seit 11. September 2008 beschäftigt ist.

o        Ein zwischen dem Gasthof "M", Hr. G D, M als Arbeitgeber und Frau B Ö als Arbeitnehmerin abgeschlossener Arbeitsvertrag vom 30. September 2008; Frau Ö wird demnach als Hilfskraft für eine wöchentliche Normalarbeitszeit von ca. 30 Stunden und einem tatsächlichen Monatslohn von 7,10 Euro/Stunde beschäftigt. Das Arbeitsverhältnisses beginnt mit 11. September 2008.

Herr G D hat am 25. November 2008 telefonisch bestätigt, dass die Bwin beim ihm noch arbeitet und einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat.

2.3.  Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von folgendem entscheidungswesentlichen Sachverhalt aus:

Die Bwin ist deutsche Staatsangehörige und ist - wie Ihre vier minderjährigen Kinder C S, Andreas J C W Ö  - seit 30. Oktober 2007 an der oben angeführten Adresse in M polizeilich gemeldet. Seit 11. September 2008 ist sie als Hilfskraft im Gasthof "M", M, für eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Ihr Monatslohn beträgt 7,10 Euro/Stunde.

2.4.  Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, dem - im Rahmen des vom Oö. Verwaltungssenat geführten Ermittlungsverfahrens - von der Bwin vorgelegten Arbeitsvertrag und der telefonischen Bestätigung des Arbeitgebers der Bwin.

 

3.  In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. Gemäß der in § 9 Abs. 1 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl I Nr. 4/2008 enthaltenen Verfassungsbestimmung entscheiden über Berufungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist, im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern.

 

Da die Bwin als deutsche Staatsangehörige EWR-Bürgerin ist und sich der die Ausweisung verfügende Bescheid auf §§ 86 Abs. 2 und 54 Abs. 1 FPG in Zusammenhang mit § 51 Abs. 1 und 2 NAG stützt, ist der Oö. Verwaltungssenat zur Berufungsentscheidung zuständig.

 

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder zuständig (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

3.3. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der Sachverhalt zweifelsfrei – und von der Bwin im Übrigen auch nicht substantiell widersprochen – aus der Aktenlage und den erhobenen Beweisen ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifende Klärung der Sachlage nicht erwarten lässt. Im Übrigen liegt kein darauf gerichteter Parteienantrag vor (§ 67d AVG).

 

3.4. Art. 39 (ex-Art. 48) des Vertrages über die Europäische Union (EGV) normiert die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Diese umfasst gemäß Art. 39 Abs. 2 EGV die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Gemäß Art. 39 Abs. 3 lit. c. EGV gibt sie – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben.

 

Systematisch lässt sich die Freizügigkeit der Arbeitnehmer der "Personenverkehrsfreiheit" zuordnen (Streinz, Europarecht5 (2001) Rz 656), die als eine der vier "Grundfreiheiten" des EGV bezeichnet wird (Streinz, Europarecht5 (2001) Rz 653). Da alle Grundfreiheiten – und damit auch die im gegenständlichen Verfahren einschlägige Arbeitnehmerfreizügigkeit – unmittelbare Geltung genießen und Individualrechte begründen (Streinz, Europarecht5 (2001) Rz 705), steht der Bwin ein Aufenthaltsrecht in Österreich unmittelbar aufgrund des EGV zu, wenn sie als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EGV anzusehen ist.

 

3.5. Das wesentliche Merkmal für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sieht der EuGH darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. etwa EuGH vom 3. Juli 1986, Rs. 66/85, Lawrie Blum/Land Baden-Württemberg, Slg. 1986, 2121).

 

3.6. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Bwin als deutsche Staatsangehörige EWR-Bürgerin und seit 11. September 2008 als Hilfskraft im Ausmaß von 30 Wochenstunden beschäftigt ist und einen Monatslohn von 7,10 Euro/Stunde für diese Tätigkeit erhält.

 

Da die Bwin den obigen Ausführungen folgend als Arbeitnehmerin im Sinne des Art. 39 EGV zu qualifizieren ist, steht ihr aufgrund der primärrechtlich garantierten Arbeitnehmerfreizügigkeit das Recht zu, sich in Österreich aufzuhalten, um hier nach den für die Arbeitnehmer des Staates Österreichs geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben.

 

Da somit im gegenständlichen Verfahren der Anwendungsbereich der primärrechtlich verankerten Arbeitnehmerfreizügigkeit eröffnet ist, kommt der Bwin schon aufgrund Art. 39 EGV das Aufenthaltsrecht in Österreich zu.

 

3.7. Obwohl im gegenständlichen Verfahren ein Aufenthaltsrecht nicht mehr vom Vorliegen der Voraussetzungen sekundärrechtlicher oder nationaler Bestimmungen abhängig ist, sei erwähnt, dass auch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004, Amtsblatt der Europäischen Union, L 158/77, 30.4.2004, in dessen Artikel 7 Abs. 1 bestimmt, dass jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum über drei Monate hat, wenn er

 

a. Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

 

b. für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthaltes keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

 

c. [...].

 

Gemäß § 51 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes – NAG, BGBl I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl I Nr. 4/2008, der die eben erwähnte Richtlinie im nationalen Recht umsetzt,  sind EWR- Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, zur Niederlassung berechtigt, wenn sie

1.     in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.     für sich und ihre Familienangehörige über eine ausreichende Krankenversicherung verfügen und nachweisen können, dass sie über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verfügen, sodass sie während ihrer Niederlassung keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen, oder

3.     [...].

 

Da die Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 51 Z 1 und Z 2 NAG – wie auch die Richtlinie 2004/38/EG bestätigt (Arg. "oder") - alternativ verknüpft sind, ist bei Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft ein Vorhandensein ausreichender (Krankenversicherung und) Existenzmittel, sodass im Aufnahmemitgliedstaat keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen werden müssen, für die Begründung eines Aufenthaltsrecht nicht mehr von rechtlicher Relevanz.

 

Der Bwin würde daher auch aufgrund § 51 Z 1 NAG ein Aufenthaltsrecht in Österreich zustehen.

 

3.8. Abschließend sei jedoch darauf hingewiesen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die belangte Behörde, die Bwin keiner – der belangten Behörde bekannten - Beschäftigung nachgegangen ist bzw. dies nicht vorgebracht hat und ihr daher zum damaligen Zeitpunkt kein durch Art. 39 EGV begründetes Aufenthaltsrecht in Österreich zugekommen ist.

 

Da jedoch das AVG kein Neuerungsverbot kennt (vgl. etwa VwGH vom 17. März 2000, 96/07/0225), können in einer Berufung neue Tatsachen und Beweismittel ins Treffen geführt werden.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.9. Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 52,80 Euro (Eingabegebühr) angefallen; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Johannes Fischer

Rechtssatz VwSen-720225/7/Fi/DR vom 26. November 2008

§ 51 Z 1 NAG, Art. 39 EGV

 

Einer deutschen Staatsbürgerin, die in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgeht, kommt gemäß der primärrechtlich in Art. 39 EGV verankerten Arbeitnehmerfreizügigkeit das Aufenthaltsrecht in Österreich zu.

 

 

 

 

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