Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-163401/9/Fra/RSt

Linz, 01.12.2008

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung der Frau I B, L, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 8. Juli 2008, VerkR96-1200-2008, betreffend Übertretungen der StVO 1960 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 17. November 2008, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; die Berufungswerberin hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z1 VStG; § 66 Abs.1 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über die Berufungswerberin (Bw)

 

  1. wegen Übertretung des § 4 Abs.5 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.b leg.cit. eine Geldstrafe von 200 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden) und
  2. wegen Übertretung des § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 gemäß § 99 Abs.2 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 250 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 90 Stunden) verhängt, weil

 

sie am 7.3.2008 um 17.45 Uhr in die Gemeinde Bad Leonfelden, Gemeindestraße Ortsgebiet, öffentlicher Parkplatz vor dem Haus B,

1. als Lenkerin des Pkws Kennzeichen     , Audi A4, blau, mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden ist und nicht ohne unnötigen Aufschub die Polizeidienststelle verständigt hat,

 

2. es als Lenkerin des angeführten Pkws nach Verursachung eines Verkehrsunfalles mit Sachschaden unterlassen hat, das von ihr gelenkte Fahrzeug sofort anzuhalten.

 

Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von jeweils 10 % der verhängten Geldstrafen vorgeschrieben.

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung – als nunmehr belangte Behörde – legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil jeweils 2.000 Euro nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied (§ 51c erster Satz VStG) zu entscheiden hat.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 17. November 2008. Zu dieser Verhandlung ist die Bw sowie ihr Vertreter, Herr Mag. G H, erschienen. Die Bw wurde zum Sachverhalt befragt. Weiters hat der Amtssachverständige für Verkehrstechnik, Herr Ing. R H, ein Gutachten erstattet.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

Unstrittig ist die Lenkereigenschaft. Die Bw bestreitet auch nicht, dass sie beim verfahrensgegenständlichen Ausparkmanöver den rechts neben ihr geparkten Pkw Kennzeichen      (A), Skoda Oktavia, silber, gestreift hat, wobei an diesem Fahrzeug an der Stoßstange links hinten ein ca. 40 cm langer Lackabrieb entstanden ist.

 

An dem von der Bw gelenkten Pkw entstand an der Stoßstange rechts vorne ein Lackabrieb in einer Länge von ca. 30 cm.

 

Im Hinblick auf das Vorbringen der Bw ist auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Bw bei diesem Ausparkmanöver die Berührung des rechts neben ihr geparkten Pkws nicht bemerkt hat. Diese Schlussfolgerung kann deshalb gezogen werden, da die Bw keinerlei Verschleierungsversuche unternommen hat und den Lackabrieb an der Stoßstange ihres Pkws erst bei der Kontaktierung durch die Polizei bemerkt hat.

 

In rechtlicher Hinsicht ist dazu auszuführen, dass das Nichtbemerken des von ihr verursachten Sachschadens sie noch nicht von der Erfüllung der ihr zur Last gelegten Tatbestände in subjektiver Hinsicht entlastet. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes handelt auch derjenige fahrlässig, dem bei gehöriger Aufmerksamkeit objektive Umstände (Anstoßgeräusch, ruckartige Anstoßerschütterung, etc.) zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit wenigstens einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte.

 

In Befolgung dieser Judikatur hat bereits die belangte Behörde ein verkehrstechnisches Gutachten zur Frage eingeholt, ob der Schadenseintritt für die Bw bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmbar war.

 

Der Sachverständige Ing. L ist in seinem Gutachten vom 5. Mai 2008, GZ: VT210000/137-2008-LJ, zum Ergebnis gekommen, dass die Kollision in akustischer Form nicht mit Sicherheit wahrgenommen werden konnte. Zur Erkennbarkeit einer Kontaktierung als Reaktion eines Stoßes führte der Sachverständige aus, dass das Fahrmanöver vermutlich mit sehr geringer Geschwindigkeit erfolgte und keine erforderliche große Überdeckung der beiden Fahrzeuge vorgelegen ist. Die Kollision hat in einem sehr spitzen Winkel stattgefunden. Dass von der Bw eine Kontaktierung falsch interpretiert werden konnte, sei durchaus möglich.

 

Zur visuellen Wahrnehmungsmöglichkeit führte der Gutachter aus, dass die enge Verkehrssituation für die Bw ersichtlich gewesen war. Sie habe im Zuge des Parkmanövers mit erhöhter Aufmerksamkeit auf allfällige Fahrzeuge achten müssen. Dadurch habe sie auch erkennen können, dass sich der Abstand zum gegnerischen Fahrzeug stark verminderte. Sie habe eine Kontaktierung nicht ausschließen können. Weiters bemerkte der Sachverständige, dass die Kontaktierung für die Bw nicht direkt einsehbar war. Abschließend stellte der Sachverständige fest, dass der Bw zumindest visuelle Umstände zu Bewusstsein hätten kommen müssen, dass es bei diesem Parkmanöver zu einer Beschädigung von anderen Fahrzeugen gekommen sein kann.

 

Die Bw bringt in ihrem Rechtsmittel vor, die Schlussfolgerung "…zumindest visuelle Umstände zu Bewusstsein hätten kommen müssen, dass es bei diesem Parkmanöver zu einer Beschädigung von anderen Fahrzeugen gekommen sein kann…" sei nicht nachvollziehbar und widerspreche der klaren Aussage des Sachverständigen, dass die Kontaktierung der parkenden Pkws nicht direkt einsehbar sei.

 

Bei der Berufungsverhandlung kam der Amtssachverständige für Verkehrstechnik Ing. R H – wie sein Kollege Ing. L – zum Schluss, dass aufgrund der Aktenunterlagen und der Schadensbeschreibung davon auszugehen ist, dass die gegenständliche Kontaktierung für die Bw weder als Anstoß (Ruck) noch als Anstoßgeräusch wahrnehmbar gewesen sein muss.

 

Zur optischen Wahrnehmbarkeit der Fahrzeugkontaktierung stellte der Sachverständige fest, dass er aufgrund der Schadensbeschreibung zu einem Kontakt der beiden Stoßstangen gekommen ist. Beim Audi fand der Kontakt mit dem rechten Stoßstangenteil statt und beim Fahrzeug, das berührt wurde, welches aus der Sicht der Bw rechts neben ihr geparkt war (Skoda Oktavia), fand die Berührung im linken hinteren Stoßstangenbereich statt. Aufgrund der Bauhöhe der Stoßstangen ist vom Lenkersitz des A4 die direkte Berührung der beiden Stoßstangen nicht einsehbar. Die Nichteinsehbarkeit ist bauartbedingt. Die Bw kann die Berührungsstelle Stoßstange auf Stoßstange vom Lenkerplatz aus nicht einsehen, was aber für die Bw erkennbar ist, ist ein äußerst geringer Fahrzeugabstand der vom Lenkerplatz aus einsehbaren Teile. Aufgrund der Fahrzeugkonturen ist eine Berührung Stoßstange auf Stoßstange zwischen zwei Pkws auf die direkte Kontaktstelle nie einsehbar, es ist aber erkennbar, dass sich die Kotflügeln bzw. die Karosserieteile sehr knapp nähern. Im Bewusstsein, dass die Stoßstange über die Karosserie hinausragt, ist bei einem wahrnehmbaren äußerst geringen Abstand der einsehbaren Karosserieteile die Möglichkeit einer leichten Fahrzeugberührung nicht mehr auszuschließen. Es kann wie im gegenständlichen Fall sein, dass die Berührung der Kontakt so gering ausfällt, dass weder Anstoßgeräusche noch Fahrzeugverzögerungen wahrnehmbar sein müssen. Aufgrund der Fahrzeugkonturen ist festzustellen, dass, wenn sich die Fahrzeugkarosserien bis zu einem sehr ungewöhnlichen Abstand nähern, man nicht mehr mit Sicherheit ausschließen kann, dass über das Fahrzeug hinausragende Teile, wie eben zum Beispiel Stoßstangenecken miteinander in Berührung gekommen sind. Um diesen ungewöhnlich geringen Abstand erkennen zu können, muss die Bw zum Zeitpunkt dieser Situation auch nach vorne geschaut haben. Wie weit es aufgrund des Umgebungsverkehrs nötig war, zu gerade diesem Zeitpunkt in den Rückspiegel zu schauen oder sich primär nach hinten zu orientieren in die eigentliche Fahrtrichtung, ist aus technischer Sicht nicht zu beantworten. Die Möglichkeit, dass zum Zeitpunkt dieses ungewöhnlich geringen Fahrzeugabstandes aus Verkehrsgründen primär der Blick nach hinten gerichtet werden musste, ist aber grundsätzlich möglich.

 

Zusammenfassend stellte der Sachverständige fest, dass wenn die Bw zum Zeitpunkt des Auftretens dieses ungewöhnlich geringen Fahrzeugabstandes in dem sie zwar nicht die stoßenden Stellen aber den ungewöhnlich knappen Abstand der korrespondierenden Karosserieteile erkennen hätte können, die Möglichkeit einer leichten Fahrzeugberührung nicht ausschließen hätte dürfen. Diese Möglichkeit besteht aber nur dann, wenn sie verkehrsbedingt zu gerade diesem Zeitpunkt ihre Blickrichtung auch nach vorne gewendet hat. Wenn sie verkehrsbedingt ihre Blickrichtung nach hinten gerichtet hat, dann war auch dieser kurzzeitig auftretende, ungewöhnliche Fahrzeugabstand für sie nicht erkennbar, dass sie möglicherweise genau in dem Zeitfenster, in dem dieser ungewöhnliche Abstand aufgetreten ist, ihre Blickführung nicht nach vorne gerichtet hat.

 

Unter Zugrundelegung dieses Gutachtens ist daher vom Oö. Verwaltungssenat die entscheidungswesentliche Frage zu beantworten, ob es angebracht war, dass die Bw zu genau dem Zeitfenster – ein Sekundenbruchteil – in dem die Berührung mit dem seitlich geparkten Pkw stattfand, die verkehrsbedingte Blickrichtung nach hinten zu richten gehabt hat. Wenn das der Fall war, hat der Sachverständige schlüssig ausgeführt, dass der kurzzeitig auftretende ungewöhnliche Fahrzeugabstand vom seitlich geparkten Fahrzeug für die Bw nicht erkennbar war. Diese Frage kann jedoch im Nachhinein nicht beantwortet werden, weil nicht feststeht, ob genau zum Zeitpunkt des Ausparkens sich allenfalls ein anderes Fahrzeug oder allenfalls eine Person an den Pkw der Bw angenähert hat. Im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muss der Lenker eines Fahrzeuges den Geschehnissen um sein Fahrzeug volle Aufmerksamkeit zuwenden. Da es im konkreten Fall aufgrund der Beengtheit sowie aufgrund der Möglichkeit, dass sich hinter dem ausparkenden Fahrzeug andere Fahrzeuge oder Personen nähern vom Aspekt der Verkehrssicherheit besonders wichtig war, dass die Bw ihre volle Aufmerksamkeit nach rückwärts wendet und genau in diesem Moment – ein Sekundenbruchteil – die Berührung des neben ihr geparkten Fahrzeuges stattgefunden haben konnte, kann nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Bw visuell zu Bewusstsein hätte kommen müssen, dass es bei diesem Parkmanöver zu einer Beschädigung des neben ihr geparkten Fahrzeuges gekommen ist. Ein Verschulden ist nicht mit Sicherheit nachweisbar.

 

Der Bw ist es sohin mit ihrem Vorbringen gelungen, die Fahrlässigkeitsvermutung im Sinne des § 5 Abs.1 VStG zu entkräften, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

 

5. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss  - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro  zu entrichten.

 

 

 

 

Dr. F r a g n e r

 

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